Sterbehilfe: Menschenrecht auf selbstbestimmtes Sterben wurde gestärkt – Der Umgang mit Sterbewilligen bleibt skandalös

Sterbehilfe: Menschenrecht auf selbstbestimmtes Sterben wurde gestärkt – Der Umgang mit Sterbewilligen bleibt skandalös

Sterbehilfe: Menschenrecht auf selbstbestimmtes Sterben wurde gestärkt – Der Umgang mit Sterbewilligen bleibt skandalös

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Der Bundesgerichtshof hat das Recht der Menschen auf ein selbstbestimmtes Lebensende gestärkt. Das gute und wichtige Urteil lenkt den Blick auf den anmaßenden aktuellen Umgang des Bundesgesundheitsministers mit Sterbewilligen. Hoffnung liegt auf dem Verfassungsgericht, das im Herbst über „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe urteilt. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mittwoch zur Sterbebegleitung durch Ärzte ist sehr zu begrüßen: Der BGH hat festgestellt, dass Ärzte nicht verpflichtet sind, Patienten nach einem Suizidversuch gegen deren Willen das Leben zu retten. Der 5. Strafsenat des BGH bestätigte damit in einem wegweisenden Verfahren zwei Urteile der Landgerichte in Berlin und Hamburg. Diese Gerichte hatten entschieden, dass der Wille der Patienten entscheidend ist und hatten die Ärzte freigesprochen.

„Epochales Urteil für das Selbstbestimmungsrecht“

Der Verein Sterbehilfe Deutschland bezeichnete das Urteil in einer Erklärung als eine „für das Selbstbestimmungsrecht epochale Abkehr“ von einem Urteil aus dem Jahre 1984. Damals hatte der BGH entschieden, dass begleitende Ärzte zur Lebensrettung verpflichtet seien, sobald der Sterbewillige bewusstlos geworden sei. Laut Verein habe das bedeutet, dass der Sterbehelfer die Sterbewilligen verlassen musste, bevor diese bewusstlos wurden. „Mit dieser unwürdigen Situation ist nun Schluss“, erklärte der Verein, der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch geleitete wird.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte dagegen die Bestätigung des Freispruchs für den Berliner Arzt als unverständlich, wie EPD meldet: “Tagelanges Ringen mit dem Tod, Hausbesuche zur Todesfeststellung und aktive medizinische Hilfestellung sind keine Sterbebegleitung oder palliative Therapie”, erklärte die Stiftung: “Der BGH hätte die Aufgabe gehabt, dies klarzustellen.“ Auch Hamburgs Ärztekammerpräsident Pedram Emami zeigt sich enttäuscht vom BGH-Urteil.

Das Lebensende – Unter würdigen Umständen und in Begleitung

Insgesamt ist die Reaktion in Medien und Öffentlichkeit aber verhalten positiv. Während sich die meisten Medien auf wertfreie Meldungen des Vorgangs beschränken und auf Meinungskommentare weitgehend verzichten, wurde es etwa vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und von der Vorsitzenden des Europäischen Ethikrates Christiane Woopen eindeutig begrüßt, wie Woopen betont:

„Ich halte das für ein sehr wichtiges Urteil, weil es Patienten und Ärzte stärkt“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es macht deutlich, dass Ärzte ihre Patienten bei einer selbstbestimmten Selbsttötung nicht alleine lassen müssen, sondern sie begleiten dürfen.“ Eine Selbsttötung solle niemals eine gleichsam normale Option sein, betonte Woopen. „Wenn aber ein Mensch nach Beratungen und gründlichem Überlegen sowie nach längerer Bedenkzeit in Ausübung seiner Selbstbestimmung sich selbst töten möchte, um schweres Leiden zu beenden, das anders nicht beendet werden kann, dann sollte er dies unter würdigen Umständen und in Begleitung tun können“, so die Medizin-Ethikerin.

Es muss andererseits aber auch unbedingt sichergestellt werden, dass jeder Verdacht der äußeren Einflussnahme auf die Sterbewilligen – etwa durch Verwandte – restlos ausgeschlossen werden kann. Weitere Hintergründe zum aktuellen Urteil sowie Informationen zum sogenannten „Peterle-Urteil“ aus den 80er Jahren gibt es etwa hier.

Begleitung am Lebensende soll als „Geschäftemacherei“ diffamiert werden

Das aktuelle Urteil des BGH lenkt den Blick auf zwei weitere Aspekte des drängenden Themas: Zum einen auf ein im Herbst erwartetes Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den zu recht hoch umstrittenen und destruktiven Paragrafen 217 StGB zum Verbot der „geschäftsmäßig organisierten” Beihilfe zur Selbsttötung. Der 2015 eingeführte Paragraf soll eine organisierte Form der Suizidbeihilfe unmöglich machen und sie als „Geschäftsmodell“ diffamieren. Dass ein Verein, der Unkosten hat, diese auch ausgleichen muss, wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Schwer Kranke, Ärzte und Sterbehilfe-Vereine haben dagegen vor dem Gericht in Karlsruhe geklagt.

Jens Spahn und seine anmaßende Weisung gegen die Sterbewilligen

Der andere Aspekt ist das inakzeptable aktuelle Verhalten des Bundesgesundheitsministeriums gegenüber Sterbewilligen, denen pauschal die notwendigen Arzneien verweigert werden. Zu diesem Punkt hatte das Bundesverwaltungsgericht 2017 entschieden, dass der Staat unheilbar Kranken in extremen Ausnahmesituationen den Zugang zu einem tödlichen Medikament nicht verwehren dürfe. Seither gingen zahlreiche Anträge beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein. Genehmigt wurde kein einziger – aufgrund einer anmaßenden Weisung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Anträge auf Freigabe von Sterbehilfe-Medikamenten pauschal abzulehnen. Das geschehe angeblich auch mit Blick auf Paragraf 217 StGB zum Sterbehilfe-Verbot.

In was für eine juristisch und moralisch fragwürdige Situation diese Weisung Spahns das zuständige Arzneimittel-Bundesinstitut bringt, hat gerade der „Tagesspiegel“ berichtet: Das Institut soll einerseits sämtliche Anträge auf tödliche Medikamente ablehnen, will aber dennoch – offiziell – jeden Einzelfall prüfen.

Verfassungsgericht kritisch und öffentlich begleiten

Das kommende Urteil des Verfassungsgerichts ist daher unter vielen Gesichtspunkten zentral: Es sollte kritisch und mit möglichst viel Öffentlichkeit begleitet werden. Die Beibehaltung der betreffenden Paragrafen und die daraus folgende Unmöglichmachung einer angemessenen (und ja: Kosten verursachenden) organisierten Sterbebegleitung wären ein Skandal.

Die Folge wäre zudem mutmaßlich eine Stärkung des „Suizid-Tourismus“ von Deutschen in die Schweiz, wie sie etwa hier beschrieben wird. Die Kosten für den Einzelnen würden dadurch nochmals in die Höhe schnellen, was die Sterbewilligen noch stärker in die Gruppen der Begüterten und der weniger Begüterten trennen würde. Wie progressiv die Schweiz mit dem Thema umgeht und wie sehr sie dabei den Bürgerwillen respektiert, wird hier beschrieben.

Die deutsche Politik und die Heuchelei bei der Sterbehilfe

Wem dagegen die deutschen Bürger den Paragrafen 217 StGB namentlich zu verdanken haben, das betont der Verein Sterbehilfe Deutschland in einer Mitteilung:

„Am 6. November 2015 beschloss der Deutsche Bundestag § 217 StGB, der in verfassungswidriger Weise das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende einschränkt.
Katarina Barley stimmte damals mit Nein. Mit Ihrem Ausscheiden aus dem Bundeskabinett gibt es dort niemanden mehr, der sich für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts engagiert. Vom aktuellen Bundeskabinett hatten Angela Merkel und neun Ministerinnen und Minister für § 217 StGB gestimmt (Altmeier, Braun, Heil, Karliczek, Lambrecht, von der Leyen, Müller, Scheuer, Spahn). Die übrigen sechs Ministerinnen und Minister (Giffey, Klöckner, Maas, Scholz, Schulze, Seehofer) hatten kein Stimmrecht, weil sie 2015 nicht Mitglied des Deutschen Bundestages waren. Aber auch sie haben § 217 StGB entweder befürwortet oder durch Schweigen gebilligt.“

Man fragt sich, worauf die Sicherheit der betreffenden Politiker beruht, selber nicht eines Tages von dem zentralen Menschenrecht auf selbstbestimmtes Sterben Gebrauch machen zu wollen. Möglicherweise ist hier aber auch die eigene Heuchelei schon fest eingeplant – gepaart mit der Gewissheit, im Fall der Fälle als begüterter Ex-Minister oder Richter schon Mittel und Wege zu finden, die selbst veranlassten Gängelungen sterbewilliger Bürger zu umgehen. Diese mutmaßlich schon eingeplante „späte Einsicht“ von Menschen, wenn es einen schließlich selber betrifft, ist hier moralisch zu verdammen – auch und gerade bei Politikern, Kirchenfunktionären oder Redakteuren, die den Sterbewilligen aktuell den würdevollen Tod verweigern wollen.


Anmerkung: Dieser Text argumentiert für ein selbstbestimmtes Lebensende: Gemeint sind damit Menschen in ausweglosen und schmerzhaften Zuständen – also Menschen, die sich einer erbarmungslosen Apparate-Medizin ebenso entziehen möchten wie einer möglicherweise jahrelangen Ruhigstellung durch die Palliativmedizin. Der Text wendet sich aber eindeutig und konsequent gegen eine leichtfertige Lebensflucht durch Suizid. Anlaufstellen für Hilfe in verzweifelten Lebenssituation hat etwa der „Spiegel“ zusammengestellt.

Titelbild: sfam_photo / Shutterstock

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!