„Schrumpfrente“. Eine gezielte Verunsicherungskampagne von BILD gegenüber den Bürgern und gegen die gesetzliche Rentenversicherung

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Dreiviertel aller Deutschen rechnen auf Dauer mit weiter sinkenden Renten, das meldete BILD am 27.12.05.
Die Versicherungswirtschaft hat also ihr erstes Teilziel erreicht: Das Vertrauen in die Rente ist gründlich zerstört. Die Anzeigekampagne von Allianz & Co „Rente sich wer kann“ ist offenbar bei der Bevölkerung angekommen. Jetzt muss es die Versicherungslobby, um ihr Endziel zu erreichen, nur noch schaffen, dass die verunsicherten Menschen auch private Altersversicherungsverträge abschließen.
Nicht mehr als Anzeige, sondern im redaktionellen Teil mit unverantwortlichen Horror-Balkenüberschriften auf den ersten Seiten, jagt nun BILD nun schon den dritten Tag hintereinander Jung und Alt einen Schrecken ein und treibt sie in die Fänge der Versicherungswirtschaft.

„So wenig ist die Schrumpfrente künftig nur noch wert“ titelt BILD am 17.1.06 und druckt auf ihrer Aufmacherseite eine Tabelle ab mit „Schockprognosen“ im Vergleich zwischen heute und 2035. Eine heutige Durchschnittsrente von rund 800 Euro hätte demnach in 30 Jahren nur noch eine Kaufkraft von 454 Euro und läge gerade ein paar Euro über dem heutigen Alg II-Satz. Einen Tag später lautet die Balkenüberschrift „Wovon sollen wir im Alter leben“. In typischer BILD-Manier kommen dann mit Foto Menschen aus dem Leben zu Wort, die sich bitter beklagen und etliche sehen ihr Heil nur noch in der privaten Vorsorge. Am 19.1.06 – pikanterweise unter einem Interview des Deutsche-Bank-Chefs Ackermann, in dem dieser seine Millionenbezüge rechtfertigen darf – kommt BILD dann darauf, woraus die ganze Kampagne hinausläuft: „Wieviel kostet mich eine Zusatz-Rente?“.

Über 12 Millionen BILD-Leser sollen also mit dieser Angstmacherei („JEDER Beitragszahler ist betroffen“), als letztem Ausweg vor Altersarmut in die private Altersvorsorge, nämlich in Kapital-Lebensversicherungen, in Investmentfonds oder in Bank-Sparpläne getrieben werden.

Als Quelle für diese Horrordarstellung wird das „Deutsche Institut für Altersvorsorge“ (DIA) genannt. Verschwiegen wird, dass dahinter kein neutrales wissenschaftliches Institut, sondern eine von der Deutschen Bank und Investmenttöchtern der Bank getragener „Think-Tank“ steht, der kaum je eine Aussage über die Rentenfinanzierung getroffen hat, die nicht im Interesse der Banker ist.
Natürlich treffen wir in den Beiträgen auch auf den „angesehenen“ (BILD) wissenschaftlichen Versicherungsvertreter Professor Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg, der seinerseits wiederum im Aufsichtsrat der „ERGO-Versicherungsgruppe“ sitzt und als „wissenschaftlicher Berater“ für den Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) e.V., Berlin, und für die Victoria Versicherung AG, Düsseldorf, tätig ist und gern gefragter Interviewpartner in den Rentenkatastrophenmeldungen der PR-Agentur für den Abbau des Sozialstaates, der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ ist.
Natürlich kommt auch das Aushängeschild der neoliberalen außerparlamentarischen Opposition unter dem Namen „BürgerKonvent“, Reinhard Miegel, der den Sozialstaat insgesamt als Irrtum der Geschichte geißelt, zu Wort.
Bernd Katzenstein vom DIA rät „nach Möglichkeit mindestens 5% vom Bruttoeinkommen zusätzlich zur Rentenversicherung in die Privatvorsorge zu stecken“.
Auf die Idee dass man diese 5% (paritätisch) finanziert auch in die gesetzliche Rentenversicherung stecken könnte, kommt er natürlich erst gar nicht.

Es hat bislang niemand in der Politik oder in der Regierung dieser Panikmache energisch widersprochen. Sozialminister Franz Müntefering hat, ohne auf die BILD-Kampagne einzugehen, reagiert und wohl zur Beruhigung der Rentner angekündigt, dass es entgegen dem in der Koalitionsvereinbarung ins Gespräch gebrachten „Nachholfaktor“ bis 2010 – gesetzlich garantiert – keine Rentenkürzungen geben solle – gleichzeitig kündigte er aber für 2006 eine weitere Nullrunde an.

Es hat drei Tage gedauert bis sich die ersten kritischen Stimmen ([1], [2]) zu der Panikmache des Boulevard-Blattes gemeldet haben. So sagte der „Die Deutsche Rentenversicherung“ der größte gesetzliche Rentenversicherer in Europa mit mehr als 57 Millionen Kunden, die Berechungen in BILD seien „unseriös und nicht nachvollziehbar“, die unterstellten Annahmen wichen „deutlich von allen derzeit im wissenschaftlichen Raum verwendeten Daten ab.“
Auch der Sozialexperte und „Wirtschaftweise“ und einer der Hauptverfechter der „dualen Rente“ meldete sich zaghaft zu Wort und hält die BILD-Prognosen für „unangebracht“.

Auf Stimmen, die die gesetzliche Rente offensiv gegen dieses „geschäftsschädigende“ Verhalten der Versicherungskonzerne reagierten, wartet man vergebens.
Einigermaßen neutrale Rentenfachleute wie das Mitglied der von der früheren Bundesregierung eingesetzten „Altenkommission“ wie etwa Professor Winfried Schmähl, der konkrete Vorschläge macht, wie die gesetzliche Rente eine wirkliche Volksrente bleiben könnte, werden nicht gehört.

Wir haben in vielen Beiträgen auf den NachDenkSeiten zwar die Renten-„Reformen“ kritisiert, zugleich aber auch auf die Vorteile einer Umlagefinanzierung der Rente hingewiesen. Wir haben immer wieder die Privatisierungsstrategien der Versicherungswirtschaft und ihr Zusammenspiel mit den Medien und der Politik beim inzwischen eingeleiteten Systemwechsel hin zur Privatvorsorge angeprangert.
Statt einer neuerlichen Darstellung verweisen wir auf eine zusammenhängende Darstellung vom 29.12.05 mit vielen weiteren Hinweisen.

Wenn das Spiel mit der Angst nicht so makaber wäre, könnten wir ja auch die BILD-Zeitung mit ihrer Kampagne für die Privatvorsorge mit der der BILD-Zeitung von Anfang dieses Jahres konterkarieren, wo dieses Blatt Krokodilstränen über die sinkende Gesamtverzinsung der privaten Lebensversicherungen geweint hat.

Es ist nur noch ein Trauerspiel, wie in diesem Land mit allen Mitteln der Propaganda, der Manipulation und der Panikmache Kernelemente des Sozialstaats, wie die gesetzliche Rente, sturmreif geschossen werden dürfen, ohne dass es noch eine ernsthafte Gegenwehr gäbe. Daraus kann man ablesen, wie weit Politik, Verbände und Medien und letztlich wir alle in die Fänge der Versicherungswirtschaft geraten sind.

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