Kunstausstellung zur DDR: Der Osten kommt schlecht weg

Kunstausstellung zur DDR: Der Osten kommt schlecht weg

Kunstausstellung zur DDR: Der Osten kommt schlecht weg

Ein Artikel von Frank Blenz

Dass wir im besten Deutschland aller Zeiten leben, haben gebürtige Ostdeutsche – ironisch betrachtet – längst begriffen und auch, dass man zur Bestätigung von Besserdeutschland den Osten schlechter als den Westen stellt, weil der Osten – die DDR – eben schlechter war und bleibt. Das ist in vielen Lebensbereichen, im Alltag bis hinein in die Kunst zu beobachten und nicht verbindend. Bei einem Besuch einer Kunstausstellung im Albertinum Dresden war das zu spüren. Die Initiatoren der Ausstellung sagen zwar, dass sie am Anfang ihrer Arbeit stehen. Ihr Anfang näherte nicht an. Was sie vermissen ließen, waren vielfältige Ost-Perspektiven und, neben der Kritik am Osten auch die am Westen und am Heute zu berücksichtigen. Bei einem Gemälde, das Chiles ehemaligen Präsidenten Allende zeigt, liest sich der Begleittext neben dem Werk irritierend. Von Frank Blenz.

Exposition im Albertinum über DDR-Kunst und Beziehungen zum Globalen Süden

Das Albertinum in Dresden an der Brühlschen Terrasse ist ein Schmuckstück, ein wundervoller Ort der Kunst. Ein Besuch der Staatlichen Kunstsammlungen, der Galerie Neuer Meister und weiterer Präsentationen bringt mir den Gewinn, den ich mir bei einem Aufenthalt in der sächsischen Landeshauptstadt zum Jahresauftakt erhofft habe. Zahlreiche Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien sind zu sehen, dass es eine Freude und überaus bewegend ist. Nicht nur „schöne“ Werke betrachte, erlebe ich hautnah, ebenfalls aufwühlende, darunter Otto Dix´ Triptichon „Der Krieg“. Dix´ Werk ist für mich aktuell wie nie, heftige Kriegsmüdigkeit auslösen sollte es bei allen, die kriegstüchtig sind.

Bei aller Freude und allen Emotionen passiert es, dass eine Sonderexposition in dem grandiosen Gebäude für mich teils irritierend ist. Die Ausstellung „Revolutionary Romances – die freundschaftlich-revolutionären Beziehungen – der DDR zu den Ländern des Globalen Südens“ konzentriert sich, so der Albertinum-Begleittext, „auf ein bisher kaum erforschtes Kapitel der Kunst in der DDR als Teil einer globalen Kunstgeschichte“.

Das Team des Albertinum unternimmt, so ihre Erläuterung, eine erste Annäherung – fragend, forschend, selbstkritisch und mit vielen Wissenslücken – an ein aktuelles Themenfeld, dessen Bearbeitung auch in den SKD erst am Anfang steht. Es bedarf weiterer kunstwissenschaftlicher, historischer und künstlerischer Forschung, in der vor allem auch die Perspektive und Expertise von Menschen aus dem Globalen Süden hör- und sichtbar wird, um die Kunstgeschichte der DDR im globalen Kontext diskutieren zu können.
(Quelle: albertinum.skd.museum)

Ausdrücklich sage ich den Produzenten der Ausstellung im Mittelteil des Hauses, dass sie völlig frei sind, auf ihre Art und mit ihren Absichten die Betrachtungen zu konzipieren und zu veröffentlichen. Doch frei bin ich auch, und unwidersprochen lassen will ich ihre Produktion und die mir teils kritikwürdigen Bewertungen nicht, die sie in der Ausstellung über nationale und internationale Kunst in der und über die damalige DDR sowie deren damalige Bruderländer wie Chile, Kuba und Vietnam offenbaren. Es bleibt nicht bei der Kunst, veröffentlicht ist ihre Sicht, ihre Forschungen über den damaligen Alltag, die ich wie eine Abrechnung empfinde.

Politische Schulung anno 2024

Die Exposition kommt einem wie eine politische Schulung für Galeriebesucher über die genannten Länder samt DDR und ihre Menschen vor. Abgerechnet wird mit dem Gesellschaftssystem des Sozialismus, mit Techniken der Macht, hier als Beispiel der der Propaganda in der Kunst. Jedem Engagement, sei es die Zusammenarbeit der „Bruderländer“, Bildungsangebote, der internationale Austausch von Arbeitern und Fachkräften, werden in der Albertinum-Ausstellung negative Ziele unterstellt. Das Handeln der Regierungen und Bürger in sozialistischen Staaten erhält latent die Beschreibung à la sie taten all das aus Prestige-Gründen. Die Gegenparts, der Kapitalismus und das führende Gegnerland der genannten und gepeinigten Länder Vietnam, Kuba und Chile – die USA –, kommen in der Kritik unzureichend vor. Schlussfolgernd nach dem Besuch der Ausstellung frage ich: Der Westen, also auch wir als Gesamtdeutschland, sind trotz allem die Guten, und was diese Chilenen, Kubaner, Vietnamesen und Ostdeutsche anbelangt …?

Ich frage mich auch, wer und warum diese Experten die Beschriftungen, Wertungen, Texte neben den Exponaten formulierten – die erste Annäherungsversicherung der Kuratoren hin oder her? Gebürtige ostdeutsche Bürger, die zu dieser Zeit lebten? Ich wage das zu bezweifeln, die Worte der Begleittexte zu den Ausstellungstücken haben einen mir mitunter überlegen, erhaben wirkenden Unterton, belehrende Formulierungen, die Erfahrungen, Ansichten, vielfältige, differenzierte Erinnerungen ostdeutscher Betroffener aus jenen Jahren außen vor lassen. Dabei hat die Ausstellung Gewicht, sie wurde von der Bundesregierung gefördert sowie von der Bundeszentrale für politische Bildung. Dass sie so ausfiel, wie sie im Albertinum stattfindet, wundert mich nicht, wohl weil sie von obigen Förderern zielgerichtet gefördert wurde. Ein polemisches Wort regt mich schließlich in dieser Ausstellung ziemlich auf, welches die Distanz der Macher und ihre Erhabenheit zu früher, zur damaligen DDR und ihren „Bruderländern“ deutlich macht: „freilich“. Dazu später.

Drei Länder, drei Katastrophen – die Kommentierung dazu: Begleittexte teils irritierend

  1. Chile. Ein Gemälde aus Chile. Ein Mann, in die Nationalfahne des Landes gehüllt, liegt, in einen Sessel gesunken, offensichtlich tot. Der Mann ist Präsident Salvador Allende. Ein weiteres Schwarz-Weiß-Bild zeigt den Putschisten General Pinochet mit schwarzer Sonnenbrille, die seine Augen vollends verhüllt. Bedrohlich. Gewaltvoll. Mächtig.
  2. Vietnam. Eine farbige, bildnerische Arbeit zeigt vietnamesische Bauern, die Waffen tragen, einen Munitionsgürtel, den vietnamesischen Dschungel. Eine andere Arbeit porträtiert eine verzweifelte Frau, die schreiend ihr Gesicht gen Himmel richtet, der voller Bomben beim Fall auf ihr Land Vietnam ist.
  3. Kuba. Ein farbenfrohes Bild, am Strand verweilen Touristen, im Hintergrund das Land, das bröckelt, das aus wenig viel macht. Ein weiteres Bild, eine Grafik, wirkt auf den Betrachter üppig und stark, weil es voller Mosaikelemente ist, die Persönlichkeiten und Situationen Kubas zeigen, das Land, das sich trotz ständiger Anfeindungen der USA wehrt und lebt.

Meine früheren Erinnerungen zu den in der Ausstellung betrachteten Ländern decken sich mit den transportierten Inhalten der Kunstwerke. Ich weiß noch, geradezu körperlich litt ich als kleiner Junge darunter, als ich von der Militärjunta in Chile hörte und, dass Allende tot war. Auch die Bilder der Zerstörung Vietnams, die in Flammen stehenden Wälder, die Gnadenlosigkeit der Angriffe der US-Army wirken bei mir bis heute und machen mich fassungslos. Kuba wünsche ich sehr, dass endlich diese unsägliche Blockade gegen den Inselstaat beendet wird. Das wird von vielen Ländern in der UN gefordert, bisher ohne Erfolg.

Ich stehe in der Galerie und mache mir als interessierter Besucher Gedanken

Zu 1.

Chile.

Das Land wurde 1973 durch einen Militärputsch der Junta von General Pinochet mit nachgewiesener, maßgeblicher Unterstützung und Förderung der USA für viele Jahre in den Zustand einer gewaltsamen Diktatur und eines überaus entfesselten Kapitalismus gestürzt, dessen Folgen bis heute, während sich Chile von Pinochets Geist allmählich löst, zu spüren sind. Die Ausstellungsmacher schreiben zur Entwicklung bis ins Heute keine Zeile über dieses Drama, vielmehr wird das Gemälde von Allende fragwürdig kommentiert.

Mein Kommentar: Militärputsch ist Militärputsch. Allende wurde, selbst wenn er sich durch Freitod der Verhaftung durch die Putschisten entzog, von der Junta indirekt ermordet. Dass Allende durch die Darstellung des Malers „heroisiert“ wurde – die Kuratoren gehen mit dieser Qualifizierung auf Distanz zu einem Politiker, der aber in der Tat ein Held war – damals in Chile. Und dafür weg musste …

zu 2.

Vietnam.

Das Wort „freilich“. Der Maler zeigt, soso, die „politische Lesart“ der DDR über den Krieg, die von einem übermächtigen Aggressor (samt chemischer Kampfstoffe und massiver Bombardierungen) berichtet und auf der anderen Seite das sich verteidigende Volk in den Himmel hebt. Die Kuratoren setzen sogleich heldenhaft kämpfendes Volk in Gänsefüßchen und schreiben, dass in der Erzählung f r e i l i c h (!) nicht vorkommt, dass es eine enorme Militärhilfe der Sowjetunion und Chinas für dieses angegriffene Volk gegeben habe. Das Wort „freilich“ behauptet, meine Folgerung, dass Künstler und Politik seinerzeit die Kriegssituation so darstellten, als würde nicht die ganze Geschichte erzählt. Tatsächlich wurde sehr wohl über die Unterstützung Vietnams durch die Sowjetunion, die DDR, China und andere Staaten erzählt, diskutiert, abgewogen. Die Solidarität, die zahlreichen Demonstrationen, die Proteste weltweit sorgten schließlich mit dafür, dass der lange, zerstörerische Krieg in Vietnam endete. Und auch das wurde damals nicht vergessen: Ein US-amerikanischer Politiker namens Henry Kissinger war seinerzeit wie andere mächtige Drahtzieher aus Washington ein heftig kritisierter Kriegstreiber. 2024 wird die Kunst zu Vietnam kritisiert, der inzwischen verstorbene Kissinger wird in der Mainstream-Öffentlichkeit als verdienstvolle, weise Jahrhundertpersönlichkeit gewürdigt …

zu 3.

Kuba.

Mein Kommentar: Kuba und seine Menschen leiden seit 60 Jahren bis heute unter der fortgesetzten Blockade der USA, dem mächtigen Nachbarland. Die Kuratoren bleiben für mich geradezu transatlantisch: keine Kritik an den USA. Kein Gedanke darüber, dass statt Blockade Zusammenarbeit und Respekt möglich sind.

Die Kunstwerke wirken auf mich, wie sie die Künstler wohl meinten: sich über Krieg und über Machtmissbrauch, hier ein Putsch, dort eine Blockade, zu empören und aufzubegehren. Keiner hat das Recht, zu Kriegstüchtigkeit aufzufordern und Menschen, die Krieg ablehnen, als kriegsmüde zu verhöhnen.

Kunst ist wundervoll, Propaganda nicht. Was ist Propaganda?

Die Kuratoren haben eine Frage an eine Wand geschrieben: Wann wird Kunst zu Propaganda? Ich unterstelle den Experten fast, dass sie denken: Nutzt und gefällt eine künstlerische Aussage einem, ist es Kunst – passt sie nicht in den Kram, ist es Propaganda. Das Wort Propaganda klingt allein so, als wäre das per se etwas Schlechtes. In der Tat ist Propaganda ein Werkzeug, das für ideologische, Macht unterstützende Zwecke eingesetzt wird. Doch haben die gezeigten Künstler ihre Mittel und Möglichkeiten genutzt, um auf ein Verbrechen (Allendes Tod, der Putsch), auf den zerstörerischen, sinnlosen Krieg (Vietnam) oder auf die Ausgrenzung und Anfeindung eines ganzen Volkes auf einer Insel (Kuba) hinzuweisen. Wenn ihr Schaffen, ihre Kunst, ihr berechtigter Protest damit Propaganda sind, dann bitte sehr. Richtig und wichtig ist und bleiben ihr Engagement, ihr künstlerischer Aufschrei, ihre Anklage.

Geschichte wiederholt sich

Gerade erleben wir fortgesetzt Kriege unbeschreiblichen Ausmaßes und für uns noch mit sicher scheinendem territorialen Abstand, obwohl wir als Staat Bundesrepublik Deutschland, als mächtige Interessengruppe beteiligt und mitschuldig sind. Gaza, der Nahe Osten, die Ukraine, Russland. Wir erhalten tagein, tagaus Nachrichten über weitere Länder und Regionen, deren Menschen in spannungsgeladenen, bedrohlichen Situationen leben müssen: Lateinamerika, immer noch und fortgesetzt Kuba, Pakistan, die Pazifikregion. Wir erleben Propaganda. Propaganda ist es laut bestimmter Lesart dann, wenn die Gegenseite politisch motiviert agiert. Bei uns im Wertewesten heißt das dagegen ausgewogene Berichterstattung. Kunstwerke braucht es, auf Ursachen und Wirkung von Krieg und Unterdrückung aufmerksam zu machen.

Gut ist, dass Künstler aufbegehren, ohne auf die Bewertung ihrer Arbeit Rücksicht zu nehmen. Sicher wird der eine oder andere den berühmten (in Person unbekannten, weil „unsichtbaren“) Künstler Banksy kennen. Dessen Aussagen in seinen Werken haben die gleiche Wirkung wie die der Künstler, die in Dresden zu sehen sind, finde ich.

Nachtrag

Die moralische Überlegenheit unserer Wertegemeinschaft, der Klassengesellschaft Bundesrepublik wird oft betont. In Gesamtdeutschland bleiben dabei jedoch Vorstellungen, Erfahrungen, Ideen und Beiträge, die vom Osten ausgehen, außen vor. Inzwischen jedoch ist endlich eine Debatte in Gang gekommen, in der nicht mehr geschwiegen, weggeschoben, tendenziell abgewertet wird.

In der Berliner Zeitung entwickelt sich, ein Beispiel, ebenfalls eine Debatte zu Ost und West und dem Zusammensein in Deutschland. Viele „Ostbürger“ und Westbürger, lobt der Verlag, melden sich zu Wort, schreiben persönliche Briefe, Beiträge für die Rubrik „Open Source“. Das ist gut. Noch immer jedoch wird andernorts so getan, als wären „Westdeutschlands“ Perspektiven und Wertungen das alternativlose Nonplusultra.

Wie hier geschrieben, habe ich diesen Eindruck selbst in der obigen Kunstausstellung gespürt und ja subjektiv empfunden mit den Abwertungen, Ausblendungen von Perspektiven und weiterer Bilder aus einer vergangenen Gesellschaft, einem alten Land, das durch diese Exposition stattdessen einen unsichtbaren Stempel aufgedrückt bekommt: Das, was die DDR war, war und bleibt kritikwürdig, fragwürdig, schlecht. Wünschenswert, erforderlich ist, dass die angefangene Annäherung auch in Dresden fortgesetzt wird. Nicht unerwähnt lassen will ich, dass die kritisierte Ausstellung im Albertinum noch weitere Themen behandelt als die Themen Chile, Vietnam und Kuba, so beispielsweise Arbeiter aus dem Ausland (Globaler Süden) in der DDR und Studenten aus dem Globalen Süden in der DDR.

Bildnachweis: alle Bilder © Frank Blenz