„Nur eine Erkältung“ – die deutschen Medien und ihre Fehldiagnose zu Bidens geistigem Zustand

„Nur eine Erkältung“ – die deutschen Medien und ihre Fehldiagnose zu Bidens geistigem Zustand

„Nur eine Erkältung“ – die deutschen Medien und ihre Fehldiagnose zu Bidens geistigem Zustand

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. So lässt sich die Position der meisten großen deutschen Medien zum offensichtlich prekären geistigen Zustand von Joe Biden während der heißen Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfes im Frühjahr 2024 beschreiben. Vor allem die Nachrichten- und Faktencheckerformate der Öffentlich-Rechtlichen beschwichtigten und relativierten die Aussetzer Bidens und rückten Kritik in die Nähe von Schmutzkampagnen des Trump-Lagers. Nun rückt ein Buch amerikanischer Journalisten die auch in vielen US-Medien vorherrschende Fehleinschätzung zurecht und auch deutsche Medien wie der SPIEGEL steigen in die Medienkritik ein – sie kritisieren wohlgemerkt US-Medien und verlieren kein Wort der Selbstkritik. Es kann halt nicht sein, was nicht sein darf. Von Jens Berger.

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Es gibt ja Menschen, die liegen mit ihren Einschätzungen verlässlich so falsch, dass sie auf skurrile Art und Weise tatsächlich Orientierung geben – man kann halt davon ausgehen, dass das exakte Gegenteil ihrer Einschätzung zutreffen dürfte. Ein solcher Mensch ist Elmar Theveßen, seines Zeichens seit 2019 Leiter des ZDF-Studios in Washington, ein sogenannter „USA-Experte“ wie aus dem Bilderbuch und gleichzeitig Stammgast im ZDF-Talk von Markus Lanz. 2024 war Theveßen der am häufigsten eingeladene Talkshowgast Deutschlands. Hat man Theveßen im Frühsommer 2024 nach dem – damals sogar von US-Demokraten sehr kritisch hinterfragten – geistigen Gesundheitszustand von Joe Biden gefragt, tat er jeglichen Zweifel als „Schmutzkampagne des Trump-Lagers ab“ und bescheinigte Biden gar „geistig topfit“ und „voll in der Lage“ für das Amt zu sein; wenige Tage später wurde Biden aufgrund seiner mentalen Defizite gegen seine bisherige Vize-Kandidatin Harris ausgetauscht. Bis auf kleinere Relativierungen gab es bis heute keine Erklärung von Theveßen, wie genau er zu dieser grandiosen Fehleinschätzung kam.

Dass Theveßen Trump nicht mag und ein großer Fan der demokratischen Kandidaten Biden und Harris ist, ist hinlänglich bekannt. Bekannt ist auch, dass seine politischen Vorlieben häufiger mal sein Urteilsvermögen vernebeln. So schwadronierte Theveßen beispielsweise noch am Ende der Wahlnacht, als Fox Trump bereits zum Präsidenten ausgerufen hatte und selbst die liberale New York Times die Chancen auf einen Harris-Sieg auf unter 10 Prozent heruntergestuft hatte, davon, dass die Flut an roten Staaten „zwar ein Warnzeichen [für Harris] sei“, es aber „immer noch gut sein [könne], dass sie gewinnt“. Auch hier war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Theveßens grotesker Bias ist jedoch nicht seine Privatsache, sondern ein professionelles Problem. Die Öffentlich-Rechtlichen haben schließlich einen Sendungsauftrag, objektiv zu berichten. Und Theveßens Einschätzungen sind nicht nur falsch, sondern im höchsten Grade subjektiv. Seine Fehleinschätzung zu Bidens geistiger Gesundheit ist dabei nur die Kirsche auf der Sahnehaube.

Aber es war ja nicht nur Elmar Theveßen, der sich bei der Berichterstattung zu Bidens geistiger Gesundheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Eine aktuelle Analyse der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformate und einiger großer Medien, wie des SPIEGEL, kommt zum wenig schmeichelhaften Urteil, dass die Öffentlichkeit durch die Bank weg schlecht informiert wurde. Anstatt die offensichtlich prekäre geistige Gesundheit Bidens offen anzusprechen, folgte man den Beschwichtigungen des Biden-Lagers. Mal war der Kandidat „erkältet“, mal habe er „zu wenig geschlafen“, der Termin für die Debatte sei halt ein wenig spät am Abend oder er habe halt schlicht „einen schlechten Abend erwischt“. Es darf halt nicht sein, was nicht sein kann. Man könnte es auch Desinformation nennen.

Insbesondere Tagesschau und Heute gaben mit Vorliebe beschwichtigende Aussagen des Bidens-Lagers unhinterfragt als Fakten wieder und rückten Zweifel daran in die Nähe von „politisch motivierten Übertreibungen“ aus dem Trump-Lager. Vor allem die Faktenchecker-Redaktionen von Tagesschau und Heute bekleckerten sich dabei nicht mit Ruhm, ordneten sie doch – wie so oft – die Aussagen offizieller Quellen als objektive Wahrheiten ein. Dass die Leibärzte und Sprecher Bidens in Fragen zu seinem geistigen Gesundheitszustand jedoch befangen sind, sollte eigentlich klar sein. Und spätestens heute wissen wir ja auch, dass nicht die Kritik an Bidens geistiger Gesundheit, sondern die Beschwichtigungen von offizieller Seite „politisch motiviert“ waren.

Auf eine Distanzierung oder gar Entschuldigung für die eigene Falschberichterstattung warten wir bis heute vergebens. Als das Kind in den Brunnen gefallen war, Biden sich in der Fernsehdebatte mit Trump einmal zu oft derangiert und verwirrt zeigte und die Demokraten nun endlich den Kandidaten austauschten, vollzogen auch die deutschen Medien die Kehrtwende und vergaßen ihre eigenen Beschwichtigungen und Fehldeutung von einem Tag auf den anderen. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Kann es sein, dass die deutschen Medien nicht nur bei der Einschätzung von Bidens geistiger Gesundheit dramatisch falsch lagen? Kann es sein, dass sie auch ihre Leser und Zuschauer für senil und vergesslich halten?

Titelbild: Screenshot ZDF