Die Sprachlosigkeit der „Linken“

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„Welche Linke wollen wir?“, fragte eine prominent besetzte Konferenz in Berlin. Diese „Linke“ lieber nicht, möchte man provokant antworten. Zum einen ist der Begriff „links“ inzwischen umgedeutet und entwertet, er stiftet nur noch Verwirrung. Zum anderen schreckte die Unfähigkeit der Diskutanten, eine mitreißende Kommunikation zu entwickeln. „#Aufstehen“ – der Elefant im Raum – wurde weitgehend ignoriert. Ein Trauerspiel. Von Tobias Riegel.

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Die Konferenz „Welche Linke wollen wir?“ in der Berliner Schaubühne am Sonntag war Paradebeispiel für die Begriffsverwirrungen und Sprachlosigkeiten, in die sich das einst „links“ genannte Lager hineinmanövriert hat. Nach drei ausgedehnten Podiumsdiskussionen mit prominenten und internationalen Gästen ließe sich ketzerisch sagen: Diese „Linke“ wollen „wir“ nicht, denn sie kann nicht einmal ihre eigene Daseinsberechtigung verständlich und mitreißend formulieren.

Viel lässt sich bereits an der Sprache festmachen: Die Vokabel „links“ hat durch aggressive mediale Umdeutung ihre Aussage verloren – der Begriff stiftet nur noch Verwirrung und wirkt destruktiv. Wer also an dem Wort festhält – und es sogar prominent im Konferenz-Titel platziert – fördert die Begriffsverwirrung und damit die Sprachlosigkeit. Ein Beispiel unter vielen lieferte ein Dialog zwischen dem Ökonom Heiner Flassbeck und der LINKEN-Chefin Katja Kipping, der daran scheiterte, dass beide Seiten jeweils nicht wussten, wer oder was mit „Linken“ gemeint ist: die gleichnamige Partei, außerparlamentarische Open-Border-Aktivisten, das „links“-grün-liberale Milieu, Sahra Wagenknecht oder Teile der SPD? In so manchem Medium wird „links“ mittlerweile mit Freihandel und Staatsfeindlichkeit gleichgesetzt oder mit der Verteidigung der Bundesregierung gegen rechte Wutbürger. Und wer ist eigentlich das im Konferenz-Titel adressierte „Wir“?

Spaltung des „linken“ Lagers wird vernebelt

Das ehemals „links“ genannte Lager ist tief gespalten – grob zugespitzt und neben vielen anderen Konflikten in globalistische Anhänger der Open-Border-Philosophie einerseits und Bewahrer des National- und damit des Sozialstaats andererseits. Diese Kluft wurde bei der Konferenz jedoch weitgehend vernebelt – zumindest wurde das durch Dramaturgie und Moderation versucht. So fand sich etwa in der Runde zur Einwanderungs- und Asylpolitik kein konsequenter Kritiker der offenen Grenzen „für alle“. In einer mittlerweile gewohnten hochemotionalen Einigkeit warfen sich hier Berenice Böhlo, Naika Foroutan und Klaus Vogel die moralisch aufgeladenen Bälle zu. Moderatorin Vanessa Vu konnte sogar verkünden, das „Sozialstaats-Argument“ komme beim Thema Zuwanderung „aus der rechten Ecke“. Der Sozialstaat – und damit auch der Nationalstaat als Verteidiger sozialer Errungenschaften – hatte ohnehin einen schweren Stand, auf allen Podien der Konferenz.

Auffällig war, dass echte Debatten vermieden wurden. Zwar waren, außer bei der homogen besetzten Migrations-Runde, durchaus verschiedene Sichtweisen auf den Podien vertreten. Auch waren mit Heiner Flassbeck oder Sergio Coronado Personen anwesend, die einen Gegenpol zur inhaltlich dominanten Gruppe um die auch geladene LINKEN-Chefin Katja Kipping hätten bilden können. Doch die Diskutanten gingen nicht konfrontativ aufeinander ein, sondern referierten weitgehend nebeneinander her. Ein Brückenbauer zwischen den sich über weite Strecken verständnislos und sprachlos gegenüberstehenden Lagern war ausgerechnet der französische Soziologe Didier Eribon: Er brach eine Lanze sowohl für den von der Moderation als „Nationalisten“ diffamierten Jean-Luc Mélonchon als auch für die Themen der „Identitätspolitik“. Er argumentierte scharf gegen „Merkels Europa“, aber ebenso scharf für eine europäische Gemeinschaft, die den Neoliberalismus abwirft.

Der „linke“ Kampf gegen den Nationalstaat

Die beiden extremsten Pole der Debatte, sowohl was die Inhalte als auch was die intellektuelle Redlichkeit anbelangt, waren dagegen der kroatische Autor Sreko Horvat und die französische Abgeordnete Danièle Obono von „La France Insoumise“. So wollte Horvat in einer peinlich-lässigen Haltung den Nationalstaat als „gestrig“ und „illusorisch“ begraben und forderte praktisch eine Kapitulation vor internationalen Konzernen. Damit befand er sich auf der dominanten von Dramaturgie und Moderation angepeilten Linie. Obono dagegen verteidigte vehement die nationalen Parlamente als jene Orte, wo der konkrete und reale Kampf für soziale Verbesserungen stattfinden kann. Und sie verwies darauf, dass der Ruf nach „internationalen Lösungen“ oft reine Ablenkung darstellt und dass durch diese Taktik ein nationales Vorpreschen einzelner Länder abgewürgt werden soll.

Das nationale Parlament als realer Ort des Kampfgeschehens – die Verteidiger des Nationalstaats haben mit diesem starken Symbol eindeutig den Vorteil des Konkreten in ihrer Argumentation. Denn was können die Globalisten und Open-Border-Aktivisten dem konkret entgegensetzen? Welche Vision von einer die Wirtschaft kontrollierenden und die Bürger beschützenden Institution schwebt ihnen vor, wenn der Nationalstaat erst „überwunden“ ist? Man weiß es nicht, denn zu dem Punkt, an dem Gegner des Nationalstaats realistische „internationale“ Alternativen skizzieren würden, dringt die Debatte meist gar nicht vor.

Schützt der IWF den Sozialstaat?

Am nächsten kam die Konferenz am Sonntag diesem Punkt, als Naika Foroutan fabulierte, der Sozialstaat könne nach der Zerstörung des Nationalstaats von dem Internationalen Währungsfonds vergleichbaren Institutionen beschützt werden. Man war angesichts solcher Weltfremdheit kurz sprachlos. Und glaubt man Moderatorin Tania Martini, so „taugt“ die Forderung nach einem „Zurück zum Sozialstaat“ möglicherweise gar nicht im Kampf gegen den Rechtsruck. Denn: „Beruht dieses Phänomen überhaupt auf Ungleichheit?“

Die Zweifel an der These von der Ungleichheit als Ursache des Rechtsrucks wurden am Sonntag mit dem bekannten Argument flankiert, die AfD-Wähler seien ja gar nicht alle arm. Die referierten Zahlen zur materiellen Sicherheit vieler AfD-Wähler stimmen wahrscheinlich. Aber sind sie für die Frage nach der auch unbewussten Wirkung von Ungleichheit relevant? Muss man arm sein, um Angst vor Armut zu entwickeln? Wird dabei nicht ignoriert, dass auch irrationale Ängste vor einem erst drohenden Abstieg sehr reale Ängste hervorrufen? Und wie können sich „links“ nennende Akteure eine solch neoliberale und die Ungleichheit negierende Argumentation unterstützen?

Mit den Abstiegsängsten gelangt man zu einem weiteren Problem der Vermittlung fortschrittlicher und sozialer Politik: Sollte das Irrationale ernster genommen werden? Und werden sich die fortschrittlichen Inhalte so lange nicht medial durchsetzen, so lange dem „linken“ Populismus abgeschworen wird? Diese Strategie und die allseits diffamierten „Wutbürger“ wurden am Sonntag immerhin von der französischen Abgeordneten Obono verteidigt: „Die Wut der Bürger ist berechtigt. Wir müssen mit einer Sprache der Hoffnung ihre Herzen erreichen. Und mit einer neuen Art der Politik.“ Man möchte anfügen: „#Aufstehen“, übernehmen Sie!