Der Präsidentschaftswahlkampf in Irland bleibt spannend

Der Präsidentschaftswahlkampf in Irland bleibt spannend

Der Präsidentschaftswahlkampf in Irland bleibt spannend

Ein Artikel von Moritz Müller

Am 25. Oktober wird in der Republik Irland eine neue Präsidentin direkt vom Volk gewählt. Es stehen noch zwei Kandidatinnen zu Wahl, nachdem der Dritte im Rennen seine Kandidatur vor zwei Wochen zurückzog. Heather Humphreys vertritt die von ihr so genannte Mitte, während Catherine Connolly sich als Advokatin der gesellschaftlich Benachteiligten und Vertreterin eines alternativen Wegs sieht. Ein Bericht aus Irland von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Rolle der Präsidentin ist in Irland eher repräsentativer Art, doch Präsidenten unterzeichnen auch Gesetzesentwürfe und können diese zur Überarbeitung an das Parlament zurückschicken.

Seit Anfang der 1990er-Jahre bekleiden in Irland Personen das Präsidentenamt, die sich von den Regierungen durch ihre Integrität und Fortschrittlichkeit wohltuend abheben. Der amtierende Präsident Michael D. Higgins, von allen – auch in Presse und Politik – meist nur „Michael D“ genannt, hat z.B. 2023 in einer Rede für die Abschaffung der Hausaufgaben an Grundschulen plädiert. Die Kinder kämen erst um 15:00 Uhr nach Hause, und dann solle die Schule in der Schule bleiben, sodass die Kinder kreative Dinge tun könnten.

Die parteilose (independent) Kandidatin Catherine Connolly ist seit Mitte Juli von den Sozialdemokraten, der Arbeiterpartei, den Grünen und weiteren progressiven Parteien sowie einigen unabhängigen Parlamentsabgeordneten als Präsidentschaftskandidatin nominiert. Im September entschied auch die nationalistisch-republikanische Partei Sinn Féin, keinen eigenen Kandidaten aufzustellen, sondern Frau Connolly zu unterstützen.

Die der konservativen Fine Gael angehörende Heather Humphreys ist seit Ende August von ihrer Partei, die an der derzeitigen Koalitionsregierung beteiligt ist, nominiert. Frau Humphreys saß bis zu den Wahlen 2024 im irischen Parlament, Dáil genannt. Vor den Wahlen sagte sie: „Ich werde nächstes Jahr 65, und wenn ich wieder kandidieren würde, wäre ich am Ende der Legislaturperiode beinahe 70, und ich bin körperlich einfach nicht in der Lage, so lange durchzuhalten“ („I’ll be 65 next year and if I ran again I’d be nearly 70 by the end of the next Dáil term and I’m just not physically able to keep going for that long.“)

Das Staatsoberhaupt wird in Irland für sieben Jahre gewählt. Humphreys hat sich laut eigenen Angaben nunmehr von den zehn Jahren in verschiedenen Ministerämtern erholt. Sie sei nun topfit für das Präsidentenamt. Diese zehn Jahre als Regierungsmitglied sind einerseits etwas, das sie als Erfahrung vorweisen kann, andererseits wird sie von Teilen der Wählerschaft für die Missstände im Land mitverantwortlich gemacht.

Sie gibt sich als eine Kandidatin der Kontinuität, der Mitte, sie sei pro-europäisch und der Wirtschaft gegenüber aufgeschlossen. Neun frühere Vorsitzende des irischen Bauernverbandes IFA haben Heather Humphreys am Dienstag ihr Vertrauen ausgesprochen und zu ihrer Wahl aufgerufen. Irland ist auch im Jahr 2025 noch stark agrarisch geprägt und die Bauernlobby hat einige Macht im Land, obwohl die Zahl der Bauernhöfe stetig abnimmt und das Durchschnittsalter der Landarbeiterinnen und Landarbeiter zunimmt.

Trotzdem fragt man sich, ob dies nicht zu viel des Guten für Heather Humphreys ist. Dass alle neun noch lebenden früheren IFA-Präsidenten sich einstimmig für Frau Humphreys aussprechen, zeugt entweder davon, dass sie ganz genau die richtige Kandidatin für den irischen Agrarsektor zu sein scheint oder dass es im irischen Bauernverband keine abweichenden Meinungen gibt. Das ist auf jeden Fall ein eindeutiges Statement, welches nicht nur städtische Wähler eher abschrecken könnte.

In der letzten Fernsehdebatte im Präsidentschaftswahlkampf am Dienstagabend betonte sie auch noch, dass die Fuchsjagd (zu Pferd und mit Hundemeuten) eine ländliche Beschäftigung sei und sie deshalb nichts daran auszusetzen habe. Auf die Frage der Moderatorin Miriam O’Callaghan, ob es sich dabei um Tierquälerei handele, antwortete sie nicht eindeutig.

Auch die Frage, ob sie meine, dass die USA den Genozid in Gaza ermöglichten, beantwortete sie nicht.

Im Gegensatz dazu hat Catherine Connolly kein Problem damit, die USA und andere „befreundete“ Großmächte zu kritisieren. Sie sieht es als Notwendigkeit, dass ein kleines Land wie Irland unabhängig und neutral bleiben muss, damit es nicht unter die Räder gerät. Auf die Frage der anderen Moderatorin Sarah McInerney, ob sie auch dem US-Präsidenten im Gespräch einen Genozid-Beihelfer nennen würde, antwortete sie sehr diplomatisch, dass dies von den Umständen des Gesprächs abhänge. Sie hat während des Wahlkampfs auch gesagt, dass die EU kein friedenspolitisches Bündnis mehr sei und die Frage in den Raum gestellt, ob es das jemals war. Zum ersten Teil dieser Aussage stand sie im Fernsehduell, während sie zum Kommentar über die Anfangszeit der EU vage blieb. Das ist eigentlich schade, denn es gibt einige Indizien dafür, dass es bei der Europäischen Gemeinschaft immer auch um einen Machtblock ging.

Manchmal hat man das Gefühl, dass Frau Connolly ja keine Fehler machen oder sich keine Blöße geben will. Das ist verständlich, denn schon seit einiger Zeit versucht das politische Establishment, Catherine Connolly als unzuverlässige Linksextremistin darzustellen. Dadurch verpasst sie allerdings manchmal, ihre Positionen genauer zu definieren.

Insgesamt kann man sagen, und so erschien es auch in der Debatte am Dienstag, dass Catherine Connolly ihre Vision von einem modernen unabhängigen Irland schildert, während Heather Humphreys und ihr Team mehr damit beschäftigt sind, Catherine Connolly und ihre vermeintlichen Fehltritte zu kritisieren. Darauf wies sogar Moderatorin Miriam O’Callaghan Frau Humphreys hin, als sie diese aufforderte, mehr von sich und weniger von ihrer Gegnerin zu sprechen.

Eine weitere recht scharfe Frage war, ob sie in ihrer Rolle als Ministerin die EU jemals kritisiert habe oder ob sie alles, was aus Brüssel kam, kritiklos umgesetzt habe. Humphreys antwortete, dass sie die EU bei vielen Gelegenheiten kritisiert habe, konnte aber auf mehrmaliges Nachfragen von Miriam O’Callaghan kein Beispiel für ihre EU-Kritik nennen. In dieser Rede, die auf ihrer Webseite mit „Unsere tapferen Verbündeten in Europa“ (Our gallant allies in Europe) überschrieben ist und die sie am 17. Oktober in Dublin hielt, findet sich in 1.550 Worten, also fast so lang wie dieser Artikel, kein einziges Wort der Kritik an der EU, kein Wort der Skepsis. Dies mutet ähnlich eindimensional an wie die einhellige Zustimmung der Bauernverbandspräsidenten.

Im Gegensatz dazu artikuliert Catherine Connolly ihre Besorgnis über die zunehmende Militarisierung der EU und die Milliarden, die für Rüstung ausgegeben werden und darüber, dass man dieses Geld für andere wichtige Dinge benötige. Sie hat in diesem Zusammenhang auch schon vom militärisch-industriellen Komplex gesprochen. Das wird von den hiesigen Kommentatoren ohne Prüfung der Tatsachen einfach als Verschwörungstheorie abgetan. Sie hat ebenfalls schon gesagt, dass die derzeitige Aufrüstung in der EU sie an die Aufrüstung Deutschlands in den 1930er-Jahren erinnere.

Daraufhin wurde ihr unterstellt, dass sie die Deutschen als Nazis bezeichne. Sie hat dies dann genauer erklärt und gesagt, dass Deutschland ein Beispiel gewesen sei, wohin Aufrüstung führen kann, nämlich in einen Krieg.

Frau Connolly wird ferner vorgeworfen, dass sie die irischen Banken während der letzten Finanzkrise im Gemeinderat der Stadt Galway kritisiert hat, aber gleichzeitig als Barrister (Anwältin) für diese Banken gearbeitet hätte. Sie erklärt dies mit der professionellen Ausübung dieses Berufs und damit, dass Anwälte sich ihre Fälle nicht aussuchen können, sondern instruiert sind, die Fälle zu vertreten, die ihnen zugeteilt werden.

In ihrem Fall steht die Frage im Raum bzw. die Gegenseite fragt, ob Frau Connolly auch Banken bei Hausenteignungsverfahren, wo Hypotheken nicht bezahlt wurden, vertreten hat. Sie sagte, dass sie beruflich zu Verschwiegenheit verpflichtet sei und sich zu individuellen Verfahren nicht äußern könne. Des Weiteren konterte sie, dass es ja die Regierungen, deren Mitglied Heather Humphreys war, gewesen seien, die die rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für diese Verfahren erst geschaffen hätten. Dies erschien sehr glaubhaft.

Gegen Ende der Fernsehdebatte merkte Catherine Connolly an, dass es in Irland einiges zu tun und zu reformieren gäbe und dass es viele Menschen gibt, die durch die Politik der aufeinanderfolgenden konservativen Regierungen ins Hintertreffen geraten sind, und dass sie deren Anliegen in den Vordergrund stellen will.

Im Gegenzug warf ihre Gegnerin ihr quasi Miesmacherei vor und sagte, dass Irland ein schönes Land sei und dass es schöne Gemeindezentren gäbe, die sie in ihrer Funktion als Ministerin mit aus der Taufe gehoben habe. Das wirkte, wie so einiges, was Humphreys sagte, etwas hilflos. Sehr authentisch wirkte sie auf die Frage, ob sie etwas aus ihrer politischen Laufbahn bereue. Sie erwähnte, dass während der Covid-Lockdowns viele Menschen allein gestorben seien, kein Angehöriger deren Hand halten oder ihnen etwas ins Ohr flüstern konnte und dass man dies hätte anders regeln sollen.

Auch Catherine Connolly bezeichnete ihre anfängliche Zustimmung zu den Lockdowns als Fehler und betonte, dass sie damals in gutem Glauben gehandelt habe. Dies wirkte etwas unbeholfen, nachdem Frau Humphreys schon das Gleiche gesagt hatte. Man hatte während der Debatte ein bisschen das Gefühl, dass es Catherine Connolly momentan schwerfällt, Fehler einzugestehen. Anderseits ist dies wahrscheinlich eine Folge der Kampagne gegen sie und ihres sich daraus ergebenden Bestrebens, weniger Angriffsfläche zu bieten.

Insgesamt erschien Catherine Connolly während der Fernsehdebatte souveräner und reflektierter als Frau Humphreys. Sie wirkte, als ob sie die Welt mit allen ihren Ungereimtheiten realistisch sieht und nicht einfach in einem „Weiter so“-Modus verfangen ist wie die Establishment-Kandidatin.

Am Freitag dürfen die Wähler entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Bleibt alles beim Alten, wie es sich sicher viele, die von der derzeitigen Politik gut bedient sind, wünschen, oder wird dieses Land doch mal wieder etwas aufgerüttelt von einer Präsidentin, die auch unbequeme Dinge sagt, soweit es das Präsidentenamt zulässt?

Kurioserweise steht noch ein dritter Name auf dem Stimmzettel, denn nach Abschluss des Nominierungsverfahrens ist Jim Gavin, der Kandidat der anderen konservativen Partei Fianna Fail, vor zwei Wochen überraschend vom Rennen zurückgetreten. Dem früheren Soldaten und erfolgreichen Trainers der Dubliner Fußballmannschaft wurden 16 Jahre alte Schulden bei einem früheren Mieter zum Verhängnis. Es ging um 3.300 Euro, die mittlerweile und erstaunlicherweise ohne Inflationsausgleich zurückgezahlt wurden.

Die beiden verbleibenden Kandidatinnen, die Profipolitikerinnen sind, hätten so etwas vielleicht aussitzen können. Doch der politisch unerfahrene Gavin schien dem Wahlkampf nicht gewachsen, und diese Altschulden waren es dann, die sein nervliches Fass zum Überlaufen brachten.

Dass er noch auf dem Stimmzettel steht, ist nicht ganz unerheblich, denn in Irland gibt es das Präferenzwahlsystem. Man kann so viele Stimmen abgeben, wie Namen auf dem Stimmzettel stehen, in diesem Fall mit den Präferenzen 1, 2 und 3. Man schreibt beim Wunschkandidaten oder Wunschkandidatin eine 1 und kann (muss aber nicht) noch eine 2 und eine 3 bei den anderen platzieren.

Die meisten Erstpräferenzen werden auf die beiden Kandidatinnen entfallen, aber es werden auch einige Fianna-Fail-Wähler, die der anderen konservativen Partei Fine Gael traditionell feindlich gegenüberstehen (es handelt sich hier um Folgen des irischen Bürgerkriegs vor über hundert Jahren), erst einmal für Jim Gavin stimmen. Hat dann eine der beiden Kandidatinnen nicht die erforderliche Mehrheit von 50 Prozent plus eine der abgegebenen gültigen Erstpräferenzen, dann werden die Zweitpräferenzen des Dritten und in diesem Fall höchstwahrscheinlich Jim Gavin auf die beiden Kandidatinnen verteilt. Die frühere Präsidentin Mary Robinson kam so ins Amt. Über den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass Jim Gavin so zu einer Mehrheit kommt, würden sich dann Staatsrechtler Gedanken machen müssen.

In Irland finden Wahlen nie an einem Sonntag statt, und die Auszählung der Stimmen wird am Samstagmorgen beginnen, sodass wir frühestens am Samstag wissen werden, wer die nächste irische Präsidentin sein wird.

In den Meinungsumfragen führt Catherine Connolly seit Wochen, zuletzt mit 19 Prozent Vorsprung, vor Heather Humphreys. Es gibt allerdings auch noch einen beachtlichen Anteil von 21 Prozent an unentschiedenen Wählern. Es ist bemerkenswert, dass mit den Positionen von Catherine Connolly eine solche Mehrheit möglich scheint. Es ist, als würde ein großer Teil der Bevölkerung sehen, was wirklich gespielt wird und dass wir an einem sehr gefährlichen Punkt in unserer Geschichte stehen, an dem man nicht einfach so weitermachen kann wie eh und je. Heather Humphreys hat aber nicht ganz unrecht mit der altbekannten Aussage, dass die wirkliche Meinungsumfrage in der Wahlkabine stattfindet. Das weiß auch Catherine Connolly, wenn sie sagt, dass niemand aus Bequemlichkeit der Wahlurne fernbleiben sollte. Es bleibt also spannend – auch, weil beide Kandidatinnen wirklich sehr unterschiedliche Vorstellungen haben. Das ist ja heutzutage nicht überall so.

Titelbild: © Moritz Müller