Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?

Ein Artikel von:
Wolfgang Hetzer

Die Deutsche Bank steht in dem Verdacht, dass sie in ihren eigenen Reihen die Entstehung von Subkulturen zugelassen hat, deren kriminelle Energie und Schadensträchtigkeit das Leistungsspektrum jedweder Mafia-Organisation bei weitem übertreffen. Sie ist mit Sanktionen unterschiedlicher Rechtsqualität in Höhe von derzeit circa. 10 Milliarden Euro belastet. Bei den Vorwürfen gegen die Deutsche Bank geht es auch um das ‚Herzstück’ der Organisierten Kriminalität: Geldwäsche. Ist die Deutsche Bank nicht bereits eine kriminelle Vereinigung? Diese Frage stellt sich der Rechts- und Staatswissenschaftler Wolfgang Hetzer in seinem jüngst erschienen gleichnamigen Buch. Hetzer ist für diese Frage wohl eine der kompetentesten Stimmen überhaupt. Mehr als zehn Jahre war er in leitender Funktion im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF/Office Européen de Lutte Anti-Fraude) tätig. Zuvor war er Referatsleiter im Bundeskanzleramt und dabei unter anderem für die Bereiche organisierte Kriminalität und Geldwäsche zuständig. Für die NachDenkSeiten hat Wolf Wetzel[*] mit ihm gesprochen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Vorneweg möchte ich Sie fragen, ob sich das Fragezeichen im Titel Ihres Buches auf die (fehlende) Rechtspraxis bezieht oder auf die fehlende Substantiierung Ihres Vorwurfs in Richtung Deutscher Bank?

Die Verwendung des Fragezeichens dürfte in mehrfacher Hinsicht auch meiner juristischen Sozialisierung geschuldet sein. Ich werde zwar häufig gefragt, warum ich statt des Fragezeichens kein Ausrufezeichen verwendet habe, könnte das doch die Verkaufsaussichten für das Buch verbessern. Das Gegenteil könnte aber genauso gut eintreten, weil viele Menschen (und hoffentlich viele potentielle Käufer und Leser) sich bei einem Ausrufezeichen fragen könnten, was denn ein Buch mit diesem Titel in der Sache Unbekanntes bringen könnte und deshalb eher auf eine Beschäftigung mit dem Thema verzichten würden. Bei einem Ausrufezeichen würden sich zudem die „Verantwortlichen“ der Deutschen Bank motiviert sehen, Horden von Rechtsanwälten gegen mich in Marsch zu setzen, weil sie vermutlich ernsthaft glauben, dass die von Ihnen geführte bzw. zu führende Bank keine kriminelle Vereinigung sei. Immerhin hat sich in diesem Institut doch eine bemerkenswerte „Kultur“ der Streitbarkeit entwickelt, die zu einer enormen Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten geführt hat. Die veröffentlichten Zahlenangaben schwanken zwischen 6.000 und 7.000.

In den letzten Jahren hat sich die Deutsche Bank die Führung entsprechender Prozesse übrigens über 12 Milliarden Euro kosten lassen. Ca. 5 Milliarden Euro hat sie für weitere Rechtsrisiken zurückgestellt.

Sie könnten jetzt sagen, dass die Verwendung eines Fragezeichens ein Beleg für meine Feigheit ist, mit der Deutschen Bank in ein juristisches Gefecht zu gehen. Das mag so sein. Sie könnten auch sagen, dass das Fragezeichen ein Zeichen dafür ist, dass ich mir meiner Sache nicht ganz sicher bin. Auch damit könnten Sie Recht haben, mache ich doch zum Schluss meines Buches u. a. folgende Aussagen:

  • „Eine kriminelle Vereinigung ist kriminell.
  • Die Deutsche Bank ist keine kriminelle Vereinigung.
  • Die Organisierte Kriminalität (OK) ist organisiert.
  • Die Deutsche Bank ist kein Teil der OK.
  • Die Deutsche Bank ist eine Bank ist eine Bank ist eine Bank.“

Angesichts dieser Ergebnisse war die Entscheidung für ein Fragezeichen vielleicht einfach nur ein halbwegs überwältigender Beweis meiner Lebensklugheit, finden Sie nicht?

Sie beschreiben sehr eindrucksvoll, dass die Korruptionsbekämpfung in Deutschland darunter leidet, dass sie im Verdachtsfall nicht gegen eine Konzernführung vorgehen kann. In Sachen Wirtschaftskriminalität geht das angewandte Strafrecht nicht von Organisierter Kriminalität aus, sondern von einem Vergehen Einzelner. In aller Regel wird angenommen, sie hätten im Eigeninteresse gehandelt, also gegen Konzerninteressen verstoßen. Entspricht das Motiv der „Untreue“ zum Nachteil des Unternehmens den tatsächlichen Beweggründen oder schüttet es nicht vielmehr tatsächliche Entscheidungs- und Machtstrukturen eines Konzerns zu? Schließlich ist ein Konzern doch alles andere als eine Versammlung freier, gleicher Individuen?

Ich muss Ihnen leider zunächst widersprechen. Fast jede Form von Wirtschaftskriminalität weist Merkmale Organisierter Kriminalität (OK) auf. Natürlich kommt es in diesem Zusammenhang auch zu deliktischem Verhalten Einzelner, das nach dem individuellen Zurechnungskonzept des in Deutschland geltenden Strafrechts einem konkreten Täter zugerechnet wird, der dann zu bestrafen ist, wenn ihm zweifelsfrei nachgewiesen wird, dass er den Tatbestand eines Strafgesetzes rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat. Schätzungen zufolge stammt die Hälfte der mutmaßlichen Täter im Bereich der Wirtschaftskriminalität aus dem Unternehmen selbst. Ein Drittel von ihnen gehört zum Management. Die Verantwortung von Unternehmen ist zudem ohnehin größer als die von Einzelpersonen. Das ist ein Umstand, den Strafgerichte häufig nicht bedenken. In der Folge werden dem Individuum nicht mehr erfüllbare Pflichten auferlegt, um zu einer Sanktionierung gelangen zu können. Nachweisprobleme hinsichtlich der Pflichtverletzung führen in der Gerichtspraxis häufig zu verfahrensbeendenden „Absprachen“. Die Ahndung von Pflichtverletzungen sollte aber dort erfolgen, wo die Pflichten angesiedelt sind, nämlich bei den Unternehmen selbst. Das Individualstrafrecht leidet insoweit an Überforderung, weil es nicht auf Bestrafung, sondern auf Problemlösung abzielt. Dagegen ist in der Vergangenheit immer wieder eingewandt worden, dass die Strafjustiz für die Steuerung gesellschaftlicher Entwicklungen nicht zuständig sei. Zudem gebe es eine unterkritische Ausstattung der Justiz im Hinblick auf den Nachvollzug von Betriebsabläufen, der Überwachung und Liquidierung von Unternehmen.

Wichtiger ist allerdings die Tatsache, dass es eben auch Straftaten gibt, die von juristischen Personen und Personenvereinigungen begangen werden. Das Spektrum der Wirtschaftskriminalität wird natürlich nicht nur von dem bösen Einzeltäter innerhalb eines Unternehmens abgedeckt, der sich seinem Arbeitgeber gegenüber etwa „untreu“ verhält. Große Konzerne und Unternehmensgruppen haben nicht nur einen erheblichen Einfluss auf wirtschaftliche Strukturen, sie sind auch für das soziale Gefüge von Bedeutung, wenn etwa Umwelt- und Korruptionsdelikte im Unternehmensumfeld begangen werden. Immerhin entfällt etwa die Hälfte des in der polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Gesamtschadens Jahr für Jahr auf Wirtschaftsstraftaten.

Vor diesem Hintergrund ist ein Nachdenken über die Aufgaben des Strafrechts unabdingbar. Tatsächlich sind kollektive Interessen und Funktionszusammenhänge immer mehr in den Fokus der Strafgesetzgebung geraten. Die Justiz wird immer häufiger gezwungen, sich mit kollektiven Verhaltensmustern zu beschäftigen, die sich zu einer „Verbandsattitüde“ verdichtet haben, auf die deutsche Behörden jedoch skandalöserweise immer noch nicht mit einer Verbandsstrafe reagieren können. In diesem Milieu geraten Einzelne, die sich im Unternehmensinteresse strafbar gemacht haben, in die Position eines „Bauernopfers“, während die Verantwortlichkeit der Organisation und die Strafbarkeit ihrer Führer durch „Freizeichnung“ verschleiert wird.

Wenn man die Skandale beim Siemens-Konzern oder bei der Deutschen Bank addiert, die auch durch gelegentliche Ermittlungsverfahren nicht gestört werden, dann kann man doch von einem firmeneigenen Untergrund sprechen. Würden Sie dieser Bewertung und Qualifizierung zustimmen?

Ja.

Sie beklagen, dass es kein Unternehmensstrafrecht gibt – wie in den USA. In Deutschland fiktionalisiert die Strafverfolgung eine millionenschwere Manipulation der Libor-Zinssätze (Zinssätze zwischen Banken) als eine Straftat Einzelner – obwohl der Gewinn dieser Manipulationen nicht einer Privatperson zugutekam, sondern dem Konzern. Verdeckt eine solche Strafverfolgung in Großunternehmen nicht die eigentlichen Macht- und Entscheidungsstrukturen und ermutigt auf diese Weise zu solchen Straftaten?

In Deutschland hat die Strafjustiz diese Manipulationen noch nicht einmal „fiktionalisiert“. Sie hat sich gar nicht damit beschäftigt. Die milliardenschweren Sanktionen etwa für die Deutsche Bank (knapp 2 Milliarden Euro) für die organisiert-kriminell begangenen Manipulationen des wichtigsten Referenzzinssatzes sind von europäischen und internationalen Aufsichtsbehörden im Zuge administrativer Sanktionen beziehungsweise durch Vergleiche auferlegt worden. Keiner der Beteiligten ist dafür von der deutschen Strafjustiz bislang zu einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe verurteilt worden. Die deutsche Strafjustiz scheint insoweit eine Kreuzung zwischen einem Bettvorleger und einem zahnlosen Tiger zu sein.

Seit Jahren, wenn nicht gar seit Jahrzehnten weiß man um die legalen „Gesetzeslücken“ (an denen nicht selten Konzerne als „Regierungsberater“ mitgearbeitet haben). Man weiß auch um die illegalen Praktiken. Man beklagt im Zuge der Ermittlungsverfahren, dass das gesetzliche Instrumentarium fehle, um effektiv solche Formen organisierter Kriminalität zu bekämpfen. Ist diese Handlungsunfähigkeit nicht gewollt?

Ich habe keine Beweise dafür, dass diese Handlungsunfähigkeit gewollt ist. Es gibt allerdings gerade im Finanzbereich Belege dafür, dass der Gesetzgeber in Deutschland aus fachlichen Gründen in bestimmten Bereichen nicht mehr in der Lage ist, wirkungsvolle und dem Gemeinwohl förderliche Gesetze selbst zu formulieren. Dies zeigte sich unter anderem in der Gesetzgebung über die Deregulierung der Finanzmärkte. Hierbei hat man externe und private Berater (Rechtsberatungskonzerne) beauftragt und mit Steuergeld bezahlt, die gleichzeitig diejenigen beraten und vertreten haben, die von der einschlägigen Gesetzgebung profitierten. Wäre dies in krimineller Zielsetzung und nicht aus Gründen offensichtlicher Inkompetenz geschehen, müsste man darin die hohe, wenn nicht die höchste Form der OK sehen. Dummheit ist aber bekanntlich nicht strafbar. In der Politik wird sie vielmehr häufig gut belohnt, insbesondere wenn sie für bestimmte Interessen instrumentalisierbar ist.

Wenn es um Straßendelikte, um Verkauf von Drogen oder Serienwohnungseinbrüche geht, dann werden solche Straftaten sehr oft als Organisierte Kriminalität eingestuft. Man geht von Verabredungen, von einem gemeinsamen Willen, von klaren Hierarchie- und Befehlsketten aus. Nicht selten werden solche kleinen Delikte als Organisationsstraftaten verfolgt und geahndet. Warum wird dies nicht im Bereich millionenschwerer Straftaten gemacht, gegen Konzerne, in denen Hierarchien und deutlich abgestufte Machtbefugnisse kein Geheimnis sind?

Damit sprechen Sie völlig zu Recht einen Missstand an, der in der gebotenen Kürze kaum angemessen zu beschreiben ist. Versucht man, sich in kriminologischen Standardwerken dem Phänomen der OK zu nähern, dann wird man zum Beispiel die Begriffe „Deutsche Bank“, „Banken“ oder „Finanzwirtschaft“ nicht entdecken. Für die Praxis der Strafverfolgung in Deutschland gilt eine Definition aus dem Jahre 1990. Danach geht es bei der OK um folgendes:

„Organisierte Kriminalität ist die von Gewinnen oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Zeit arbeitsteilig

  • unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen
  • unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder
  • unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft

zusammenwirken.“

Jenseits dieser und anderer amtlicher Definitionen gilt, dass mit dem Begriff OK ein Feld umschrieben ist, das wie kein anderes durch Mythen und Spekulationen geprägt ist. Viele glauben, dass sie mit dem Begriff „Mafia“ alles erklärt hätten. Es geht bei der OK aber nicht um eine konkrete und regionalspezifische Art der Kriminalität.

„Mafia“ ist nur eine Metapher, die für ein System unkontrollierter Macht und für einen pathologischen Machtmissbrauch steht. OK ist nicht nur ein Merkmal strukturschwacher Gesellschaften. Sie hat sich -in unterschiedlichen Formen- in allen politischen Systemen ausgebreitet. Mittlerweile ist OK sogar als Wirtschaftsform und politisches Prinzip etabliert. Vielleicht strebt die Mafia als „ehrenwerte Gesellschaft“ sogar zu ihren Ursprüngen, wenn sie durch Gründung von Unternehmen unter Reintegration von Vermögen in den legalen Finanzkreislauf am Wirtschaftsleben teilnimmt. Vielleicht sind nicht nur in der Mafia kapitalistisches Kalkül und kriminelle Karriere komplementär. Möglicherweise versammelt sich in der OK nicht nur die Essenz des kapitalistischen Prinzips, sondern es spiegelt sich darin die korrumpierende Verbindung ökonomisch-politischer Macht und krimineller Energie.

Die Aktualität dieser und vieler anderer Fragen ist durch zahlreiche anregende Beispiele auf allen Etagen der wirtschaftlichen und politischen Hierarchien enorm gewachsen. Die Deutsche Bank ist nur eines der prominentesten Beispiele. Wir könnten in diesem Zusammenhang auch über namhafte Automobilhersteller sprechen.

Antworten sind aber nicht einfach, weil die angebliche Unterscheidbarkeit von Gewinn und Beute den Erklärungswert und die Überzeugungskraft eines Ammenmärchens hat. Steuerhinterziehung, Fehlallokation von Kapital zum Zweck der Steuervermeidung, steuerlicher Gestaltungsmissbrauch von legalen Unternehmen zum Nachteil der Allgemeinheit und korrupter Praktiken in weltweit agierenden Konzernen haben zu einer strukturellen und funktionellen Überschneidung mit OK geführt.

Die verantwortlichen Manager werden selbstverständlich jeden Vergleich mit dem Verhalten eines Mafia-Bosses zurückweisen, auf betriebswirtschaftliche Zwänge, den Konkurrenzdruck, das Arbeitsplatzrisiko und das fiskalische Interesse des Staates hinweisen. Sie werden erklären, dass sie im Interesse ihrer Mitarbeiter und deren arbeitslosen Frauen, schulpflichtigen Kindern und altersdementen Eltern gehandelt hätten, regelmäßig ihre Steuerpflichten erfüllten, Kinder nicht sexuell missbrauchten, keine körperliche Gewalt gegen die Ehefrau anwendeten und das Bundesverdienstkreuz an verschiedenen Bändern und mit Sternen erhalten haben.

Die (Un-)Verantwortlichen werden auch beweisen wollen, dass sie von bestimmten konspirativen Verabredungen nichts gewusst und diese auch nie gebilligt hätten. Gleichzeitig werden sie verkünden, dass sie die Verantwortung übernehmen und die notwendigen Reorganisationsmaßnahmen – natürlich mit Ausnahme der eigenen Position – unverzüglich vornehmen. Die Verdächtigen werden belegen, dass sie sich rechtzeitig den qualifiziertesten verfügbaren Rechtsrat eingeholt haben und deshalb einen unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen seien. Jeder wird sagen, dass er es nicht für möglich gehalten hätte, von langjährigen Mitarbeitern so getäuscht zu werden. Bei einem derart vergleichbaren Lamento hat sich übrigens der ehemalige Ko- Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank Anshu Jain besonders hervorgetan.

Heutzutage ist nicht immer leicht zu klären, in welchem Maße und bei welchen Gelegenheiten zwischen (noch) legalen Unternehmen und der OK Deckungsgleichheit besteht. Es ist nicht zu übersehen, dass die Finanzierungsbedürfnisse politischer Parteien, die Machtinteressen von Politikern und die Gewinnorientierung von Unternehmen in unheilvoller Weise zusammengewachsen sind.

Insbesondere Korruption hat sich zum verführerischen und gefährlichsten Leitmotiv der Moderne entwickelt. Sie ermöglicht es gerade der OK, auf Waffengewalt konventioneller Art zur Durchsetzung ihrer Absichten zu verzichten. Geld korrumpiert nicht nur, es räumt jeden Weg geräuschlos frei. Damit schließt sich der Kreis: Jede Gesellschaft hat die OK, die sie verdient, weil sie an ihr und mit ihr verdient.

In der OK spiegeln sich die moralischen und ethischen Widersprüche einer Gesellschaft, die Lebenslügen der bürgerlichen „Wohlanständigkeit“ und die Folgen politischer Täuschungen zum Zwecke des Machterwerbs sowie die Wirkungen der egomanisch-asozialen Energie, die Funktionsträger bei der Verteidigung ihrer Positionen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung regelmäßig entwickeln.

Mittlerweile nimmt man achselzuckend zur Kenntnis, dass u. a. der US-amerikanische Geheimdienst NSA die Erfassung aller Kommunikationsdaten betreibt und auswertet. Das schließt in der Konsequenz die Erfassung sensibler Wirtschaftsdaten, vertraulicher Konzernkommunikation ein. Wenn Ersteres unbestritten illegal ist, dann stellt sich die Frage: Werden nicht solche Skandale, wie bei der Deutschen Bank, bei VW oder innerhalb der FIFA auch durch solche Geheimdienstinformationen gesteuert? Gehört das nicht zum „Wirtschaftskrieg“, mit dem Ziel Konkurrenten zu diskreditieren, mit der Absicht, „nationale Interessen“ besser zu positionieren?

Es ist die Aufgabe der NSA wie die aller Nachrichtendienste auf der ganzen Welt, Informationen zu sammeln, die für den jeweiligen Auftraggeber (Staatsregierungen) von Interesse sind. Dabei geht es nicht um Fragen der Rechtmäßigkeit, sondern der Effizienz. Das wird man übrigens auch dem Mitarbeiter des deutschen Bundesnachrichtendienstes noch einmal erklären müssen, der nicht nur mit der Überwachung der Telekommunikation der (ehemaligen) Hohen Beauftragten der EU für Außenpolitik, Ashton, beauftragt war, sondern auch mit der Abhörung der Telefonanschlüsse des derzeitigen amerikanischen Außenministers Kerry beschäftigt war, aber leider nicht in der Lage war, bei dessen Handy-Verbindung die richtige Ländervorwahl zu benutzen.

Mir liegen keine öffentlich vorzeigbaren Erkenntnisse darüber vor, ob die genannten „Skandale“ von ausländischen Geheimdiensten gesteuert wurden. Es ist aber belegbar, dass in bestimmten Bereichen der Wirtschaft und der Finanzbranche sehr robuste Auseinandersetzungen stattfinden, ein Grund dafür, dass ich einem meiner Bücher den Titel „Finanzkrieg“ gegeben habe.

Ich möchte zum Abschluss unseres Gespräches auf das weniger robuste Strafrecht zu sprechen kommen – wenn es um organisierte Wirtschaftskriminalität im DAX-Milieu geht. Sie beschreiben auf dem Hintergrund Ihrer langjährigen Erfahrungen, dass nicht einmal die bestehenden strafrechtlichen Möglichkeiten genutzt werden. Daran würde dann auch eine Änderung des Strafrechts – unter Einfügung eines Unternehmensstrafrechts – nichts ändern. Wenn zu beidem sowohl der exekutive als auch der legislative Wille fehlt, dann müssen Sie mir und den LeserInnen jetzt doch noch ein wenig Hoffnung machen. Geht das?

Nein. Ich beschreibe nur das, was ich sehe. Sie mögen hoffen, dass ich die Dinge falsch sehe. Das kann durchaus sein. Fraglich ist aber, ob man daraus “Hoffnung” schöpfen kann. Vielleicht kommt es aber auf die Richtigkeit meiner Analysen auch gar nicht an, wenn es denn wahr ist, dass Hoffnung ein Prinzip ist. Meine Erfahrung ist jedoch, dass der Geltungsanspruch des Rechts immer wieder an politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen scheitert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um viel Geld geht. In meinem allerneuesten Buch ‚Geldputsch – Die europäische Zentralbank kauft einen Kontinent’ habe ich versucht, dies detailliert zu begründen und nachzuweisen. Ich fürchte allerdings, dass auch diese Lektüre keine Hoffnung auf eine sozial gerechte Änderung der Verhältnisse hervorruft. Hoffnung ist erst dann angebracht, wenn wir bereit sind, für unsere entsprechenden Vorstellungen zu kämpfen. Allein ein Blick auf die Beteiligung an Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland zeigt aber, dass zu viele Menschen schon resigniert haben, vielleicht sogar dauerhaft hoffnungslos geworden sind. Das ist ein besonders trauriger Umstand, der allerdings nichts daran ändert, dass jedes Volk die Regierung verdient, die es hat.

Ich habe Ihr „Nein“ befürchtet. Trotzdem gibt es in Ihrer Antwort einen Satz, den ich aus ganzem Herzen unterstreichen möchte. Ich danke Ihnen sehr für dieses Interview.


[«*] Wetzel, Wolf: Der Rechtsstaat im Untergrund. Big Brother, der NSU–Komplex und die notwendige Illoyalität, PapyRossa Verlag 2015

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