Friedensbildung tut not!

Friedensbildung tut not!

Friedensbildung tut not!

Heinz Klippert
Ein Artikel von Heinz Klippert

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger forderte am 18. März 2024, in den Schulklassen solle mehr über Kriege, Bundeswehr und Zivilschutzmaßnahmen geredet werden. Diese geistige Zeitenwende ist zutiefst alarmierend. Was ist denn der Sinn und Zweck dieser mentalen und emotionalen Kriegsvorbereitung in den Schulen und Klassenzimmern? Wollen und müssen wir hierzulande tatsächlich „kriegstüchtig“ werden und nun auch noch die Schuljugend in diese Kriegsertüchtigung einbinden? Von Heinz Klippert.

Kinder brauchen Friedensphantasie

Vor dieser drohenden Militarisierung der schulischen Bildungsarbeit kann ich nur vehement warnen. Jeder Historiker, Soziologe und Psychologe weiß, dass ein derartiger Mentalitätswandel den Nährboden für neuerliche Waffenverehrung, Waffengänge und Feindseligkeiten bildet. Das alles hatten wir in unserer Geschichte nun wahrlich zur Genüge. Was Europa stattdessen braucht, ist Frieden!! Und deshalb sollten unsere Schulen und Lehrkräfte die Kinder und Jugendlichen ganz vorrangig dazu befähigen, kriegsskeptisch zu werden und begründete Friedensliebe und Friedensphantasie zu entwickeln und sich mit guten Argumenten der aktuellen Kriegslogik und dem damit verbundenen „Spiel mit dem Feuer“ entgegenzustellen. Denn  Frieden ist möglich – auch in der Ukraine und in Gaza!! 

Nur muss endlich damit begonnen werden, den Frieden vorzubereiten, bestehende Interessengegensätze zu analysieren und anzuerkennen, vertretbare Kompromisse zu suchen, verlorengegangenes Vertrauen wiederaufzubauen und das fatale Gut-Böse-Denken in unserer Gesellschaft zu überwinden. Die Schule kann und muss diese auf Versöhnung, Entspannung und Völkerverständigung gerichtete Denkweise fördern und entsprechende politische und ethische Reflexionen anstoßen.

Entspannungspolitik ist alternativlos!

Nötig ist diese Friedensorientierung deshalb, weil sich nur so die Faszination des Militärischen eindämmen lässt. Wenn man derzeit nämlich Politikern, Militärs, Leitartiklern, Fernsehkommentatoren und sonstigen Meinungsmachern in unserer Gesellschaft zuhört, drängt sich der Eindruck auf, dass Aufrüstung und Waffengänge gleichsam alternativlos sind. Mit großer Verve wird für Aufrüstung, Waffenlieferungen, politische Konfrontation und militärische Eskalation plädiert. Diplomatie, Verhandlungen und andere deeskalierende und vertrauensbildende Maßnahmen werden bedauerlicherweise kaum noch in Betracht gezogen.

Dieser Verengung des Blickwinkels muss Schule unbedingt entgegenwirken und alles dafür tun, dass die landläufigen Aufrüstungs- und Kriegsbegründungen hinterfragt, Vorurteile und Dämonisierungsversuche entlarvt, Gut-Böse-Szenarien problematisiert, Informationsvielfalt gesichert und kontroverse Debatten und Meinungsbildungsprozesse eröffnet werden, die deutlich machen, dass Kriege mit allen Mitteln zu verhindern und internationale Konflikte möglichst früh, flexibel und seriös zu deeskalieren sind. Dieser „reflektierte Pazifismus“ hilft, der mentalen und emotionalen Abrüstung in den Köpfen der Menschen Schub zu verleihen und gewaltfreie Verfahren der Friedenssicherung ins Bewusstsein zu heben. Das gilt für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit; das gilt aber auch für Politiker/innen und Medienschaffende, Parteien und Parlamente. Im Fokus der Friedenssicherung muss deshalb vorrangig der Entspannungs-, Abrüstungs- und Versöhnungsgedanke stehen. Denn den Frieden herbeibomben zu wollen, hat historisch noch selten funktioniert. Diese Notwendigkeit der Kriegsvermeidung muss in Schule und Unterricht eindringlich bewusst gemacht werden.

Ein zorniger Blick auf die Kriegsfolgen

Was Schülerinnen und Schüler vor allem erkennen müssen, das sind die verheerenden materiellen und humanitären Folgen, die Kriegshandlungen in aller Regel mit sich bringen. Dazu nur einige Beispiele: Besonders dramatische Opferzahlen gab es im Ersten Weltkrieg (9 Millionen Tote), im Zweiten Weltkrieg (70 Millionen Tote) oder im Vietnam-Krieg (5 Millionen Tote). Hinzu kamen gigantische Gebäude-, Natur- und Infrastrukturschäden, die jahrzehntelange Wiederaufbaumaßnahmen nach sich zogen.

Ein Irrsinn, der auch in unserem „aufgeklärten Zeitalter“ seine Fortsetzung findet. Schaut man beispielsweise auf den aktuellen Ukraine-Krieg, so gibt es dort nach zwei Jahren mehrere hunderttausend tote Soldaten und Zivilisten, Sachschäden im Umfang von 500 bis 1.000 Milliarden US-Dollar (geschätzte Wiederaufbaukosten) sowie ca. 5 bis 6 Millionen Flüchtlinge, die über die westlichen Nachbarländer verstreut leben – 1,2 Millionen davon in Deutschland. Noch schlimmer sieht diese Schreckensbilanz aus, wenn man sich z.B. die Folgen der nach 9/11 von den USA entfachten Anti-Terror-Kriege und Bürgerkriege in Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien, Libyen, Jemen und Somalia vor Augen führt. In Summe gab es dort vier bis sechs Millionen Tote und 38 Millionen Flüchtlinge, die zum großen Teil in die Nachbarländer, zum Teil aber auch nach Europa geflüchtet sind. Und der Gipfel des Ganzen: Die verbliebene Bevölkerung lebt heute durchweg schlechter, unsicherer, traumatisierter und unfreier als vorher. Zurückgeblieben sind verbrannte Erde, Leid, Entsetzen und politische Destabilisierung. Jedes rechtzeitige Verhandeln wäre humaner gewesen!

Wo bleiben die anderen Krisenherde?

Eine weitere Schattenseite der skizzierten Kriegstreiberei ist die, dass das in Waffen und Wiederaufbauhilfen fließende Geld natürlich an anderen Stellen fehlt. Das gilt aktuell sowohl für die hochbrisanten internationalen Großbaustellen Klimakrise, Umweltkrise, Ernährungskrise, Energiekrise, Flüchtlingskrise und Wachstumskrise als auch für innerdeutsche Brennpunkte wie das marode Bildungs- und Sozialwesen, die kaputtgesparten Krankenhäuser und Altenheime, die wachsende Altersarmut und die dringend modernisierungsbedürftige Infrastruktur (Brücken, Straßen, Bahnlinien etc.).

Solange der Primat der Aufrüstung und internationalen Spaltung und Blockbildung bestehen bleibt, wird es um die Lösung dieser Problemlagen schlecht bestellt sein. Auch das sollte in den Bildungseinrichtungen in den Blick gebracht werden. Wirksam anzugehen sind die genannten internationalen Problemlagen nämlich nur dann, wenn die unterschiedlichsten Groß- und Mittelmächte konstruktiv zusammenarbeiten und ihre Ressourcen so bündeln, dass wirksame Abhilfe geschaffen werden kann. Kostspielige Aufrüstungsmaßnahmen, zerstörerische Kriege und sonstige geopolitische und militärische Reibungsverluste stehen dieser konzertierten Problembewältigung diametral entgegen.

Konsequenzen für den Bildungsbereich

Aus alledem ergibt sich für die politische und ethische Bildungsarbeit in Schulen, Universitäten, Akademien und sonstigen Einrichtungen der Erwachsenenbildung die Verpflichtung, das menschliche „Kriegs-Gen“ dadurch zu zähmen, dass für ein Mehr an begründeter Kriegsskepsis, Friedensphantasie und Konfliktregelungskompetenz gesorgt wird. „Begründet“ heißt hierbei, dass auf differenzierte Informationen, Reflexionen, Perspektivenwechsel, Debatten und sonstige Formen der tiefgreifenden Meinungsbildung in Sachen Krieg und Frieden gesetzt werden sollte, damit das Meinungsmanagement kriegsaffiner Scharfmacher in Politik, Medien, Parlamenten, Zivilgesellschaft und militärischen Kreisen nicht vorschnell verfängt.

Wie diese „Mündigkeit“ in Sachen Krieg und Frieden aufgebaut und ein korrespondierender „reflektierter Pazifismus“ grundgelegt werden kann, wird im angeführten Buch mittels vielfältiger Reflexionsanstöße und kontrastreicher Materialien gezeigt. Wohlgemerkt: Kriege sind nie alternativlos! Alternativlos sollte allein das Bemühen um Frieden, gewaltfreie Konfliktlösungen, Vertrauensbildung und umfassende Entspannungspolitik sein! Das ist eine der Kernbotschaften des Buches. Der Bildungsbereich kann und muss zu dieser friedensethischen Reflexions- und Klärungsarbeit beitragen und die nötige Kriegsskepsis entwickeln helfen.

Zur Vertiefung

Heinz Klippert: Frieden sichern! Anleitung zur Belebung pazifistischen Denkens. Westend Verlag. 336 Seiten. 24 Euro.

Titelbild: (C) Statista

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