Thomas Gottschalk und der Meinungskorridor: „Da sage ich lieber gar nichts mehr…“

Thomas Gottschalk und der Meinungskorridor: „Da sage ich lieber gar nichts mehr…“

Thomas Gottschalk und der Meinungskorridor: „Da sage ich lieber gar nichts mehr…“

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Der Entertainer hat sich am Wochenende mit bemerkenswerten Äußerungen zum überempfindlichen Zeitgeist von der „Wetten Dass“-Bühne verabschiedet. Auch wenn man kein Fan von Samstagabend-Shows ist: Damit hat Gottschalk ein wichtiges Zeichen gesetzt. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ich möchte Thomas Gottschalk danken für seinen TV-Auftritt am Wochenende und seine deutlichen Worte zum zensorischen Zeitgeist und zum sich immer mehr verengenden Meinungskorridor.

Bei Gottschalk geht es – anders als etwa bei Diffamierungszielen wie Sahra Wagenknecht – eher weniger um essenzielle Aussagen zur Wirtschaftspolitik oder zu Krieg und Frieden. Aber auch wenn man die „flotten Sprüche“, für die Gottschalk im Laufe seiner großen TV-Karriere gescholten wurde, „nur“ als Teil eines als nicht so wichtig empfundenen Kulturkampfes beurteilt oder sie vielleicht auch einfach nicht so toll findet – so ist doch der teilweise Umgang mit Gottschalks Aussagen ein Zeichen einer überempfindsamen Zeit mit Tendenzen zur Hypermoral. Dass er diese Überempfindlichkeit nun zum Abschied noch einmal so deutlich thematisiert hat, ist ein wichtiges und aus so prominentem Mund auch möglicherweise wirkungsvolles Zeichen. Wörtlich hat Gottschalk bei seinem Auftritt gesagt:

„Der zweite Grund ist natürlich der, dass ich, und das muss ich wirklich sagen, immer im Fernsehen das gesagt habe, was ich zu Hause auch gesagt habe. Inzwischen rede ich zu Hause anders als im Fernsehen. Und das ist auch keine dolle Entwicklung. Bevor hier ein verzweifelter Aufnahmeleiter hin- und herrennt und sagt: ‚Du hast wieder einen Shitstorm hergelabert‘, da sage ich lieber gar nichts mehr.“

Hier der Ausschnitt im Video:

Reaktionen: Zwischen „Kapitulation“ und „heillos übertrieben“

Gottschalk kann es vielen Beobachtern nicht recht machen. Für die pseudolinke Seite schreibt beispielhaft die taz, sein Auftritt sei „nach hinten losgegangen“, seine Rede vom „angeblich bösen Zeitgeist, der ihm das Wort verbiete“ und „diese Mär vom politisch korrekt durchzensierten Fernsehen“ seien „heillos übertrieben“.

Von konservativer Seite dagegen muss Gottschalk sich – beispielhaft in der Welt – fragen lassen, ob seine „mutig klingenden“ Worte nicht eher eine „Kapitulation“ darstellen würden:

„Warum hört Gottschalk auf? Er löst auf: Einmal möchte er nicht erleben, dass man ihm die Gäste erklären muss. Naja. Andererseits, und das war verstörend, wolle er sich nicht vorschreiben lassen, wie und was er sagen dürfe. Wegen Woke und Gendern und so, meinte er, ohne es gesagt zu haben, aber schon die ‚Redakteure‘ des ZDF benennend. Das hört sich mutig an, ist aber eine Kapitulation.“

Einige Online-Kommentare sagen außerdem sinngemäß, hier würde einer, nur um ein paar Punkte in der Öffentlichkeit zu machen, dem System in den Rücken fallen, von dem er lange Zeit sehr gut behandelt wurde. Oder: Zum Abschied würden dann auch die Promis plötzlich mutig. Ich sehe das lieber von der anderen Seite: Diese Art Mut ist heute so selten, dass jedes Beispiel, das dem gouvernantenhaften und in der Folge teils zensorischen Zeitgeist entgegentritt, zu begrüßen ist: je prominenter die Person, umso wirkungsvoller. Und: besser spät als nie. Und schließlich gibt es zahlreiche Promis, die sich eine solche Abrechnung nicht trauen würden, egal zu welchem Zeitpunkt.

Es gab in der „Wetten Dass“-Sendung eine weitere bemerkenswerte Szene, für die ich dem Showmaster dankbar bin. Bezogen auf eine zuvor präsentierte Wette sagt Gottschalk: „Bergab geht es sogar in der Schweiz von alleine.“ Und dann folgt sein Satz:

„Wir brauchen Hilfe der Politik in Deutschland, damit es bergab geht.“

Auf eine kurze Schrecksekunde folgt starker Applaus aus dem Publikum. Hier ist der Ausschnitt im Video:

Anhang: Dass der Wind sich teilweise gegen pseudolinke (nicht linke!) Tendenzen zumindest im Kulturkampf zu drehen beginnt, und zwar so stark, dass das nicht mehr wie in den letzten Jahren einfach ignoriert werden kann, zeigt dieses aktuelle Beispiel: Die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel will laut Medienberichten nicht mehr gendern – wegen vieler Abo-Kündigungen. Das ist sehr zu begrüßen.

Es besteht momentan aber auch die Gefahr, dass im Zuge eines konservativen Backlashs und aus Frustration über pseudolinke (nicht linke!) Tendenzen auch gute und wichtige Inhalte der (im ursprünglichen Sinne) Linken abgelehnt werden könnten. Außerdem entwickelt sich leider bei essenziellen politischen Fragen zu Krieg und Frieden, zur Energieversorgung oder zur Wirtschaftsordnung die im Kulturkampf zu beobachtende widerständige Dynamik bei vielen Bürgern noch nicht.

Titelbild: Screenshot – ZDF