Wichtig für unser Land: Die politische und mediale Vorherrschaft des Finanzsektors muss gebrochen werden

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die Finanzwirtschaft ist ein Wirtschaftssektor wie alle anderen auch. Eigentlich nicht wichtiger als das Transportgewerbe, der Einzelhandel, das Handwerk oder die Automobilindustrie. Auf diesem Markt wäre dafür zu sorgen, dass der Zahlungsverkehr funktioniert, dass Sparer und Investoren zusammenfinden, also eine effiziente Kredittransformation stattfindet, und dass man sich gegen Risiken versichern kann. Das ist nahezu alles. In der Realität ist dieser Sektor in den letzten Jahrzehnten enorm aufgebläht worden. Der Finanzsektor hat Raum gegeben für die permanente Spekulation, für Wetten, für Spielernaturen und für Kriminelle. Er hat so einen Anteil des Volkseinkommens für sich in Anspruch genommen, der weit über dem liegt, was die Wertschöpfung dieses Sektors wert ist. In Großbritannien, so habe ich in Erinnerung, hat dieser Sektor rund 10% des Volkseinkommens vereinnahmt. (Quelle jetzt nicht auffindbar.) Diese Vorherrschaft ist möglich geworden, weil die Finanzwirtschaft sowohl die Politik als auch die Medien über weite Strecken beherrscht. Albrecht Müller

Das Zusammenspiel von Finanzwirtschaft und Medien-/PR-Wirtschaft

1999 erschien das Buch „Rich Media, Poor Democracy“ des amerikanischen Politologen Robert McChesney. In einem Beitrag für den Freitag vom 31.1.2003 hatte ich auf dieses wichtige Buch hingewiesen. McChesney skizziert unter anderem das Zusammenspiel von Wallstreet und Madison Avenue, also das Zusammenspiel von Finanzwirtschaft und Werbe-/Medienwirtschaft. Er schildert in diesem Buch auch schon die quantitativ und qualitativ hohe Bedeutung der Publicrelations für die politischen Entscheidungen. Man kann die US-Erfahrungen nahezu ohne Abstriche auf uns übertragen. Das Zusammenspiel der beiden Wirtschaftssektoren ist ausgesprochen eng und erklärt die Vorherrschaft der Finanzwirtschaft über die öffentliche Meinung und die Politik. Hier ein paar Beispiele:

  • Die Medien- und Werbewirtschaft profitiert von der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und den damit zusammenhängenden Börsengängen, und sie profitiert von der Privatisierung der Altersvorsorge. Die Zeitungen, die Internetseiten, die Fernseh- und Hörfunk-Kanäle sind beziehungsweise waren voll von Anzeigen, Spots und PR-Berichten der Finanzindustrie. Was alleine zum Beispiel der Börsengang der Telekom den Zeitungen und Fernsehkanälen an Einnahmen gebracht hat, war beeindruckend. Man muss sich SpiegelOnline oder die Werbung vor und nach den Abendnachrichten ansehen, um die Dominanz zu verstehen.
  • Die Finanzindustrie hat als einziger Wirtschaftssektor das Privileg eingeräumt bekommen, zur besten Sendezeit – zum Beispiel bei der ARD kurz vor 20:00 Uhr – präsent zu sein. Da wird der Eindruck erweckt, als ginge hier uns alle das Auf und Ab der Börsen etwas an, obwohl maximal 10% der Deutschen im Besitz von Aktien sind. Es wird auch immer so getan, als seien steigende Kurse von irgendeiner positiven Relevanz für unsere Volkswirtschaft und für uns alle. So wird nachhaltig Meinung gemacht zu Gunsten der Finanzindustrie und ihrer schlimmen Folgen, der Spekulation.
  • Die Medien fördern die Finanzindustrie zum Beispiel dadurch, dass sie die private Altersvorsorge propagieren und die gesamte Propaganda zur angeblich negativen demographischen Entwicklung mitgemacht haben.
  • Die Medien schonen die Finanzindustrie: Sie haben Ackermann seine arrogante 25%-Rendite-Vorstellungen ohne deutliche Kritik durchgehen lassen; auch jetzt, nachdem sich solche Renditevorstellungen als abstrus erweisen, wird der Urheber dieser Vorstellungen von den Medien geschont.
  • Die Medien haben die Propaganda mitgemacht, wonach die gescheiterte IKB eine öffentliche Bank gewesen sei; sie haben die Hilfspakete des Steuerzahlers für die Hazardeure der Finanzindustrie in der Regel abgesegnet; sie haben nicht kriminell genannt, was kriminell zu nennen ist: das Verpacken fauler Kredite in Pakete von angeblichen Wertpapieren; sie schonen seit Jahren Finanzindustrie und Politik durch den samtpfotigen Umgang mit Steueroasen; usw..
  • Die Medien lassen sich auch jetzt auf die Sprachregelungen der Finanzwirtschaft ein: es ist alles nicht so schlimm; dass der Steuerzahler einspringt, ist selbstverständlich; grundlegende Änderungen brauchen wir nicht; Populisten sind jene, die die Finanzkrise zum öffentlichen Thema machen.
  • Die Medien thematisieren nicht die ungeheuerliche Absicht, jene Menschen, die nicht im Besitz von Geldvermögen sind, über ihre Lohnsteuer und Mehrwertsteuer an der Sicherung der Einlagen der Vermögenden zu beteiligen. So sehr volkswirtschaftlich betrachtet die Sicherung der Einlagen sinnvoll sein mag, das Mindeste, was zu verlangen wäre, ist eine öffentliche Debatte der Zumutung, die darin besteht, dass man Vermögenslose und Schuldner an der Sicherung der Geldvermögen der Vermögenden beteiligt. Zumindest müsste man darüber nachdenken, wie nach der Überwindung der Krise der Ausgleich hergestellt werden kann. Eine Art Lastenausgleich wäre angebracht.
  • Die politisch Verantwortlichen werden geschont. Dass Bundesfinanzminister Steinbrück und die Bundesregierung von Schröder bis Merkel unser Land bewusst den spekulativen Elementen des Finanzmarktes ausgesetzt haben, indem sie die Verbriefungen gefordert, Hedgefonds zugelassen und diese Art von Finanzmarkt durch weitere Privatisierungen ausdrücklich gefüttert und damit gefördert haben, wird nicht zum Thema gemacht. Gäbe es die enge Partnerschaft von Finanzindustrie und der Meinungsmache nicht, dann hätten der Bundesfinanzminister, der Bundesbankpräsident und der Bafin-Präsident den Hut nehmen müssen.
  • Auch die Tatsache, dass der Bundesfinanzminister wie auch die Bundeskanzlerin wegen angeblicher Gefahr der weiteren Verschuldung jegliche Förderung der niedergehenden Konjunktur mithilfe eines Investitionsprogramms abgelehnt haben, wird von den herrschenden Medien nahezu nicht thematisiert, obwohl die dafür notwendigen Mittel ein Bruchteil dessen ausmachen, was jetzt zur Hilfe der Finanzindustrie bereitgestellt wird.
  • Die personelle Verfilzung, die wir in den letzten Tagen in den NachDenkSeiten wieder einmal beschrieben haben, wird von den Medien nicht zum Thema gemacht: Warum wird nicht thematisiert, dass Jürgen Schrempp als Berater und der ehemalige Kanzleramtsminister Bury sogar als Vorstandsmitglied für die insolvente Investmentbank Lehmann Brothers tätig waren beziehungsweise sind. Das wäre doch ein tolles Thema für Recherchen und entsprechende Darstellungen. Welches war die Rolle von deutschen Politikern und ehemaligen Managern wie Lothar Späth und Friedrich Merz bei Transaktionen wie dem Verkauf der IKB an Lonestar? Welche Rolle spielt die parteipolitische Verflechtung des Vertreters von MorganStanley und ehemaligen Wahlhelfers von Frau Merkel, Notheis, und die Beratungstätigkeit des Deutschland-Chefs von Goldman Sachs Dibelius für die wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung? Die Medien schweigen. Das ist schon sehr komisch.

Die Verfilzung der Finanzwirtschaft mit der Industrie der Meinungsmache ist offensichtlich und hat direkte Folgen für die Willensbildung und die politische Entscheidungsfindung.

Wo bleiben die notwendigen, direkt möglichen politischen Entscheidungen zur Minderung weiteren Schadens?

Es wird pauschal von neuen Regeln gesprochen – an diesem Gerede beteiligen sich auch die herrschenden Kreise in Politik, Finanzwirtschaft und Medien. Aber die direkt möglichen Entscheidungen bleiben ausgeklammert, werden nicht einmal thematisiert. Zum Beispiel:

  • Warum wird die zum 1.1.2002 eingeführte Steuerbefreiung beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen nicht zurückgenommen? Sie erleichtert die Beschickung des Spielcasinos Finanzmarkt.
  • Warum nimmt die Bundesregierung nicht offiziell das Wohlwollen für das Verscherbeln eines deutschen Unternehmens nach dem andern zurück, das mit Gerhard Schröders Aufforderung zur Auflösung der Deutschland AG propagandistisch begleitet wurde?
  • Warum stoppt die Bundesregierung nicht die Teilprivatisierung und den Börsengang der Bahn?
  • Warum stoppt sie die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und öffentlichen Eigentums nicht generell?
  • Warum beendet sie nicht die besondere Empfehlung und Förderung von Projekten der Public Private Partnership (PPP/ÖPP)?
  • Warum nimmt sie die Erlaubnis für Hedgefonds nicht zurück und auch nicht die Förderung der Verbriefungen und die Steuerprivilegien von Investmentbankern?
  • Wo ist die europäische Initiative zum Austrocknen der Steueroasen?

Das wäre eine Reihe von Initiativen, die sofort begonnen werden könnten. Hic rhodos, hic salta. In den großen Reden wie etwa jener des Bundesfinanzministers bei den Haushaltsberatungen am 25.9. war davon nichts zu hören.
Wenn die Bundesregierung nicht mit der Finanzindustrie verfilzt wäre, dann müsste sie Klartext reden. Sie müsste die Verpackung von faulen Forderungen in Paketen von Wertpapieren und auch manche der sonstigen, gängigen Verbriefungen Betrug nennen. Sie müsste Spekulationen und Kettenbriefaktionen beim Namen nennen. Das tut sie nicht. Die Finanzindustrie wird weiter geschont.

Der Finanzsektor muss auf das für die Dienstleistungen Kredittransformation, Zahlungsverkehr und Risikoausgleich notwendige Maß reduziert werden. Die Dominanz von Spekulation und Betrug muss eingedämmt und jegliches Element mit Kettenbriefcharakter ausgeschlossen werden.

Das wird die Verdienstmöglichkeiten in diesem Wirtschaftssektor gewaltig einengen. Die heute vorherrschenden Kreise werden dagegen angehen. Ihre maßlosen Einkünfte gründeten bisher nämlich nicht auf der im Finanzsektor möglichen Wertschöpfung durch Kredittransformation, Zahlungsverkehr und Risikoausgleich. Sie gründeten auf Betrug, auf Spekulation zulasten anderer und letztlich der öffentlichen Kassen und der Steuerzahler. Und sie gründeten auf dem vielfachen Vermögenstransfer statt der Kombination von Faktor Arbeit und Kapital. Noch ist die Bundesregierung erkennbar nicht gewillt, das Element Vermögenstransfer zurückzudrängen und einzudämmen.

Es bleibt uns vermutlich wegen der engen Verflechtung auch nichts anderes übrig, als auf politische Veränderungen zu setzen.