Friedrichs Millionen – eine vollkommen absurde Phantomdebatte

Jens Berger
Ein Artikel von:

Nun haben wir es schwarz auf weiß – Friedrich Merz ist Einkommensmillionär! Ei der Daus! Das hätte man sich bei einem Mann, der in einem „Nebenjob“ Tageshonorare in Höhe von 5.000 Euro verlangt und bekommt, natürlich nie denken können. Dass Merz sich dabei selbst eher als Mitglied der gehobenen Mittelschicht sieht, ist freilich ein Schenkelklopfer, den man gar nicht ernsthaft erörtern sollte. Doch weit gefehlt. Friedrich Merz´ Millionen waren das Top-Thema in den Sozialen Netzwerken und den Leitartikeln der Presse. Dort fragt man, ob ein Millionär in Deutschland Kanzler werden kann? Alleine diese Frage zeigt schon, wie absurd die gesamte Debatte geführt wird. Nicht Merz´ Einkommen, sondern die Art und Weise, wie er sein Einkommen erzielt, ist doch das eigentliche Problem. Ein Kommentar von Jens Berger.

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Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Millionär in das Bundeskanzleramt gelangt – so oder so ähnlich könnte man das Strohmann-Argument formulieren, das die Edelfedern der schreibenden Zunft an diesem Wochenende mit lustvoller Verve zu widerlegen versuchten. Dies sei eine „typisch deutsche Debatte“, so steht es wenig überraschend auf SPIEGEL Online geschrieben – „wirtschaftlicher Erfolg“ sei „hierzulande [nun einmal] stets verdächtig“. Ein Leitartikel der WAZ schwadroniert gar von einer Neiddebatte gegen den „Premium-Kandidaten“ und vergleicht Merz´ Einkünfte allen Ernstes mit Fußball-Profis des FC Bayern und Lottomillionären. Geht´s noch dümmer? Hat die schreibende Zunft bereits jegliche Fähigkeit einer zumindest im Ansatz differenzierten Argumentation verloren?

Geld ist nicht gleich Geld. Es macht schon einen Unterschied, womit man zu Reichtum gekommen ist und wie man mit diesem Reichtum umgeht. Gerade die Frage, wer in einer repräsentativen Demokratie das Volk vertreten „darf“, kann man doch nicht vollkommen amoralisch auf Basis nackter Zahlen führen. Es macht doch wohl einen Unterschied, ob jemand Millionen im positiven Einklang mit der Gesellschaft erwirtschaftet hat oder eben nicht. Man kann einen erfolgreichen Unternehmer, der seine Leute ordentlich bezahlt und im gesellschaftlichen Rahmen vorbildlich agiert, nicht mit einem erfolgreichen Gauner vergleichen, dessen Reichtum sich vor allem aus den Schäden Dritter begründet. Ein „Millionär“ ist nicht per se ein „besserer“, aber auch nicht per se ein „schlechterer“ Mensch; genau so wie ein „Armer“ nicht per se „besser“ oder „schlechter“ ist.

Ob Friedrich Merz nun von der Grundsicherung lebt oder ein Einkommensmillionär ist, sagt isoliert betrachtet überhaupt nichts über seine Tauglichkeit als Kanzler oder eine wie auch immer geartete Repräsentationsfähigkeit aus. Die Quantität seiner Einkünfte ist irrelevant. Ganz anders sieht es jedoch mit deren Qualität aus. Und hier sollte man auch als kritischer Geist ansetzen. Denn Friedrich Merz ist ja eben kein „erfolgreicher Unternehmer“, der seine Millionen „im positiven Einklang mit der Gesellschaft“ verdient.

Friedrich Merz hat jahrelang ein hohes sechsstelliges bis niedriges siebenstelliges Jahreseinkommen als Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei Mayer Brown LLP erzielt. Mayer Brown verdient den Großteil seines Geldes mit dem Lobbying für strukturierte Finanzprodukte und einer Reihe von Dienstleistungen für Investmentbanken und die Finanzbranche. Merz selbst stellte der Öffentlichen Hand als Mayer-Brown-Anwalt eine Rechnung mit einem Tagessatz von 5.000 Euro für den (erfolglosen) Versuch, einen neuen Besitzer für die insolvente WestLB zu finden. Er war auch als Aufsichtsrat des Bankhauses HSBC Trinkaus & Burkhardt tätig, das sich selbst und seine reichen Privatkunden laut Vorwurf der Staatsanwaltschaft auf Kosten der Allgemeinheit bei der Cum-Ex-Gaunerei bereichert haben soll. Und heute ist Merz Aufsichtsrat und Lobbyist von BlackRock Deutschland – einem Finanzgiganten, der sich für die Interessen der Wall Street und gegen die Interessen der Allgemeinheit einsetzt. Oder um es zuzuspitzen: Merz hat sein Millionenvermögen stets ganz explizit mit Tätigkeiten verdient, die gegen die Interessen der Allgemeinheit gerichtet waren. Das ist der entscheidende Punkt! Darum ist Merz auch aufgrund seiner beruflichen Vergangenheit der falsche Kandidat für ein öffentliches Amt. Die Summe seiner Einkünfte ist dabei nebensächlich.

Doch anstatt dies klar und deutlich so zu benennen, führen wir lieber eine Phantomdebatte. Merz selbst hat dieser absurden Debatte mit der noch absurderen Aussage, er selbst zähle sich eher zur „gehobenen Mittelschicht“ denn zur „Oberklasse oder Oberschicht“, natürlich das Sahnehäubchen auf dem Tüpfelchen des I verpasst. Alleine die Vorstellung, dass ein Wirtschaftsanwalt mit Millioneneinkommen nicht zur oberen Oberschicht gehören könnte, ist ja vollkommen lächerlich. Das weiß auch Merz und daher dreht auch er die Debatte an dieser Stelle weg vom Quantitativen ins Qualitative. Für ihn ginge es bei der Klassenfrage um eine Frage der Einstellung – wer „Fleiß, Disziplin, Anstand und Respekt“ mitbringt, gehöre für ihn nun einmal zur Mittelschicht. Das wird Millionen von fleißigen, disziplinierten, anständigen und respektvollen Niedriglöhnern und Minirentnern natürlich freuen – willkommen in der Mittelschicht, in der man seinen Privatjet nimmt, wenn die Autobahn mal wieder verstopft ist. Immerhin wissen wir nun, wen Merz und Co. eigentlich meinen, wenn sie eine Politik fordern, die die Mittelschicht entlastet. Ob die Niedriglöhner und Rentner dann auch noch dazu gehören?

Die absurde Debatte, ob Merz trotz seiner Millioneneinkünfte doch nicht eigentlich „einer von uns“ ist, hat natürlich einen Zweck. Solange man die Debatte nur rein quantitativ führt, geriet die Qualität der Einkünfte in den Hintergrund. Klar dass sich nun beispielsweise die BILD-Leser fragen, ob „jemand, der Erfolg im Geschäftsleben“ hat, auch ein „erfolgreicher Politiker“ sein kann, und diese abwegige Frage dann mehrheitlich bejahen. Der gewünschte Nebeneffekt: Plötzlich spielt es gar keine Rolle mehr, womit und von wem Merz seine Einkünfte bezieht. Der Kandidat ist reingewaschen. Fritze, der fleißige Millionär von nebenan. Toll! Ist dies nun ein „Kollateralschaden“ der Debatte oder ihr eigentlicher Zweck? Ich tendiere zu Letzterem.

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