Claus Weselsky: „Die Bahn will die GDL in ihrem Konzern vernichten“

Claus Weselsky: „Die Bahn will die GDL in ihrem Konzern vernichten“

Claus Weselsky: „Die Bahn will die GDL in ihrem Konzern vernichten“

Ein Artikel von Rainer Balcerowiak

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat am Dienstagabend mit einem 64-stündigen Streik bei der Deutschen Bahn begonnen, zunächst im Güterverkehr und ab Mittwoch morgen auch im Personenverkehr. Im Interview mit den NachDenkSeiten erläutert der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky die Ziele und Hintergründe des aktuellen Tarifkampfes. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Rainer Balcerowiak: Herr Weselsky, der Streik der GDL bei der Deutschen Bahn AG und einigen privaten Schienenverkehrsunternehmen ist wie angekündigt am Mittwochmorgen angelaufen, im Güterverkehr bereits am Dienstagabend. Bis zuletzt stand das auf der Kippe, da die DB das durch das Landesarbeitsgericht unterbinden lassen wollte. Damit ist der Konzern gescheitert, aber hatten Sie einen „Plan B“ für den Fall, dass die Richter dem Antrag der Bahn folgen?

Claus Weselsky: Klar ist: Wenn das Gericht eine entsprechende Einstweilige Verfügung erlässt, dann muss ich den Streik beenden bzw. darf ihn gar nicht erst anfangen. Ich muss mich mit den Gründen für die Entscheidung auseinandersetzen und kann zu einem späteren Zeitpunkt erneut einen Streik ansetzen. Aber das war ja bereits das fünfte Mal, dass die DB versucht, mit immer neuen Tricks und Kniffen einen Streik zu verhindern. Aber ich bin sehr froh über eine konstante Rechtsprechung, laut der unser grundgesetzlich verbrieftes Streikrecht nicht so ohne Weiteres antastbar ist. Natürlich ist es immer eine große Erleichterung, wenn man zwei Tage vor Gericht stand und dann aufsteht und sagen kann: Geschafft, jetzt können wir loslegen.

Sie haben von ihren Mitgliedern bei der Urabstimmung ein deutliches Votum erhalten, 97 Prozent stimmten für unbefristete Streiks. Warum dann jetzt die Befristung auf insgesamt 64 Stunden?

Eines der Elemente für die Verhältnismäßigkeit von Streiks ist, dass man die Dauer und die Taktzahl schrittweise erhöht. Ich nehme das Wort „unbefristete Streiks“ so nicht in den Mund. Unsere Tarifmacht ist groß genug, uns am Anfang etwas kürzere Zeitschienen zu nehmen, um dann, wenn es nötig ist, später auch längere Ausstände zu machen.

Es gibt bislang keinerlei Anzeichen, dass die Bahn AG auf ihre Kernforderung – Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich – eingehen will. Wären dann weitere, möglicherweise längere Streiks quasi unausweichlich? Oder würde das auf ein Schlichtungsverfahren hinauslaufen, was es in vergangenen Tarifrunden ja des Öfteren gab?

Wie schon in den vergangenen Tarifrunden hat der Verhandlungsführer der Bahn, Martin Seiler, auch diesmal die Allüren, mit uns über bestimmte Fragen gar nicht verhandeln zu müssen – wie etwa über die Tarifierung der Fahrdienstleiter durch die GDL. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Das grundgesetzliche Recht meiner Gewerkschaft, für ihre Mitglieder Tarifverträge zu verhandeln, lasse ich nicht „schlichten“.

Also hat für Sie die Einbeziehung neuer Berufsgruppen einen ähnlichen Stellenwert wie die Wochenarbeitszeit?

So ist es – mal wieder. Erst ging es 2006/2007 um den eigenen Tarifvertrag für Lokführer, dann 2014/15 um die Zugbegleiter und die Lokrangierführer, 2021 um Werkstätten und Verwaltung und jetzt eben um die Fahrdienstleiter. Und jedes Mal dasselbe Theater, weil das Bahn-Management nicht begreift, dass das kein Thema ist, das wir aus der Hand geben. Und wenn Herr Seiler darüber gar nicht verhandeln will, dann kann man da auch keinen Kompromiss erzielen.

Eine Schlichtung schließen Sie demnach zum derzeitigen Zeitpunkt aus?

Noch mal: Ich lasse keine grundgesetzlich geschützten Rechte schlichten. Ich sehe auch nicht ein, dass ein mit Millionen bezahlter Manager sich einen schlanken Fuß macht und die Verantwortung auf jemand anderen drücken will. Herr Seiler wollte ja schon schlichten, bevor wir mit den Verhandlungen überhaupt angefangen haben. Wenn er es nicht kann, dann soll er seinen Hut nehmen.

Das Gericht hat in seiner Eilentscheidung die Tarifmächtigkeit und somit auch das Streikrecht der GDL prinzipiell bestätigt. Sie haben aber das Problem, dass von Ihnen abgeschlossene Tarifverträge durch die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes (TEG) bei der Bahn nur in 19 der 71 Bahn-Betriebe, in denen die GDL aktiv ist, zur Anwendung kämen. Ein großer Teil ihrer Mitglieder würde davon also nicht profitieren. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?

Dieses Problem wurde vom Bahn-Vorstand erzeugt. Die haben willkürlich festgelegt, dass die GDL nur in 19 Betrieben die Mehrheit hat. In Wirklichkeit ist das in viel mehr Betrieben der Fall. Seit zwei Jahren schlagen wir uns in dieser Frage vor Gerichten herum und haben noch immer keine rechtskräftigen Urteile. Der Bahn-Vorstand setzt darauf, dass wir in die Knie gehen und uns die Mitglieder wegrennen. Das passiert aber nicht, wir haben stetigen Zustrom.

Das Gesetz ist nicht realitätstauglich. Wenn der Tarifabschluss, den wir jetzt erzielen, nur auf die 19 Betriebe mit GDL-Mehrheiten angewendet werden soll und die anderen Kollegen das, was wir ja auch schon mit anderen Unternehmen wie Netinera und Go Ahead vereinbart haben, also pro Monat 420 Euro mehr und den Einstieg in die stufenweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit Lohnausgleich für Schichtarbeiter, nicht bekommen sollen – dann bin ich sehr gespannt auf die Tage danach.

Herr Seiler wendet das TEG an, wie es ihm gerade passt. Auf der einen Seite will er den GDL-Mitgliedern in den der EVG zugesprochenen Betrieben mit der GDL vereinbarte Regelungen, etwa zur Schichtplangestaltung, vorenthalten. Aber als es 2021 mal brenzlig wurde, weil die GDL einen besseren Lohnabschluss als die EVG erzielte, wurde flugs das Ergebnis auch auf die EVG übertragen.

Doch dazu wird es diesmal nicht kommen, denn die EVG hat diesmal ihren Verzicht auf eine „Meistbegünstigungsklausel“ erklärt und die Übernahme von GDL-Vereinbarungen ausgeschlossen. Das kann dann ziemlich spannend werden.

Ein anderes Thema. Im Juni 2023 hat die GDL die Genossenschaft FairTrain e.G. gegründet. Die will Lokführer auf der Basis eines mit der GDL abgeschlossenen Tarifvertrages an Schienenverkehrsbetreiber, vor allem an die Deutsche Bahn, verleihen. Steht das nicht im Widerspruch zum traditionellen gewerkschaftlichen Ziel, Leiharbeit zu bekämpfen und Festanstellungen bei den Unternehmen zu erreichen?

Nein, gar nicht. Es gibt seit langer Zeit einen großen Personalmangel bei Lokführern. Und es gibt derzeit rund 1.000 Lokführer, die sich bewusst dafür entschieden haben, bei Personaldienstleistern zu arbeiten – aus verschiedenen Gründen. Seit 2011 schließen wir mit diesen Unternehmen auch Tarifverträge ab, stets auf dem Niveau, wie es auch bei den Stammbelegschaften üblich ist. Das ist also kein „Schmuddeltarifvertrag“. Und auch FairTrain wird die Arbeitnehmerüberlassung auf der Basis von GDL-Tarifverträgen organisieren. Seit zwei Jahren sind wir vor Gerichten, um die Frage der Gültigkeit von GDL-Tarifverträgen für unsere Mitglieder innerhalb des Bahn-Konzerns zu klären. Wir sind da nicht wirklich weitergekommen. Deswegen machen wir den betroffenen Mitgliedern jetzt ein entsprechendes Angebot.

Mal angenommen, die Bahn würde ihre Forderungen akzeptieren und einen neuen Tarifvertrag auch auf alle Mitglieder der GDL, also auch für bislang nicht von Ihnen tarifierte Berufsgruppen wie etwa Fahrdienstleiter und Werkstattmitarbeiter und Fahrpersonal in GDL-Minderheitsbetrieben, anwenden: Wäre die Genossenschaft FairTrain als Leiharbeitsunternehmen dann nicht überflüssig?

Solange die Bahn das TEG anwendet, ist das keinesfalls überflüssig. Wir haben 63 Tarifpartner im Schienenverkehrsmarkt, und die Bahn AG ist das einzige Unternehmen, das dieses Gesetz anwendet und auch in Zukunft anwenden will. In allen anderen Unternehmen, wo wir vertreten sind, ist die Tarifpluralität Normalität, sofern es dort überhaupt unterschiedliche Tarifverträge gibt. Die Bahn will die GDL in ihrem Konzern mit Hilfe des TEG vernichten, und die Gründung der Genossenschaft ist eine unserer Antworten darauf. Kein GDL-Mitglied soll gezwungen sein, zu schlechteren Bedingungen zu arbeiten, als unsere Tarifverträge beinhalten.

Im Mittelpunkt ihres Tarifkampfes steht die Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Das hat in Deutschland eine lange gewerkschaftliche Tradition und wurde u.a. in der Metall- und der Druckindustrie in den 1980er-Jahren teilweise durchgesetzt. Auch jetzt spielt das Thema in der gewerkschaftlichen Diskussion wieder eine wichtige Rolle. Sehen Sie sich in ihrer aktuellen Tarifauseinandersetzung in einer Art Vorreiterrolle, und gibt es Solidarität und Unterstützung von anderen Gewerkschaften?

Von den DGB-Gewerkschaften gibt es offiziell keine Unterstützung. Aber einzelne Gliederungen und viele Mitglieder, etwa von Ver.di oder der IG Metall, haben ausdrücklich ihre Solidarität erklärt. Die Chefin der Gewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, hat uns dagegen öffentlich abgewatscht. Das halte ich alles aus.

Wir sind auch nicht die Vorreiter der Arbeitszeitverkürzung, das war in den 1980er-Jahren die IG Metall. Wir sind aber eine Gewerkschaft, die sich im Eisenbahnsystem endlich mal den besonderen Belastungen der im Schichtdienst Beschäftigten widmet. Denn diese Belastungen sind ja auch ein Grund dafür, dass immer weniger Menschen Lust haben, diese Berufe zu ergreifen. Und deswegen haben wir uns gesagt: Wir müssen die Wochenarbeitszeit verringern, wir müssen den Schichtrhythmus verändern, hin zu einer garantierten Fünf-Tage-Woche mit anschließend zwei vollen Ruhetagen – und das natürlich ohne Lohneinbußen.

Nur so kann die Attraktivität dieser Berufe wieder gesteigert werden, das ist unsere Idee, und insofern sind wir schon Vorreiter. Denn in den vergangenen Jahren wurde sich über alles Gedanken gemacht: Vier-Tage-Woche, mehr Homeoffice usw. Doch all das ist für unsere Kollegen im Eisenbahnsystem nicht umsetzbar. Und in vielen Unternehmen sind wir ja mit unserer Idee auf offene Ohren gestoßen, aber eben nicht bei der Bahn.

Sie werden Ihr Amt als Bundesvorsitzender der GDL nach 16 Jahren noch in diesem Jahr aufgeben und in den Ruhestand treten. Die aktuelle Tarifrunde bei der Bahn ist für Sie also so eine Art „letztes Gefecht“. Wie sehen Sie Ihre Gewerkschaft jetzt aufgestellt, und was ist Ihre persönliche Bilanz?

Es ist jetzt an der Zeit, in der GDL eine neue Generation in der Führung ranzulassen. In meine Amtszeit fällt vor allem die Beendigung des Lohndumpings auf dem Schienenverkehrsmarkt. 2010 haben wir angefangen, für ein einheitliches Lohnniveau in allen Unternehmen der Branche zu streiten – auf dem Niveau des Marktführers Deutsche Bahn. 2022 haben wir das dann endgültig erreicht.

Aber das ist nicht in erster Linie mein persönlicher Erfolg. Das war eine Teamleistung und vor allem eine Leistung unserer Mitglieder, denn die sind ja in die Streiks gegangen und nicht ich. In meiner Amtszeit ist auch der innere Zusammenhalt der GDL deutlich gestärkt worden. Auch die Organisationsentwicklung ist erfreulich. Wir haben jetzt über 40.000 Mitglieder, so viele hatte die GDL in ihrer ganzen Geschichte noch nie. Aber ich habe jetzt genug getan, und andere sollen und werden diese Arbeit fortführen.

Titelbild: Jiaye Liu/shutterstock, GDL

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!