Vom Nützlichen – und Gemeinen: Die Bertelsmann Stiftung als neoliberaler Anstifter

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Ein Impulsreferat von Steffen Roski an der Universität zu Köln am 27.10.2009.

Als Soziologe in politischer Absicht geht es mir heute Abend darum, vor dem Hintergrund meines in mehrjähriger Auseinandersetzung mit dem Thema „Bertelsmann“ erarbeiteten Verständnishintergrunds folgendes darzulegen: Es ist ein gesellschaftspolitischer Skandal, dass ein milliardenschwerer Medien- und Dienstleistungskonzern im Gewand einer vorgeblich gemeinnützigen Stiftung, die mehr als Dreiviertel seines Kapitals hält und aufs engste personell mit ihm verflochten ist, das hohe Lied der „Corporate Social Responsibility“ singt und dabei von politisch-administrativen und teilweise auch zivilgesellschaftlichen Akteuren willfährig sekundiert wird.

Bereits Mitte der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts kam der Medienwissenschaftler Jörg Becker in einer Analyse zu folgenden Ergebnissen:

  1. Der Bertelsmann-Konzern ist weder ein Verlag noch ein Medienproduzent; vielmehr ist er ein Informationskonzern.
  2. Die Begrenztheit des bundesdeutschen Marktes zwingt den Konzern zu einer doppelten Wachstumsstrategie in Richtung a) Auslandsmärkte und b) neue Technologien. Beide Wachstumsstrategien bedingen einander gegenseitig.
  3. Der Bertelsmann-Konzern besitzt eine politische Affinität zur Sozialdemokratie.
  4. Je größer der Konzern wird, desto größer resp. sichtbarer wird das Konfliktpotential mit anderen, gesellschaftlichen Machtformationen (z.B. Dritte Welt, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, elektronische Industrie).

Die Einzigartigkeit der Bertelsmannschen Unternehmenskonstruktion, die darin ihren Ausdruck findet, dass – je nach gewählter Perspektive – der „medialpolitische Komplex aus Gütersloh“ mal als Konzernstiftung, mal als Stiftungskonzern betrachtet werden kann, wird m.E. nur vor dem Hintergrund des regulationstheoretischen Basiskonzepts verständlich, das die Wechselwirkungen von gesellschaftlicher Regulation und wirtschaftlicher Akkumulation paradigmatisch in den Blick nimmt. Seit spätestens den 1980er Jahren geriet der massenproduktive Fordismus in die Krise: Der gesellschaftliche Korporatismus erodierte, die Gewerkschaften gerieten immer mehr in die Defensive, Arbeitsmärkte wurden Schritt für Schritt dereguliert. Der 1983/84 erfolgte Einstieg ins Privatfernsehen durch Bertelsmann führte zu einem „Konzentrationsschub im Medien- und Informationsmarkt der Bundesrepublik.“ (Jörg Becker) Der Anstieg der Zahl der „working poor“ fand somit ihre Entsprechung in der Zunahme kommerzieller Massenkommunikation, die „eine kulturelle Homogenisierung“ historisch bislang unbekannten Ausmaßes gerade für die „information poor’“ (Jörg Becker) erzwang.

Unsere „postmoderne Moderne“ (Wolfgang Welsch) bedingt eine Transformation des Ökonomischen: Im Postfordismus sind jetzt neue kommunikative Kompetenzen erforderlich. Segmentarisierte, medialisierte und flexibilisierte Aushandlungsprozesse, für die der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch den Begriff „Postdemokratie“ geprägt hat, sind wie geschaffen für die „information rich“, die in der Rolle als Moderatoren der Informationswirtschaft Stiftungen in Think Tanks verwandeln, den Staat zum Unternehmer machen und den Bürger zu einem bloßen Kunden degradieren, der Leistungen auf Märkten für z.B. Bildung, Gesundheit, Vorsorge und Arbeit nachfragt. Mediengesteuerte Kommunikation sowie eine zunehmende Umwandlung von Staatsfunktionen in private Dienstleistungen bestimmen das Bild einer dezentralen und marktorientierten Regulation auf der Basis flexibler Akkumulation.

Vor diesem Hintergrund erscheint Bertelsmann als das postfordistische Unternehmen par excellence. Der Konzern vereint Medienmacht mit einer informationsbasierten Dienstleistungspalette. Es mutet zirkulär an, zu sagen, dass Bertelsmann als „Informationskonzern“ (Jörg Becker), will er wirtschaftlich erfolgreich sein, aus nichts mehr Wert schöpft als eben aus: Information. Dazu bedarf es eines Sensoriums, das bis in die feinsten Verästelungen der Gesellschaft reicht, um auch ja jeden „Trend“ zu registrieren, der dem Konzern neue Tätigkeitsfelder erschließen hilft.

Und hier kommt die Stiftung ins Spiel. Mit ihr, einer Art gemeinnützig gestellten Forschungs- und Entwicklungsabteilung, gelingt dem Konzern das Kunststück, im Sinne einer der Zivilgesellschaft gegenüber als verantwortungsbewusster, dem Gemeinwohl verpflichteter Eigentümer zu erscheinen, der ohne Beanstandungen „regelmäßig vom Finanzamt geprüft“ wird, von der AG unabhängig und parteipolitisch neutral sei. (Neue Westfälische vom 6. Januar 2009) Dass es der Bertelsmann Stiftung gelingt, gleichsam als idealer Gesamtdemokrat zu erscheinen, gehört zu den Eigenheiten eines politischen Regimes, in dem es einer Konzernstiftung gelungen ist, das „Politische“ betriebswissenschaftlich zu neutralisieren und damit in einer perfiden Uminterpretation der Artikel 14 und 15 GG („Eigentum verpflichtet“ und die Möglichkeit zur Überführung in „Gemeineigentum“) im Gewand der Stiftung als Sachwalter des „Demokratischen“ schlechthin zu erscheinen und als Dienstleister an der stiftungsseitig inszenierten Vertriebswirtschaftlichung poltisch-staatlicher Prozesse – an Private Public Partnerships und New Public Management – kräftig zu verdienen.

Dass die Bertelsmann Stiftung vom Finanzamt regelmäßig geprüft wird, nun, dies entspricht wohl den Tatsachen. Dass dies „ohne Beanstandungen“ geschieht, zeigt m.E. die Bedenklichkeit eines stetig zugunsten der Kapitalseite reformierten Stiftungsrechts. Dass die Bertelsmann Stiftung politisch unabhängig sei – auch diese Behauptung mag ich hinnehmen angesichts einer neoliberalen Hegemonie, die jedwede politische Frage nach einer Alternative zum vorherrschenden Wirtschaftssystem zu einem staatsfeindlichen Akt stempelt. Dass aber die Bertelsmann Stiftung von der AG unabhängig sein soll, ist eine falsche Tatsachenbehauptung der hauseigenen Kommunikationsabteilung. Kann ich das zeigen? Ja, gewiss.

In meinem Beitrag zum „Netzwerk der Macht“– Buch lasse ich Jürgen Turek, stellvertretender Direktor des mit der Bertelsmann Stiftung verflochtenen Centrums für angewandte Politikforschung (CAP), zu Wort kommen. Klar umreißt Turek die Aufgabenverteilung zwischen Konzern und Stiftung, wenn er die Bertelsmann AG als ein Kompetenzzentrum im Wandlungsprozess beschreibt und ausführt:

Durch die Übernahme sozialer Verantwortung [!] über gesellschaftlich ausgerichtete Public Relations oder eine geschickte Instrumentalisierung von Stiftungen [!] definieren [Unternehmen wie Bertelsmann] gleichermaßen politische Positionen und bestimmen die Themen der internationalen Politik zunehmend mit.


Auch die jüngsten Entwicklungen weisen klar in die von mir skizzierte Richtung. Die FAZ titelt im Wirtschaftsteil vom 9. Oktober 2009, unmittelbar nach dem Tod des Firmenpartriarchen Reinhard Mohn: „Alle Macht für Liz Mohn und ihre Kinder“. Dem Beitrag angefügt ist eine Grafik über die „Macht der Mohns“. So ist Elisabeth, genannt: Liz Mohn Vorsitzende der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, Angehörige der Eigentümerfamilie, Mitglied des Aufsichtsrates der Bertelsmann AG und zugleich auch – so von Reinhard Mohn testamentarisch verfügt – Stifterin der steuerlich begünstigten, absolut gemeinwohlorientierten, der Demokratie nützlichen und politisch absolut neutralen Bertelsmann Stiftung. Ein wahrlich erschreckendes Viereck der Macht, das sich einem da auftut!

Was die Bertelsmann Stiftung unter „sozialer Verantwortung“ versteht, wenn sie etwa über ihren Ableger CAP der Militarisierung Europas Vorschub leistet, versteht sich wohl von selbst. Auch liegen inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Studien vor, die zeigen, wie die AG ihre Stiftung instrumentalisiert, um etwa Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Kommunalverwaltungen im Sinne des Profits zu schleifen. Lügen haben eben kurze Beine.

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