Die Schröderianer jagen erneut einen SPD-Vorsitzenden vom Hof

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Die Personalentscheidungen auf der Klausur am Schwielowsee bei Potsdam sind eine weitere politische Richtungsentscheidung der SPD von oben. Der Rückzug von Kurt Beck, die Kanzlerkandidatur von Frank Steinmeier und der erneute Parteivorsitz von Franz Müntefering zeigen: die Rechte in der SPD macht tabula rasa mit allem, was die Agenda-Politik von Gerhard Schröder modifizieren oder gar in Frage stellen könnte. Ein Jahr vor der Bundestagswahl wird es der Partei von unten nicht mehr möglich sein, das sture Festzurren des Agenda-Kurses zu lockern. Wie schon bei der Ausrufung von Neuwahlen oder der Aufgabe des Parteivorsitzes durch den damaligen Kanzler Schröder wird eine inhaltliche Diskussion und eine diskursive oder gar streitige Auseinandersetzung über einen zukunftsfähigen Kurs durch einen weiteren Coup von oben unterbunden. Man wird die SPD nun auf die vorbehaltlose Unterstützung des Kanzlerkandidaten einschwören. Wolfgang Lieb

Die angebliche „Linke“ im Bundesvorstand, Andrea Nahles, hatte nach dem Abgang ihres Protegés Kurt Beck auch nichts anderes zu sagen, als dass sie „ihrer Verantwortung gerecht“ werde und nun für „Geschlossenheit“ eintrete. Wieder einmal wird der Parteitag der SPD vor vollendete Tatsachen gestellt: „Unterhaken“ und blinde Gefolgschaft werden eingefordert.

Franz Müntefering wird wie unter Schröder die Rolle des Einpeitschers übernehmen, auf dass die Partei dem Steinmeierkurs folge. Dabei wird er wie immer schon auf sein aufgebautes Image als sozialdemokratisches „Urgestein“ und als „Parteisoldat“ setzen (das Steinmeier fehlt). Er besitzt die rhetorischen Fähigkeiten, die Partei ruhig zu stellen und als „Dompteur“ die SPD für den Zuschauer Kratzfüßchen machen zu lassen.

Gegen Kurt Beck wurde nach der Hamburger Wahl, wo er für Hessen ein Zusammengehen mit der Linken nicht mehr ausgeschlossen und die Entscheidung den hessischen Genossen überlassen hat, eine Kampagne gestartet. Beck hat vor allem deshalb nicht mehr standhalten können, weil ihm jeglicher Rückhalt seiner beiden Stellvertreter Steinbrück und Steinmeier fehlte. Die Parteirechte in der Bundestagsfraktion und im Seeheimer Kreis hat ohne Rücksicht auf Verluste gegen jede Lockerung des alten Kurses und deshalb gegen Beck intrigiert und ihn nahezu täglich mit immer neuer Häme vor sich her getrieben. Beck gegenüber wurde in den letzten Wochen der Strippenzieher Müntefering ja geradezu zum wiederauferstandenen Heiland für die SPD stilisiert. Mit seiner „Bewerbungsrede“ („Franz wählen“) im Bayerischen Wahlkampf hat der vorvorletzte Parteivorsitzende zuletzt die Medienspekulationen über seine Wiederkehr als Retter der Sozialdemokratie zum Siedepunkt gebracht.

Steinmeier hat mit seinem offenen Drängen auf seine Nominierung als Kanzlerkandidat Beck das Gesetz des Handelns aus der Hand genommen und lief schon seit Wochen in der Rolle des „ehrenwerten Brutus“ mit dem Dolch im Gewande durch die Lande. Nun hat er Beck gemeuchelt. Wie illoyal Steinmeier sich gegenüber Beck verhalten hat, zeigte sich zuletzt darin, dass er selbst oder mit seiner Billigung seine Zuschläger Falschinformationen über die Ergebnisse der „vertraulichen“ Gespräche mit Kurt Beck zu seiner Nominierung als Kanzlerkandidat vor der Klausur an einige Medien durchsteckte. Steinmeier wollte nicht einmal mehr zulassen, dass der Parteivorsitzende ihn als Kanzlerkandidat „von Becks Gnaden“ vorschlug, niemand anderes als er selbst wollte die Parteispitze über die Entscheidung informieren. Diese Version ließ er vorab über den SPIEGEL verbreiten. Beck sollte also nicht einmal mehr die Chance der Gesichtswahrung haben.

In seiner persönlichen Erklärung schreibt Kurt Beck dazu:

In der vergangenen Nacht ist der Plan von mir und Frank-Walter Steinmeier, mit dessen Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD durchzustarten und gemeinsam für einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2009 zu sorgen, durchkreuzt worden.
Nachdem ich vor gut zwei Wochen Frank-Walter Steinmeier gebeten habe, die Spitzenkandidatur zu übernehmen, haben wir in einer Reihe von Gesprächen sorgfältig und vertrauensvoll die Vorbereitungen getroffen. Teil dieses Konzeptes der Geschlossenheit war auch die Einbeziehung des ehemaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering. Durch die Sonder-Tagung der EU-Außenminister in Brüssel am 1. September 2008 verschob sich die geplante Bekanntgabe der Entscheidung auf den heutigen Tag.
Aufgrund gezielter Falschinformationen haben die Medien einen völlig anderen Ablauf meiner Entscheidung dargestellt. Das war und ist darauf angelegt, dem Vorsitzenden keinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu belassen. Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Möglichkeit mehr, das Amt des Parteivorsitzenden mit der notwendigen Autorität auszuüben.

Steinmeier hat von seinem Lehrherrn Gerhard Schröder gelernt, wie man einen innerparteilichen Gegenspieler bekämpft. Nicht etwa mit offenem Visier, sondern indem man ihn so lange durch Intrigen und Durchstechereien zermürbt, bis er resigniert und aufgibt. Nicht nur Spekulationen im SPIEGEL legen nahe, dass Gerhard Schröder selbst die Fäden für dieses Intrigenspiel mitgesponnen hat. Was nicht erstaunlich wäre, weil Steinmeier ein Schröderianer „durch und durch“ ist.

Kurt Beck hat nun dasselbe Schicksal ereilt wie den damaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine. Auch Beck wurde hinterrücks aus den eigenen Reihen unter „friendly fire“ genommen, und der konservative Medienmainstream feuerte dazu nahezu täglich seine Stinkbomben ab. Auch Kurt Beck blieb nur der sprachlose Abgang durch die Hintertür und die Form des schriftlichen Abdankens. Man kann nur zu gut nachvollziehen, dass er keine Kraft mehr hatte, eine gute Miene zu diesem abgekarteten Spiel abzugeben. Und dass Steinmeier falsch spielte, lässt sich schon daraus ablesen, dass er den abgehalfterten Franz Müntefering zum neuen Parteivorsitzenden ausrief. Dass der auf der Klausur nicht anwesende Müntefering erst am Sonntagmorgen telefonisch gebeten wurde, noch einmal Parteivorsitzender zu werden, und dass er diese Entscheidung ohne Vorgespräche und ohne Bedenkzeit getroffen hat, das glaube wer wolle.

Wie zerrüttet das Verhältnis zwischen beiden ist, konnte jeder, der Ohren hatte zu hören, an Steinmeiers knapper unterkühlter „Danksagung“ an Kurt Beck heraushören. Genau zwei kurze Sätze war ihm Kurt Beck noch wert:

Kurt Beck hat die Partei gut durch eine schwierige Zeit geführt, er hat unsere Partei verstanden – und mit dem Hamburger Programm eine gute Grundlage für unsere künftige politische Arbeit gelegt. Wir alle haben großen Respekt vor seiner Leistung, vor allem schulden wir ihm großen Dank.

Er überließ – wohlgemerkt als nunmehr amtierender Vorsitzender – die pflichtgemäßen Worte der persönlichen Würdigung dem Generalsekretär; der Kellner durfte sich für die vergiftete Suppe des Kochs entschuldigen.

Steinmeier weiß als Seiteneinsteiger in die Politik und in die Partei genau, dass er die SPD weder führen noch zusammenführen kann, deshalb hat er sich auch nur zum Interimsvorsitzenden erklärt und vorgeschlagen, Franz Müntefering erneut zum Parteivorsitzenden wählen zu lassen. Wie Gerhard Schröder bei seinem damaligen Rücktritt vom Parteivorsitz setzt er darauf und kann auch wohl darauf setzen, dass ihm Müntefering bis zur Bundestagswahl bedingungslos den Rücken gegenüber der SPD freihält.
Ein von Steinmeier verkündeter „wirklicher Neuanfang in der Partei“ ist die Personalentscheidung, den 68-jährigen Müntefering aus dem Ruhestand zu holen, gewiss nicht. Jetzt fehlt nur noch die Benennung von Wolfgang Clement in ein Schattenkabinett, gemeldet hat er sich ja schon.

Wenn man sich fragt, welche Ziele die Gruppierung in der SPD verfolgt, die einerseits die SPD in dieses Desaster getrieben und andererseits durch einen innerparteilichen Putsch nun auch mit der Besetzung der Führungspositionen zu ihren Gunsten entschieden hat, dann macht schon die personelle Konstellation deutlich, dass Steinmeier als Schröders „Mach-Mal“ und Consigliere der Agenda-Politik und Müntefering zunächst als Stallmeister in der SPD und später als Sozialminister und Vizekanzler als Exekutor der Agenda 2010 (z.B. Rente mit 67) vor allem ihr eigenes vorausgegangenes Tun verbissen verteidigen werden. Die SPD wird also zur Geisel von Politikern genommen werden, die nichts mehr anderes im Sinn haben, als ihr weitgehendes Scheitern zu leugnen. Womöglich wird sogar noch an der Legende gestrickt, dass Kurt Beck für den Niedergang, ja vielleicht sogar für die Austrittswelle aus der SPD verantwortlich war.

Es wird laufen wie bei den letzten SPD-Wahlkämpfen, man bläst soziale Schalmeientöne und betreibt Sozialabbau. Schon heute tönte Steinmeier:

Wir wollen ein Land, in dem die starken Schultern für die Schwachen einstehen, und wo den Schwachen geholfen wird, stark zu werden. Das ist der Kern unserer sozialdemokratischen Idee.

Aber auch nur die geringste Lockerung, wie etwa die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere, wie sie Kurt Beck auf dem Hamburger Parteitag der SPD gegen Müntefering durchgesetzt hat, wird es künftig nicht mehr geben. Gerade diejenigen, die mit ihrer Politik die Linkspartei erst geschaffen haben, setzen nun ihr Werk fort. Die strategische Selbstblockade der SPD mit dem Berührungsverbot gegenüber der Linkspartei wird unter Verzicht auf eine realistische Option einer „linken“ Mehrheit zementiert.

Steinmeier weiß, dass er mit der von ihm verkündeten „Aufholjagd“ allenfalls seine Backen noch weiter aufbläst. So sehr kann er den Bezug zur Realität gar nicht verloren haben, als dass er seine pflichtschuldige Ankündigung „Ich trete nicht an, um auf Platz zu spielen“ selber glaubt.
Gerade diejenigen, die gegenüber der Hessen-SPD ständig von der Glaubwürdigkeit als Wert der politischen Kultur daherreden, haben vor und auf dieser Klausur bewiesen, dass ihnen die demokratische Kultur keinen Pfifferling wert ist, wenn es um die Durchsetzung ihrer persönlichen Interessen geht. Mehr Verlust an Vertrauen in eine demokratische Partei geht nicht.

Nachdem die beliebten Medienspielchen um die Kanzlerkandidatur nun ein Ende haben, wird man wieder erkennen, dass der Anspruch auf eine Kanzlerschaft angesichts der Sackgasse, in die sich die SPD politisch hineinbegeben hat, nur eine Lachnummer ist. Man wird, nachdem Kurt Beck als Prügelknabe weg ist, nun auf die SPD einprügeln, weil sie sich diesem erneuten Putsch von oben nur mürrisch beugen wird (siehe z.B. auch den heutigen Kommentar des Chefredakteurs der FR Uwe Vorkötter).

Das einzige Ziel, das Steinmeier sich, wenn er ganz optimistisch ist, setzen kann, besteht darin, mit seinem Kurs der „Mitte“ der CDU so viele Stimmen abzunehmen, dass es bei den Bundestagswahlen zu Schwarz-Gelb nicht ganz reicht und er weiter den Vizekanzler abgeben darf. Steinmeiers Beifahrer Steinbrück hat die erneute Große Koalition ja schon ungeschminkt als Wahlziel ausgegeben.

Die Regierungsmitglieder und die Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion setzen allenfalls darauf, möglichst auch künftig an der Regierung beteiligt zu sein. Auch für die Karrieristen bei den „Seeheimern“ wäre bei einer dann nur noch kleinen CDU/CSU/SPD-Koalition ja immerhin noch der eine oder andere Posten in der Regierung drin – zu mehr als zu parlamentarischen Staatssekretären reicht es diesen aalglatten Politdarstellern, deren Profil im Wesentlichen darin besteht sich gegen ihre Partei zu profilieren, ohnehin nicht.

Und wenn diese Strategie nicht aufgehen sollte und Schwarz-Gelb die Mehrheit holen würde, dann kann man ja die Vorbilder Schröder und Clement nachahmen: Man geht einfach durch die Drehtür aus der Politik und verdient zum ersten Mal dann richtig Geld in der Wirtschaft – schließlich hat die ja allen Grund für ein nachträgliches Dankeschön.

Das einzig Positive an dieser düsteren Prognose ist, dass nur noch in der Opposition tatsächlich ein „Neuanfang“ der SPD möglich wäre. Es sei denn, dass bis dahin Die Linke der SPD das Wasser abgegraben hat, weil sie als letzte Hoffnung für sozialdemokratische Wählerinnen und Wähler übrig geblieben ist.

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