Das Kriegsrisiko wächst mit dem Kreis der Kalten Krieger – Balten, Polen, Grüne, Christdemokraten, unser Außenminister usw.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Beim früheren Versuch, die Konfrontation zwischen West und Ost abzubauen, hatten wir es mit Adenauer und seinen Kalten Kriegern, mit der Springer-Presse und zum Beispiel mit Gerhard Löwenthal vom ZDF-Magazin zu tun. Das war überschaubar. Heute formiert sich ein gemischter Kreis. Darunter sind osteuropäische Politiker aus den baltischen Staaten, die meinen, noch eine Rechnung mit Russland offen zu haben, nicht nur die militante Springer-Presse, sondern auch Medien wie der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung und dann Grüne wie Rebecca Harms und sogar Sven Giegold. 60 Abgeordnete des EU-Parlaments haben zu einem Boykott der WM in Russland aufgerufen. Siehe dazu den Link Nr. 10 in den heutigen Hinweisen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die früheren Freunde des Friedens in Europa, zeitlich ganz vorne Gustav Heinemann, der spätere Bundespräsident, der sich Anfang der Fünfzigerjahre gegen die Wiederbewaffnung und den Eintritt in die NATO wehrte und für Verständigung auch mit den Russen warb, mussten sich mit den Alliierten und der Jungen Union und Adenauer herumschlagen. Nicht mit fortschrittlichen Kreisen und Parteien. Als Student hatte ich es in Berlin bei diesem Thema mit Jürgen Wohlrabe vom Ring Christlichdemokratischer Studenten zu tun. Und als dann Willy Brandt nach 1963 die Entspannungspolitik durchzusetzen versuchte und dies auch schaffte, hatte er es mit einem harten und in der Agitation bösartigen, aber zahlenmäßig schrumpfenden Kreis von Gegnern zu tun. Der Kreis der Gegner der Verständigungspolitik war überschaubar. Heute sind die Fronten unübersichtlich und vor allem sind die Akteure so vielfältig und so wenig kontrollierbar, dass das Risiko einer Eskalation des Feindbildaufbaus diesseits und jenseits der Grenze zu Russland gewachsen ist. Und damit wächst das Risiko eines heißen Konfliktes.

In den baltischen Staaten wie auch in Polen und anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks liegt ein großes Risiko begraben. Dort gibt es immer noch Menschen, die unter der früheren Sowjetunion gelitten haben, und gerade in den baltischen Staaten leben viele Russen. Das sind Bedingungen, die es Scharfmachern leicht machen, zu zündeln. Deshalb die Einschätzung, dass das Risiko durch diese Konstellation wächst. Deshalb wäre es dringlich geboten, dass wir unsererseits unter diesen Völkern dafür werben, mit den Konflikten zwischen West und Ost Schluss zu machen, also Feindbilder abzubauen statt sie aufzubauen, sich zu versöhnen statt den Hass zu pflegen.

Das wäre die Aufgabe aller Menschen und politischen Kreise und politischen Parteien, die die skizzierten guten Erfahrungen mit der Politik der Versöhnung und des Ausgleichs gemacht haben. Dazu gehören an vorderer Stelle die ehedem eher fortschrittlichen Parteien. Und genau daran hakt es. Wenn Abgeordnete der Grünen wie Rebecca Harms und Sven Giegold den Feindbildaufbau pflegen statt ihm zu begegnen, dann schrillen die Alarmglocken.

Ein Leser der NachDenkSeiten, Stefan Herbst, hat seine Einschätzung in einem Leserbrief an die NachDenkSeiten formuliert. Wir geben diesen Leserbrief hier wieder:

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Müller,

als Sie damals Ihren Artikel zu Sven Giegold geschrieben haben, fand ich diesen im Ton etwas zu scharf. Sven Giegold hat zweifellos seine Verdienste im Umweltschutz und als Mitbegründer von Attac.

Leider ist seine Haltung zu Russland wirklich die eines Kalten Kriegers. Das hat er mit seiner Unterschrift zu einem von Rebecca Harms initiierten Aufruf eines Boykotts der Fußballweltmeisterschaft mehr als deutlich gemacht.

Dieser strotzt nur von einseitigen, russlandfeindlichen Stereotypen und Zuschreibungen. Unterschrieben haben diesen Aufruf sehr viele Europaabgeordnete aus ehemaligen Ländern, die unter der Besatzung der Sowjetunion gelitten haben. Hier sind leider sehr viele Chauvinisten an die Macht gekommen, die, wie mir scheint, ihre verständlichen antisowjetischen Ressentiments nun in eine antirussische Politik ummünzen, ohne die dramatischen Änderungen in der Sowjetunion und das Erstehen eines erneuerten und anderen Russlands anerkennen zu wollen oder zu können. Dass es in den europäischen Grünen auch andere gibt, zeigt auch, wer alles diesen Aufruf nicht unterschrieben hat – dazu zählen beispielsweise  Barbara Lochbihler oder auch Ska Keller.

Dass Grüne Politiker in dieses Horn blasen ist mir als überzeugtem Unterstützer der ehemaligen Friedensbewegung, der Ökologiebewegung und auch der damaligen 3.Welt-Bewegung völlig unverständlich. Da hat Antje Vollmer im Interview mit den Nachdenkseiten den Nagel auf den Kopf getroffen. Es gab leider auch mit grüner Beteiligung eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik, die die Lehren aus zwei Weltkriegen trotz aller gegenteiligen Beteuerungen und Beschwörungen nicht wahrnehmen und wahrhaben wollen.

Danke, dass sie diese aufrechte Versöhnungspolitikerin Vollmer zu Wort kommen lassen. Mein Vater war eine Zeit lang am Russlandfeldzug beteiligt – er wurde dann später nach Finnland abgezogen. Aber ich erinnere mich noch lebhaft an einen schon verstorbenen Kriegskameraden, der gegen Ende seines Lebens weinend bei uns im Wohnzimmer saß und von den von ihm erschossenen hunderten russischen Soldaten erzählte, die er mit dem Maschienengewehr bei einem Ansturm niedermähen mußte….

Gegen das Vergessen dieses Horrors und gegen die neuen kalten Krieger einer Generation (Giegold, Maas und Macron), die wieder an das alte deutsch-europäisch-französische Machtträume und Kolonialdenken anknüpfen (ohne es zu merken?).

Stefan Herbst

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