Die USA und die Zusicherungen von 1990, die NATO nicht nach Osten zu erweitern

Die USA und die Zusicherungen von 1990, die NATO nicht nach Osten zu erweitern

Die USA und die Zusicherungen von 1990, die NATO nicht nach Osten zu erweitern

Ein Artikel von: Redaktion

Der Westen ignorierte Versprechen aus dem Jahr 1990 und trieb die NATO-Osterweiterung voran. Zitate enthüllen bellizistische Sprache und Heuchelei: Von Bakers Zusicherung „keinen Zentimeter nach Osten“ bis zu Genschers Garantien für ganz Osteuropa. Ein Auszug aus dem morgen erscheinenden Buch „Chronik eines angekündigten Krieges“ von Marc Trachtenberg und Marcus Klöckner entlarvt den Friedensschwindel und warnt uns vor dem daraus resultierenden Wahnsinn.

Die USA und die Zusicherungen von 1990, die NATO nicht nach Osten zu erweitern: Erhellendes zu einem alten Problem

Mehr als dreißig Jahre sind vergangen, seit US-Außenminister James Baker dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow im Februar 1990 versicherte, dass der Zuständigkeitsbereich der NATO „keinen Zentimeter nach Osten” ausgedehnt würde, wenn Deutschland nach der Wiedervereinigung Teil der Nordatlantikpakt-Organisation und die Vereinigten Staaten in diesem Land „präsent” blieben. Später wurde das NATO-Gebiet natürlich nicht nur auf die ehemaligen Verbündeten der UdSSR in Osteuropa, sondern auch auf einige ehemalige Sowjetrepubliken ausgedehnt, und viele Russen behaupten, dass die NATO-Mächte mit der Aufnahme dieser neuen Mitglieder gerade die Versprechen gebrochen hätten, die Baker und andere hohe westliche Beamte am Ende des Kalten Krieges abgegeben hatten. Die Amerikaner hatten, wie 2008 Gorbatschow selbst klar gesagt hat, „versprochen, dass die NATO nach dem Kalten Krieg sich nicht über die Grenzen Deutschlands hinausbewegen würde, aber jetzt ist halb Mittel- und Osteuropa Mitglied, was ist also aus ihren Versprechen geworden? Das zeigt, dass man ihnen nicht trauen kann.”

Was ist von diesen Anschuldigungen zu halten? Jack Matlock, der US-Botschafter in Moskau im Jahr 1990, war der Ansicht, dass die Russen in diesem Fall recht hatten. Seiner Ansicht nach hatte man Gorbatschow „grundsätzliche Zusicherungen” gegeben, dass, „wenn ein vereinigtes Deutschland in der NATO bleiben konnte, sich die NATO nicht nach Osten bewegen wurde”.

(…) Wer hat also recht? Die Frage ist es wert, detailliert untersucht zu werden, weil die Art und Weise, wie sie beantwortet wird, eine direkte Auswirkung auf bestimmte, viel umfassendere historische Probleme hat – vor allem auf die Frage, wie die Welt nach dem Kalten Krieg zu dem wurde, was sie heute ist. Das Thema bezieht sich auch auf bestimmte grundlegende Aspekte der Theorie der Internationalen Beziehungen, insbesondere auf die Frage, ob der Kampf um die Macht im Mittelpunkt des internationalen politischen Lebens steht. Die Untersuchung dieses Themas kann uns nicht zuletzt etwas Grundlegendes über die Funktionsweise von Diplomatie sagen, insbesondere über die Rolle, die dabei Zusicherungen, Versprechungen und Verpflichtungen in den zwischenstaatlichen Beziehungen spielen.

Aber vielleicht ist der Hauptgrund, warum dieses Thema es wert ist, untersucht zu werden – und auch der Hauptgrund, warum dadurch weiterhin so viele Debatten ausgelost werden –, derjenige, dass sich dieses Thema direkt auf bestimmte grundlegende politische Fragen bezieht. Wie diese dann beantwortet werden, hat einen ganz offensichtlichen Einfluss darauf, wie wir über die NATO-Erweiterung und ganz allgemein über die amerikanische Politik nach dem Kalten Krieg denken sollten. (…) Man kann mit der Behauptung beginnen, dass die deutsche Wiedervereinigung das einzige Thema gewesen sei, das die Menschen damals wirklich beschäftigte, dass der Zusammenbruch des Warschauer Paktes nicht als ernsthafte Möglichkeit angesehen wurde und eine Ausweitung der NATO nach Osteuropa einfach „unvorstellbar” war.

Und der erste Punkt, der hier angemerkt werden muss, ist derjenige, dass viele Menschen damals sehr wohl glaubten, die Tage des Warschauer Paktes seien gezählt. Genscher zum Beispiel erkannte klar, dass der Pakt auseinanderfallen könnte. Ein Satz in seiner wichtigen Rede, die er im Januar 1990 in Tutzing (Deutschland) hielt – „Was immer im Warschauer Pakt geschieht [Hervorhebung – M. T.], eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenze der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.” –, deutet stark darauf hin, dass er diese Möglichkeit vor Augen hatte.

Genschers Grundgedanke war zudem, dass die deutsche Frage nicht auf rein deutscher Basis gelöst werden könnte, sondern vielmehr in einem größeren, gesamteuropäischen Rahmen behandelt werden müsste. Die Wiedervereinigung Deutschlands müsse unter Berücksichtigung der Interessen aller erfolgen, und deshalb legte er großen Wert auf die Nutzung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), der einzigen großen gesamteuropäischen Sicherheitsinstitution, die es damals gab. (Diese Überlegung knüpfte an die alte, im deutschen politischen Diskurs seit den 1960er-Jahren häufig verwendete Idee einer „europäischen Friedensordnung” an, ein Begriff, den Genscher selbst verwendete.) Und es war schon damals ganz offensichtlich, dass er in diesem Zusammenhang ausdrücklich an Osteuropa dachte. Er wollte den Sowjets zusichern, dass der Westen „die Instabilität in Osteuropa nicht zu seinem Vorteil ausnutzen wurde” – ein Kalkül, das nur dann Sinn ergab, wenn dies damals eine echte Sorge war. (…) Im Falle Genschers besteht kaum ein Zweifel, dass er an Osteuropa als Ganzes dachte. Das geht aus seiner Tutzinger Rede vom 31. Januar 1990 eindeutig hervor. Wie bereits erwähnt, deutet schon der Wortlaut seiner dortigen Zusicherung, was „immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, naher an die Grenze der Sowjetunion heran, wird es nicht geben”, darauf hin, dass er an ein mögliches Auseinanderbrechen des Warschauer Pakts gedacht hat; das wiederum zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit, die Zusicherung sollte für das gesamte Gebiet des Warschauer Paktes gelten.

Damit wolle er es den Sowjets leichter machen, einer Wiedervereinigung Deutschlands zu Bedingungen zuzustimmen, die auch der Westen akzeptieren könne, so der Minister weiter: „Diese Garantie wird für die Sowjetunion und ihre Haltung von Bedeutung sein.” Dann wies er erneut auf Osteuropa als Ganzes hin: „Der Westen muss sich von der Erkenntnis leiten lassen, dass die Veränderungen in Osteuropa und der deutsche Einigungsprozess die sowjetischen Sicherheitsinteressen nicht gefährden dürfen.” In privaten Gesprächen mit britischen und italienischen Staatsoberhäuptern war Genscher sogar noch deutlicher. Gegenüber beiden Regierungen erklärte er kategorisch, dass die Zusicherungen der Nichterweiterung der NATO nicht nur für Ostdeutschland, sondern auch für Osteuropa insgesamt gelten würden.

Was Genscher allerdings während seines Treffens mit Baker am 2. Februar 1990, zwei Tage nach seiner Tutzinger Rede, und unmittelbar danach sagte, war noch wichtiger. Die beiden Außenminister sollten etwa eine Woche später nach Moskau reisen, und es war wesentlich sicherzustellen, dass beide mit einer Stimme sprechen würden. Einem Telegramm zufolge, das über das Treffen auf Bakers Bitte an Vernon Walters, den damaligen US-Botschafter in Bonn, geschickt wurde, „bestätigte Genscher, dass die Neutralität eines vereinigten Deutschlands nicht in Frage kommt. Das neue Deutschland würde in der NATO bleiben, weil die NATO ein wesentlicher Baustein für ein neues Europa sei. Mit dieser Aussage bekräftigte Genscher die Notwendigkeit, den Sowjets zu versichern, dass die NATO ihren territorialen Geltungsbereich weder auf das Gebiet der DDR noch auf andere Gebiete in Osteuropa ausdehnen werde. (Er äußerte sich so nach dem Treffen gegenüber der Presse.)” Und was genau hatte Genscher den Journalisten gesagt? Aus dem offiziellen Protokoll des US-Außenministeriums über die Pressekonferenz geht eindeutig hervor, dass aus Genschers Sicht die Zusage der Nichterweiterung der NATO nicht nur für Ostdeutschland, sondern für ganz Osteuropa gelten sollte:

„GENSCHER: Vielleicht darf ich hinzufügen, wir waren uns völlig einig, dass es keine Absicht gibt, das NATO-Verteidigungs- und Sicherheitsgebiet nach Osten auszudehnen. Das gilt nicht nur für die DDR, die wir uns nicht einfach einverleiben wollen, sondern das gilt ebenfalls für alle anderen Staaten im Osten. Wir erleben zurzeit dramatische Entwicklungen im gesamten Osten, im COCOM (Coordinating Commitee for East West Trade Policy der NATO-Staaten für Embargomaßnahmen gegenüber dem Osten, möglicherweise hier aber ein Protokollfehler, denn Sinn an dieser Stelle ergäbe nur ein Verweis auf COMECON, den Wirtschaftsverbund der Ostblockstaaten – der Übers.) und im Warschauer Pakt. Ich denke, es ist Teil dieser Stabilitätspartnerschaft, die wir dem Osten anbieten können, dass wir klar und deutlich machen, dass, was auch immer innerhalb des Warschauer Paktes geschieht, auf unserer Seite keine Absicht besteht, unser Verteidigungsgebiet – das Gebiet der NATO – nach Osten auszudehnen.”

Und das ist noch nicht alles. Man kann sich sogar einen Ausschnitt aus einer Videoaufzeichnung der Pressekonferenz ansehen, der Genschers Ausführungen enthält.

Titelbild: 360b/shutterstock.com

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