Rolf Becker – unersetzbar als Künstler für den Frieden

Ein Artikel von Diether Dehm

Rolf Becker (31.3.1935 – 12.12.2025), seit Jahrzehnten enger persönlicher Freund und grandioser Mitstreiter auf der Bühne gegen Imperialismus, ist vor ein paar Tagen gestorben. In einem mehrstündigen Telefonat vor sechs Wochen hatte er mir so etwas vom Krankenbett aus angekündigt, nüchtern, ohne jedes Lamento. Von Diether Dehm.

Wer ihn im Unterhaltungs-TV wie bei „In aller Freundschaft” oder „Tatort“ sieht, kann sich oft nicht vorstellen, wie er Show-Regeln und sogar die klassische Schauspielschule beiseiteschob, wenn es um politische Kundgebungen ging. Sogar, wenn er dort Brecht, Tucholsky, Heine oder Neruda vortrug, geschah dies stets nach Vorgaben einer wirkmächtigen, politischen Rede!

Am 15. April 2009 waren wir – Rolf, Michael Letz am Klavier und ich – von Pastor Peter Strutinsky zum Ostermarsch nach Kassel eingeladen. Ich sang nach ihm. Während seiner (nachfolgend auszugsweise abgedruckten) Rede beschrie ihn eine Handvoll „Antideutscher“ mit Israelfahnen, seitwärts der 600 Ostermarschierer, als „Antisemiten“.

Damals waren diese zionistischen Wortverdreher vom geheimdienstlich-medialen Komplex noch nicht so hochgepäppelt – sodass die anwesenden Medienvertreter über den Schwachsinn öffentlich die Köpfe schütteln durften.

Mehrfach, sogar bei seinem 80. Geburtstag, bedankte er sich später bei mir, dort die Antisemitismus-Groteske zurückgewiesen zu haben. Obwohl: Rolf Beckers Aufrichtigkeit und seinen lebenslangen Kampf gegen Antisemitismus und Antikommunismus zu loben, bedurfte an diesem Mikro in Kassel beileibe keiner sonderlichen Tapferkeit. Eigentlich hätte ich sogar beschämt sein müssen, daß die Randalierer bei meinen Songs schweigsamer geworden waren (https://youtu.be/GAZ8CU9m_JI?si=iLZ0LEUzPcqLkqYD). Vielleicht war ich als MdB und Liedermacher in den Jahren zuvor einfach nur mit der Kritik an der israelischen Armee als MdB und Liedermacher nicht so deutlich geworden wie er.

Rolf Becker – der Weitsichtige, der sich als Marxist verstand – war halt schon damals nicht zu ersetzen. Ein künstlerischer Denker und denkender Künstler, der viel mehr las, als er vorlas, proproletarisch in einem kleinbürgerlichen Beruf, internationalistischer Botschafter in einer nationalen Kultur.

Rede von Rolf Becker beim Ostermarsch 2009 in Kassel:

Und eines Morgens war alles in Flammen,
und eines Morgens brachen Feuerstöße
aus der Erde
und verschlangen Leben,
und von da an Feuer,
Pulver von da an,
und von da an Blut.

Banditen mit Flugzeugen
kamen vom Himmel, um Kinder zu töten;
und in den Straßen das Blut von Kindern:
es floss einfach so, wie Blut von Kindern.

Aber aus jedem toten Kind wird ein Gewehr mit Augen,
aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren.

Ihr werdet fragen, warum meine Dichtung
uns nichts vom Traum erzählt, von den Blättern,
den großen Vulkanen meines Ursprungslandes?

Kommt und seht das Blut in den Straßen,
kommt und seht
das Blut in den Straßen,
kommt und seht das Blut
in den Straßen!

Liebe Friedensfreunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,

die eben zitierten Zeilen sind aus Pablo Nerudas Gedicht „ZUR ERKLÄRUNG EINIGER DINGE“, geschrieben angesichts der Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 – des faschistischen Terrors gegen das republikanische Spanien durch die Milizen der Franco-Generäle, unterstützt von der deutschen Wehrmacht. Sie sind leider übertragbar auf die Kriege – ich beschränke mich auf das letzte Jahrzehnt –, die wir seit 1999 erleben: Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Gaza – sämtlich geführt unter direkter oder indirekter Beteiligung Deutschlands. Der Einwand, die Bundesregierung habe den Angriff auf Gaza doch lediglich gebilligt, überzeugt nicht: Billigung ist nur eine besondere Form der Beteiligung …

Wir haben die genannten Kriege nicht verhindern können. Wir waren, trotz aller Bemühungen, zu schwach. Wir sind zu schwach.

Als sich die Bundesrepublik Deutschland 1999 am Nato-Überfall auf die bis dahin sozialistische Föderation und damit am ersten Angriffskrieg seit 1939, dem Beginn des 2. Weltkriegs, beteiligte, wurde der Protest dagegen nur von wenigen geteilt. Der Propaganda von Regierung und Medien ließ weder die Friedensbewegung noch kapitalismuskritische Parteien und Gruppierungen unbeeindruckt. Das Ja zum Krieg seitens des DGB blieb weitgehend unwidersprochen. Bis heute, zehn Jahre danach, ist es gewerkschaftlich nicht thematisiert, geschweige denn aufgearbeitet worden. Dabei bestünde mehr als Anlass dazu: war es doch seit der Bewilligung der Kriegskredite 1914, die den 1. Weltkrieg überhaupt erst möglich machten, das zweite Ja zu einem Krieg in der Geschichte deutscher Gewerkschaften. Solange wir hier nicht ansetzen und für die Masse der Beschäftigten endlich Klarheit schaffen, wird unser Protest nicht wirksam werden, nicht zum Widerstand, der die Absichten der Herren über Leben und Tod zunichte machen kann. Ein drittes Ja deutscher Gewerkschaftsführungen zu einem Krieg darf es nicht geben!

… In Serbien und im Kosovo – nach wie vor einer Provinz Serbiens, trotz der völkerrechtswidrigen und gegen die Beschlüsse der UNO erfolgten Anerkennung durch die Bundesregierung – waren es 78 Tage. Punktgenau vernichtet: über 300 Schulen und Universitäten, sogar mehrere Krankenhäuser, darunter die Entbindungsstation des Belgrader Krankenhaus Dr. Dragisa Misovic am Bulevar Mira, dem Friedensboulevard, begründet mit der Annahme, sie seien militärisch genutzt worden. Punktgenau auch die Treffer der Splitterbomben auf dem Marktplatz von Nis zur Einkaufszeit …

Auch wenn die US-Truppen teilweise abgezogen und nach Afghanistan verlegt werden sollen, auch hier gilt: „Der Feldzug ist noch nicht zuend“ (Brecht). Die Bewegung gegen diesen, wieder mit Lügen begründeten und gegen Völkerrecht und UNO-Beschlüsse geführten opferreichen Krieg war weltweit und einzigartig in der Geschichte der Friedensbewegung – verhindern konnten wir ihn nicht …

Das Entsetzen über den Einmarsch und das Vorgehen der israelischen Armee ist weltweit – weltweit und hierzulande noch größer allerdings die Ratlosigkeit, wie dem zu begegnen ist. Die Gleichsetzung jeglicher Kritik an der Regierung des Staates Israel mit Antisemitismus, deren einschüchternde Wirkung beabsichtigt ist, hat Desorientierung bis in Parteien und Gruppierungen der Linken zur Folge. Wir sollten uns dadurch weder beirren noch unsere Sprache verbieten lassen, sondern weiterhin Klartext reden. Klartext wie vor Jahren schon Erich Fried mit seinem „Höre Israel“, Klartext wie Uri Avnery in seinen regelmäßig auch auf Deutsch erscheinenden Kommentaren und Moshe Zuckermann in seinem neuen Buch „60 Jahre Israel“, Klartext an der Seite der israelischen Friedensbewegung und der israelischen Kriegsverweigerer. Unsere Kritik ist Kritik bestehender Klassenverhältnisse und Kritik imperialistischer Politik. Sie orientiert sich, bezogen auf Israel und Palästina an den Beschlüssen der Vereinten Nationen, die, würden sie umgesetzt, die Existenz Israels wirksamer und dauerhafter sichern würden als Siedlungsbau und Waffengänge.

Zur vorläufigen Bilanz des Krieges anhand der Angaben der Vereinten Nationen, israelischer und internationaler Presse wie „The Independent“, zitiert aus Noman Paechs Untersuchung „Gaza und das Völkerrecht vom 2. Februar 2009: „Nach Angaben der UN vom 19. Januar 2009 wurden 1340 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet, darunter 460 Kinder und 106 Frauen. 5320 Menschen wurden verletzt, darunter 1855 Kinder, wobei ein Großteil der Verletzungen schwerwiegend ist. Die Zahlen dürften inzwischen noch gestiegen sein.

… Aufgrund des bisher Ausgeführten wäre es unaufrichtig von mir, wenn ich meinen Einwand an einer – meines Erachtens wesentlichen – Forderung im Aufruf zu unserer heutigen Kundgebung nicht hier vor Euch aussprechen würde: Diese Forderung in Euerem Aufruf lautet: „alle Waffenlieferungen an die Kontrahenten im Konfliktgebiet einzustellen“.

… Die Forderung, den Waffenschmuggel für die Palästinenser zu unterbinden, wurde außer von der israelischen Staatsführung bereits mehrfach von der Bundesregierung erhoben – wir müssen sie nicht wiederholen.

Entsprechend meine Bitte an das Kasseler Forum für Frieden und die den Aufruf unterstützenden Organisationen: überprüft, was Euch veranlasst hat, die Zeile zu schreiben und zu veröffentlichen. Bedenkt, dass der vor wenigen Tagen zum Außenminister Israels aufgestiegene Avigdor Lieberman unmittelbar nach seiner Ernennung programmatisch erklärt hat „Si vis pacem, para bellum“ – übersetzt lautet das lateinische Sprichwort, dessen er sich bediente: „Wenn du Frieden willst, führe Krieg.“ Wenn wir demgegenüber nicht eindeutig Stellung beziehen, machen wir uns politisch überflüssig. Und bedenkt, bitte bedenkt die eingangs zitierten Worte Nerudas:

„Aus jedem toten Kind wird ein Gewehr mit Augen,
aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren.“

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