Leserbriefe zu „Die Bedingungen für einen dauerhaften und gerechten Frieden“
In diesem Beitrag vertritt Gert-Ewen Ungar die These, dass die russische Position im Ukrainekrieg „meist verkürzt dargestellt oder gleich ganz als ´Verweigerung´ diskreditiert“ werde. Es werde insbesondere nicht ausgeführt, was es bedeute, Moskau strebe eine Friedensordnung an, die „die Ursachen des Ukraine-Konflikts“ dauerhaft beseitige. Zum Beispiel habe Russland bereits vor einigen Jahren deutlich gemacht, dass nach all den Osterweiterungsrunden der NATO die Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis für Russland eine rote Linie darstelle. Russland habe die Ursachen des Ukraine-Konflikts klar benannt. Die USA hätten diesen Zusammenhang inzwischen verstanden. Nur in Westeuropa verweigere man sich noch der Einsicht. Wir danken für die interessanten E-Mails. Hier folgt nun eine Leserbrief-Auswahl. Für Sie zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Ungar,
eine äußerst informative Zusammenfassung der relevantesten Ereignisse. Ich möchte einen Punkt hinzufügen, der leider immer untergeht, aber sehr entscheidend ist: das EU-Assoziierungsabkommen bis 2013.
Russland hat immer wieder betont, dass die russische Regierung keine Probleme mit der wirtschaftlichen Assoziierung der Ukraine mit der EU sieht. Das Dokument war 2013 verhandelt und unterschriftsreif.
Auf den letzten Drücker hat die EU neue Passagen hinzugefügt, die eine militärische Integration der Ukraine an die EU vorsahen – sprich ein NATO-Beitritt durch die Hintertür und die endgültige Wahl: EU oder Russland.
Die EU hat die Ukraine im entscheidenden Moment in eine ausweglose Situation gebracht. An diesem Punkt wussten alle europäischen Politiker seit 2008, dass damit die rote Linie Russlands überschritten wird.
Die Ukraine hat das Abkommen trotzdem unterzeichnet und nun sterben Menschen, weil der militärische Expansionsdrang der EU, und somit der NATO, nicht gestillt werden konnte.
Grüße
Eugen Baitinger
2. Leserbrief
So sehr ich der Darstellung von Gert-Ewen Ungar Glauben schenken mag und ich in meinem Umkreis grob skizziert diese Linie ebenfalls vertrete, begegne ich immer wieder dem “Totschlagargument“ Butscha. Ziehe ich die Überlegung mit ein, dass Butscha eine Inszenierung der ukrainischen Seite war und dies der Argumentationskette Ungars innewohnt (und was ja auch Sinn machen würde), werde ich mindestens als verrückt erklärt und aus jeglicher weiteren Debatte ausgeschlossen.
Deshalb die vermutlich verzweifelte Frage nach gesicherten und unabhängigen Informationen über „Butscha“. Wer kann helfen ?
Mit besten Grüßen und Dank an die NDS
Rupert Marcus
3. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Unger,
ich hoffe wie Sie, dass es bald zu einem Friedensvertrag kommt und das sinnlose Sterben ein Ende findet.
Vertragstreue der Ukraine (und des gesamten Westens) ist, wie Minsk II zeigt, nicht gegeben. EUropa rüstet zum Krieg gegen Russland. Wie soll Russland also der Ukraine (und dem Westen) trauen? Mit welchen Forderungen wird Russland sich absichern wollen, dass ein Frieden nicht wieder nur zum Aufrüsten der Ukraine genutzt wird? Wohlwissend, dass jedwede Forderung, die zum Scheitern der Friedensverhandlungen führt, vom Westen als fehlender Friedenswille maximal ausgeschlachtet werden würde?
Der Punkt bleibt in Ihrem Beitrag leider unerwähnt
Was ist mit der russischen Minderheit, die nicht in den 4 Oblasten lebt? Ich vermute nicht, das Russland diese Landsleute einfache ihrem Schicksal überlässt.
Womit die Abspaltung der 4 Oblaste nicht den Grund für die ethnischen Spannungen beseitigt.
Mir ist auch noch der Punkt “Entnazifizierung” in Erinnerung.
Aber selbst wenn es bei den Verhandlungen zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis und damit zu einem Vertragsentwurf kommt, sehe ich noch einige Schwierigkeiten auf dem Weg zur Unterzeichnung.
- 2024 hätte die Wahl des ukrainischen Präsidenten angestanden. Die von Selensky angeordnete Verschiebung aufgrund des Krieges ist m. W. nicht in der ukrainischen Verfassung vorgesehen. Damit hätte die Ukraine aktuell keinen legitimen Präsidenten. Wenn das stimmt, hätten beide Seiten die Möglichkeit, ein vom Präsidenten unterschriebenen Vertrag für nichtig zu erklären.
- In der Ukrainischen Verfassung ist die NATO-Aufnahme verankert.
- Es existiert ein Dekret des ukrainischen Präsidenten, der Verhandlungen mit Russland/dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verbietet. Ebenfalls ein Punkt, um einen Vertrag für nichtig zu erklären.
Mit freundlichem Gruß
Thomas Paulsen
4. Leserbrief
Hallo NachDenkSeiten,
Nein. Nein. Die russische Position ist um nichts weniger idiotisch als die ukrainische (bzw. des UKR-West-Blocks). Beide, Russen und Ukrainer – bzw. deren relevante politische und mediale Exponenten – gründen ihre Staatserzählung auf ethnisch-nationale (aka “völkische”), religiöse und klitter-historische Mythen; das jeweilige National-Dispositiv ist heldisch, ruhmzentriert. Die Unterschiede sind vergleichsweise marginal: Was in der Ukraine das revisionistische und das opfermythische Anti-Russ-Sentiment (hier spielt der so genannte “Holodomor”, die Hungersnot, eine zentrale Rolle), ist in Russland das hypertrophierte Sicherheits- und Bollwerkdenken sowie das sich zuständig Fühlen für Russen und Russisches auch außerhalb der Staatsgrenzen bzw. über dieselben hinaus. Der ostentative Rekurs auf die vielen Millionen durch Invasoren Gemordete und im – schließlich erfolgreichen – Abwehrkampf Gefallene ist längst zum “Joker”, zum unangreif- und undiskutierbaren Begründungs-Trumpf noch der fragwürdigsten Doktrinen und Politiken geworden – ich sage: verkommen.
Unter den vielen “unverdaulichen” historischen Hinterlassenschaften der deutschen Nazi-SS-Weltverschönerungsmaschine ist die wahrscheinlich folgenreichste, dass es seit ihrer Besiegung den “moralisch richtigen” Krieg gibt. Kriege dieser Art werden – tendenziell – erbitterter, schranken- und kommentloser geführt als Eroberungs- oder Erbfolgekriege vordem. Einzig Religionskriege – deren es ja nicht wenige gab (..gibt?) – könnten als “Blaupause” moderner moralischer Kriege gesehen werden. Diese *moralischen Kriege* sind die schlimmsten! Und wenn Moral aus Recht “gebacken” wird, wie z.B. jetzt gerade aus Völkerrecht, ist es am allerschlimmsten: Da geht es dann nicht nur Gut gegen Böse, sondern auch noch Recht gegen Unrecht; doppelt genäht sozusagen …
Beide, Russland und Ukraine, haben sich diesen Krieg mit Eifer verdient. Erschwerend und verschärfend über das oben Gesagte hinaus kommt hinzu, das es zu allem Überfluss auch noch ein “Bruderkrieg” ist. Da ist also wirklich alles Idiotische bei einander.
Ich wünsche, dass dieser Krieg noch lang, lang andauere, und das “wir” auch ordentlich, direkt (Waffen- und Finanzhilfe) und indirekt (“kriegstüchtig”, also grenzenlose Aufrüstung), bezahlen. Den Schnack v.wg. dass das viele Geld doch “sinnvoller” verwendet werden könne, ja müsse, lasse ich nicht gelten: ‘Geld’ und ‘sinnvoll’ schließen sich – immer schon – aus. Anders gesagt: Gäbe es diesen Krieg nicht, herrschte dennoch kein Mangel an Ideen und Politiken, Geld für Irrationales, für Klientelbereicherung, für gänzlich Nutzloses auszugeben.
Selbstverständlich sähe ich eine Entgrenzung der Kriegsmittel Richtung sog. Atomkrieg eher ungern, denn eine Atombombe könnte einem schon heftig den Tag versauen. Dagegen müsste also Vorkehrung getroffen werden. Das wäre aber auch schon alles, was ich an Wünschen bezüglich dieses Kriegs formuliere. Ansonsten ein kein bisschen ironisch oder sarkastisch gemeintes “Weiter so!”.
“Da nich für!”
Stephan Kendzia
5. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Ungar,
Sie schreiben:
“Angela Merkel hat in einem Interview in der Wochenzeitung Die Zeit später zugegeben, dass es ihr sowie den Verhandlungspartnern aus der Ukraine und Frankreich nie um die Herstellung von Frieden, sondern um die Aufrüstung der Ukraine gegangen sei. Sie verfolgte das Ziel, der Ukraine Zeit zu verschaffen, sagte Merkel im Dezember 2022.”
Bitte schauen Sie sich dieses Interview einmal im Wortlaut an. Die Situation war die, dass die Interviewer Merkel vorwarfen, Minsk II wäre ja offensichtlich ein Fehlschlag gewesen und man hätte von Anfang an eine harte Linie gegen Russland fahren sollen, woraufhin Merkel als Antwort auf diese Vorwürfe sagte, dass es der Ukraine wertvolle Zeit gegeben habe. Sie sagte nicht explizit, dass dies für sie und ihre Mitstreiter der EINZIGE Sinn und Zweck dieses Abkommens gewesen sei!
Ich glaube, die korrekte Darstellung der Geschichte von Minsk II ist die Folgende: Minsk II war unter den gegebenen Umständen das bestmögliche Abkommen und jede der beteiligten Parteien (Ukraine, Russland, Weissrussland, Deutschland, Frankreich) war damit einverstanden, auch in dem Sinne, dass sie es im Prinzip erfüllen wollten. Leider gab es aber mächtige Akteure, die nicht an den Verhandlungen beteiligt waren und nicht hinter dem Abkommen standen, nämlich vor allem die USA und auch Großbritannien. Außerdem passte das Abkommen rechten Kräften in der Ukraine nicht, die es als in einem Moment der Schwäche ausgehandelt und als zu russlandfreundlich ansahen. Insofern wurde das Abkommen sabotiert, vor allem seitens der Ukraine, indem die Verfassungsänderung zur Autonomie der abtrünnigen Regionen nicht zustande kam, aber auch den USA und Großbritannien, welche gleichzeitig die Ukraine immer mehr aufrüsteten und NATO-kompatibel machten. Merkels riesiger Fehler an dieser Stelle war, dass sie nicht (Deutschland war schließlich Garantiemacht von Minsk II!) der Ukraine (am besten schon Poroschenko, aber spätestens Selensky) klipp und klar gesagt hat: “Wenn ihr Minsk II nicht erfüllt, ist Deutschland raus aus diesem Spiel – einschließlich jeglicher Finanzierung der Ukraine!” Das hätte zwar einen gewaltigen Aufschrei in der Ukraine, den USA, Polen und Tschechien gegeben und die Tage Merkels als Kanzlerin wären wohl gezählt gewesen, aber ich glaube nicht, dass die Sabotage von Minsk II unter dieser Drohung hätte durchgehalten werden können.
Leider war Merkel nicht mutig genug für diesen Schritt und versuchte es wie meistens in ihrer Kanzlerschaft mit Durchwurschteln. Als diese Politik dann nach ihrem Abgang unter einer noch unfähigeren deutschen Regierung vollends gegen die Wand fuhr, war sie im ZEIT-Interview dann zu feige, um Minsk II direkt zu verteidigen, und deutete es einfach im Sinne des Zeitgeists um, indem sie etwas darüber sagte, was nicht falsch ist (natürlich wurde defacto Zeit gewonnen), aber eben auch nicht die ganze Wahrheit.
Sehenswert in diesem Zusammenhang ist das Interview von Jasmin Kosubek mit Jeffrey Sachs[*]. Als Kosubek ihm mit der auch in Ihrem Beitrag favorisierten Sichtweise kommt, sagt Jeffrey Sachs ziemlich genau das, was ich oben beschrieben habe.
Viele Grüße,
Nicolas Neuß
[*] youtube.com/watch?v=2DmVkaivKyw
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