Die in einem „Manifest“ kürzlich veröffentlichten Vorschläge zur Verbesserung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Initiative „meinungsvielfalt.jetzt“ werden von vielen großen Medien inhaltlich nicht angemessen thematisiert. Zitiert wird dafür die ablehnende Reaktion der Redakteursausschüsse der Sender. Noch weiter ging der Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes, der laut „meinungsvielfalt.jetzt“ versucht habe, die Initiatoren mit Fake-News in die rechte Ecke zu stellen. Solche Reaktionen belegen die hohe Relevanz der Kritik. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Den Vorstoß der Initiative „meinungsvielfalt.jetzt“ hatten wir kürzlich in diesem Artikel thematisiert. Die zugehörige Petition mit momentan etwa 17.000 Unterschriften (Stand 8.4.2024,12h) findet sich unter diesem Link.
Es scheint aber nichts Besonderes zu sein, wenn unter anderem Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) ein internes Klima der Angst beklagen und konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Zustände im ÖRR formulieren und das alles flankiert wird von zahlreichen Unterschriften öffentlicher Personen. Nach dem Motto „gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen“, gibt es vor allem folgende Reaktionen auf den Vorstoß „meinungsvielfalt.jetzt“: entweder Schweigen. Oder die Aussage, das sei alles nichts Neues, die Fragen würden angeblich längst diskutiert. Oder das knappe Zitieren der zurückweisenden Reaktion der Redakteursausschüsse. Oder die Diffamierung einzelner Beteiligter als irgendwie „rechts“, selbst wenn es dafür laut „meinungsvielfalt.jetzt“ Fake-News braucht.
Bezüglich einer seriösen kritisch-distanzierten Auseinandersetzung mit den auf der Webseite „meinungsvielfalt.jetzt“ präsentierten Inhalten muss (weitgehend) eine Leerstelle festgestellt werden. Ich frage mich auch, warum private Medienkonzerne den Vorgang nicht viel stärker ausschlachten, um der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz zu schaden – der Grund für die Zurückhaltung könnte sein, dass sich viele Kritikpunkte auch auf die Praxis großer Privatmedien übertragen ließen.
Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein wichtiges Prinzip ist, das meiner Meinung nach keinesfalls abgeschafft werden sollte, das aber wegen der inakzeptablen Berichterstattung immer schwieriger zu verteidigen sei, habe ich unter anderem im Artikel „Rettet den Rundfunk – Vor Privatisierung und vor der eigenen Propaganda“ beschrieben.
Diffamierung durch den Deutschen Journalistenverband
Eine der problematischsten Reaktionen auf die Initiative kommt wohl vom Deutschen Journalistenverband (DJV). Dessen Sprecher Hendrik Zörner hatte versucht, einen der Initiatoren in die rechte Ecke zu schieben und hatte dabei laut „meinungsvielfalt.jetzt“ mit falschen Behauptungen gearbeitet: Vor dem Kommentar von Zörner zum Thema findet sich nun eine Gegendarstellung. Ole Skambraks, Herausgeber von „meinungsvielfalt.jetzt“, geht in diesem Tweet darauf ein und stellt fest:
„Der DJV praktiziert Verleumdung und Diffamierung als Antwort auf unser Manifest.“
Interner Widerspruch gegen das „Manifest“ kommt von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA). In einer Stellungnahme wird festgestellt:
„Die AGRA widerspricht dem ‚Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland‘ in wesentlichen Punkten. Der Eindruck, dass in den Sendern nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden und nur ‚Mainstream‘-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten, ist falsch. (…) Die AGRA stellt hingegen klar: Wir haben überall eine lebhafte Streitkultur, bei der alle Meinungen geäußert werden. Berichterstattung findet grundsätzlich nach journalistischen Prinzipien statt.“
Tina Handel, Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, ergänzt in diesem Tweet:
„Dazu kommt: Dieses Manifest ist großteils unterzeichnet v. Orchestermusikern, Schauspielern, sehr Ehemaligen, die teils seit über 20 J in keiner Redaktion arbeiten. All jene können gern den ÖRR kritisieren. Aber bitte ohne so zu tun, als seien sie täglich in Redaktionen dabei.“
Die Initiative „meinungsvielfalt.jetzt“ hat in einer Mitteilung auf die Kritik der AGRA reagiert:
„Ihre Stellungnahme als Sprecher der AGRA vom 4. April 2024 entspricht dem Stil in unseren Häusern, den wir mit unserer Vision eines neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinter uns lassen möchten. (…) Sie beschreiben Ihren ‚Eindruck‘ und verwahren sich gegen das, was Sie wahrnehmen. Mit diesem Vehikel unterstellen Sie dem Manifest bestimmte Behauptungen und Begrifflichkeiten: An keiner Stelle im Manifest steht, dass ‚nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden‘. Ebenso steht dort nicht, dass nur ‚Mainstream-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten‘. (…) Wieso nutzen Sie nicht die von Ihnen gepriesene ‚Streitkultur‘ und setzen sich inhaltlich mit dem Manifest auseinander?“
Mitarbeiter des ZDF können sich „jederzeit kritisch äußern“
Weitere Reaktionen aus dem ÖRR sind erwartungsgemäß: Das ZDF teilte in einer Reaktion mit, der Sender begrüße und fördere ausdrücklich Meinungspluralismus, sowohl im Programm, in der Gesellschaft, als auch im Unternehmen, wie Medien berichten. Mitarbeiter des ZDF hätten „nicht nur bei internen Dialogveranstaltungen und in Redaktionskonferenzen jederzeit die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern“. (…) Von den Beschäftigten des ZDF habe, soweit ersichtlich, nur ein freier Mitarbeiter das Papier unterzeichnet.
Von einem ARD-Sprecher hieß es: „Das jetzt veröffentlichte Dokument, das offenbar einige Beschäftigte von ARD-Medienhäusern mit unterzeichnet haben, bildet in Teilen eine Diskussion ab, die in den ARD-Medienhäusern kontinuierlich geführt wird.“ Zum beitragsfinanzierten öffentlichen Rundfunk gehöre es, dass er sich kritischen Diskussionen stelle: „Das schließt natürlich die selbstkritische Betrachtung des eigenen Tuns mit ein.“ In dieser Diskussion verdiene es jeder Beitrag, gehört zu werden. Dass ein Dokument wie das sogenannte Manifest erscheine, sei Ausdruck der Tatsache, dass in den ARD-Medienhäusern Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit herrschten.
Auch im NDR heißt es als Reaktion, man streite doch sowieso bereits „jeden Tag“. Der Deutschlandfunk zitiert die Erklärung der AGRA. Und in der Medienkolumne „Altpapier“ des MDR heißt es:
„Da kommen einem ja fast die Tränen. Dass ‚Schwurbler‘ sich ‚mundtot‘ gemacht fühlen, wenn man sie kritisiert, ist nicht neu.“
Und die Privatmedien? Die taz bezeichnet die angemessene und überfällige Kritik am ÖRR erwartungsgemäß als „Jammern am rechten Rand“. Große Privatmedien wie Bild oder Spiegel oder Welt beziehen sich bisher weitgehend auf die Kritik der AGRA.
Meiner Meinung nach bestätigt der hier geschilderte Umgang vieler großer Medien mit der Initiative „meinungsvielfalt.jetzt“ teils die Kritikpunkte, die von der Initiative vorgebracht wurden. Dadurch wird die Relevanz von „meinungsvielfalt.jetzt“ zusätzlich verdeutlicht.
Banner beim BR
Zum Abschluss noch der Verweis auf eine Aktion vom 27. März beim Bayerischen Rundfunk:
Ein mutiger Mensch hat aus dem Fenster des Bayrischen Rundfunk ein Banner rausgehangen. pic.twitter.com/DsI0f8Os2G
— Moncherie (@Moncher71221584) April 6, 2024
Ergänzung, 8.4.2024, 18 Uhr: Im Deutschlandfunk ist heute dieses Streitgespräch zum Thema gesendet worden.
Titelbild: Ralf Liebhold / Shutterstock