Die SPD-Führung steht vor dem strategischen Nichts

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Das könnte einem egal sein, wenn unser Land nicht dringend einer politischen Alternative bedürfte. Wenn gerade in einer so kritischen Situation wie der Finanzkrise Sanktionen gegenüber den Hauptverantwortlichen wie gestern in Hessen ausbleiben, weil es keine erkennbare Alternative gibt, dann geht uns das alle an. Deshalb ist es nicht nur eine Angelegenheit der SPD-Führung, über das Scheitern ihrer bisherigen Strategie Rechenschaft abzulegen. Wir hocken nolens volens mit im Boot. Eine ehrliche Analyse ist die erste Voraussetzung für eine Korrektur. Albrecht Müller

Die Strategie der SPD, soweit eine erkennbar war, ist gescheitert.

Nach der Zerstörung der Option auf die politische Führung schwindet jetzt auch die Chance auf weitere Beteiligung an der politischen Macht:

  1. Ihre Koalitionsstrategie ist gescheitert.
  2. Ihre Personalstrategie zieht nicht.
  3. Ihre Präsentation als breite linke Volkspartei gibt es nicht mehr.
  4. Die negative Haltung der SPD-Führung zu einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei verschließt ihr die notwendige Option für eine andere Macht-Alternative und erweist sich noch dazu immer mehr als absolut unglaubwürdig.
  5. Sie lässt ihre potentiellen Partner stigmatisieren beziehungsweise macht beim Diffamieren selbst mit. Und die politischen Gegner fördert sie.
  6. Die SPD Führung nutzt die sich bietenden Gelegenheiten zur Profilierung und zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit CDU/CSU und FDP nicht – im konkreten Fall nicht die Finanzkrise, die eigentlich zu einer vernichtenden Niederlage der neoliberal geprägten Parteien führen müsste.
  7. Ihr Versuch, sich wenigstens einen Teil der Medien geneigt zu machen, ist kläglich gescheitert.

Im Einzelnen:

Zu 1. Ihre Koalitionsstrategie ist gescheitert.
Schon seit längerem zeichnet sich ab, dass zumindest Müntefering, Steinmeier und Steinbrück auf die Fortsetzung der großen Koalition unter der Führung von Angela Merkel setzen. Darauf wiesen wir in den NachDenkSeiten schon mehrmals und mit Belegen versehen hin. Zum Beispiel hier: “Warum sollte man Mitglied einer fremdbestimmten Partei sein, die obendrein kein Interesse an der Macht hat?”
Diese Strategie wurde in den vergangenen Monaten schon durch Umfragen immer wieder als illusionär bestätigt, übrigens auch deshalb, weil eine große Volkspartei wie die SPD an Image gewaltig verliert, wenn sie nur auf den zweiten Platz setzt. Die Umfragen sind durch das hessische Landtagswahlergebnis als einigermaßen verlässlich bestätigt worden. Schwarz-Gelb wird aller Voraussicht nach, wenn die SPD sich keine andere Strategie ausdenkt, die Wahl im September gewinnen.
Die SPD hat selbst in vielerlei Hinsicht zu diesem Niedergang beigetragen, unter anderem eben mit ihrer Strategie, auf die Fortsetzung der großen Koalition zu setzen. In den Augen der meisten Wählerinnen und Wähler dürfte das als Eingeständnis gewertet worden sein, sich mit der Rolle des Juniorpartners der Union zufrieden zu geben.

Zu 2. Ihre Personalstrategie ist gescheitert.
Jeder Wahlkampfplaner weiß, dass bei Wahlentscheidungen Personen und an Personen fest zu machende Emotionen eine wichtige Rolle spielen. Die Spitzenkandidaten müssen interessant sein, sie sollten wenigstens ein bisschen Sexappeal haben, sie sollten etwas ausstrahlen, sie sollten die Menschen interessieren, sie zur Kommunikation auch über diese Personen animieren. Eine einigermaßen gute Parteiführung denkt auch an diese Qualitäten, wenn sie sich für ein Personaltableau entscheidet.
Diese banale Erkenntnis scheint der in der SPD herrschenden Gruppe völlig fern zu liegen. Steinmeier erscheint als tröge, genauso Müntefering und Steinbrück. Dass diese Menschen Interesse auslösen, dass man über sie positiv kommunizieren könnte, das ist eher unvorstellbar.
Nun kann man einwenden, dafür könnten diese Personen nichts. Das ist richtig. Aber eine Parteiführung, die gewinnen will, muss ihre Verantwortung dann eben wahrnehmen und ein anderes Tableau zusammenstellen. Oder sie muss, wenn sie diese Voraussetzungen nicht schaffen kann, hilfsweise zumindest soviel interessanten Stoff anbieten, dass die Nachteile der Personen und ihrer Ausstrahlung so weit es geht ausgeglichen werden. – Die Finanzkrise würde sehr viel Stoff für einen solchen thematischen Ausgleich für personale Schwächen bieten. Man hat den Eindruck, dass die handelnden Personen danach nicht einmal suchen.

Zu 3. Ihre Präsentation als breite linke Volkspartei gibt es nicht mehr.
Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel sprach am Wahlabend von der Zerrissenheit seiner Partei. Das müsste doch auch für die Berliner Spitze der SPD ein Fingerzeig auf die alte Erkenntnis sein, dass die SPD wie auch die andere Volkspartei Wahlen nur gewinnen kann, wenn sie in einer breiten Formation antritt, personell und vor allem inhaltlich. Sie muss verschiedene Gruppen binden und motivieren.
Mit der Kritik und letztendlich der publizistischen und personellen Vernichtung der überdurchschnittlich erfolgreichen Wahlkämpferin Andrea Ypsilanti haben die SPD-Führung und die dort offenbar bestimmenden Seeheimer Kreise die SPD auf einen rechten Kern eingedampft. Mit dieser personellen und inhaltlichen Veränderung wird die SPD nicht mehr das für die politische Führung notwendige breite Wählerpotenzial mobilisieren können.

Zu 4.: Die negative Haltung der SPD-Führung zu einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei verschließt ihr die notwendige Option für eine andere Macht-Alternative und erweist sich noch dazu immer mehr als absolut unglaubwürdig.
Wenn die CDU/CSU und auch die FDP die SPD nicht brauchen, dann hat die SPD keine Option, weil sie zumindest auf Bundesebene die Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen hat. Immer mehr wird zudem deutlich, was man sich eigentlich auch schon an allen fünf Fingern einer Hand abzählen konnte, dass die SPD Führung mit dem Spagat „In Gemeinden und Ländern Zusammenarbeit mit der Linkspartei Ja, im Bund Nein“ nicht durchkommen wird. Das glauben der SPD-Führung die anderen Parteien und die Medien nicht, und es glauben ihr auch die Wählerinnen und Wähler nicht. Wie kann man eine so groteske Strategie dennoch fortführen?

Zu 5.: Die SPD lässt ihre potentiellen Partner stigmatisieren beziehungsweise macht beim Diffamieren selbst mit. Und die politischen Gegner fördert sie.
Mit der Ablehnung der Zusammenarbeit mit der Linkspartei (auf Bundesebene) verbunden ist, dass die SPD dies irgendwie begründen muss. Sie begründet es nunmehr seit Existenz der Linkspartei mit den gleichen Argumenten wie das die konservativen Parteien auch tun: kein Programm, Populisten, alte Kommunisten, nicht verlässlich in der Außenpolitik, usw. Einmal abgesehen davon, dass diese Vorwürfe nicht stimmen, übersieht die SPD Führung, dass sie mit dieser Taktik das linke Lager insgesamt schwächt und damit auf lange Sicht auch ihre Möglichkeiten, später oder heute schon auf Landesebene Koalitionen links von der Mitte zu schmieden.
So zu verfahren widerspricht auch jeder historischen Erfahrung. Für Willy Brandt war es völlig klar, dass er trotz manchen Widerwillens z.B. gegen die Nazivergangenheit einiger Freien Demokraten und trotz ihrer Interessenverflechtung mit der Wirtschaft die sozialliberale Koalition und damit auch den Partner FDP 1969 ff. pflegen und auch loben muss. Und umgekehrt haben manche Freidemokraten damals verstanden, dass sie die Zusammenarbeit mit der SPD loben müssen, wenn das gemeinsame Bündnis Boden gewinnen sollte.
Nichts davon hat die jetzige SPD Führung begriffen oder nichts davon will sie begreifen. Sie schmälert durch ihre öffentliche Agitation die eigenen Koalitionsmöglichkeiten und erweitert jene ihrer politischen Gegner auf der rechten.
Die Avancen für und das Werben der SPD Führung um die Zusammenarbeit mit CDU/CSU und FDP stärken deren Image und deren Wählerpotenzial.

Zu 6.: Die SPD Führung nutzt die sich bietenden Gelegenheiten zur Profilierung und zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit CDU/CSU und FDP nicht – im konkreten Fall nicht die Finanzkrise, die eigentlich zu einer vernichtenden Niederlage der neoliberal geprägten Parteien führen müsste.
Es ist offensichtlich, dass die großzügige Hilfe für die Banken und Versicherungen die besondere Klientel von CDU/CSU und FDP bedient, während gleichzeitig die typischen sozialdemokratischen Wähler einerseits als Steuerzahler geschröpft werden und andererseits durch die Zurückhaltung in der Beschäftigungspolitik mit ihren Sorgen um den Arbeitsplatz ziemlich alleingelassen werden.
Insbesondere die sichtbare Plünderung der öffentlichen Kassen und die hohe Verschuldung zu Gunsten der Klientel der konservativen Parteien wären ein fantastisches Thema, wenn es volksnah erklärt würde und die notwendigen Entscheidungen gefordert würden. Die SPD müsste wie die Linkspartei offensiv mit diesem Thema und mit den konservativen Parteien umgehen.
Das tut sie nicht, vermutlich deshalb nicht, weil ihr eigenes Führungspersonal ebenfalls mit der Finanzindustrie verflochten ist, und weil die SPD selbst an der neoliberalen Umgestaltung unseres Landes in den letzten Jahren maßgeblich mitgewirkt hat.
Das ist ein Riesenproblem und verlangte eigentlich dringend, dass einige Personen an der Spitze ausgewechselt werden.

Zu 7.: Der Versuch der SPD, sich wenigstens einen Teil der Medien geneigt zu machen beziehungsweise zu halten, ist kläglich gescheitert.
Am Wahlabend (Landtagswahl in Hessen) und bei der Lektüre der Medien am folgenden Morgen konnte man beobachten, dass quasi die gesamte Medienwelt mit den gleichen zurechtgelegten „Argumenten“ operiert und nahezu vollständig in vorgefertigte Kampagnen eingebaut ist: gegen die SPD wegen des „Wortbruchs“, gegen die Linken in der SPD in der Person Ypsilantis wie gegen die Linkspartei, für die Union, für die FDP, schon deutlich weniger für die Grünen, seit die Option Schwarz-Grün nicht mehr so wichtig ist, für die Abweichler der hessischen SPD, usw. Die Medien ließen der SPD keine Schonung angedeihen. Auch der Verlust der Glaubwürdigkeit ihrer Strategie der Zusammenarbeit mit der Linkspartei – Landtagswahlen Ja, Bundespräsidentenwahl ja, aber Bundestagswahlen nein – wurde breit ausgewälzt. Der Opportunismus der FDP, ihre Interessenverfilzung – kein Thema. Stattdessen bis in die Einzelheiten Einfügung der Interviews, der Berichte, und der Analysen der Medien in die konservative/neoliberale Strategie. Dem haben sich im Anschluss an die hessische Landtagswahl auch Journalisten angeschlossen, die vorher noch etwas zögerlich gewesen waren.
Die SPD wird sich auf diesen Opportunismus und auch auf die grundsätzlich konservative Ausrichtung der Medienschaffenden einstellen müssen. Sie muss diese Entwicklung endlich zum großen Thema machen. Wer sonst sollte es tun, wenn nicht die davon betroffene große Partei.

Wegen der Fremdbestimmtheit der SPD-Führung wird man vermutlich damit rechnen müssen, dass sie keine ehrliche Analyse und so weiter macht wie bisher. Es wäre schön, ich würde mich täuschen.