Die große Koalition leidet eher unter falschen Konzepten und Konzeptionslosigkeit als unter Streitsucht.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Am 28.9. erschien ein Interview mit Altkanzler Helmut Schmidt in der „Zeit“. Überschrift: “Es gab keinen Streit. Helmut Schmidt über die Große Koalition von 1966 – und über den fatalen Einfluss der Ministerpräsidenten heute“. Mich hat es bei Lektüre dieses Interviews schon gereizt, etwas dazu zu schreiben. Ich ließ davon ab, weil ich die alten Männer nicht gerne kritisiere. Jetzt kommt aber auch noch Erhard Eppler mit einem ähnlichen Tenor in der Frankfurter Rundschau. Sein Beitrag über die große Koalition ist überschrieben mit: “Undiszipliniertes Palaver”.
Die Aussagen sind sachlich nicht ganz richtig. Auch zwischen Dezember 1966 und September 1969 gab es Konflikte. Noch wichtiger: die beiden Altpolitiker erwecken den Eindruck, als sei das Hauptproblem der heutigen Großen Koalition der Streit und die Disziplinlosigkeit.

Wenn Helmut Schmidt davon spricht, es hätte keinen Streit gegeben, oder Erhard Eppler meint, die damaligen Minister hätten sich an das Ressortprinzip gehalten, dann haben beide Wichtiges vergessen: Der – immerhin von Erhard Eppler erwähnte – Streit um die Anerkennung der DDR durch andere Staaten hat sich über längere Zeit und durchaus mit Blessuren hingezogen. – Der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller hat permanent in andere Ressorts hineinregiert und sich auch öffentlich zu Problemen jenseits seines eigenen Ressorts geäußert. Seine damalige Grundsatzabteilung, die Abteilung I, hatte mehrere Unterabteilungen und Referate, die andere Ressorts widerspiegelten. Das war ein Relikt aus der Zeit des Konfliktes zwischen Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister und Konrad Adenauer als Bundeskanzler. Ludwig Erhard hatte das Wirtschaftsministerium zu einer Art Kontrollressort ausgebaut. Karl Schiller hat die personellen und sachlichen Möglichkeiten weidlich ausgenutzt. – Aber auch der konkurrierende Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß hat sich nach getaner gemeinsamer Arbeit zur Überwindung der Rezession immer wieder in Belange des Wirtschaftsministers eingemischt. Der Bundeswirtschaftsminister war damals nämlich für die Währungspolitik verantwortlich. Beginnend mit dem Sommer 1968 und endend mit dem Wahltermin 1969 haben sich die beiden fast bis aufs Messer öffentlich und darüberhinaus Währungsspekulationen auslösend um die Frage gestritten, ob die D-Mark gegenüber dem Dollar aufgewertet werden soll. Das war ein riesiger Streit, es wurde im Novembers 1968 eigens eine internationale Konferenz nach Bonn einberufen. Sie endete mit einer Hilfskonstruktion. Schiller konfrontierte dann ein halbes Jahr später, am 9.5.1969, Kanzler Kiesinger und das Kabinett mit einer offiziellen Kabinettvorlage, die D-Mark aufzuwerten. Ab da gab es nur noch Krach und dieser bestimmte über weite Strecken das Vorfeld des Wahlkampfes und den Wahlkampf selbst – einschließlich begleitender massiver Währungsspekulationen. Das damalige Koalitionsgremium, der so genannte Kressbronner Kreis, hatte auch damals eine Menge Arbeit und was dort beraten wurde blieb auch nicht immer geheim.

Wie man angesichts dieser Tatsachen davon sprechen kann, es habe keinen Streit gegeben, kann man im Falle von Helmut Schmidt erklären. Er war schon damals zusammen mit Herbert Wehner für die Fortsetzung der großen Koalition und nimmt vermutlich Willy Brandt bis heute übel, dass dieser die sozialliberale Koalition eingefädelt hat. Übrigens war auch einer der wesentlichen Beiträge zum Einfädeln dieser Koalition – die Wahl des Sozialdemokraten Gustav Heinemann durch SPD und den künftigen Koalitionspartner FDP – nicht gerade ein Akt des Friedens für die amtierende Koalition aus CDU, CSU und SPD.

Diese meine Kritik an der historischen Aufarbeitung ist jedoch, das sei noch angemerkt, zweitrangig gegenüber der anderen Kritik der beiden Wortmeldungen. Es fehlt nicht zu aller erst an Disziplin. Die große Koalition verfolgt das falsche Konzept. Das ist der entscheidende Fehler. Die damalige große Koalition war erfolgreicher, weil beide Parteien bessere Konzepte hatten. Am besten sichtbar wird das daran, dass heute beide großen Parteien unfähig sind, eine unserer wirtschaftlichen Lage angemessene Makropolitik zu betreiben und so endlich die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden.