Syrien bei der UN-Generalversammlung – Roter Teppich für langjährigen Al Qaida Gesandten

Syrien bei der UN-Generalversammlung – Roter Teppich für langjährigen Al Qaida Gesandten

Syrien bei der UN-Generalversammlung – Roter Teppich für langjährigen Al Qaida Gesandten

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Wenige Tage vor dem Beginn der UN-Vollversammlung in New York hat der langjährige UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Geir O. Pedersen, seinen Rücktritt erklärt. Gegenüber dem UN-General-Sekretär Antonio Guterres nannte Pedersen „persönliche Gründe“ für die Entscheidung, der Generalsekretär nahm den Rücktritt an. Ob ein Nachfolger benannt wird, ist unklar. Pedersen hatte das Amt im Januar 2019 übernommen. Von Karin Leukefeld.

Das Mandat des UN-Sonderbeauftragten für Syrien ist eng mit einer friedlichen Lösung für den Syrienkrieg – der von der UN stets als „Konflikt“ bezeichnet wurde – verbunden. Es geht um die Förderung des Dialogs zwischen der syrischen Regierung und gesellschaftlichen Gruppen, einschließlich bewaffneter Opposition und sollte in einem politischen Übergang mit neuer Verfassung und Neuwahlen münden. Die Resolution betont, dass dieser politische Prozess „von Syrien getragen, von Syrien geleitet und von den Vereinten Nationen unterstützt“ werden müsse.

Im Februar 2012 hatte die UN-Generalversammlung erstmals mit der Resolution 66/253 den Generalsekretär aufgefordert, dass die UN im Bündnis mit der Arabischen Liga eine friedliche Lösung verhandeln sollte. Im Dezember 2015 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die UN-Resolution 2254, die einen Prozess von Dialog und politischem Übergang mit neuer Verfassung und Neuwahlen beschrieb. Sie basierte auf einem in Genf verhandelten Kommuniqué vom 30. Juni 2012, das von den Außenministern der fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat unterzeichnet worden war.

Kurz darauf trat der erste UN-Sonderbeauftragte für Syrien Kofi Annan zurück.

Er fühlte sich von einigen der Außenminister hintergangen, es mangelte an Unterstützung. So hatte die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton unmittelbar nach der Unterzeichnung des Kommuniqués erklärt, das alles gelte erst, wenn Bashar al Assad, der damalige Präsident Syriens, zurückgetreten sei. In dem Kommuniqué stand das nicht.

Der Nachfolger von Kofi Annan wurde 2012 der erfahrene UN-Diplomat Lakhdar Brahimi, der nur zwei Jahre später, 2014 ebenfalls aufgab.

Ihm folgte der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura, der 2019, wie er sagte, aus persönlichen Gründen zurücktrat. Dann übernahm Geir O. Pedersen das Amt.

Kurz vor seinem Rücktritt erinnerte Pedersen an die Bedeutung und Verpflichtung der UN-Sicherheitsratsresolution 2254, als er am 6. September mit dem eingesetzten „Außenminister“ Syriens, Al Shaibani über „den politischen Übergangsprozess, das Parlament und die regionalen und internationalen Dimensionen“ der Entwicklungen in Syrien sprach. In der offiziellen knappen Erklärung von Pedersen hieß es, man habe „detailliert“ über die Lage in Sweida, im Nordosten (Gebiete unter Kontrolle der kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens) sowie über die Küstengebiete gesprochen.

Gemäß der UN-Sprachregelung betonte Pedersen die „Souveränität und territoriale Integrität“ Syriens und rief Israel auf, den Bruch der syrischen Souveränität einzustellen. Hinsichtlich der syrischen Innenpolitik betonte Pedersen gegenüber Al Shaibani die Notwendigkeit von Dialog und mahnte ernsthafte Anstrengungen an, Vertrauen mit allen Teilen der Gesellschaft aufzubauen. Die Vereinten Nationen würden „die syrische Regierung und das Volk“ weiter dabei unterstützen, Frieden und Stabilität zu finden. Erforderlich dafür sei ein „transparenter und glaubwürdiger politischer Übergang entsprechend der Kernprinzipien der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 aus dem Jahr 2015.

Von Al Qaida zum „Präsidenten“

Die Bevölkerung Syriens hat nichts zu sagen in ihrer Heimat. Die Entwicklung des Landes wird aktuell von den USA, der Türkei, Saudi-Arabien, Israel und anderen regionalen und internationalen Akteuren bestimmt. Mit ihrer Unterstützung kam Hay’at Tahrir al-Sham (HTS, Allianz zur Befreiung der Levante) an die Macht, die seit 2016 die nordwestliche syrische Provinz Idlib kontrolliert hatte. HTS war die Nachfolgeorganisation der Nusra Front, die 2012 als Niederlassung von Al Qaida in Syrien gegründet worden war und eine Spur von Tod und Verwüstung hinterlassen hatte. Gründer und langjähriger Anführer der als „Terrorgruppe“ von vielen Staaten und von den Vereinten Nationen gelisteten Organisationen war und ist Ahmed al-Sharaa, der heute als „Interimspräsident“ Anerkennung erfährt. Sein Weggefährte der ersten Stunden ist Asaad al-Shaibani, der als Außenminister fungiert und Anfang des Jahres beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Gespräch mit Tony Blair, dem ehemaligen britischen Premierminister, seine internationalen Weihen erhielt.

Nun nahmen Al Sharaa und Al-Shaibani mit einer Delegation in New York an der 80. UN-Vollversammlung teil. Die Syrische Arabische Nachrichtenagentur SANA berichtete ausführlich über die vielen Gespräche, die beide in einem engen Zeittakt absolvierten. Empfang bei US-Außenminister Marco Rubio, Gespräch mit dem Vier-Sterne US General David Petraeus, der die völkerrechtswidrige US-Invasion in den Irak anführte und später CIA-Direktor wurde. Im Middle East Institut (MMI) folgte ein Treffen mit Charles Lister, Leiter des MMI-Syrienprogramms. Al Sharaa traf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, den Präsidenten des EU-Rates Antonio Costa zu einem „guten Austausch“, wie es anschließend hieß. Nach einem Treffen mit dem finnischen Präsidenten Alexander Stubb traf Al Sharaa auch die italienische Präsidentin Giorgia Meloni, um nur einige Daten der Gesprächsliste zu nennen.

Gesprochen wurde über den „rasanten Sieg“ des „großartigen Kämpfers“ Al Sharaa über die mehr als „50jährige Assad Tyrannei“ in Syrien, wie es der Moderator Al Baghdadi bei einer Veranstaltung mit Petraeus und Al Sharaa bei Concordia 2025 in New York beschrieb. Charles Lister sprach von einer „historischen Begegnung“, was in der Berichterstattung auch in deutschen Medien übernommen wurde. Sie stellten den Auftritt von Al Sharaa am Mittwoch (Ortszeit) in einer Reihe mit dem Auftritt des US-Präsidenten Trump als „historisch“ dar.

Dem Protokoll entsprechend angekündigt als „Seine Exzellenz, der Präsident von Syrien“ trat Ahmed al-Sharaa an das Rednerpult und kündigte – nach der religiösen Begrüßungsformel – ein neues Kapitel für Syrien an. Die Verbrechen des „Assad-Regimes“ würden aufgeklärt und gesühnt, auch die der Angriffe mit chemischen Waffen. Dafür würden UN-Untersuchungsteams ins Land kommen können. Seine Regierung habe sich keiner Verbrechen schuldig gemacht, „wir haben Unrecht, Entbehrung und Unterdrückung erlitten. Dann haben wir uns erhoben und unsere Würde eingefordert.“

Al Sharaa sprach über das Zusammenleben der unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen in Syrien, für alle Syrer werde Gerechtigkeit und Gleichheit erreicht. Er forderte die komplette Aufhebung internationaler Sanktionen, um das Land wiederaufbauen zu können. Investitionen seien willkommen.

Er verurteilte die anhaltenden Angriffe auf Syrien durch die israelische Armee. Die israelische Politik widerspreche der internationalen Unterstützung, die Syrien erfahre. Das könne zu neuen Krisen und Kämpfen in der Region führen. Angesichts der israelischen Aggression sei seine Regierung dem Dialog verpflichtet. Man unterstütze das Entflechtungsabkommen zwischen Israel und Syrien aus dem Jahr 1974, für das die UN-Mission UNDOC auf den Golanhöhen stationiert sei.

Al Sharaa beendete die Rede damit, dass Syrien Not und Zerstörung sehr gut kenne und ein Leid erfahren habe, „das wir niemandem wünschen“. Daher stehe seine Regierung und Syrien „fest an der Seite der Menschen in Gaza, seiner Kinder und Frauen und aller Menschen, die mit Gewalt und Aggression konfrontiert sind. Wir fordern ein sofortiges Ende des Krieges.“ (UN-Mitschnitt der Rede Al Sharaa)

Aufhebung der Sanktionen – ja oder nein

Unklar ist, ob die USA die Sanktionen, das Caesar Gesetz, gegen Syrien aufheben werden. Dem US-Kongress liegt ein Antrag vor, der die Aufhebung ablehnt oder streng konditioniert. Eine Entscheidung wird Ende Dezember erwartet. Der Druck von Israel auf die US-Administration und den US-Kongress ist groß, die Sanktionen gegen Syrien aufrechtzuerhalten. Kurz vor Beginn der UN-Vollversammlung bombardierte Israel erneut zahlreiche Ziele in Syrien. Unklar ist auch, ob die Sanktionen gegen Ahmed al-Sharaa, die von den Vereinten Nationen und vom UN-Sicherheitsrat verhängt wurden, ausgesetzt oder aufgehoben wurden, um die Reise nach New York zu ermöglichen.

Der syrische Informationsminister Hamza al Mustafa erklärte gegenüber Journalisten ergänzend, Al Sharaa gehe es um die politische Stabilität und die ökonomische Entwicklung Syriens. Das Land arbeite intensiv daran, seine Beziehungen zu den arabischen Staaten und die Normalisierung der politischen Beziehungen „mit Staaten weltweit“ auszubauen. Internationale Bemühungen hätten keine politische Lösung für Syrien erbracht, es sei „das syrische Volk“ gewesen, das „Syrien verteidigt und befreit“ habe.

Zu der „Normalisierung von Beziehungen“ gehört auch ein Abkommen mit Israel, zu dem der US-Sonderbeauftragte für Syrien Tom Barrack Syrien seit Monaten drängt. Es gab bereits mehrere Treffen dazu in Paris. Über die Zukunft Sweidas wurde zwischen den USA, Syrien und Jordanien kürzlich ein umfangreiches Abkommen unterzeichnet. Israel saß nicht am Tisch, seine Forderungen wurden von Barrack vorgetragen. Danach soll der Süden Syriens ab der Umlandsgrenze von Damaskus komplett zu einer entmilitarisierten und Flugverbotszone werden. Die Grenze zwischen Syrien/Sweida und Jordanien soll von syrisch-jordanischen Truppen gesichert werden.

Armut und Unsicherheit

Während Al Sharaa in New York Hände schüttelt, verschlechtern sich die Lebensverhältnisse in Syrien weiter. Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser ist unregelmäßig und mangelhaft, in ländlichen Gebieten so gut wie nicht vorhanden. Arbeit ist rar, Preise sind hoch, eine allmähliche Islamisierung schreitet voran. Im Nordosten Syriens kämpft Damaskus gegen angeblich verbliebene Zellen des Islamischen Staates. Aus den ländlichen Gebieten von Aleppo, Idlib, Hama und der Küstenregion werden weiter Entführungen und Morde gemeldet. Bei Kontrollen von Sicherheitskräften werden Personen zunehmend nach ihrer Herkunft – Alawiten, Drusen – gefragt. Die Unsicherheit im Land ist weiter groß, heißt es in einem regelmäßig erscheinenden Bericht aus Damaskus für private Hilfsorganisationen.

Der Bischof von Homas, Jacques Mourad, macht die aktuelle „Regierung“ für alles verantwortlich, was den Menschen in Syrien widerfährt, weil sie für deren Schutz zuständig seien. Gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur FIDES erklärte er, viele Menschen seien im Gefängnis, die nichts mit der Assad Regierung zu tun gehabt hätten. „Ich denke, man kann sagen, dass diese Regierung das Volk verfolgt. Das ganze Volk.“ Christen, Alawiten und Sunniten lebten in großer Unsicherheit. Das Land sei am Ende, der Alltag werde von Armut, Perspektivlosigkeit und einem schlechten Bildungssystem bestimmt.

Unaufgeklärt und ungesühnt bleiben die Massaker an den Alawiten im März 2025 in der Küstenregion und an den Drusen in Sweida im Juli, die insgesamt mindestens 11.000 Tote forderten. Im Libanon hoffen Tausende vertriebener Alawiten und Christen aus dem syrischen Küstengebiet auf Hilfe. Drusen aus dem Umland von Sweida sind von ihrer Umwelt abgeschnitten und erhalten Nahrungsmittel und Medizin bisher nur vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Als Inlandsvertriebene sind viele Menschen in Schulen und öffentlichen Gebäuden untergebracht, ihre Dörfer liegen in Schutt und Asche.

Titelbild: Flag of Syria (2025) / Wikimedia Commons

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