Raketen, Panzer, Waffen, Kampf, Krieg und jetzt: Zwang! Der Militarismus in den Medien breitet sich immer weiter aus. Nun stürmt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) mit einer Forderung nach vorne, die die zunehmende autoritär-militaristische Schließung des Mediensystems dokumentiert. „Debatte um Wehrpflicht: Deutschland muss seine Bürger zur Waffe zwingen“. Überraschung: Der Beitrag kommt von einem Redakteur, der Unternehmenssprecher bei dem Waffenhersteller Heckler & Koch war. Die Forderung ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Sie ist unmenschlich und barbarisch. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“ – diese Aussage stammt nicht von einem Friedensaktivisten, sondern aus dem Grundgesetz. So ist es zu lesen in Artikel 4 Absatz 3. Dieser Teil des Grundgesetzes ist von elementarer Bedeutung. Es ist einem Journalisten nicht verboten, die Hintergründe des grundgesetzlich verankerten Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zu kennen. Artikel 4 Absatz 3 ist als Reaktion auf die Schrecken der Nazi-Zeit zu verstehen. Im Dritten Reich waren die Strafen für Bürger, die den Dienst an der Waffe ablehnten, drakonisch – bis hin zur Todesstrafe. In zahlreichen Resolutionen der UN-Menschenrechtskommission (heute: UN-Menschenrechtsrat) wurde die Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung als legitimer Ausdruck der Gewissensfreiheit anerkannt.
Einen Menschen zum Dienst an der Waffe zu zwingen, was in letzter Konsequenz heißt, ihn zu zwingen, gegen seinen Willen andere Menschen zu töten oder sich selbst töten zu lassen, das ist unmenschlich und ein Akt der Barbarei.
Nun gehört es zu einer pluralistischen Gesellschaft, dass jeder seine Meinung kundtun darf. Dass Medien, die sich der Demokratie verpflichtet fühlen, diesem Ansatz Folge leisten und ein möglichst breites Meinungsspektrum abbilden sollten, versteht sich von selbst.
Allerdings: Medien selbst betonen immer wieder, dass sie – gerade im Sinne der Demokratie – extremen und radikalen Ansichten kein Forum bieten möchten.
Das lässt sich sicherlich auch gut begründen. Je extremer und radikaler Ansichten sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass mit diesen Ansichten der Absurdität, dem Abstrusen und vielleicht sogar der Menschenfeindlichkeit ein öffentlicher Raum geboten wird. So weit, so gut. Hier ist aber nun die NZZ, und das ist die Aussage: „Deutschland muss seine Bürger zur Waffe zwingen“.
Die Aussage ist in einem Vorschaubild auf der Plattform X auf dem dortigen Kanal der NZZ zu sehen. Das heißt: Wer diese Plattform nutzt und den Link des NZZ-Artikels in einen Tweet kopiert, sieht das Vorschaubild des Artikels samt der zitierten Überschrift. Klickt man das Bild an, öffnet sich der NZZ-Artikel – allerdings unter einer anderen Überschrift. Die Überschrift des Artikels lautet: „Die Deutschen müssen zur Not zum Wehrdienst gezwungen werden“. Hier muss die Redaktion also „nachgebessert“ haben. Nur: Keine dieser Überschriften bzw. Aussagen ist besser als die andere. Beide sind ungeheuerlich und stehen Grundgesetz sowie Menschenrechten entgegen.
Halten wir fest: Die NZZ hat trotz der von Medien viel beschworenen Formel, man wolle dem Extremen kein Podium bieten, genau das gemacht. Das – an sich genommen – kann aber, bei Lichte betrachtet, noch nicht das Fundament sein, auf dem sich Vorwürfe errichten lassen. Schließlich: Darüber, was als „extrem“ und „radikal“, was als „absurd“ und „abstrus“ eingeordnet wird, gehen die Meinungen auseinander. Genauso, wie darüber die Meinungen auseinandergehen dürfen, ob es richtig ist, wenn sich ein Medium für den Abdruck eines faktisch extremen Standpunkts – bzw. eines Standpunkts, der nur vermeintlich „extrem“ ist – entscheidet. Das nennt sich: Pressefreiheit. Ein Hoch darauf!
Da ist aber ein Problem. Jeder, der die Presse mit einem kritischen Auge betrachtet, weiß: Medienvertreter sprechen in dieser Sache mit gespaltener Zunge und messen mit zweierlei Maß.
Auf dem hohen Ross der „Verantwortung“ reiten die Redakteure in die öffentliche Diskussion. Sie klassifizieren kurzerhand jede Veröffentlichung eines Standpunkts, der sich zu sehr der vorherrschenden Ideologie samt ihrer scheinbar unumstößlichen Wahrheiten entgegenstellt, als „radikal“, „extrem“, ja: „extremistisch“. Ob bei Corona, Russland und vielen weiteren Themen: Fundamentalkritik darf in den ehrwürdigen Gazetten des Landes gar nicht oder nur sehr verhalten geäußert werden, weil: „Verantwortung!“ gegenüber Leserschaft, Bürger, Land, Demokratie und Verfassung, wie es heißt.
Und jetzt zum zweiten Mal: Hier ist aber nun die NZZ. Da steht zu lesen: „Deutschland muss seine Bürger zur Waffe zwingen“ und „Die Deutschen müssen zur Not zum Wehrdienst gezwungen werden“.
Was bedeutet das? Wie soll dieser „Zwang“ aussehen? Unter dem Einsatz von Menschenfängern und körperlicher Gewalt – wie in der Ukraine?
Ruft hier tatsächlich eines der renommiertesten Medien im deutschsprachigen Raum zum Verfassungsbruch auf? Ruft hier die ehrwürdige NZZ zum Akt der Unmenschlichkeit und Barbarei auf?
Wie weit will das Blatt gehen, um Freiräume für den Militarismus zu reißen? Wie weit wollen Medien noch gehen mit ihrer „Stahlhelmchenberichterstattung“? Wenn morgen ein Redakteur einen Beitrag einreicht, worin er die Einführung der Todesstrafe für Wehrdienstverweigerer fordert, knallen dann die Champagnerkorken in den Redaktionen? Wo ist die viel beschworene journalistische Verantwortung, die das Grundgesetz gerade dringend braucht?
Dass der Redakteur, der den Artikel verfasst hat, laut eigenen Angaben zweieinhalb Jahre „Unternehmenssprecher bei Heckler & Koch“ war, macht die redaktionelle Entscheidung, diesen Beitrag zu veröffentlichen, nicht besser – im Gegenteil.
Titelbild: Octavian Lazar / Shutterstock