Kein Durchblick und krampfhafte Erklärungsversuche – das folgt aus der Missachtung der Tatsache, dass die Meinungsbildung nahezu gleichgerichtet ist

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Der Wochenrückblick ist heute ein Zwei-Wochen-Rückblick auf die Zeit nach der Wahl. Das Geschehen ist durchzogen von Manipulationsversuchen und -erfolgen und dann von Analysen, die das Phänomen Manipulation missachten und deshalb nicht aufklären können. Dies ist ein Versuch, Sie mithilfe von ein paar Beispielen auf diese immer wiederkehrenden Abläufe und Fehler aufmerksam zu machen. Die Beispiele: Heribert Prantls Nachwahlkommentar „Die Triumphantin“, die Warnungen vor der Großen Koalition, die Linksruck-Agitation bei den Grünen, das Staunen über die Infrastruktur-Defizite, die angeblich so großen Differenzen zwischen der Linkspartei und dem großen Rest. Von Albrecht Müller

  1. Heribert Prantls Bewunderung für Angela Merkel und den Merkelismus

    Prantl bewunderte am 23. September in der Süddeutschen Zeitung Angela Merkels Sieg. Es sei ihr Triumph. Sie als Person habe diesen Wahlsieg errungen und „sie steht nun fast neben Konrad Adenauer“. Der Kommentator erwähnt nicht, dass es Angela Merkel gelungen ist, die deutschen Medien fast ausnahmslos auf sich einzuschwören, vom Fernsehen bis zu Spiegel online, der Bild-Zeitung und auch Teilen der Süddeutschen Zeitung. Für Prantl ist dieser erkennbare Ausfall kritischer Medien kein Problem; kein Problem ist auch die nahezu vollständige Gleichschaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

    Prantl erwähnt selbstverständlich nicht, dass er wesentliche Teile der strategisch angelegten und manipulativen Kampagne der Bundeskanzlerin und ihrer Helfer unterstützt hat. – – Zwei der wesentlichen Botschaften von Union und Angela Merkel waren:

    1. es geht uns Deutschen gut, und
    2. Angela Merkel und die Union sind sozialdemokratisiert.

    Die erste Botschaft transportiert Heribert Prantl auch in seinem erwähnten Kommentar. Wörtlich: „Aber den Deutschen geht es gut und sie haben das Gefühl, dass Merkel sie ordentlich durch die Euro Krise geführt hat.“

    Wahrscheinlich glaubt dies auch der Kommentator. Das ist erstaunlich. Selbst ein so intelligenter Mensch macht nicht darauf aufmerksam, dass man nicht davon sprechen kann, dass es „den Deutschen“ gut geht, und dass das auf die Exportwirtschaft und Teile unseres Volkes zutreffende Gutgehen mit maßlosen Opfern bei europäischen Freunden im Süden erkauft worden ist. Unsere Arbeitslosigkeit ist dorthin exportiert worden.

    Schauen Sie sich den Text des Kommentators genau und kritisch an. Sie werden an jeder zweiten Ecke den Kopf schütteln über so viel Oberflächlichkeit, Fehleinschätzung und Missachtung der Bedeutung von Manipulation und Meinungsmache.

    Ich will nur noch drei Beispiele nennen:

    • Prantl lässt beiseite, man könnte auch sagen: er unterschlägt, dass Merkels Triumph, fast die absolute Mehrheit erreicht zu haben, damit zusammenhängt, dass mit FDP und AfD alleine schon fast 10 % der Wähler bei der Berechnung der Mandate nicht mitgezählt werden. Merkel hat den Prantl-„Triumph“ mit 41,5 % der Zweitstimmen erreicht. Zum Vergleich: Helmut Kohl hatte 1976 48,6 % und 1983 48,8 % für die Union eingefahren.
    • Prantl lässt beiseite, dass Merkels Triumph auch deshalb möglich war, weil die SPD ein jämmerliches Spitzenpersonal angeboten hat – Prantl nennt Steinbrück einen „wackeren Spitzenkandidaten“ – und nie während der gesamten Wahlkampfzeit eine Chance und Option zum Regierungswechsel geboten hat. Da konnte man gleich Merkel wählen.
    • Prantl nimmt die Anerkennung der Homo-Ehe als ein Beispiel und Beleg für den „aufgeklärten Liberal-Konservativismus“ der Angela Merkel. – So etwas wie dieses Imageelement kann man planen und das haben die Strategen der Union und Angela Merkels auch sicher so gemacht. Sie haben überlegt, wie sie die liberal eingefärbten Kommentatoren vom Schlage Prantls packen und rum kriegen können, ohne ihre neoliberale Ausrichtung und ohne ihre Orientierung an den Interessen der Finanzwirtschaft und der Exportwirtschaft aufgeben zu müssen. Und siehe da, es funktioniert.
  2. 40-Milliarden schweres Infrastrukturprogramm zur Sanierung von Straßen- und Schienenwegen

    Anfang Oktober des Jahres 2013 entdecken die Länderverkehrsminister, dass die Verkehrsinfrastruktur, dass Brücken, Straßen, Eisenbahnschienen und Bahnhöfe marode sind und damit auch, dass unsere Volkswirtschaft auf Kosten früherer Leistungen lebt. Und natürlich tauchen nirgendwo die Fragen auf,

    • warum man erst jetzt diese Schwächen und Versäumnisse erkennt,
    • und welcher Art von Meinungsmache man das Wirtschaften und Leben auf Verschleiß zu verdanken hat,
    • und es wird auch nicht der Zusammenhang hergestellt zwischen der festgestellten Infrastrukturdefizite und der Diskussion um Senkung und Erhöhung der Steuern, die im Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen geführt wird.

    In eine Betrachtung des Zustands der Infrastruktur unseres Landes gehört die jahrelange propagierte Formel, der Staat müsse schlanker werden, er sei zu fett, die Steuern müssten gesenkt werden.

    Nebenbei ist zu der laufenden Debatte über die Finanzierung von Investitionen in die Infrastruktur noch anzumerken: Man tut so, als wäre es sinnvoll, einzelnen staatlichen Maßnahmen und Investitionen jeweils Steuern und Abgaben zuzuordnen. Also: eine erhöhte Maut für den Ausbau der Straßen zum Beispiel. – Wir haben es hier mit einem beachtlichen Verlust der Kenntnisse und Einsichten in eine ordentliche Finanzwirtschaft zu tun. In der Finanzwissenschaft kennt man nämlich mit Recht das so genannte Nonaffektationsprinzip. Das bedeutet: alle Steuern und Abgaben kommen in einen Topf und dann wird vom Parlament entschieden, für was das Geld sinnvollerweise ausgegeben wird. Die Zuordnung einzelner Steuern zu einzelnen Ausgaben ist fachlich sachlich ein Rückschritt.

  3. Erstaunen über die mangelnde Option zum Regierungswechsel und Warnungen vor der großen Koalition

    Mehrmals in den vergangenen Tagen seit der Wahl bin ich Sozialdemokraten begegnet, die verwundert wahrgenommen haben, dass es zum rot-grünen Sieg nicht reichte, und die jetzt umso härter verlangen, es dürfe nicht zu einer großen Koalition kommen, denn damit habe man ja schon in der Zeit zwischen 2005 und 2009 schlechte Erfahrungen gemacht.
    Beides hat etwas mit einer stattgefundenen Manipulation zu tun:

    • Die Medien wie auch die Parteiführung der SPD haben lange die Illusion genährt, Rot-Grün habe eine Chance. Nachdenkseitenleser wussten seit über einem Jahr, dass das eine grandiose Fehleinschätzung ist. Die SPD Führung hat ihre Mitglieder und Anhänger dieser Illusion hinterher laufen lassen. Und die Medien haben diesen Luftballon nicht platzen lassen. Sie wollten nicht, dass die SPD Führung gezwungen wird, sich rechtzeitig nach einer anderen Option um zu sehen.
    • Die Haltung der SPD Anhänger zur Großen Koalition wiederum ist auch von Meinungsmache ohne Fundament genährt. Das Wahlergebnis ist so wie es ist. Ob eine große Koalition sinnvoll ist, hängt nicht von den Erfahrungen mit der letzten Koalition zwischen 2005 und 2009 ab. Es kommt zum Beispiel drauf an, mit welchem Personal die SPD in eine solche Koalition einsteigen würde. Wenn sie nur Schrott (Korrektur: Der Ausdruck „Schrott“ tut mir leid. Gemeint ist: „nicht besonders geeignete Personen“) bietet, wie etwa den sich selbst anbietenden Carsten Schneider oder Andrea Nahles oder Thomas Oppermann, dann wird sie in einer großen Koalition untergehen wie ehedem mit Steinmeier und Steinbrück, den damals Wolfgang Schäuble sogar mit der genuin sozialdemokratischen Initiative zu einem Konjunkturpaket abgehängt hat.
      Wenn die Sozialdemokraten stattdessen aus den Erfahrungen einer früheren Koalition zu lernen bereit sind, dann sieht die Bewertung ganz anders aus. Böte die SPD wie für die Große Koalition von 1966 bis 1969 fachlich und publizistisch gutes Personal an, dann könnte sie punkten. Damals trat die SPD mit Brandt als Außenminister, Schiller als Wirtschaftsminister, Wehner als gesamtdeutscher Minister, Wischnewski als Entwicklungsminister an und hat sich in der großen Koalition prächtig profiliert.
      Heute steht es schlecht um die Personalausstattung. Aber wer hindert außer dem Karriereegoismus einiger Personen den SPD-Vorsitzenden daran, sich nach qualifizierten Personal in der SPD und außerhalb der SPD um zu sehen? Nehmen wir zum Beispiel Heiner Flassbeck. Wenn Gabriel und die SPD Führung die Größe hätten, ihn oder jemanden ähnlich qualifiziertes zum Finanzminister vorzuschlagen, dann wäre das ein Qualitätssignal und ein Signal für eine zukunftsweisende Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik.
      Flassbeck ist nur ein Beispiel. Gabriel könnte ja auch den amerikanischen Professor Krugman fragen. Auch das wäre eine sagenhafte Bereicherung am Kabinettstisch in Berlin.
      Es gibt in der deutschen Wissenschaft eine Reihe von Personen, die sich mit Armut und dem Auseinanderdriften der Einkommen und Vermögen beschäftigt haben. Einen solchen Menschen zum Staatssekretär im Sozialministerium vorzuschlagen wäre eine richtige Innovation und die notwendige Provokation für die von der Leyens dieser Welt.
  4. Kretschmanns Warnungen vor dem Linksruck – ein immer wieder erprobtes Rezept der Rechten in allen Parteien

    Winfried Kretschmann beklagte und kritisierte in einem Interview mit der ZEIT den Linksruck seiner Partei. Im konkreten Fall haben Winfried Kretschmann und seine Landesregierung wesentlich zum Verlust der Glaubwürdigkeit der Grünen beigetragen, weil er keinerlei hilfreiche Anstalten machte, um Wege zu suchen, um Stuttgart 21 zu beenden. Er ist deshalb vermutlich mit einem hohen Anteil am schlechten Wahlergebnis der Grünen beteiligt. Also greift er in einem Akt der Vorwärtsverteidigung seine innerparteilichen Gegner an und beklagt den so genannten Linksruck. Damit liefert er die Stichworte für die Gegner der Grünen.

    Diese Methoden sind uns seit über 40 Jahren geläufig, erst bei der SPD, dann immer schon bei den Grünen und jetzt auch bei der Linkspartei. Der rechte Flügel baut seine Position ohne Rücksicht auf das Ansehen der gesamten Partei aus. Die Warnung vor dem Linksruck hilft, rechte Positionen zu verstärken und auch das rechte Personal sattelfest zu verankern. So haben es die Seeheimer bei der SPD gemacht, so machen es die Realos bei den Grünen, so macht es der so genannte Reformflügel bei der Linkspartei.

    Über diese Art von Meinungsmache wird jedoch nicht berichtet. Die Rechten in den einzelnen Parteien werden von der Mehrheit der Medien geschont und gefördert.

  5. Der Kampf gegen den Machtwechsel und zur Stabilisierung der Macht der Konservativen für alle Ewigkeit

    Damit in der Öffentlichkeit ja nicht der Eindruck entsteht, eine Beteiligung der Linkspartei an der Regierung oder eine Duldung durch sie sei möglich, und damit sei auch eine politische Konstellation links von Frau Merkel möglich, werden die Gräben zur Programmatik der Linkspartei kräftig ausgehoben. Ein Beispiel der Agitation in den Medien finden Sie hier. Spiegel online hatte zwei Redakteure beauftragt zu belegen, wie die Linke Rot-Rot.Grün verhindert.
    Dafür muss insbesondere das Thema Krieg und Frieden und die Macht der Fundis im Westen herhalten. Allein dieses Stück zeigt schon, welche düsteren Zeiten in einem früher einmal einigermaßen aufklärenden Organ, dem Spiegel, ausgebrochen sind:

    Wegen der Linkspartei würden Abstimmungen zu einer Zitterpartie, wird behauptet. Die Wirklichkeit sieht ein bisschen anders aus. In Hessen zum Beispiel wurde die Abstimmung über ein rot-grün-rotes Bündnis wegen der Unzuverlässigkeit des rechten Flügels der SPD zur Zitterpartie. Andrea Ypsilantis Versuch scheiterte nicht an der Linkspartei sondern an der SPD. Aber Fakten spielen bei der Agitation unserer famosen Medien keine Rolle.

    Das gilt auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Da werden Differenzen zu einem Syrien-Einsatz angedeutet, obwohl es dazu gar keine Festlegung der anderen Parteien gibt. Und wenn SpiegelOnline die Differenzen oder Gemeinsamkeiten zum Thema NATO wirklich ausloten wollte, dann müssten die Herren Redakteure mal nachprüfen, welche Position die SPD noch beim Grundsatzprogramm von 1989 formuliert hatte: die Auflösung beider Blöcke und ein System gemeinsamer europäischer Sicherheit war das Ziel Die SPD war nah an der heutigen Position der Linken. – Jetzt aus den Differenzen unüberwindbare Hindernisse zu konstruieren, zeigt einfach nur das Anliegen dieser Medien. Sie wollen mit ihrer Meinungsmache verhindern, dass es eine Alternative zu der Kanzlerschaft Merkel gibt.

Fazit:

Ohne Blick auf die Manipulationen und gezielten Strategien der Meinungsmache begreift man die Wirklichkeit nicht. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu. Aber viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wie auch vor allem viele Journalisten lassen diese Erkenntnis lieber beiseite. Damit lebt sich’s besser, weil man sich leichter in die große Gemeinde der Gleichzurechtgesinnten einbetten kann.

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