Dienstleistungsrichtlinie – die Vollendung des Binnenmarkts oder Unterbietungswettlauf und Chaos für alle?

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Am 15.11.2006 hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie (DL-RL) verabschiedet, mit der die im EU-Vertrag festgelegten Zielen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verwirklicht werden. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des in der Lissabon-Strategie formulierten Ziels der EU, bis zum Jahr 2010 „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasiertesten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. Merkwürdigerweise gibt es kaum eine öffentliche Wahrnehmung darüber, dass die Dienstleistungsrichtlinie (Siehe dazu Informations- und Service-Portal zur europäischen Dienstleistungsrichtlinie ) bis zum 28.12.09 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Alle staatlichen und vom Staat mit Rechtssetzungsbefugnissen ausgestatteten Ebenen sind davon betroffen. Wir sind den Fragen nachgegangen: Wie soll die Umsetzung erfolgen, welche Auswirkungen hat die DL-RL auf Arbeitnehmerrechte, die Liberalisierung und Privatisierung von Dienstleistungen und ist der Datenschutz gewährleistet? Von Annette Groth und Christine Wicht

Am 15.11.2006 hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie (DL-RL) verabschiedet, mit der die im EU-Vertrag festgelegten Zielen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verwirklicht werden, am 12. 12. 2006 trat sie in Kraft [PDF – 22.4 KB]. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des in der Lissabon-Strategie formulierten Ziels der EU, bis zum Jahr 2010 „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasiertesten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. Dies soll unter anderem mit der Schaffung bzw. Vollendung des Binnenmarkts für Dienstleistungen, der Öffnung bisher abgeschirmter, geschützter Sektoren (Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und Güter, niedrigen Steuern für Unternehmen, Verlängerung der Arbeitszeit und mehr „Eigenverantwortung“ (Eigenbeteiligung) in den Bereichen Gesundheit und Rente, mehr Flexibilität sowie Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes erreicht werden.

Der Verzicht auf das Herkunftslandprinzip – Augenwischerei?
Anfangs schlug die EU-Kommission zur Schaffung eines Binnenmarktes für Dienstleistungen eine einfache Methode vor: Sie verzichtete auf eine Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften und setzte stattdessen auf das Herkunftslandprinzip, um einen möglichst ungehinderten Wettbewerb durchzusetzen. Nach diesem Prinzip sollten Dienstleistungsanbieter in der gesamten EU ihre Dienste nach dem Recht ihres Herkunftslandes anbieten dürfen. Dagegen opponierten Gewerkschaften, Globalisierungskritiker und Berufsgenossenschaften, die Lohndumping und Außerkraftsetzung deutscher arbeitsrechtlicher Standards befürchteten. Das Wort „Herkunftslandprinzip“ wurde zwar nominell aus der DL-RL gestrichen, wodurch die Richtlinie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwand. Mit der Formulierung in Art. 16 der DL-RL

…dass ein „Mitgliedstaat (…) nicht daran gehindert (ist), im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht seine Bestimmungen über Beschäftigungsbedingungen, einschließlich derjenigen in Tarifverträgen, anzuwenden

wurde das Herkunftslandprinzip gemäß eines Rechtsgutachtens, dass die Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hat, jedoch nur eingeschränkt, aber keineswegs abgeschafft. Beispielsweise bezog sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rüffert-Urteil darauf, als er die Tariftreue-Regelung des Landes Niedersachsen als Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit wertete und für unrechtmäßig erklärte. Nach Ansicht von ver.di bestehe zwar ein Vorrang des Entsendegesetzes gegenüber dem Herkunftslandprinzip, in Deutschland gelte dies aber lediglich für die wenigen Branchen (Siehe Hans-Böckler-Stiftung Ziffer6), die im Entsendegesetz aufgeführt sind. Darüber hinausgehende Tarifverträge seien für ausländische Dienstleister generell nur dann verpflichtend, wenn sie allgemeinverbindlich sind. Dies treffe bloß für ca. 2 % aller deutschen Tarifverträge zu. Des Weiteren fallen nach dem Votum des Binnenmarktauschusses Zeitarbeitsfirmen in den Anwendungsbereich der DL-RL und nicht unter die Leiharbeiterrichtlinie, nach welcher für Leiharbeiter die gleichen Arbeitsbedingungen gelten wie für Festangestellte.

DL-RL greift tief in nationale Rechtsprechung ein
Am 25. Juli 2006 veröffentlichte der Europäische Rat seinen „Gemeinsamen Standpunkt“ über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Bei der öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags am 16. Oktober 2006 regte sich dazu heftiger Widerstand bei Gewerkschaften und der Linken. Der DGB sieht die Bestandteile der DL-RL, etwa die Ausnahme bestimmter strafrechtlicher Verfolgung (Artikel 1 (5)), als nicht vereinbar mit dem deutschen Grundgesetz:

Art. 1 (5) Diese Richtlinie berührt nicht das Strafrecht der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten dürfen jedoch nicht unter Umgehung der Vorschriften dieser Richtlinie die Dienstleistungsfreiheit dadurch einschränken, dass sie Strafrechtsbestimmungen anwenden, die die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit gezielt regeln oder beeinflussen.

Dies ist nach Meinung der IG-Bau

eine Überschreitung der aufgrund des Vertrags von Nizza gegebenen Kompetenzverteilung, da diese Ausnahme nicht gilt, wenn es sich um die Anwendung von Strafrechtsbestimmungen handelt, die die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistung gezielt regeln oder beeinflussen.

In Deutschland betreffe das beispielsweise Strafbestimmungen gegen unerlaubten Arbeitnehmerverleih, diverse Bestimmungen zur Schwarzarbeit und Teile des Arbeitnehmerentsendegesetzes. Damit wäre nach Ansicht der Gewerkschaft ein im Inland ansässiger Täter bei einem Inlandsverstoß verfolgbar, ein vom Ausland her operierender Täter, der die Tat hier begeht, dagegen nicht mehr. IG-Bau und DGB sehen darin einen klaren Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip im Strafrecht und die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz. Darüber hinaus wird die öffentliche Kontrolle ausländischer Unternehmen und ihrer Beschäftigten weitgehend unwirksam. Es gibt nämlich kein europäisches Verwaltungsvollstreckungsabkommen, das dem europäischen „Normalbürger“ dabei helfen würde, seine Rechte in Europa durchzusetzen. Deshalb bestehe, nach Ansicht der Gewerkschaften, die Gefahr, dass die Bestimmungen der DL-RL über Kontrollen und Strafrecht zu einem Dammbruch führen, der den Schutz der Bürger in zentralen Bereichen gefährde und gesetzestreue Inländer diskriminiere. Nach den Erfahrungen der IG-Bau tendieren die meisten Anbieter aus mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten dazu, nicht nach den legalen Regeln zu operieren, sondern hiesige Mindeststandards systematisch zu missachten und zu umgehen. Deshalb sei in der Kombination dieser Vorgänge ein ruinöser Preiswettbewerb zu erwarten, der selbst durch die Mindestlöhne am Bau und in der Gebäudereinigung nicht effektiv verhindert werden könne. Darum befürchtet die IG-Bau einen starken Rückgang der Inlandsbeschäftigung in den von ihr organisierten Branchen.

Kontrolle über Dienstleistungsanbieter ist faktisch unmöglich
Aufgrund des Diskriminierungsverbots müssen Originale oder beglaubigte Kopien von Zeugnissen oder anderen Dokumenten, aus denen sich die Qualifikation eines Dienstleisters ersehen lässt, nicht vorgelegt werden. Um den Erwerb oder die Inanspruchnahme einer Dienstleistung zu erleichtern, behält sich die EU-Kommission das Recht vor, “einheitliche Formblätter” einzuführen, die wiederum “Zeugnissen oder anderen vom Dienstleistungserbringer vorzulegenden Dokumenten gleichwertig” sind (Art.5). Auch Nachweise über die Staatsangehörigkeit von Dienstleistern sind nicht erforderlich (Art.14), so könnten theoretisch Pflegekräfte aus dem Nicht-EU-Land Ukraine über das EU-Land Litauen nach Deutschland geschleust werden. Ohnehin werden Unternehmen nicht verpflichtet, vor der Arbeitsaufnahme die jeweilige Entsendung anzumelden oder genehmigen zu lassen. Außerdem müssen Unterlagen wie Arbeitsverträge oder Abrechnungen nicht am Arbeitsort hinterlegt sein. Damit ist eine effektive Kontrolle über Dienstleistungsanbieter und deren Beschäftigten sowie eine wirksame Wirtschaftsaufsicht im Dienstleistungssektor faktisch unmöglich. Überdies dürfen die Mitgliedstaaten die Aufnahme bzw. Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nicht von der Anforderung abhängig machen, dass der DL-Erbringer

Art 14 (8)…während eines bestimmten Zeitraums in den auf ihrem Hoheitsgebiet geführten Registern eingetragen gewesen zu sein hat oder die Tätigkeit während eines bestimmten Zeitraums auf ihrem Hoheitsgebiet ausgeübt zu haben.

Ebenfalls problematisch zu sehen ist die freiwillige Selbstverpflichtung. Die Mitgliedstaaten sind angehalten, Informationen über bestimmte Gütesiegel und Qualitätskennzeichen sowie Verhaltenskodizes leicht zugänglich zu machen. Sie sollen mit der Kommission „begleitende Maßnahmen“ ergreifen, um die Dienstleister zu freiwilliger Qualitätssicherung anzuhalten und die Entwicklung von freiwilligen europäischen Standards zu fördern. Wer nach Verpflichtungen, Sanktions- oder Handlungsmöglichkeiten in der DL-RL sucht, falls ein Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, sucht vergebens.

DL-RL fördert Unterbietungswettlauf
Mit der DL-RL werden nationale Vorschriften und bürokratische Sicherungen weitgehend abgebaut, die unter Unternehmern in der EU als Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung gelten und deshalb verschwinden müssen. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass auch und gerade eine funktionierende Marktwirtschaft eines verlässlichen rechtlichen Rahmens bedarf, damit soziale, ökologische und rechtliche Standards eingehalten werden. Auf diese Weise ist eine Sicherheit auf dem Dienstleistungsmarkt gegeben, die wiederum eine vertrauensvolle Basis zwischen DL-Anbieter und -empfänger schafft. So sollten in einem fairen Wettbewerb hohe Qualität, Verbraucher-, Gesundheits-, Umweltschutz und sozialer Schutz angestrebt und realisiert werden. Die EU-Politik verabschiedet sich mit der DL-RL von diesem Anspruch, indem sie den rechtlichen Rahmen selbst dem wirtschaftlichen Wettbewerb auf dem Markt unterwirft. Dieses marktfundamentalistische Vorgehen ist auch deshalb absurd, da gesetzliche Vorschriften gerade bestimmten Zielen dienen sollen, deren Verwirklichung der Markt eben allein nicht gewährleisten kann. Warum sind Gesetze zum Arbeits-, Verbraucher- oder Umweltschutz überhaupt erlassen worden, wenn sich solche Dinge in der Marktwirtschaft von selbst regeln würden? Statt nach dem Sinn und der Berechtigung einzelner Vorschriften zu fragen, werden sie pauschal dem Wettbewerb auf einem liberalisierten, EU-weiten Binnenmarkt ausgesetzt, was zu einem ruinösen Unterbietungswettlauf führen dürfte.

Radikale Verwaltungsvereinfachung und ihre Folgen
Die EU-Mitgliedstaaten wurden verpflichtet „Einheitliche Ansprechpartner“ (EA) , gem. Artikel 6 DL-RL, einzurichten. Nun ist es bereits Mitte Dezember und die Verortung der EA ist noch nicht klar, so können Bundesländer, Kommunen, Kammern oder PPP-Modelle die Aufgaben künftig übernehmen. Deutschland, als föderaler Staat, steht hier vor großen Herausforderungen. In jedem Bundesland soll es einen EA geben, bislang ist noch nicht überall geklärt, wer in welchem Bundesland diese Aufgabe übernimmt. Obendrein sind Rechtsform und Verortung der EA von EU-Land zu EU-Land verschieden. Die EA agieren als Kontaktstelle zwischen einem Dienstleistungs-Anbieter aus dem europäischen Raum und den nationalen Behörden, sind jedoch nicht für arbeits- und sozialrechtliche Anforderungen zuständig, da diese von der DL-RL ausgenommen sind. Langfristig wird die elektronische Anmeldung wohl auf die so genannte „elektronische Signatur“ hinauslaufen, die eine rechtsverbindliche Unterschrift elektronischer Anträge ermöglicht, was derzeit aufgrund mangelnder elektronischer Ausrüstung der Dienstleistungs-Erbinger noch Zukunftsmusik ist.
In der ersten Stufe soll der Kontakt zwischen EA und DL-Erbringer per Mail oder auf konventionellem Papierweg erfolgen, dann bearbeiten die EA den Antrag zusammen mit den zuständigen Behörden und Verbänden, was das Gegenteil von Bürokratieabbau bedeutet und für ein Durcheinander sorgen wird, insbesondere wenn Anträge elektronisch und zugleich auf dem Papier erstellt werden bzw. doppelt eingereicht werden, was möglich ist. Die schnellstmögliche Bearbeitung der elektronischen Unterlagen erfolgt in unterschiedlichen Sprachen, welche genau, ist aber noch nicht festgelegt. Auch ungeklärt ist bislang ob der EA personenbezogene Daten speichert oder speichern muss.

Datenschutzrechtliche Bedenken
Der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden Württemberg, Peter Zimmermann, hält die in der DL-RL enthaltenen Verpflichtungen, dass alle mit der Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat verbundenen Formalitäten problemlos aus der Ferne und elektronisch abwickelbar sein müssen, aus datenschutzrechtlichen Gründen für besonders brisant. Darüber hinaus sei es ein wichtiges Anliegen des Datenschutzes bei Einführung der EA eine zuständigkeitsbezogene‚ informationelle Gewaltenteilung der daran angeschlossenen Behörden zu erhalten. Es sei daher von Anfang an darauf zu achten, dass die EA keinen unbeschränkten Zugriff auf die bislang in den verschiedensten Behördencomputern gespeicherten personenbezogenen Daten erhalten. Eine Realisierungsvariante sei dabei datenschutzrechtlich umso problematischer, je umfassender die dabei vorgesehenen Zugriffsmöglichkeiten sind. Das unabhängige Datenschutzzentrum Schleswig Holstein sieht ein Risiko, in der effizienten Technisierung der Datenverarbeitung, die neue Begehrlichkeiten zur Überwachung von Mitarbeitern, Bürgern und Kunden (Leistungs- und Verhaltenskontrollen) wecken kann.

Das Binnenmarktinformationssystem (Internal Market Information System IMI)
Ein weiterer wesentlicher Baustein der DL-RL ist das Binnenmarktinformationssystem (Internal Market Information System IMI), eine elektronische Plattform zur europaweiten Amtshilfe, mit der die Angaben aller Antragsteller überprüft werden sollen. Mithilfe dieses Systems können die jeweils zuständigen Stellen in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder in Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ermittelt und Informationen an Auskunftssuchende elektronisch versandt werden. Damit soll IMI zur Überwindung der umfangreichen praktischen Hindernisse beitragen, die sich aus den unterschiedlichen Verwaltungs- und Arbeitsabläufen, den verschiedenen Sprachen und dem Fehlen fester Ansprechpartner in den anderen Mitgliedstaaten ergeben. IMI ist auf einem zentralen Server der EU-Kommission in Luxemburg implementiert, über welchen der gesamte Datenaustausch erfolgt. Vorerst werden hier nur Daten über DL-Erbringer gespeichert. Gemäß Auskunft des unabhängigen Datenschutzzentrum Schleswig Holstein ist es vorgesehen, das der Datenaustausch mittels einiger vorgefertigter Fragekomplexe am Bildschirm in einfacher Sprache erfolgen soll, die ein elektronisches Programm auf dem Server in Luxemburg jeweils automatisch übersetzt. Es bleibt abzuwarten, ob die Ergebnisse dann einer computerübersetzten chinesischen Bedienungsanleitung ähneln, da die Fragen aufgrund der vorgefertigten Fragekomplexe nur sehr eingeschränkt gestellt werden können und das Vokabular obendrein begrenzt ist. Das Datenbankmanagement auf Systemebene und die Registrierung der nationalen IMI-Koordinatoren aus den einzelnen EU-Mitgliedstaaten fallen in den Aufgabenbereich der EU-Kommission. Für die Datenpflege ist der jeweilige EU-Mitgliedstaat zuständig. Die Anbindung nationaler Verwaltungssysteme an das IMI ist Ländersache.

Die technische Realisierung des IMI
soll in mehreren Stufen erfolgen. Nationaler IMI-Koordinator (NIMIC) für Deutschland ist die beim Bundesverwaltungsamt angesiedelte Bundesstelle für Informationstechnik (BIT). Bis Ende 2009 sollen die IT-Mindestanforderungen (elektronische Verfahrensumsetzung zwischen DL-Erbringer und EA) umgesetzt sein. Ab 2010 ist die Umsetzung vollständig medienbruchfreier Geschäftsprozesse geplant (d.h. Informationen werden vom Ursprung weg so erfasst, dass jeder sie weiterverarbeiten kann, ohne dass sie umgeformt oder neu erfasst werden müssen). Dafür ist ein Umsetzungshorizont von fünf bis acht Jahren kalkuliert. Die Bundesregierung geht davon aus, bis 2012 eine vollständige elektronische Abwicklung aller geeigneten Kommunikationsvorgänge zwischen Wirtschaft und Verwaltung zu erreichen, um damit zugleich den Auf- und Ausbau von E-Government in Deutschland zu unterstützen. Dabei sind datenschutztechnische Standards bislang völlig ungeklärt. Obendrein setzten die Datenspeicherung und der komplexe Auf- und Ausbau des europäischen IMI-Systems eine entsprechende Ausbildung der EA und der Antragsteller in allen EU-Mitgliedstaaten voraus und dass verbundene Hard- und Softwarekomponenten in allen 27 EU-Staaten (22 Sprachen) mit entsprechender Kompatibilität und technischer Sicherheit funktionieren. Einfacher ausgedrückt: ohne gleiche Standards – keine funktionierende Kommunikation. Mit dem vorgegebenen Zeitrahmen und den Anforderungen an die EA hat die EU-Kommission den Mitgliedstaaten, salopp gesagt, ein sportliches Ziel gesetzt.

Änderung des Heilberufekammergesetzes
Gesundheitsleistungen „die von reglementierten Gesundheitsberufen“ erbracht werden, sind zwar von der DL-RL ausgenommen, andererseits läuft seit 2007 ein Politprojekt mit bestimmten Berufsgruppen, dazu gehören Apotheker, Ärzte, Tierärzte, Hebammen, Architekten, Sekundarschullehrer sowie medizinisch-technische(r) Radiologie-Assistent(in). Es soll eine Evaluation geben, um festzustellen, ob diese Pilotberufe künftig einer Rechtschutzlinie bedürfen. Im Zusammenhang mit der DL-RL hat Schleswig-Holstein bereits das Heilberufekammergesetz vom 29.02.1996 geändert, da die Vorschriften für die betroffenen Berufsgruppen in den Bereich des Binnenmarktinformationssystem fallen. Insbesondere in Bezug auf ungeklärten Datenschutz ist hier § 9 Abs. 5 zu erwähnen, in welchem es heißt:

Die Kammern sind verpflichtet, mit den zuständigen Behörden nach Maßgabe der Artikel 8 und 56 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2005/36/EG zusammenzuarbeiten und diesen die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Daten zu übermitteln.

Quelle: Ärztekammer Schleswig-Holstein

Auswirkungen auf den Öffentlichen Dienst
Ver.di sieht die Umsetzung der DL-RL als Mammutaufgabe für die beteiligten öffentlichen Institutionen. Des Weiteren werden die nationalen Rechtssysteme, vor allem der alten Mitgliedstaaten, einem weitreichenden Normenscreening unterworfen und infolgedessen Tausende von Gesetzen und Normen dahingehend überprüft, ob sie mit den Anforderungen der DL-RL vereinbar sind, wie etwa das Heilberufekammergesetz. Da die gesamte Verfahrensabwicklung in Zukunft ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgen soll (Art. 8), treibt die DL-RL den Ausbau von eGovernment voran.
Problematisch zu sehen ist, dass drei Monate nach Fristbeginn dem antragstellenden Dienstleister ein Bescheid vorliegen muss, anderenfalls gilt die Genehmigung als erteilt (Genehmigungsfiktion). Das ist insofern von Bedeutung, da eine Dienstleistung, die in einem Bundesland genehmigt wurde, in ganz Deutschland angeboten werden kann. Eine Fristverlängerung ist einmalig und nur mit ausführlicher Begründung möglich. Ver.di geht davon aus, dass durch die Einrichtung des EA sowie der Schaffung der Genehmigungsfiktion, die DL-RL massive Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst haben wird. Private Dienstleistungsunternehmen wie der Dienstleistungsanbieter arvato (Bertelsmann) wittern ein Geschäft und bieten Kommunalverwaltungen Unterstützung bei der Umsetzung der DL-RL an. Bislang hat arvato im englischen East Riding und seit 2007 in Würzburg die Kommunalverwaltung übernommen (das Projekt gilt mittlerweile als gescheitert ) und hält die gewonnenen Erfahrungen auf andere Kommunen für übertragbar. Hoheitliche Aufgaben werden zunehmend an private Betreiber übergeben, wodurch persönlichen Daten der Bürger über eGovernment gesammelt, ausgewertet, neu verknüpft und weiterverkauft werden. Arvato verwaltet Daten u.a. im Auftrag der Telekom, der Bahn, der Schufa. Wesentliches Merkmal der Public-Private-Partnership-Verträge ist die Intransparenz. Die Linkspartei in Würzburg wollte den Vertrag zwischen arvato und der Stadt Würzburg einsehen, jedoch sind die Verträge geheim. Der Würzburger eGovernment-Vertrag (10 Jahre Laufzeit) enthält fataler Weise die Klausel für ein privates Schiedsgericht, wodurch der öffentliche Rechtsweg explizit ausgeschlossen ist. Es entscheiden nicht unabhängige Richter über einen Streit, sondern nach aller Erfahrung in der Regel Wirtschaftsvertreter und das geschieht, anders als bei Streitigkeiten vor Gericht, nicht öffentlich. Der Würzburger eGonvernment-Vertrag enthält keine Angaben für einen besonders garantierten Datenschutz (Werner Rügemer, Heuschrecken im öffentlichen Raum).

Liberalisierung des Dienstleistungssektors
Die Kommission behauptet, die Richtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten nicht zu Liberalisierung oder gar Privatisierung von Dienstleistungen. Das ist zwar formal richtig, da der Richtlinienentwurf keine Vorschriften enthält, die direkt solche Maßnahmen vorsehen. Indirekt trägt die DL-RL jedoch dazu bei, die Liberalisierung insbesondere bisher öffentlich erbrachter Dienstleistungen weiter voranzutreiben. In den Anwendungsbereich der DL-RL fallen weite Bereiche der Daseinsvorsorge wie Energie-, Wasser- und Abfallwirtschaft, Gesundheit, Bildung und Sozialdienstleistungen. Außerdem wurden bislang viele dieser Bereiche privatisiert. Insbesondere interessant sein dürfte für DL-Anbieter, dass in den Jahren 2010 bis 2012 bundesweit viele Stromkonzessionen auslaufen. Allein in Nordhessen enden bis 2011 in 150 Kommunen die Konzessionsverträge. Diese Dienstleistungen müssen dann europaweit ausgeschrieben werden. Des Weiteren sind von der DL-RL im Übrigen auch Gesetze und Verordnungen betroffen, deren Zusammenhang mit der DL-RL nicht offensichtlich ist, wie die Verordnung zur Gewährleistung eines bedarfsgerechten Angebotes von Plätzen und zur Personalausstattung in Kitas (VOKitaFÖG), zahlreiche Weiterbildungs- und Prüfungsordnungen in Gesundheitsberufen, das ÖPNV-Gesetz, das Grünanlagengesetz oder die Friedhofsverordnung. Darüber hinaus schreiben zahlreiche EU-Gebührenordnungen vor, dass Gebühren künftig nur noch kostendeckend sein dürfen. Nach Auffassung von ver.di wird die soziale Staffelung von Gebühren nach Einkommen (wesentliches Instrument des sozialen Ausgleichs) zu Lasten der öffentlichen Haushalte wesentlich eingeschränkt und der Bürger als Kunde zur Kasse gebeten.

Die DL-RL treibt die Aushöhlung demokratischer Standards voran (u.a. Kontrollen und Einfluss) und erhöht den Wettbewerbsdruck auf öffentliche Dienstleister, indem sie einen EU-weiten Markt schafft. Damit verfolgt die Richtlinie das Ziel der möglichst weit gehenden Liberalisierung nahezu des gesamten Dienstleistungssektors. Zwar wird die DL-RL den EU-Bürgern als wichtigstes arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisches Vorhaben in Europa verkauft. Jedoch hat der EuGH in einer Reihe von Urteilen in jüngster Zeit die Binnenmarktfreiheiten über die sozialen Grundrechte der EU-Bürger gestellt. Zweifelsohne ist die DL-RL ein radikaler Angriff auf unsere sozialen, ökologischen und arbeitsrechtlichen Errungenschaften, denn Gehälter und Löhne geraten in eine unaufhaltsame Abwärtsspirale. Obendrein wird mit der DL-RL eine Entwicklung auf datentechnischer Ebene vorangetrieben, die der Entpersonalisierung administrativer Entscheidungen und damit einer weitgehend technisierten unpersönlichen europäischen Welt Vorschub leistet.

Quellenangaben:
Quelle 1:Bundestag: IG Bau [PDF – 32KB]
Quelle 2:Bundestag: ver.di [PDF – 336 KB]
Quelle 3:Bundestag: DGB [PDF – 208 KB]

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