Linkes Europawahlprogramm – kritiklos in die nächste Wahlschlappe

Jens Berger
Ein Artikel von:

Katja Kipping und Bernd Riexinger haben sich so ihre Gedanken gemacht, wie sich die Linke programmatisch zur Europawahl im kommenden Mai aufstellen sollte. Von einer grundlegenden Kritik an der EU und dem real existierenden politischen Europa will die Parteiführung jedoch nichts wissen. Folgerichtig wollen Kipping und Riexinger den Europawahlkampf auch schwerpunktmäßig auf die urbanen proeuropäischen Milieus ausrichten. Doch da sitzen schon die Grünen und mit Yanis Varoufakis hat sich ein weiterer wackerer Wahlkämpfer positioniert, der dieses quantitativ doch eher überschaubare Klientel für sich erschließen will. Grundsätzliche Kritik an der EU und ihren Strukturen überlässt man lieber der AfD. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, dass diese Strategie auf eine grandiose Wahlschlappe hinausläuft. Es ist traurig mit anzusehen, wie die Partei durch falsche Entscheidungen des Parteivorstands mehr und mehr in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet. Von Jens Berger.

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„Für mehr Europa“ zu sein, ist im linksliberalen Milieu zu einer Art gemeinschaftsstiftenden Bekenntnis geworden. Ebenso wie der Schwanengesang auf das angebliche Auslaufmodell „Nationalstaat“. Auf internationale Probleme ließe sich halt nur im internationalen Rahmen eine Lösung finden, so das Mantra der Globalisten. Wer widerspricht und frei nach Adorno anmerkt, dass es kein richtiges Europa im falschen geben könne, da die Struktur der EU und der zugehörigen europäischen Institutionen grundlegende progressive Reformen gar nicht zulassen, läuft indes schnell Gefahr, als „Europagegner“, „Nationalist“ oder gar „Populist“ in eine Schublade mit den Le Pens, Wilders und Gauländern gesteckt zu werden. Mit derlei „Logik“ kann man tatsächlich im Regierungsviertel seine Echokammer überzeugen – oder aber den Vorstand der Linkspartei.

Der hat nämlich große Pläne mit Europa – sozial, friedlich, demokratisch und dabei ganz anders soll es sein, so der Programmentwurf von Kipping und Riexinger. Das sind freilich Binsen, mit denen man auch das Wahlprogramm für den Stadtrat in Buxtehude schmücken könnte. Leider verschweigt das Papier der beiden Vorsitzenden jedoch, wie man die zahlreichen – meist ja auch durchaus löblichen – Forderungen aus dem Kleingedruckten umzusetzen gedenkt. Forderungen aufzustellen, ohne eine Idee davon zu vermitteln, wie man sie denn konkret umsetzen will, ist jedoch wohlfeil und tatsächlich „populistisch“. Wenn man die Umsetzbarkeit thematisieren würde, müsste man ja auch die Ordnungsrahmen thematisieren. Die EU-Verträge sind nun einmal in der jetzigen Form ein Rahmen, der zwingend zu einem gegenseitigen Unterbietungswettbewerb in der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik führen muss; ein Rattenrennen im Namen der Marktkonformität. Wer die Inhalte des Programmentwurfs von Kipping und Riexinger umsetzen will, muss also auch die „Strukturfrage“ stellen und die EU-Verträge selbst thematisieren – auch wenn man dann Gefahr läuft, von den Hauptstadtjournalisten nicht mehr als „moderat“ tituliert zu werden.

Da der Programmentwurf des Parteivorstands grundsätzliche Kritik an der real existierenden EU und ihrer Verfassung ausspart, ist er leider auch beliebig. Und das entwertet auch die inhaltlichen Forderungen. Doch auch hier gibt es „Blüten“, die man nur vor dem Hintergrund der dauerhaften Mobbing-Aktivitäten der Parteivorsitzenden gegen die Bundestagsfraktion und ihre Vorsitzende Sahra Wagenknecht verstehen kann. So sind im Programmentwurf abermals Forderungen enthalten, man müsse die „Grenzen demokratisieren und sichere und legale Flucht- und Einreisewege schaffen“. Nun kann man zwar herzhaft über diese ungelenke Rhetorik lachen. Was sollen bitte „demokratisierte Grenzen“ sein? Zwischen den Zeilen ist dies jedoch genau die Forderung nach offenen Grenzen für den Arbeitsmarkt, für die es innerhalb der Partei – zum Glück – keinen bindenden Beschluss gibt. Warum packt der Vorstand diese polarisierende Forderung dann in seinen Programmentwurf? Wenn Kipping und Riexinger Probleme mit der Popularität von Sahra Wagenknecht haben, dann sollen sie dies doch bitte auf andere Art und Weise lösen. In einem Programmentwurf für die Europawahl haben solche Intrigen jedenfalls nichts zu suchen.

Was wollen die beiden Vorsitzenden eigentlich? Wessen Interessen soll die Linkspartei im Europaparlament eigentlich vertreten? Man gibt sich moderat und weltoffen, international und nur bedingt kritisch. Man ist halt „ein bisschen dagegen“ (Zitat SPON), aber grundsätzlich natürlich für Europa. Das freut die Pulse-of-Europe-Liberalen, auf die vor allem Katja Kipping schon länger als neue Kernwählerschaft der Linkspartei schielt. Doch die urbanen Jungakademiker mit ihren ganz eigenen Problemen und Ansichten sind nicht nur eine sehr kleine Zielgruppe, sondern werden zudem von gleich mehreren Parteien umgarnt. Da sind die – immer noch unverständlicherweise oft als „links“ wahrgenommenen – Grünen, die mit dem Duo Ska Keller und Sven Giegold und dem Rückenwind aus dem Bund sicher in diesem Milieu auch gut punkten werden. Und dann will der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis als Spitzenkandidat der Bewegung „Demokratie in Europa“ ja auch noch in Deutschland kandidieren und mit dosiert kritischen – aber stets proeuropäischen – Slogans im urban-akademischen linkliberalen Milieu Stimmen sammeln.

Wenn die Linke der Strategie ihrer beiden Vorsitzenden folgt, würde es also sogar in der neuen Zielgruppe selbst ziemlich eng; wenn man nun noch unterstellt, dass die Linke mit ihrer Fokussierung auf junge urbane Akademiker ihre originären Zielgruppen verprellt, könnte die Europawahl gar zu einem historischen Waterloo für Katja Bonaparte und Napoleon Riexinger werden. Die beiden Strategen überlassen in ihrer Angst, auch nur in einem Atemzug mit den „Europagegnern“ und „Populisten“ genannt zu werden, die gesamte Flanke der grundsätzlichen Kritik an den europäischen Institutionen und den EU-Verträgen nämlich der AfD. Die sagt klar, dass man der EU und der Eurozone ohne vorherige grundlegende Reformen dieser Institutionen nur durch ein Korrektiv auf nationaler oder regionaler Ebene begegnen kann. Das ist analytisch vollkommen richtig; auch wenn die AfD dies natürlich an inhaltlich vollkommen falsche Forderungen knüpft. Nur weil die Inhalte falsch sind, heißt dies aber nicht, dass auch die dafür geforderten Instrumente falsch sein müssen.

So steckt die Linkspartei ohne Not in einem selbstverschuldeten Paradoxon. Da man wie ein kleines Kind im Sandkasten alles kategorisch ablehnt, was die AfD sagt, tritt man nun betont proeuropäisch auf und hinterfragt die Strukturen der EU lieber erst gar nicht. Stattdessen sucht man sich halt neue Wähler in hippen wohlgefälligen Milieus. Dafür gibt’s dann zwar Applaus aus der urbanen Echokammer, aber keine Wählerstimmen. Denn die neue Zielgruppe wählt lieber die echten identitätspolitischen Hipster der Grünen und die verprellten Unzufriedenen wählen aus Protest die AfD. Und für die übriggebliebenen Progressiven stellt sich nur noch die Frage, ob man überhaupt noch ein kleineres Übel wählen soll oder nicht gleich in die innere Emigration gehen soll. Bis irgendwer aufsteht, wird sich daran wohl leider auch nichts ändern.

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