200-mal Extrawurst mit Schampus! Der Amazon-Boss heiratet und Venedig ist geliefert

200-mal Extrawurst mit Schampus! Der Amazon-Boss heiratet und Venedig ist geliefert

200-mal Extrawurst mit Schampus! Der Amazon-Boss heiratet und Venedig ist geliefert

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Jeff Bezos und Herzdame Lauren Sánchez lassen tagelang die italienische Lagunenstadt belagern, um sich das Ja-Wort zu geben. Das sorgt für Proteste, ätzende Leserkommentare und ein böses Erwachen bei den Untertanen. Ist das alles nur Show? Schön wär’s. Denn die Verheerungen sind echt. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das sei ein „regelrechter Überfall“, empörte sich eine Einheimische. Ja, so kann sich das anfühlen, was Venedig dieser Tage heimsucht. Jeffrey Preston Bezos, genannt Jeff, hält Hochzeit mit seiner Herzdame Lauren Sánchez und verordnet der Lagunenstadt im Nordosten Italiens eine Woche lang Belagerung. Er mietet diverse Luxushotels, lässt mehrere Viertel abriegeln, touristische Hotspots entvölkern, Straßen, Plätze und Kanäle von ehemaligen US-Marines überwachen – und das alles nur, um Party, Party und noch mehr Party zu machen. Und die Medien staunen, die Boulevardpresse hyperventiliert, und bloß vereinzelt klingen Töne der Kritik durch: Schon irgendwie abgehoben das Ganze, aber wenn man das Geld dazu hat …

Nur abgehoben? Sind Menschen, die so etwas veranstalten, nicht längst abgetrennt, abgelöst, dem Hier und Jetzt komplett entrückt, ganz weit weg im Orbit schwebend, von wo aus sie nach unten niederschauen und einen prächtigen blauen Planeten sehen, der in Wahrheit auf dem letzten Loch pfeift, woran sie selbst eine gehörige Mitschuld tragen? Milliardäre verursachen in 90 Minuten mehr Treibhausgase als der Durchschnitt der Menschheit in einem ganzen Leben, steht im Oxfam-Bericht „Carbon Inequality Kills“ geschrieben. Fast schon logisch, dass ausgerechnet Superreiche wie Bezos und Tesla-Chef Elon Musk ihr Heil im Weltraum suchen. Wenn diese Welt alsbald nicht mehr schnauft, muss eine andere aufgetrieben werden, wo die Menschheit eines schönen Tages wieder frei durchatmen kann. Psychologen sprechen hier von Kompensation oder der Macht der Verdrängung.

Aus der Portokasse

Erst im April hatte sich Sánchez nebst fünf weiteren schwerreichen Amerikanerinnen zu einem „postfeministischen Kaffeekränzchen“ in die Erdumlaufbahn schießen lassen. Hoch ging es mit der „New-Shepard“-Rakete von Blue Origin, des Weltraumunternehmens ihres damals noch Verlobten. Der ist offenbar bereit, sogar seine Geliebte für seine Träume zu opfern – und opfert nebenbei einmal mehr das, was die Menschen auf dem Boden der Tatsachen zum Leben brauchen. Der erst in den Kinderschuhen befindliche Weltraumtourismus wird sich in naher Zukunft zu einem desaströsen Klimakiller auswachsen. Ein Zehn-Minuten-Trip ins All kostet die steinreichen Flieger ein kleines Vermögen, aber „den höchsten Preis bezahlt die Umwelt“.

Dagegen sind die zehn Millionen US-Dollar, die Bezos’ Sause in Venedig kosten soll, zu vernachlässigen. Bei einer geschätzten Habe von über 220 Milliarden Dollar gilt das erst recht für ihn selbst. So etwas begleicht er aus der Portokasse. Dafür kann er es mit seinesgleichen mal so richtig krachen lassen. Über 200 illustre Gäste sollen seiner Einladung gefolgt sein, darunter ein Haufen Promis aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness. Die lassen sich freilich nicht lumpen und fahren alles auf, was Kleiderschrank, Schmuckschatulle und Fuhrpark hergeben. Allein rund 100 Privatjets haben den örtlichen Flughafen angesteuert, dazu etliche Megayachten angelandet, darunter das 70-Millionen-Dollar-Prachtstück des US-Investors Bill Miller oder die noch größere und teurere „Kismet“ des US-Milliardärs Shahid Khan.

Menschenliebhaber unter sich

Es gab Zeiten, als sich die gehobenen Kreise in Diskretion und Zurückhaltung übten, auch aus Sorge, ihr Reichtum könnte zu viel Neid und Missgunst erregen. Heute protzen, prahlen und prunken die Reichen und Superreichen mit allem, was sie haben, ohne jede Scham und frei von Gewissensbissen, dass ihr obszöner Reichtum etwas mit der grassierenden globalen Armut zu tun haben könnte. Ach was! Man hat sich das alles verdient, und außerdem tut man ja Gutes. Man spendet zu wohltätigen Zwecken oder ruft Stiftungen ins Leben, die in Afrika Kinder vorm Sterben bewahren. Dass diese Art von „Caritas“ das eigene Vermögen am Ende noch mehrt, und zwar durch Steuervorteile oder Abgreifen staatlicher Fördergelder – geschenkt!

„Philanthropen“ dieser Machart, also Menschenliebhaber, lassen sich natürlich gerne auch bei der Traumhochzeit des Jahres blicken. Mit besagtem Miller, der Inderin Natasha Poonawalla und Microsoft-Gründer Bill Gates sollen wenigstens drei ihre Aufwartung gemacht haben. Mit ihrem Geld könnte der Hunger der Welt locker zwei Jahre pausieren. Aber Gates profitiert vom Elend, indem er Impfprogramme auflegt, dafür Milliarden bei der Staatengemeinschaft einsammelt und genau die Pharmakonzerne Gewinne einfahren, bei denen er investiert hat. Man kann sicher sein, dass er darin nichts Verwerfliches sieht, und dass Rohstoffe für Microsoft-Produkte von Kinderhänden in afrikanischen Minen geschürft werden, konnte er ja nicht ahnen

Zahl endlich Steuern!

Muss man ihm nachsehen. Die „masters of the universe“ sind schließlich nicht mehr ganz von dieser Welt, kriegen also auch nicht alles mit; aber sind eben doch so wichtig, sich der Welt in ihrem ganzen Glanz und Gloria zur Schau zu stellen. Jeff Bezos soll allein in den USA 14 Villen besitzen, darunter eine feudale Bleibe in Beverly Hills, umgeben von einem 36.000 Quadratmeter großen Park mit Swimmingpool, Gästehäusern, Gewächshäusern und Neun-Loch-Golfplatz. Seine Megafete hätte er durchaus auch dort steigen lassen können, zumal seine Gäste dann nicht hätten über den Atlantik jetten oder schippern müssen. Aber das wäre wohl zu piefig gewesen, zu unglamourös, stillos. Deshalb: Rein ins pralle Leben und weg mit allem, was da sonst so lebt, also Venezianer. Seht zu, wo ihr bleibt!

Das konnte nicht gut ankommen, und bei einem Funken Gespür hätten Jeff und Lauren das wissen und es sein lassen müssen. Die Stadt ist schon seit Wochen Schauplatz von Protesten. „Wenn du Venedig für deine Hochzeit mieten kannst, kannst du auch mehr Steuern zahlen“, war auf einem riesigen Plakat zu lesen, das Aktivisten von Greenpeace am Dienstag auf dem Markusplatz entrollten. Der Ärger der in der Gruppe „No Space for Bezos“ zusammengeschlossenen Bürgerverbände richtet sich einerseits gegen die Superreichen, die die vom Massentourismus und Absaufen bedrohte Lagunenstadt als Kulisse für ihr pompöses Getue missbrauchen. Auch Bürgermeister Luigi Brugnaro bekommt Feuer, weil er den Ausverkauf Venedigs vorantreibe, statt sich um Probleme wie Wohnungsknappheit oder steigende Mieten zu kümmern. Aber das perlt an ihm ab. Das Ereignis sei eine „Ehre“ und die Stadt werde zur „Weltbühne“, gab er zum Besten, und Italiens Tourismusministerin Daniela Santanchè wünscht sich gar, „dass noch viele Bezos nach Italien kommen, um zu heiraten“.

Alles nur gespielt?

Ganz wie gewünscht lief es trotzdem nicht für das Liebespaar. Eigentlich war der Plan, an Bord von Bezos’ 500-Millionen-Dollar-Segelyacht Koru, geleitet von einem mächtigen Beiboot namens Abeona, in den Hafen zu gleiten und sich in den staunenden Augen Abertausender Schaulustiger zu sonnen – ganz so wie ein richtiges Königspaar. Beide Schiffe sind laut Greenpeace auf den Kaimaninseln registriert, einem Steuerparadies in der Karibik, so wie die große Mehrheit dieser zerstörerischen und ressourcenfressenden Ungetüme. Jedenfalls wurde nichts aus der glitzernden Ouvertüre. Italienische Behörden legten Bezos nahe, etwas dezenter aufzutreten in einer Zeit mit etlichen Kriegen und Krisen in der Welt und möglichen Terrorattacken auch in Europa. Aus Sicherheitsgründen wurde außerdem die für Samstagabend vorgesehene Abschlussparty aus dem Herzen der Stadt in eine Halle etwas außerhalb verlegt.

Und dann ist da noch eine Kleinigkeit, die nicht ins Bild passen will. Nach Informationen der britischen Daily Mail ist das Paar längst verheiratet, womit die am Freitag vollzogene sogenannte Trauung ein bisschen was von Fake News hätte. „Alles nur Show in Venedig?“, entgeisterte sich prompt die Bild-Zeitung. Ein Leserkommentar unter einem Beitrag bei Zeit.de vom Donnerstag lautete: „Vor dem Anblick des realen Gesichts der Welt und der Probleme der echten Menschen ein schlicht ekelhaftes, feudales Scheissen auf alles, was gerecht, sozial und ökologisch sinnvoll ist.“ Und, möchte man hinzufügen, ein Scheißen aufs Publikum.

Titelbild: F/shutterstock.com