Während die Medien einheitlich für Aufrüstung trommeln und kritische Stimmen mundtot gemacht werden, warnt Heinz-J. Bontrup vor einer verhängnisvollen Entwicklung: Deutschland marschiert wieder im Gleichschritt Richtung Krieg. Wie schon vor beiden Weltkriegen herrscht Realitätsverlust bei den politischen Eliten – von SPD bis zu den Grünen. Statt dem Grundgesetz-Auftrag des Friedens zu folgen, werden eine halbe Billion Euro in Rüstung gepumpt. Von Heinz-J. Bontrup.
Albert Einstein verachtete das Militär und sein gesellschaftliches Gehabe, als er schrieb: „Wenn einer mit Vergnügen zu einer Musik in Reih und Glied marschieren kann, dann hat er sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde.“ Heute ist das Militaristische in Deutschland zurück und die Bellizisten können ihre unverantwortliche Propaganda in fast allen Medien verbreiten. Kritische Stimmen haben bei den Zeitungsverlegern so gut wie keine Chance auf eine Veröffentlichung (vgl. Ossietzky 11/2025; „Die Panzer sollen rollen“). Man muss schon ziemlich borniert sein, um als Mensch Aufrüstung, Kriegsvorbereitung und am Ende einen todbringenden Krieg zu fordern. In der Politik wird die gesellschaftlich zerstörerische Forderung trotzdem durch ein hier vielfach nur anzutreffendes lineares und ein rein ereignisbezogenes Denken geradezu forciert.
Die viel gelesene US-amerikanische Historikerin Barbara Tuchman schreibt in ihrem Buch „Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam“: „In der Regierungskunst, so scheint es, bleiben die Leistungen der Menschheit weit hinter dem zurück, was sie auf fast allen anderen Gebieten vollbracht hat. Weisheit, die man definieren könnte als den Gebrauch der Urteilskraft auf der Grundlage von Erfahrung, gesundem Menschenverstand und verfügbarer Information, kommt in dieser Sphäre weniger zur Geltung und ihre Wirkung wird häufiger vereitelt, als es wünschenswert wäre.“
Das muss uns heute, mehr denn je, in große Sorge versetzen, denn damit ist gesellschaftlich Gefahr in Verzug. Ich erwarte von Volksvertretern: dass sie Ereignisse kausal und holistisch einordnen und auch in Geschichte bewandert sind und nicht zuletzt über ein theoriebasiertes und praktisches ökonomisches Wissen verfügen. Wenn man dabei nicht einmal Letzteres nachweisen kann, darf sich das Volk auch nicht wundern, wenn Kapitalisten für ihre Profitinteressen Politiker jeden Tag manipulieren und vorführen können. Nur ein Beispiel: Ein Finanzminister sollte im bürgerlichen Beruf Wirtschaftswissenschaften mit Abschluss studiert haben. Wie will er ansonsten auch nur im Ansatz ökonomisch mitreden können und unter vielem anderen wissen, dass alles Militärische und eine letztlich todbringende Rüstung immer nur einen nichtproduktiven ökonomischen Charakter haben. Da hilft ihm dann auch ein Berater nicht weiter, zumal, wenn dieser nur von ihm auserwählt wurde und ihm das rät, was er hören will.
Militärisches Denken und Rüstung haben in der Menschheitsgeschichte schon immer mit einem Realitätsverlust korreliert, den der herausragende Soziologe und Sozialphilosoph Oskar Negt einmal als die letzte Stufe einer pervertierten gesellschaftlichen Krisenentwicklung bezeichnet hat. Vorab kommt es in der Krise zu einer angstgetriebenen gesellschaftlichen Anpassung, die, je länger die Krise währt, dann in ein devotes Verhalten in der Gesellschaft übergeht. Überall trifft man nur noch auf ein „Duckmäusertum“; im Kreuzworträtsel übrigens als „Kriechertum“ bezeichnet. Selbst der Wissenschaftsbereich ist davon nicht befreit.
Gesellschaftlicher Realitätsverlust lag in Deutschland sowohl vor Ausbruch des Ersten als auch des Zweiten Weltkriegs vor. Der Einzige, der im Reichstag 1914 sitzenblieb und gegen die Kriegskredite stimmte, war der SPD-Abgeordnete Karl Liebknecht. Am Ende bezahlte er die Nein-Stimme mit seiner Ermordung, die in die lange Reihe politischer Morde von rechts gehört und die bis heute in Deutschland heruntergespielt werden. Und auch die Politik (inklusive der SPD) sowie die Gewerkschaftsspitze des ADGB litten 1933 unter Realitätsverlust. Der ADGB biederte sich Hitler sogar an und feierte, unglaublich, mit den Faschisten gemeinsam den 1. Mai. Was danach passierte, ist hinlänglich bekannt. Trotz aller Borniertheit von Politik sei hier aber auch den Kapitalisten gesagt, dass sie bei einem Krieg die größten Verlierer sind. Dazu empfehle ich, den französischen Ökonomen und Verteilungstheoretiker Thomas Piketty zu studieren. Dort finden sich die empirischen Befunde.
Bertold Brecht und auch Einstein haben schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vor weiteren Kriegen gewarnt. Heute wissen wir, über 240 Kriege mit bis zu 30 Millionen Toten wurden Realität und womöglich wird gerade von ein paar Narzissten und machtbesessenen Autokraten in der Welt der dritte Weltkrieg vorbereitet, der dann das Ende der Menschheit bedeuten würde. Wie sagte Einstein: „Ich bin [mir] nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“
Kriege sind dabei noch nie von Völkern, sondern immer nur, hinter ihrem Rücken, von Herrschenden vorbereitet und ausgelöst worden. Bei beiden Weltkriegen waren es törichte deutsche Herrscher, die nicht minder törichte politische willige Helfer fanden. So konnten Kaiser Wilhelm II. und Hitler die Deutschen, ohne sie gefragt zu haben, in den Ersten und Zweiten Weltkrieg schicken. An meiner Alma Mater stand an einem Gebäude in den 1970er-Jahren geschrieben: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ (Carl Sandburg).
Wann stehen die Völker der Welt gegen die Torheit der Regierenden endlich auf? Die Frage gilt hier nicht nur für totalitäre Systeme, sondern auch gegenüber den selbsternannten politischen Herrschaftseliten in indirekten (parlamentarischen) Demokratien, die nach dem Wahlabend nur noch Zuschauerdemokratien sind. Achten Sie einmal darauf: Vor der Wahl reden Politiker im „Wir“ und nach der Wahl im „Ich“. Als Bürger verbitte ich es mir, dass die nur auf Zeit gewählten „Volksvertreter: innen“ in meinem Namen von „kriegstauglich“ und „kriegsfähig“ reden.
Politik ist dem Frieden verpflichtet und dem Versprechen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg: „Nie wieder Krieg“. In der Präambel des Grundgesetzes steht, dass das deutsche Volk „dem Frieden der Welt zu dienen“ hat. Andreas Engelmann, Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Jurist: innen (VDJ), und Rainer Rehak, Ko-Vorsitzender des Forums Informatiker: innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) schreiben in der Frankfurter Rundschau vom 25. März dieses Jahres dazu:
„Bis heute beinhaltet das Grundgesetz den normativen Auftrag, die Existenz einer Streitkraft mit dem Friedensgebot in praktische Konkordanz zu bringen. Der ausgerufene Primat der Aufrüstung und der exzessive Einsatz von öffentlichen Mitteln zu diesem Zweck verschiebt dieses prekäre Gleichgewicht in die Richtung einer Rückkehr des Militarismus. Deutschland hatte bereits zweimal eine kriegstüchtige Armee. Und lange vor dem Blutvergießen im Krieg beginnt die Militarisierung im Inneren.“
Die Verfasser des Grundgesetzes von 1949 würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, wie heute herrschende Politik mit dem Grundgesetz umgeht, die es mit Unterstützung der SPD und von Bündnis90/Die Grünen fertiggebracht und eine halbe Billion Euro für Rüstungsausgaben mit einer Grundgesetzänderung ins Grundgesetz geschrieben hat. Hier sei noch einmal Albert Einstein zitiert: „Ein Pazifismus, der die Rüstungen der Staaten nicht bekämpft, ist und bleibt ohnmächtig. Die Rüstungsindustrie ist eine der größten Gefährdungen der Menschheit.“
In diesem Kontext weist das Manifest zur „Friedenssicherung in Europa“ der offensichtlich letzten aufrechten Sozialdemokraten den richtigen Weg. Zu Recht wird eine Kehrtwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gefordert. Gut einhundert prominente SPD-Politiker: innen schreiben: „Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland.“ Klar abgelehnt wird ebenfalls zu Recht in dem Manifest eine Erhöhung des Verteidigungsetats auf 3,5 oder gar fünf Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts. Statt mehr Geld für eine derartige aberwitzige Rüstungseskalation auszugeben, ist das Geld unter anderem für eine Armutsbekämpfung und Klimaschutz zu verausgaben.
Die primitiven Antworten von den Bellizisten im Land kamen umgehend. Auch von den Führenden in der SPD und der ehemaligen grünen Friedenspartei. Das Verhalten der SPD in ihrer ganzen Geschichte ist dabei hinlänglich bekannt: Links blinken und am Ende rechts abbiegen. Und allen Rüstungs- und Kriegstreibern sage ich abschließend: „Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten“. Soll übrigens auch Einstein so gesehen haben.
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