Die Souffleure der Macht – Bertelsmann als informelles Bildungsministerium?

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Referat im Rahmen der Vortragsreihe „Ende der Geschichte oder Geschichte ohne Ende. Wohin steuert die Wissensgesellschaft?“ an der Philipps-Universität Marburg am 6.12.2006 von Wolfgang Lieb.

Die Souffleure der Macht – Bertelsmann als informelles Bildungsministerium?

Von Wolfgang Lieb

Anrede,
zur Vorbereitung auf meinen heutigen Vortrag „Souffleure der Macht – Bertelsmann als informelles Bildungsministerium?“ hätte ich Sie eigentlich bitten müssen:

Googeln Sie doch einfach mal ein wenig herum und geben Sie in die Suchfunktion beim Landesportal Hessen, beim Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst oder bei Ihrer Universität die Suchworte „Bertelsmann“, „Centrum für Hochschulentwicklung“ oder einfach “CHE“ ein:
Sie dürften überrascht sein, auf wie viele Fundstellen Sie stoßen.
Ich habe das spaßeshalber als Vorbereitung für meinen heutigen Vortrag einmal gemacht:

Die Einträge im Portal der hessischen Landesregierung reichen von Pressemitteilungen über das gemeinsame Projekt des hessischen Kultusministeriums und der Bertelsmann Stiftung zur „Musikalische Grundschule“, über gemeinsame Förderprojekte von Bachelor-Studiengängen, bis zu einer Bertelsmann Studie über die Sicherheitslage des Landes. Mehrfach sonnt sich dort die hessische Landesregierung im sog. Bertelsmann-Standort-Ranking, sogar das Landeskabinett befasste sich damit.
Die Bertelsmann-Studie „Demographischer Wandel“ gilt als Orientierungsmaßstab für eine familienfreundliche Stadtpolitik. Es wird auf die Ergebnisse der Bertelsmann-Umfrage „Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen“ (Corporate Social Responsibility) hingewiesen oder das Netzwerk „Kommunen der Zukunft“ empfohlen, das Bertelsmann gemeinsam mit der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung initiiert hat,.
Das gemeinsame Projekt von Bertelsmann und dem NRW-Innenministerium „www.kommunalerbürgerhaushalt.de“ taucht genauso auf, wie der gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium und der Gütersloher Stiftung veranstaltet Wettbewerb zur kommunalen „Integrationspolitik“.
Die für die Landesregierung Hessens relevante Bandbreite der Bertelsmannstiftung reicht bis zur Gemeindeunfallversicherung, zur frühkindlichen Erziehung unter dem Titel „Guck mal“ oder zur Altenpflege. Auch der Bertelsmannsche Lesebarometer ist eines Hinweises wert. Und für Abschlussprüfungen wird Bertelsmanns „Was muss ich wissen“ empfohlen.
Sie könnten aber auch auf der Hompage der Philipps-Universität suchen und fänden dort etwa,

  • dass sich die Marburger Volkwirte rühmen, beim CHE-Forschungsranking 2005 wieder unter den Top Ten gelandet zu sein.
  • Es wird auf das Abschneiden der Philipps-Universität in dem am 3. Mai veröffentlichten Hochschulranking 2006 des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) hingewiesen.
  • Man findet ein Drittmittelprojekt „Ökonomische Bildung online“ das von der Bertelsmann Stiftung gefördert wird. (Prof. Dr. Wolfgang Kerber)
  • Forschungsprojekte des Soziologischen Instituts werden im Verlag Bertelsmann Stiftung veröffentlicht.
  • Ein Marburger Hochschullehrer trägt zum Thema „Hochschulauswahlverfahren des CHE“ vor. (Prof. Dr. Lothar Schmidt-Atzert)
  • Man erfährt dass der Präsident der Marburger Uni früher einmal zusammen mit dem ökonomischen Ratgeber für das Bertelsmann-Standort-Ranking, dem erzliberale Wirtschaftswissenschaftler und Botschafter der sich selbst als neoliberal bezeichnenden „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ Professor Ulrich van Suntum von der Universität Münster, gemeinsam einen Band zum Thema Grundlagen und Erneuerung der Marktwirtschaft herausgegeben hat.

Sicherlich viele dieser Hinweise und viele der von Bertelsmann angebotenen Dienste sind politisch unbedenklich, ja vielleicht sogar hilfreich. Die Suchantworten zeigen zunächst eigentlich nur, auf wie vielen Feldern mit landes- oder hochschulpolitischer Relevanz Bertelsmann tätig ist.
Sie belegen sicherlich noch lange nicht den politischen Einfluss und die ideologische Wirkung der Bertelsmann Stiftung.
Man darf aber wohl mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das, was im Internet angeboten wird, nur die Spitze eines Eisbergs ist.
Nicht erwähnt sind dabei selbstverständlich die intern herangezogenen Studien, Bewertungen oder Ratschläge, die etwa die hessischen Ressorts von Bertelsmann angefordert haben oder die Bertelsmann großzügigerweise von sich aus geliefert hat. Nicht erfasst ist auch, auf welchen Veranstaltungen der Stiftung hessische Politiker aufgetreten oder eingeladen waren. Und schon gar nicht ist nachvollziehbar, zu welchen Themen, das Parlament, die Landtagsfraktionen sich Rat von Bertelsmann-Experten oder aus Studien geholt haben.
Man kann gar nicht nachhalten, wie viele Mitarbeiter der hessischen Landesregierung oder von hessischen Behörden auf von der Stiftung angebotenen Seminaren oder Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen haben.
Mit ziemlicher Sicherheit hat Bertelsmanns CHE etwa bei der Einführung von Studiengebühren in Hessen oder bei Schulreformen seine Ideen ins Spiel gebracht. Jedenfalls werden die hessischen Pläne auf der Website des CHE häufig angesprochen.

Ich will Sie nicht weiter mit meinen Fundstücken langweilen.
Aber worauf will ich mit diesen Hinweisen aufmerksam machen?
Kennen Sie irgendeine Institution in dieser Gesellschaft, die politisch so breit aufgestellt ist, die auf so vielen politischen Feldern ihren Rat anbietet oder die so präsent ist, wie die Bertelsmann Stiftung?
Sie können einfach einmal die Homepage der Bertelsmann Stiftung selbst oder auf unserer Website www.nachdenkseiten.de unter der Rubrik „Sachfragen“ das Stichwort Bertelsmann anklicken, dann bekommen Sie einen Eindruck darüber, wo und womit Bertelsmann überall tätig ist.
Kaum ein Unternehmen in Deutschland ist so mächtig wie Bertelsmann.
Die Bertelsmann AG mit Hauptsitz in Gütersloh ist der größte europäische Medienkonzern. Mit einem Umsatz von 17 Milliarden Euro und 88.000 Beschäftigten in mehr als 60 Ländern, der fünftgrößte weltweit. Das Familienunternehmen Mohn begann vor drei Generationen mit Büchern und später Schallplatten, baute Leseringe auf, kaufte in den letzten Jahrzehnten Großdruckereien und Verlage und stieg ins Funk-, Fernseh- Film- und Musikgeschäft ein.
Die Bertelsmann gehörende Verlagsgruppe Random House ist die weltgrößte englischsprachige und die zweitgrößte deutschsprachige Verlagsgruppe. Zu ihr gehören neben den unter dem Namen Bertelsmann erscheinende Verlage, etwa die Deutsche Verlags-Anstalt, Heyne, Kösel, der Luchterhand Literaturverlag, Goldmann, Siedler und viele andere mehr, dazu auch die Buchhandlungskette Ludwig.
Nach firmeneigenem Bekunden schalten „Jeden Tag … mehr als 170 Millionen Zuschauer einen (der zu Bertelsmann gehörenden) Fernsehsender von RTL Group an: RTL Television, Super RTL, VOX oder N -TV in Deutschland, M6 in Frankreich, Five in Großbritannien, Antena 3 in Spanien, RTL 4 in den Niederlanden, RTL TVI in Belgien und RTL Klub in Ungarn ein – um nur wenige zu nennen“.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind mit Bertelsmann verbandelt. So ist zum Beispiel der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Klaus-Peter Siegloch im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung. So auch der frühere ZDF Intendant Dieter Stolte, der z.B. 1999 eine kritische Reportage über die Rolle Bertelsmanns im Dritten Reich verhinderte. Der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Peter Frey, ist „Fellow“ des von Bertelsmann getragenen „Centrums für angewandte Politikforschung“ (CAP).
Das Bertelsmann Zeitschriften-Imperium beherrscht die Kioske: Der Verlag Gruner + Jahr gehört zu 74,9% der Bertelsmann AG. Gruner + Jahr ist wiederum mit einer Sperrminorität von 25,25% am Spiegelverlag beteiligt. Stern, GEO, Capital, Brigitte, das manager-magazin, die Financial Times Deutschland sind nur einige wenige der Titel, die unter der Regie des Mutterkonzerns stehen.
Radiostationen, Filmproduktion, Rechtehandel, sowie Immobilien, Finanzfirmen und zunehmend bedeutsam – auch private Bildungsinstitute wie etwa das „Hamburger Institut für Lernsysteme“ (ILS) gehören zum Bertelsmann-Konzern.
Ganz interessant ist nebenbei, dass der gleichfalls zu Bertelsmann gehörende international agierende Internet- und Logistikmoloch Arvato z.B. in Großbritannien schon ganze Kommunen managt, Gebühren erhebt und Steuern einzieht.
Mit einem zusammen mit der Axel Springer AG betriebenen Tiefdruckunternehmen gehört Bertelsmann zu den europäischen Marktführern im Zeitschriftendruck.
Auch die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ kooperiert eng etwa mit dem Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung und ist dessen medialer Partner bei den Hochschulrankings
Und es ist ja nicht unter der Decke geblieben, dass die beiden „Grande Dames“ des deutschen Medienwesens Liz Mohn und Friede Springer in freundschaftlicher Verbundenheit zu Angela Merkel stehen.
Die Medienkonzentration und die Oligopolisierung der veröffentlichten Meinung in Deutschland und ihre Auswirkungen auf die Vielfalt der Meinungen und damit auf die demokratische Meinungsbildung im Lande wäre ein eigenes Thema wert, aber darum soll es heute nicht in erster Linie gehen.
Zu welchen Merkwürdigkeiten die Medienmacht von Bertelsmann führen kann, nur zwei kleine, scheinbar nebensächliche Beispiele:
Kritik an Personen, Firmen oder Institutionen zu üben, sollte in einer offenen Gesellschaft – zumindest theoretisch – immer und überall möglich sein. Damit Kritik allerdings wirkungsmächtig werden und zu einer Veränderung der kritisierten Zustände beitragen kann, bedarf es nicht zuletzt ihrer Aufnahme und Verbreitung durch die Massenmedien. Sollte es sich bei dem Kritisierten jedoch um einen einflussreichen Medienkonzern handeln, kann genau das zum Problem werden – eine Erfahrung, die auch Thomas Barth machen musste.
Er wollte die Vorträge eines Anti-Bertelsmann-Kongresses im Juli 2006 in Hamburg als Tagungsband herausgeben. Wie er kürzlich selbst berichtete, wollte kein einziger deutscher Verlag das Buch publizieren. Barth musste selbst zum Verleger werden.
Oder eine zweite Merkwürdigkeit:
Thomas Leif, ein renommierter Publizist, SWR-Chefreporter und Mitbegründer des berühmten »Netzwerks Recherche«, einer Journalistenvereinigung, die für ein lupenreines Berufsethos eintritt, hat einen Bestseller unter dem Titel „beraten und verkauft“ geschrieben. Ein – wie es angepriesen wird – „Schwarzbuch der Beraterbranche“. Das Buch ist wirklich interessant und erhellt die Vorgehensweisen der McKinseys, Roland Bergers oder der Boston Consulting- Leute. Auffallend ist, dass der wirkungsmächtigste Politikberater in der Republik, die Bertelsmann Stiftung, noch nicht einmal im Sachverzeichnis erwähnt wird.
Das Buch wurde von der Verlagsgruppe Random House im C. Bertelsmann Verlag verlegt. Wer mag da noch an einen Zufall glauben, dass Leifs Kritik am Beraterunwesen bei Bertelsmann Halt machen musste?
Im Vordergrund soll heute aber nicht das Thema Medienmacht und Demokratie, sondern die unmittelbare politische Beeinflussung durch Bertelsmann stehen – und da kommt die Bertelsmann Stiftung ins Spiel.
Der Firmenpatriarch Reinhard Mohn hat die Stiftung 1977 gegründet und ihr 76% der Anteile an der Bertelsmann AG übertragen.
Sie ist die reichste Stiftung in Deutschland mit einem Jahresetat zwischen 60 bis 70 Millionen Euro. Mit etwa 300 Mitarbeitern, die bis zu 100 Projekte betreuen, hat sie sich in den 90er Jahren zu einem führenden deutschen Think-tank entwickelt. Das Spezifikum der Stiftung ist, dass sie keine extern gestellten Forschungsanträge fördert sondern nur von ihr selbst definierte Projekte finanziert.
„Eigentum verpflichtet“ nennt Reinhard Mohn als Motiv für seine Stiftung. Doch so ganz altruistisch motiviert dürfte die Übertragung von über dreiviertel der Kapitalanteile an der Bertelsmann AG an eine Stiftung nicht gewesen sein. Es gibt Schätzungen wonach Mohn, dadurch dass er dieses Kapital „gestiftet“ hat gut zwei Milliarden Erbschafts- und/oder Schenkungssteuer „gespart“ hat. Zudem sind die jährlichen Dividendezahlungen an die „gemeinnützige“ Stiftung steuerbegünstigt und die Vermutung dürfte nicht unbegründet sein, dass sie mit ihrem jährlichen Etat ungefähr so viel Geld ausgibt, wie sie beim Fiskus an Steuern spart.
Nach eigenem Bekenntnis will Reinhard Mohn, dass seine Stiftung „nicht nur ein bedeutender Reformmotor für die Gesellschaft, sondern auch ein Garant der Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann“ sein soll. Der Göttinger Soziologe und Kenner der internationalen Stiftungslandschaft, Frank Adloff, kritisiert wohl nicht ganz zu unrecht, dass für solche Zwecke, für die die Stiftung steht, „die Steuerbefreiung für gemeinnützige Stiftungen aber nicht gedacht“ sei.
Denn die Bertelsmann Stiftung ist – entgegen dem Anschein, den sie zu erwecken versucht – eben keine neutrale Einrichtung zu uneigennützigen Zwecken.
Man kann Reinhard Mohn nicht vorwerfen, dass er mit seiner „Mission“ hinter dem Berg hält. Jeder kann sie auf der Website der Bertelsmann Stiftung oder in seinem Buch „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ nachlesen. Der Bertelsmann-Firmenpatriarch legte in zahlreichen Schriften seine persönliche Weltanschauung dar. „Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang“, meinte Mohn schon 1996 in einem Stern-Interview.
Er vertritt eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt, die auf eine korporatistische Unternehmenskultur setzt, den Sozialstaat als überdehnt oder gar überholt betrachtet und eine über Wettbewerb hergestellte Effizienz als Steuerungsinstrument an die Stelle von Mitbestimmung und demokratischer Gestaltung setzen will. Und immer geht es auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und um die Senkung der Steuerlast.
Und im Hinblick auf diese Mission ist die Stiftung – wie der Tagesspiegel unlängst schrieb – eine „Macht ohne Mandat“. Etwas vorsichtiger, muss man zumindest von einer Machtbeeinflussung und einem Vorantreiben des gesellschaftlichen Wandels ohne Kontrolle sprechen.
Wenn man Vertretern der Bertelsmann Stiftung diesen Vorhalt macht, erntet man regelmäßig die treuherzig bescheidene Antwort: „Wir machen doch nur Vorschläge, entscheiden tut die Politik.“
Unter dem Pathos der „Gemeinwohlverpflichtung“ oder „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ (so Reinhard Mohn) gibt es kaum ein politisches Feld von Bedeutung, wo die Stiftung mit ihren Handreichungen nicht ihre Lösungsangebote macht:
Von der so genannten Reformpolitik (also etwa der Agenda 2010 oder den Hartz-Gesetzen), über die demografische Entwicklung, die Kommunal-, die Gesundheits-, die Finanz-, die Schul-, ja sogar die Außen- und Verteidigungspolitik bis hin zur Altersvorsorge oder zum Bibliothekswesen und dem Wissensportal www.wissen.de oder bis zum unlängst veranstalteten Familiengipfel, vom Bundespräsidenten, über den Bundeskanzler und den Bundes- und vor allem Landesministerien, bis hin zur Kommunal- oder Finanzverwaltung überall bietet die Stiftung ihre „Lösungen für die Zukunft“ an.
Und was noch entscheidender ist, die Lösungskonzepte werden auf allen Ebenen, von zahllosen öffentlichen oder halböffentlichen Institutionen, von Regierungen und Parlamenten und von fast allen Parteien von der FDP, über die CDU oder die SPD bis zu den Grünen im Sinne des herrschenden Modernisierungsdenkens begierig aufgegriffen.
Bertelsmann liefert zahllose Angebote vor allem für die Schulen:
Von „Bildungswegen in der Informationsgesellschaft (BIG 2006), über Gesundheitserziehung, Notebooks im Schulranzen, Förderung der Musikkultur bei Kindern, „Wirtschaft in der Schule“, „Toolbox Bildung“ bis zu den Projekten „Eigenverantwortliche Schule und Qualitätsvergleich in Bildungsregionen“.
Unter dem Titel „SEIS macht Schule“ bietet die Bertelsmann Stiftung den Schulen ein Selbstevaluations- und Steuerungsinstrument an, das den „Entwicklungsprozess einer Schule zielgerichtet, effizient, systemisch und nachhaltig“ voranbringen soll. Ein Netzwerk von weit über 1000 sog. innovativen Schulen in 16 Bundesländern ist schon aufgebaut.
Mit dem Bertelsmann-Projekt „Media Smart“ soll absurder Weise gerade die werbetreibende Wirtschaft selbst in den Schulen „Medien- und Werbekompetenz“ fördern.
Bertelsmann biete neue Steuerungsmodelle etwa für öffentliche Bibliotheken, den „Bibliothekindex“, die „Bibliothek 2007“ und last but not least plant die Stiftung den Aufbau der Deutschen Internetbibliothek.
Bertelsmann legt Studien zum demografischen Wandel vor. Das Ergebnis ist immer das Gleiche, die sozialen Sicherungssysteme bluten angesichts der Überalterung aus, private Vorsorge ist die Rettung.
Die Stiftung führt etwa am 20. November 2006 in Berlin zusammen mit dem Internationalen Währungsfond IWF hochrangig besetzte Symposien über die Situation der öffentlichen Finanzen durch. Ergebnis: “Wir brauchen eine Neuverschuldung von Null, etwas anderes kann sich niemand mehr leisten”.
Bertelsmann hat Politiker wie den Europaparlamentarier Elmar Brok auf der pay roll, dem nachgesagt wird, dass er die Erhebung von Studiengebühren in der EU-Verfassung festschreiben lassen wollte.
Der Bertelsmann Stiftung verfolgt die Idee eines Niedriglohnsektors, sie war an der Ausgestaltung des früheren Bündnisses für Arbeit, der Agenda 2010 und von Hartz IV wesentlich beteiligt.

Bei Bertelsmann absolvierten Schröder, Fischer, Merkel pünktlich ihre Antrittsbesuche. Von ihr stammt die Idee der Notwendigkeiteines europäischen Außenministers und sie nimmt sich auch der europäischenMilitärpolitik im Sinne der Verteidigung europäischer „Interessen“ an.
Bertelsmann lädt zusammen mit dem österreichischen Bundeskanzler zum Salzburger Dialog.
Bertelsmann organisiert die 30 Millionen-Kampagne „Du bist Deutschland“.
Ich könnte den ganzen Abend allein mit der Aufzählung der Bertelsmann- Projekte füllen.
Nahezu alle stehen im Dienste dem Bertelsmannschen Verständnis von der Förderung des „Gemeinwohls“ und das heißt konkret zur Förderung des „gesellschaftlichen Wandels“ und von „Reformen“ auf allen gesellschaftlichen Bereichen. Dies alles gemäß der Bertelsmannschen (Zitat) „Überzeugung, dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Indem (Zitat) „die Grundsätze unternehmerischer, leistungsgerechter Gestaltung in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden“, soll das Regieren besser werden, und das wiederum alles stets nach dem Prinzip „so wenig Staat wie möglich“.
Sie können ja alle selbst einmal im Internet nachschauen, bei Bertelsmann selbst oder wenn Sie es kritischer haben wollen hier.

Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik, das von Reinhard Mohn als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen wird. Mohn war einer der Gründungsväter und bis vor wenigen Jahren der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten privaten Universität Witten-Herdecke. Sie sollte „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein. Doch trotz großer Namen aus der Wirtschaft litt die Privatuni permanent unter Geldnot, so dass sie 1993 pleite gegangen wäre, hätte ihr nicht das Land Nordrhein-Westfalen unter die Arme gegriffen.
Mohn hat offenbar im Laufe der Zeit erkannt, dass der Weg zur Reform des Hochschulsystems über die Gründung privater Hochschulen nicht erfolgversprechend ist. Viel effizienter erschien ihm mehr und mehr der Weg die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um ergänzende private Drittmittel für die Forschung und die Lehre steuern zu lassen.
Die richtige Erkenntnis einerseits, dass Hochschulen ein Schlüssel zur Zukunft und die Aussichtlosigkeit andererseits, dass private Hochschulen angesichts der Qualität der öffentlichen Hochschulen in Deutschland jemals zu einem Erfolgsmodell werden könnten, haben Reinhard Mohn wohl veranlasst 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu gründen.
Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber um so standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot und so veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulrefomerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen und so verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen
Das CHE firmiert als eine private und als gemeinnützig anerkannte GmbH, die von der Bertelsmann-Stiftung mit jährlich etwa zwei Millionen Euro finanziert wird. Nach eigener Darstellung handelt es sich beim „CHE“ um eine unabhängige »Denkfabrik«. Wie anschließend noch zu belegen sein wird, hat sich aber sein Leiter, Detlef Müller-Böling, inzwischen zum „informellen“ Bildungsminister der Republik aufgeschwungen.
Müller-Böling ist Professor für Betriebswirtschaftslehre – nicht etwa für Erziehungswissenschaft oder wenigstens Bildungsökonomie –, und das ist charakteristisch für die Perspektive des CHE: Es geht weniger um Bildung als vielmehr um die Übertragung betriebswirtschaftlicher Strukturen und Steuerungsinstrumente auf die Hochschulen und um die Einführung einer (die staatlichen Zuschüsse) ergänzenden privaten Bildungsfinanzierung.
Dementsprechend hat sich das CHE von Anfang an als „Sturmtrupp“ (Thomas Barth) für das Bezahlstudium verstanden.
Das CHE hat sich als der bislang antriebsstärkste „Reformmotor“ der Bertelsmann Stiftung erwiesen. „In ihrer Projektarbeit folgt die Bertelsmann Stiftung der Überzeugung des Stifters Reinhard Mohn, dass die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können“, kann man im Internetauftritt nachlesen.
Überall wo sich Bertelsmann einmischt geht es um die Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb, unternehmerisches Leitungsstrukturen und mehr betriebswirtschaftliche Effizienz.
Die Methoden, die Bertelsmann und das CHE für ihre „Überzeugungsarbeit“ einsetzen sind im Großen und Ganzen immer dieselben: Es sind Rankings und Benchmarks.
So veranstaltet die Stiftung seit Jahren ein sog. Standort-Ranking und regelmäßig landet Deutschland als Schlusslicht. Und regelmäßig ist die Schlussfolgerung, Deutschland braucht weniger Staat, eine Senkung der Staatsquote, einen Umbau des Sozialstaats, niedrigere Löhne und vor allem niedrigere Lohnnebenkosten, Deregulierung und vor allem weniger Kündigungsschutz.
Bertelsmann produziert auch einen sog. „Transformation Index“ (BTI) in dem die Staaten der Welt am Ziel der (Zitat) „marktwirtschaftlichen Demokratie“ gemessen werden.
„Das Projekt orientiert sich am Leitbild einer marktwirtschaftlichen Demokratie. Die Bertelsmann Stiftung ist der Überzeugung, dass sich im Wettbewerb der Ordnungssysteme die repräsentative Demokratie und die sozial verankerte Marktwirtschaft als Organisationsformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bewährt haben“, heißt es auf der Website. Auch hier sind die Indexgrößen: Begrenzung der Staatsaufgaben auf wenige Kernbereiche, Privatisierung von ehemals staatlichen Unternehmen und vor allem auch Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, niedrige Unternehmenssteuern und Wegfall von Zöllen. Das Projekt liegt somit ganz auf der Linie des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Der Direktor der UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) Heiner Flassbeck meint dazu: Solche Benchmarks sind in der Ökonomie extrem simple Verfahren: Man hat ein regional begrenztes Problem vor Augen, etwa die Arbeitslosigkeit in Deutschland, und sucht nun in anderen Regionen, wo dieses Problem in geringerem Maße auftritt, nach möglichst vielen Indikatoren, die anzeigen könnten, warum es dort besser geht. Das muss nicht falsch sein, wenn der Vergleich der einzelnen Benchmarks im Lichte einer Theorie, auf kausale und funktionale Zusammenhänge überprüft würde.
Doch um Letzteres geht es beim Benchmarking gerade nicht. Es geht um die weitgehend theorielose Aneinanderreihung möglichst vieler miteinander verbundener oder auch unverbundener Befunde. Zitat Flassbeck: „Was als „Schwachstellenanalyse“ ausgegeben wird, ist ein wildes Sammelsurium von Daten, Vorurteilen und Voreingenommenheiten, die sich in massiven Widersprüchen niederschlagen.“
Einer dieser – von den Autoren meist völlig unterschlagenen – Widersprüche ist, zum Beispiel, dass die ökonomisch relativ erfolgreichen skandinavischen Staaten mit ihren höchsten Staatsquoten eigentlich die „marktwirtschaftliche Demokratie“ à la Bertelsmann längst erdrosselt haben müssten.
Selbst das Ifo-Institut des ziemlich marktradikalen Professor Hans-Werner Sinn hat in einer Studie nachgewiesen, dass solche „Studien“ kaum etwas darüber aussagen, wie gut oder schlecht es tatsächlich um die Wachstumsaussichten in den bewerteten Staaten steht.
Überall dort, wo kein Markt besteht und damit das Steuerungsinstrument des Wettbewerbs nicht funktioniert, also vor allem im öffentlichen Sektor, etwa in den Verwaltungen, in der Schule oder bei Hochschulen, musste die Bertelsmann Stiftung wettbewerbliche Steuerungsinstrumente erst noch einführen. Auch da dienen als Fiktion für den Marktwettbewerb Rankings und Benchmarks.
Das CHE hat so in Deutschland die Hochschulrankings hoffähig gemacht. Rankings sind inzwischen geradezu zum Aushängeschild eines jeden Zeitschriftenverlags geworden, der etwas auf sich hält. Der Spiegel, der Focus hat eins und natürlich das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche, Capital, das manager-magazin oder die FAZ hatten welche.
Wer sich bei dieser Vielzahl von Rankings mit ganz unterschiedlichen Ranglisten bei seiner Entscheidung für seinen Studienort an diesen Rankings orientieren wollte, der würde mit Goethes Faust nur noch ausrufen können, „da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor“.
Inzwischen veranstaltet Bertelsmann mit über 280 Hochschulen in Deutschland, Östereich und der Schweiz das größte Hochschulranking im deutschsprachigen Raum und seit geraumer Zeit wird jedes Jahr ein Drittel der gesamten Fächerpalette neu gerankt.
Zusätzlich zum Hochschulranking gibt es noch ein CHE-ForschungsRanking, ein CHE-LänderRanking und sogar noch ein CHE-AlumniRanking. Als vermeintlich neutrale Medienpartner dienen die bürgerlich-liberale Hamburger „Zeit“ und vorher der als links-liberal geltende „Stern“.
In den einleitend erwähnten Links der Hessischen Landesregierung oder auch der Philipps-Universität kann man ablesen, welche Aufmerksamkeit und welche Bedeutung Politik und Hochschulen diesen Rankings zumessen.
Auf nahezu allen Feldern, auf denen die Bertelsmann Stiftung ihre Mission erfüllt, spielen Rankings eine entscheidende Rolle. Da Wettbewerb und Konkurrenz nach der Grundphilosophie der Stiftung das beste und effizienteste Steuerungsinstrument ist, muss mit Ranglisten auch dort ein Wettbewerb fingiert und inszeniert werden wo – wie etwa bei den Hochschulen – gar kein Markt existiert. Darüber hinaus – und das ist das eigentliche Steuerungsinstrument – wird durch die Vergleiche nicht etwa nur eine Selbsteinschätzung der einzelnen Hochschule ermöglicht sondern zugleich ein Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Hochschulen ausgeübt
Aus den Rankings soll sich Qualitätsvergleiche ergeben und wer am besten abschneidet soll nach den Vorstellungen der Veranstalter solcher Rankings die Qualitätsmaßstäbe vorgeben. Das Ziel ist, dass sich die schlechter Platzierten im Wettbewerb an den besser Platzierten messen und dadurch eine Qualitätskonkurrenz zur „Entfesselung“ der Hochschulen angestoßen wird.
Man kann nun lange über die Sinnhaftigkeit von Benchmarks oder Rankings streiten. Über eine Tatsache führt nichts hinweg: Wie bei allen Vergleichsmessungen, geht es bei Rankings darum, dass Qualität quantifiziert werden muss. Oder anders: Man muss Qualität in Quantitäten ausdrücken, denn nur so lässt sich vergleichen und messen.
Bei den Rankingergebnissen 2006 für die Universität Marburg die Universität Marburg [pdf – 56KB] werden etwa gemessen:

  • Die Drittmittel pro Wissenschaftler
  • Die Drittmittel pro Professor
  • Die Publikationen pro Professor
  • Die Publikationen pro Wissenschaftler
  • Die Zitationen pro Publikation
  • Die Promotionen pro Professor
  • Die (durch methodisch fragwürdige Umfragen) erhobene Lehr- und die Forschungsreputation

Zudem hat man dann noch Studierende oder Personalchefs nach ihrem Urteil über den Arbeitsmarkt- Praxisbezug der Lehre gefragt, darüber hinaus wurden die Studienorganisation, nach der Betreuung, nach dem Kontakt zu Lehrenden abgefragt. Vergleichsmaßstäbe waren ferner die Zahl der Lehrevaluationen, das Angebot an E-Learning, von AV-Medien oder IT-Infrastruktur und ähnliche Ausstattungskategorien.
Wie sollte eigentlich ein Studierender den Arbeitsmarkt- oder Praxisbezug seines Studiums beurteilen können und warum wurde nicht ein einziges Mal nach der wissenschaftlichen Qualität der Lehre gefragt?
Fragen Sie doch einfach einmal an Ihrer Hochschule nach, wie diese Daten erhoben worden und wie sie zustande gekommen sind und vor allem ob ihre Hochschule eine Kontrolle darüber hatte, ob Vergleichbares verglichen worden ist.
Ich will nun nicht bestreiten, dass manche dieser erhobenen Daten eine gewisse Aussagekraft besitzen, wer allerdings den verobjektivierenden Eindruck erwecken will, mit solche Umfragen und Zahlenangaben sei etwas über die Qualität von Forschung oder über die Qualität des Studiums oder gar etwas über die hoffentlich damit verbundene Bildung ausgesagt, der täuscht sich und andere.
Ist eine Lehrveranstaltung besser oder schlechter, weil dort E-Learning oder AV-Medien eingesetzt werden, wird der der Lehrstoff didaktisch besser aufbereitet weil die IT-Infraststrukur besser ist? So begrüßenswert solche Ausstattungen auch sein mögen.
Rankings sollen Objektivität vorspiegeln und deshalb heben sich solche Evaluierungen ganz bewusst von der Urteilsfähigkeit der Scientific Community, der Fachkollegen untereinander oder der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ab.
Die Fetischisierung der Rangliste sei Ausdruck und Symptom einer „spezifischen Erscheinungsform von Unbildung“, nämlich mangelnder Urteilskraft, schreibt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Theorie der Unbildung“. „Tatsächlich ersetzt jede Reihung ein qualifiziertes Urteil, da sie besessen ist von der falschen Vorstellung, Urteilen hieße Quantifizieren“, meint Liessmann.
Nun muss man den neuhumanistischen Bildungsbegriff des Philosophen nicht teilen, aber Recht hat Liessman, wenn er schreibt, dass der Gedanke des Vergleichens und der Reihung in Verbindung mit dem Paradigma betriebswirtschaftlichen Denkens steht, das den Betriebsablauf von Hochschulen eher mit dem von Unternehmen vergleicht.
Geradezu ein Musterbeispiel für die – wie es Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung nennt – „Verbetriebswirtschaftlichung“ des bildungspolitischen Denkens ist die seit über 10 Jahren andauernde Kampagne des CHE für die Einführung von Studiengebühren.
Da wird nun seit Jahren in immer neuen Varianten die Propagandatrommel mit den immer gleichen Parolen gerührt:

  • Angesichts der knappen öffentlichen Kassen bedürfe es eines höheren privaten Anteils an der Finanzierung der Hochschulen.
  • Durch Studiengebühren entstehe ein „nachfrage- und preisorientierter Steuerungseffekt“ auf die Hochschulen. Der Kunde Student werde König.
  • Studiengebühren schafften mehr Wettbewerb unter den Hochschulen und verbesserten dadurch die Qualität des Studienangebots.
  • Die höhere Kostenbeteiligung der Studierenden führe zu „effizienterem Studierverhalten und damit zu kürzeren Studienzeiten“.

Alle diese Argumente sind nicht nur bildungspolitisch, sondern auch noch betriebswirtschaftlich falsch bzw. führen in eine falsche Richtung.

Das fängt schon damit an, dass die ökonomische Grundregel, wonach ein höherer Preis die Nachfrage senkt, regelmäßig außen vor gelassen wird.
Dass diese Regel aber greift, beweist der jüngste Rückgang der Erstsemesterzahlen in Nordrhein-Westfalen um 5,3 % und in Niedersachsen um rund zwei Prozent nach der Einführung von Studiengebühren. Die Studentenwerke in Niedersachsen verzeichnen einen Einbruch bei den Bafög-Anträgen um mehr als 8%.
Selbst die gebührenfreundliche Zeit titelt am 9. November 2006: „Die abschreckende Wirkung der Studiengebühren ist kein Hirngespinst.“

Es wird ferner komplett vor die Denkklammer gezogen, warum die öffentlichen Kassen eigentlich so knapp und warum die Hochschulen unterfinanziert sind. Dass das etwas mit dem „Steuersenkungswahn“ (Rudolf Hickel) vor allem bei den Unternehmens- und kapitalbezogenen Steuern zu tun haben könnte, unterliegt geradezu einem Denkverbot. Dass die 60 Milliarden Steuerentlastung durch die Regierung Schröder für die Unternehmen kaum als Investivkapital in Deutschland angelegt wurden und schon gar keine Arbeitsplätze schufen, wird nicht zur Kenntnis genommen, und dass – jetzt einmal volkswirtschaftlich betrachtet – Investitionen in „Humankapital“ – wie selbst die OECD meint – viel dringender und zukunftsträchtiger wären, ist allenfalls ein Versatzstück für Sonntagsreden unserer Politiker. Man betrachte nur einmal die Zahlen: 60 Milliarden für Steuersenkungen, 565 Millionen bis 2010 für den sog. Hochschulpakt 2020, mit dem ein Anstieg der Studierendenzahlen von 1,9 Millionen auf 2,7 Millionen, also um 40 Prozent bewältigt werden soll.

Dass es unter den Bedingungen eines Nachfrageüberhangs (der sich im numerus clausus ausdrückt) nach der ökonomischen Lehre erst einmal zu einem höheren Preis und noch lange nicht zu einem Qualitätswettbewerb kommt, lernt man selbst als Betriebswirt schon im ersten Semester.

Statt eines nachfrageorientierten Steuerungseffektes auf das Hochschulsystem und der wissenschaftlichen Ausbildung kommt es eher zu einer Fehlsteuerung:
Studiengebühren verzerren den Wettbewerb zwischen den Hochschulen noch stärker zugunsten großer Hochschulen in Ballungsräumen und zugunsten von Hochschulen, die auf Grund der Attraktivität der Städte einen Standortvorteil haben. Wie sollten Hochschulen mit weniger Studierenden und damit geringeren Studiengebühreneinnahmen wie etwa Siegen oder Greifswald, um nicht von Marburg zu sprechen, mit den großen Unis in Heidelberg, Köln, München oder Berlin mithalten können.
Es kommt unter den Hochschulen wie in der Fußballliga zu einer Art Bayern-München-Effekt. Mit dem Unterschied allerdings, dass beim Fußball nur die Fans etwa von Rostock oder Cottbus leiden, bei den Hochschulen aber die Masse der Studierenden, die nicht an einer Elitehochschule studieren können.

Studiengebühren werden zu einer Hierarchisierung der Hochschullandschaft mit unterschiedlicher Qualität führen. Deutschland hat aber – international anerkannt – seine besondere Stärke in der Breite der wissenschaftlichen Ausbildung bei hoher Qualität.

Wird der Kunde Student wirklich König?

Wie wenig die Anhänger eines nachfrageorientierten Steuerungseffekts ihrer Propaganda wirklich trauen, zeigt sich am deutlichsten darin, dass die allermeisten unter den Studiengebührenbefürwortern, die Forderung nach einer Studiengebühr mit einem Auswahlrecht der Hochschule verknüpfen. Das ökonomische Grundprinzip der Nachfrage-Angebotssteuerung, nämlich der freie Marktzugang, wird also gleich wieder außer Kraft gesetzt.

Da zittert also offenbar die „invisible hand“: Nichts ist`s mit dem freien Marktzugang, nichts ist`s mit dem König Kunden. Der Anbieter sucht sich seine ihm passenden Kunden aus.
Wer steuert da eigentlich wen, der Kunde Student den Anbieter oder der Anbieter Hochschule den Kunden Student?

Studiengebühren dürften darüber hinaus noch zu einer Fehlsteuerung der Ausbildungsangebot und damit der Wissenschaft insgesamt hin zu solchen Studien und Wissenschaftsdisziplinen führen, die viel nachgefragt werden, weil sie sich „auszahlen“, also einen hohen und schnellen „return of investment“ erwarten lassen.
Die Hochschulen werden also – der ökonomischen Vernunft folgend – möglichst viele „billige“ Studiengänge anbieten. Diese Tendenz zeigt sich in der Realität der privaten Hochschulen in Deutschland: die meisten bieten allenfalls Fächer der Betriebswirtschaftlehre oder bestenfalls noch Jura an, keine aber die erheblich teureren Ingenieur- oder Naturwissenschaften.
(Anmerkung: Ein Medizinstudiengang an einer staatlichen Hochschule kostet 28.000 Euro p.a., ein BWL-Studiengang 1.990 Euro p.a.).

Und Studiengebühren beeinflussen nicht zuletzt die Studienmotivation: Wird ein Studium zu einer privaten Investition in das persönliche „Humankapital“, dann wird die Bereitschaft materielle Kosten zu tragen bzw. die Fachwahl nach möglichst geringer Verschuldung oder geringem beruflichem Risiko immer wichtiger als eine Studienwahl nach Leistung und fachlichem Interesse und vor allem auch persönlicher Neigung.

Und schließlich zur Behauptung Studiengebühren wirkten studienzeitverkürzend: Wer das behauptet, der sollte sich einmal vor Augen halten, dass schon derzeit 67% aller Studierenden neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Studiengebühren zwingen noch mehr Studierende zu noch längerer Erwerbsarbeit neben dem Studium und wirken dadurch eher studienzeitverlängernd.
In Österreich jobben nach Angaben des Wiener Professors Kolland seit Einführung der Gebühr die Studierenden um 10% mehr.

Es würde mir ein großes Vergnügen bereiten die Betriebswirte des CHE mit ihren eigenen betriebswirtschaftlichen Propagandafloskeln im Detail zu widerlegen. Das muss ich mir heute ersparen. Sie können das aber in allen Details auf den NachDenkSeiten nachlesen.

Dennoch: Das CHE und seine Verbündeten, vor allem dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, dem verlängerten Arm der Arbeitgeberverbände in der Wissenschaftspolitik haben sich politisch durchgesetzt: In neun Ländern ist die Einführung von Studiengebühren Gesetz oder wird Gesetz.

Es ist ziemlich interessant einmal zu beobachten, wie sich dieser bildungspolitische „Paradigmenwechsel“ (so Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Frankenberg) vollzogen hat.
Seit den 60er Jahren bis über die Jahrtausendwende 2002 – also dem Jahr in dem noch die „Studiengebührenfreiheit“ im HRG gesetzlich mit der Mehrheit von Bundestag und Bundesrat verankert wurde – gab es in Bund und Ländern einen gesellschaftlichen Konsens, wonach ein Studium ein öffentliches, gemeinnütziges Gut sei, dessen Förderung ein allgemeines Anliegen und eine öffentliche Aufgabe zu sein habe.
Auch der Partner des CHE, die Hochschulrektorenkonferenz lehnte noch bis 2004 die Einführung von Studiengebühren ab.

Allerdings setzte sich schon seit dem Bruch der sozial-liberalen Koalition im Jahr 1982 mehr und mehr ein von der neoklassischen, angebotsorientierten ökonomischen Lehre geprägtes, zunächst nur auf die Wirtschaft bezogenes, zunehmend aber auch die Politik und die Öffentliche Meinung beeinflussendes „libertäres“ (Thomas Meyer) gesellschaftliches Leitbild durch.
Angestoßen von den Wirtschaftsverbänden und ihrer Lobbyorganisation auf dem Feld der Wissenschaft – dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – und beraten vor allem vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) setzte sich eine ökonomische, genauer müsste man sagen, eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise eines Studium durch.

Wissenschaftliche Qualifizierung wurde nicht mehr überwiegend als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element des wissenschaftlichen Fortschritts und der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft verstanden, sondern als eine private Investition in das persönliche „Humankapital“, die später durch eine höheres berufliches Einkommen eine individuelle Rendite abwirft.

An dem gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel ganz allgemein hat die Bertelsmann Stiftung einen erheblichen Anteil, am bildungspolitischen Kurswechsel hat das CHE einen überragenden Anteil.

Sicher, Bertelsmann stand nicht allein, da waren die Arbeitgeberverbände, da war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, da war der BürgerKonvent und wie die zahllos gewordenen, vom großen Geld finanzierten PR-Agenturen auch alle heißen mögen.
Aber keine dieser Institutionen war so wirkmächtig wie die Bertelsmann Stiftung.

Mit ihr sind unterschiedlichste Stiftungen von der Heinz-Nixdorf- und der Ludwig-Erhard-Stiftung bis zur grünen Heinrich-Böll- und zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung verbunden. Die Bertelsmann Stiftung hat es vermocht ein enges personelles und organisatorisches Netzwerk zu einflussreichen Personen aus Kultur, Wissenschaft und Politik bis zu den Bundespräsidenten, vor allem zu Roman Herzog zu flechten. Neben dem CHE verschafft der Stiftung auch das von ihr getragene „Centrum für angewandte Politikforschung“ (CAP) mit seinem Direktor und ehemaligen Bertelsmann-Vorstandsmitglied Werner Weidenfeld auch ein internationales Renommee.
Wenn Bertelsmann lädt, kann sich kaum noch einer widersetzen bis hin zum UN-Generalsekretär Kofi Annan. Speziell dem CHE ist es gelungen für nahezu alle Parteien ein unersetzlicher Gesprächs- und Vortragspartner zu werden, es hat sich in die Rolle eines „spiritus rectors“ für nahezu alle Wissenschaftsministerien und alle Parlamente aufschwingen können.
Nicht zuletzt werden die Botschaften über die zum Bertelsmann-Konzern gehörenden meinungsprägenden Medien verkündet.
Wie schon erwähnt sind die „Die Zeit“ und der Stern Medienpartner des CHE bei den Hochschulrankings. Aber auch sonst gibt man der politischen Linie des Bertelsmann-Ablegers gerne eine Plattform: Über die landesweiten massiven Studentenproteste im Sommer und Herbst dieses Jahres gegen die Einführung von Studiengebühren berichtet etwa die ZEIT Nr. 19 mit keinem Wort. Die ZEIT hätte in den Interviews mit Studierenden auf S.83f. vielleicht ja auch einen AStA-Sprecher oder zumindest einen aus der überwiegenden Mehrheit der Studierenden, die Studiengebühren nach wie vor ablehnen, interviewen können. Stattdessen durften ziemlich unerfahrene und naive Abiturienten und Studierende, die auf den Porträtphotos bemerkenswert viel nackte Haut zeigen (!) Statements ablassen, die auch frisch aus der Druckpresse der Studiengebühren-Reformpropaganda-Werkstätten hätten stammen können.
Und natürlich greift der Spiegel mit seinem Uni-Spiegel die Argumente aus dem Haus seines Anteilseigners Bertelsmann besonders gerne auf. Der Stern kann sowieso nicht anders.
CHE-Chef Müller-Böling tingelt gern durch Fernseh-Talkrunden, wobei Verbindungen des Hauses Bertelsmann zu RTL, Stern- und Spiegel-TV sicher hilfreich sind und sich mit lobhudelnden Berichten in befreundeten Printmedien in vorteilhafter Weise ergänzen.

Das CHE arbeitet wie die anderen PR-Agenturen nach dem gleichen Stil. Man erstellt eine Studie und schafft einen Medien-Event und die Mainstream-Medien plappern die Ergebnisse unkritisch wie Papageien nach. Das sogar dann, wenn jedem nur einigermaßen aufmerksamen Leser erkennbar wird, dass die Meldung einen manipulativen Charakter hat. So publizierte das CHE im Dezember 2003 eine Umfrage unter der Überschrift: „Studierende mehrheitlich für Studiengebühren“. Der Haken an dieser Umfrage war nur, dass die Studierenden lediglich nach verschiedenen Gebührenmodellen gefragt wurden und die Befragten daraus das für sie akzeptabelste Modell ankreuzen sollten. Die Grundfrage, ob die befragten Studierenden überhaupt für oder gegen Studiengebühren sind, wurde gar nicht erst gestellt. Dennoch: Die Überschrift schaffte es in die Schlagzeilen und wurde von den Gebührenbefürwortern natürlich genüsslich zitiert.

Wenn man so argumentiert wie ich, wird einem von vielen, die die Bertelsmann Stiftung nach wie vor als ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Unternehmen betrachten und die das eine oder andere Projekt für durchaus hilfreich halten, vorgehalten, man sei ein „Verschwörungstheoretiker“.
Lassen Sie mich deshalb einmal konkret belegen, wie eine solche „Verschwörung“ abläuft:
Die Entstehungsgeschichte des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Politik und der Staat aus seiner Verantwortung für ein zentrales Feld der Zukunftsgestaltung zurück zieht und dem Druck einer privaten Lobbyorganisationen nachgibt und sich zur verlängerten Werkbank des Centrums für Hochschulentwicklung degradieren lässt.
Schaut man nämlich einmal genauer hin, woher das dort in Gesetzesform gegossene Konzept vom Rückzug des Staates zugunsten einer unternehmerischen Hochschule mit einem CEO (Chief Executive Officer) als Präsident oder Rektor und einem aufsichtsratsähnlichen Hochschulrat stammt, so stößt man auf die sog. „Governance Struktur“ des „New Public Management“-Modells das vom bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und dem hochschulpolitischen Arm der Wirtschaft, dem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ seit geraumer Zeit der Politik angedient, um nicht zu sagen aufgenötigt wird.
Das lässt sich beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ sogar schwarz auf weiß belegen:

Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“.
Dort finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen, die der Innovationsminister Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als seine „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ vorstellte.
Die Identität beider Papiere (Sie können das alles schwarz auf weiß im Internet nachlesen) ließe sich an vielen Stellen belegen (hier nur zwei Beispiele):

  • In den CHE-Anforderungen heißt es: “Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit einer Stärkung der körperschaftlichen Seite der Hochschulen bei gleichzeitiger Minderung ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung.”
    Bei Pinkwart heißt es: “Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr.”
  • Oder zum Hochschulrat (also dem Künftigen Aufsichtsrat mit Fachaufsicht):
    Wortlaut CHE: “In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem die Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektorats und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder sollten extern bestellt werden.”
    Wortlaut Pinkwart: “Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule…Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht war. Er beschließt über den Hochschulentwicklungsplan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelten Zielvereinbarung.”

Damit aber noch nicht genug:
Zwei Tage nach Pinkwarts Pressekonferenz meldet sich der Leiter des CHE Detlef Müller-Böling zu Wort und erteilt dem Minister Zensuren:
CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotentiale, heißt es in den CHE-News vom 27. Januar.
Das CHE bewerte Pinkwarts Eckpunkte „überwiegend positiv“. „In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden.“
In dieser Tonlage fährt das Zeugnis des CHE, das sich jeder aus dem Internet holen kann fort: Pinkwart „trägt Rechnung“, „richtig ist“, Pinkwart „sollte“ usw. usf. Mit Verlaub, hier drückt sich eine Anmaßung eines durch nichts als durch das nötige Geld legitimierten privaten Interessensgruppe gegenüber dem Staat, der Regierung und dem Parlament aus, die nach demokratischen Maßstäben nicht mehr hinnehmbar ist. Die Politik wird geradezu zum Befehlsempfänger von Bertelsmann degradiert.
Damit aber immer noch nicht genug:
Das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde nicht nur am Schreibtisch des CHE entworfen, nach seiner Verabschiedung soll es nun auch noch bei seiner Umsetzung von den gleichen „unabhängigen Experten“ begleitet werden, um damit eine (Zitat) “möglichst hohe Qualität bei der Umsetzung zu sichern“.
Nachdem sich also schon der Staat dem Einfluss dieser privaten Lobbyorganisation preisgegeben hat, sollen sich nun auch noch die Hochschulen selbst dem Regime des CHE unterordnen.
Das hätte sich früher einmal „der Staat“ erlauben sollen, nämlich die Hochschulen bei der Umsetzung eines Gesetzes zum „Erfolg“ zu führen. Der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und damit der Epoche der Aufklärung wäre von den Hochschulen beschworen worden.
Aber wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann scheint das von den Hochschulen ganz selbstverständlich hingenommen zu werden.
Mir fällt dazu nur noch ein: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen nehmen ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit dadurch wahr, dass sie freiwillig auf diese Freiheit verzichten.
Im Mittelalter beherrschten die Kirche und die Monarchen die Wissenschaft und die Universitäten, im 21. Jahrhundert soll es wohl Bertelsmann sein. Eine neue Epoche der Aufklärung ist leider nicht in Sicht.
Wer nun meint, Düsseldorf sei eben nicht so weit weg von Gütersloh und es sei doch ganz schön, dass sich ein nordrhein-westfälischer Think-Tank um Landesangelegenheiten kümmert, der verharmlost die Situation.
Das CHE bewertet in gleicher Weise das neue Hochschulgesetz in Sachsen und auch anderswo.
Das CHE ist quasi in das Kompetenzvakuum eines fehlenden Bundeshochschulministeriums gestoßen und füllt die in unserer Verfassung nicht vorgesehene Rolle eines Bundeshochschulministeriums aus – ein informelles Ministerium, das allerdings nicht dem Parlament sondern nur der Bertelsmann Stiftung rechenschaftspflichtig ist. Der Autor des Buches „Hinter der Fassade des Medienimperiums“ Frank Böckelmann, nennt das „eine Privatisierung der Politik“.
Es ist allerdings eine Privatisierung der Politik auf öffentliche Kosten, denn immerhin hat sich die Familie Mohn durch die Gründung der Stiftung, die ihr allerdings immer noch das Sagen über die Kapitalanteile am Konzern behält, riesige Summen an Erbschaft – oder Schenkungssteuern erspart und zweitens sind die Dividenden, die an die „gemeinnützige“ Stiftung abgeführt werden, steuerbegünstigt.
Nun mögen einige von Ihnen mich vielleicht immer noch als einen Verschwörungstheoretiker abtun. Etwa weil Sie einwenden, die Bertelsmann Stiftung habe doch nichts mit der Unternehmenspolitik Bertelsmann AG und schon gar nichts mit den von diesem Konzern beherrschten oder beeinflussten Medien zu tun.
Da möchte ich zu meiner Verteidigung anführen, dass selbst Reinhard Mohn sagt, dass die Stiftung ein „Garant der Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann“ sei. Die Mohns beherrschen sowohl den Konzern wie dessen Stiftung und haben nicht ohne Grund bislang den Börsengang vermieden. Die Konzernmatriarchin Liz Mohn und ihre Berater haben in der Stiftung wie im Konzern das Sagen.
Nebenbei noch ein kleiner Hinweis zu den von Bertelsmann ach so geliebten Benchmarks: In den USA dürfen steuerbegünstigte Stiftungen nicht mehr als 20 Prozent eines Unternehmens halten, um möglichen Interessenkonflikten vorzubeugen. Außerdem müssen sie ihre für ihre Ausgaben akribisch öffentlich Rechnung ablegen.
Natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese sei es von der Exekutive oder der Legislative vorgelegt und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke wird der „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Konzern erzielt.
Es ist das Recht eines jeden Unternehmers, der meint, etwas zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen zu können, eine Stiftung zu gründen und Themen bearbeiten zu lassen. Dass sich dabei Gleichgesinnte treffen, wird jeweils unvermeidlich sein. Es ist auch das gute Recht einer jeden Regierung, den mit der Politikberatung zu beauftragen, der ihr politisch sympathisch ist.
Doch wer öffentliche Aufgaben erfüllt, Gesetze verändern will, die in Gestaltungsrechte und Lebenschancen von Millionen Bürgern eingreift, der muss sich der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Die Mitwirkenden müssen ihre gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Ziele offen legen, die Öffentlichkeit muss den Prozess nachvollziehen und erkennen können, wer welchen Einfluss ausübt und welche Konsequenzen das Vorgehen hat.
Das geradezu paradoxe am Verhalten der Bertelsmann Stiftung ist, dass sie zwar überall nach Wettbewerb ruft, diesen Wettbewerb aber bei sich selbst konsequent verhindert. Das, nicht nur indem sie „ausschließlich operativ“ arbeitet, d.h. nur ihre von ihr selbst initiierten Projekte fördert und keine Projektanträge zulässt, also wissenschaftlichen Pluralismus satzungsmäßig ausschließt, sondern indem sie darüber hinaus sich vor keinem Parlament und keinem Rechnungshof, ja nicht einmal vor einem Aufsichtsrat, der wenigstens unterschiedliche Interessen von Kapitalanlegern vertreten könnte, für den Einsatz ihrer Gelder und die damit verfolgten Ziele rechtfertigen muss.
Die Netzwerkarbeit und Projektentwicklung der Bertelsmann Stiftung ist so angelegt, dass sich die Akteure gar nicht mehr mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandersetzen, dass sie Kritik in einer Haltung der Selbstgewissheit an sich abprallen lassen können und so auftreten, als hätten sie die Richtigkeit und Wahrheit ihrer Konzepte von vorneherein und zweifelsfrei erkannt. Wo hat sich etwa die Bertelsmann Stiftung den parlamentarischen Anhörungen gestellt, wo hat sich das CHE den studentischen Protesten gegen die Studiengebühren ausgesetzt oder auch nur sich mit den studentischen Gegenargumenten auseinandergesetzt? Nicht dass man diese Argumente übernehmen müsste, aber Kritik wahrzunehmen und sich damit auseinander zusetzen ist etwas anderes, als sie totzuschweigen bzw. über seinen Einfluss über die Medien einfach mundtot zu machen.
Das Spektrum der Öffentlichen Meinung und der Politik wurde so nicht etwa erweitert, sondern im Gegenteil verengt und in einer Weise kanalisiert, wie es offen ausgewiesene Interessengruppen kaum zu erreichen vermögen.
Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-tanks nur allzu gerne auf. Ja noch mehr, er zieht sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements. Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung, wie das etwa mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen, mit seiner Übertragung der Fachaufsicht an einen externen Hochschulrat, geschehen ist.
„Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt. Dass möglichst viele verantwortungsvoll ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, das macht diesen Staat auf Dauer lebensfähig“, das schrieb Liz Mohn gerade gestern (5.12.06) in einem Gastkommentar zum Tag des Ehrenamtes in der Financial Times Deutschland. Ist es die innere Distanzierung der Redaktion oder eher Stolz, wenn die FTD in einer Unterzeile darauf hinweist: „Das Unternehmen Bertelsmann ist über den Verlag Gruner + Jahr an der FTD beteiligt.“
Und wie wir gerade die letzten Tage lesen konnten, will Finanzminister Steinbrück dieses zivilgesellschaftliche Engagement in Zukunft noch stärker steuerlich privilegieren.
Die Rollenverteilung der gesellschaftlichen Gruppen bei ihrem „Dienst an der Gemeinschaft“ ergibt sich dabei ziemlich naturwüchsig daraus, was eben der einzelne mit seinem bürgerschaftlichen Engagement zu leisten vermag. Diejenigen, die nicht so viel Geld und Vermögen haben, machen Sozialarbeit, also Altenpflege oder Übungsleiter im Sportverein, die Vermögenden vergeben Forschungsaufträge oder Stiftungslehrstühle oder sie stiften gleich ganze Denkfabriken und prägen damit den Gang der Wissenschaft oder den gesellschaftlichen Diskurs und bestimmen so die gesellschaftliche und die politische Weiterentwicklung.
So hat sich eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die streng hierarchisch organisiert ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert und gleichzeitig die öffentliche Meinung prägt.
Diese „zivilgesellschaftliche“ Macht ist stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen. Darauf, dass eben zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern und seine Stiftung mehr Geld hat als jede andere private und staatliche Institution, Expertisen und Gutachten erstellen zu lassen, Kongresse zu veranstalten, Forschungsaufträge zu erteilen, um die Mission ihres Stifters zu verbreiten. Demokratisch legitimierte Macht im Staate wird so mehr und mehr durch Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar teilweise schon ersetzt.
Dieser Weg in diese Art von Zivilgesellschaft befördert nicht nur die ohnehin bestehende extreme materielle Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern dieser Weg schließt – anders als das im Modell des Mehrheitsprinzip in der Demokratie vorgesehen ist – vor allem die große Mehrheit der weniger wohlhabenden Bevölkerung mehr und mehr von der politischen Teilhabe und der Gestaltung ihrer gesellschaftlichen Zukunft aus.
Aus Souffleuren der Macht werden die tatsächlichen Machthaber.

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