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Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Super Tuesday: Biden in frühen Ergebnissen voran, viele Resultate aber noch ausständig
  2. Türkei
  3. Finale in Idlib
  4. Covid-19
  5. Gerichtsverhandlung gegen Julian Assange “Alles deutet auf einen reinen Schauprozess hin”
  6. Donald Trump und die Zerstörung einer Demokratie
  7. Die Heiligsprechung des Quacksalbers Muhammad Yunus
  8. Gewerkschaftsfresser Friedrich Merz
  9. Werkverträge und Leiharbeit als Streikhindernis
  10. Klinik der Solidarität
  11. Netanjahu gewinnt – aber wahrscheinlich keine absolute Mehrheit
  12. Tödlicher Ernst
  13. Wenn die rassistische Saat aufgeht…
  14. Linkenchef Riexinger wegen Äußerung über Reiche in Bedrängnis
  15. Für den Papst bin ich ein Auftragsmörder
  16. Zeig mir dein Bild und ich sage dir, wie du bist
  17. Als der Winter ausfiel

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Super Tuesday: Biden in frühen Ergebnissen voran, viele Resultate aber noch ausständig
    Erste Ergebnisse zeigen eine überraschend klare Führung für Obamas Ex-Vizepräsident in mehreren entscheidenden Staaten – Sanders gewann seinen Heimatstaat Vermont
    (…) Beim Super Tuesday wird in mehr als einem Dutzend der 50 US-Staaten darüber abgestimmt, welcher Kandidat bei der Präsidentschaftswahl am 3. November den republikanischen Amtsinhaber Donald Trump herausfordern soll. Dieser Tag ist somit der wichtigste bei den Vorwahlen der Demokraten: Es geht um die Stimmen von mehr als einem Drittel aller Delegierten, die beim Nominierungsparteitag im Sommer letztlich den Präsidentschaftskandidaten bestimmen.
    Prominente Aussteiger für Biden
    Bei den Demokraten lag nach bisher vier Vorwahlen der linke Senator Bernie Sanders in Führung. Der 78-Jährige war auch in landesweiten Umfragen lange Spitzenreiter, erst jüngst hat Biden aufholen können. Einen gewaltigen Schub bekam er kurz vor dem Super Tuesday: Die ausgeschiedenen Bewerber Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Beto O’Rourke riefen ihre Anhänger dazu auf, nun die Kandidatur des 77-Jährigen zu unterstützen.
    (…) Die Vorwahlen ziehen sich insgesamt bis Juni hin. Nach den Demokraten im Juli werden die Republikaner dann im August in Charlotte (North Carolina) bei ihrem Nominierungsparteitag formell Trump zu ihrem Präsidentschaftskandidaten küren.
    Quelle: Der Standard

    Dazu auch: Establishment bündelt weiter Kräfte
    Klobuchar gibt Kandidatur auf und will Biden unterstützen
    (…) Damit sind nun nur noch fünf Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten im Rennen: die eher linken Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren, der ehemalige Vizepräsident Biden und der frühere Bürgermeister von New York, der Multimilliardär Mike Bloomberg, sowie die als wenig chancenreich geltende Abgeordnete Tulsi Gabbard.
    Quelle: RT

    Anmerkung Marco Wenzel: Das Establishment der demokratischen Partei, keinen Deut besser als das der Republikaner, macht alles, um die Nominierung von Bernie Sanders noch zu blockieren, bevor es zu spät ist und er zu weit vorne liegen könnte.

    Biden steht unter den Bewerbern aus der Demokratischen Partei weit rechts. Als Vizepräsident unter Obama hat alle völkerrechtswidrigen Kriege sowie auch die Drohnenangriffe der USA mitgetragen. Sollte das demokratische Establishment angesichts seiner Beliebtheit in der Bevölkerung Sanders Nominierung nicht verhindern können, so wird sie sich aber mit Sicherheit trotzdem nicht hinter einen Kandidaten Sanders stellen um die Wahlen zu gewinnen. Dann wird man ihn eben so lange diskreditieren und boykottieren müssen, bis Trump gewinnt. Die Europäer sollten sich derweil auch keine grossen Illusionen darüber machen, dass ein Präsident Sanders allein die politischen Weichen der USA, besonders in der Außenpolitik, neu stellen könnte.

    Anmerkung Jens Berger: Sollten nun – wovon eigentlich auszugehen ist – Michael Bloomberg und Elizabeth Warren ihre Kampagnen einstellen, kommt es zum Flügelkampf zwischen Biden und Sanders. Leider muss man jedoch auch konstatieren, dass Biden die besseren Karten hat – weniger bei den Wählern in den ausstehenden Staaten, sondern vor allem bei den Superdeligierten, die bereits angekündigt haben, den Wählerauftrag ohnehin nicht zu erfüllen und Sanders zu „blockieren“.

  2. Türkei
    1. Der Deal mit dem türkischen Terrorpaten – jetzt rächt er sich
      Seit Jahren unterstützt die Bundesregierung Erdogans schmutzigen Krieg in Syrien.
      Die Türkei bekommt aus Deutschland Waffen und Geld – und sie nutzt beides, um in Syrien an der Seite islamistischer Terroristen zu kämpfen: gegen die Kurden oder, wie in Idlib, gegen die syrische Armee. Erdogan hat wesentlichen Anteil daran, dass das Blutvergießen in Syrien anhält und Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen mussten und müssen. Und jetzt benutzt er die vielen Flüchtlinge auch noch als Waffe, um von Deutschland und der EU-Unterstützung zu erpressen für seine blutige Politik.
      Mindestens 13.000 Menschen hat die türkische Regierung mit gezielten Falschmeldungen an die griechische und bulgarische Grenze gelockt, sie teilweise sogar mit eigens gecharterten Bussen dahin transportiert.
      Erdogan spielt mit den erschreckenden Szenen: Kinder hinter Tränengas-Schwaden, Menschen in wackligen Schlauchbooten. Diese Bilder sind von ihm genau so gewollt. Und was macht die NATO, was machen Merkel und Maas? Sie bekunden ihre Unterstützung für die Türkei und werfen Russland und Syrien “eklatante Völkerrechtsbrüche” vor. Ja, Bomben auf Zivilisten sind zu verurteilen, egal wer sie wirft. Aber wenn NATO-Staaten, die sich bei ihren Kriegen einen Dreck um zerfetzte oder verstümmelte Frauen und Kinder scheren, die in Mossul und Rakka mit der gleichen Brutalität gemordet haben, die sie jetzt in Idlib beklagen, wenn solche Staaten und ihre Repräsentanten plötzlich die Humanität entdecken, ist das schamlose Heuchelei.
      Das Morden muss aufhören! Dafür aber muss vor allem endlich die Unterstützung und Finanzierung islamistischer Terroristen in Syrien eingestellt werden! Rasche humanitäre Hilfe vor Ort ist gefragt, um eine weitere Zuspitzung der katastrophalen Situation verhindern. Es ist richtig: die über drei Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich aktuell in der Türkei aufhalten, vielfach unter extrem prekären Bedingungen, haben eine bessere Perspektive verdient. Aber wohlfeile Forderungen nach offenen Grenzen, die unweigerlich in einer Situation wie 2015 münden und unsere Demokratie restlos destabilisieren würden, nützen ihnen nichts. Vielmehr muss sich die Bundesregierung endlich ernsthaft für einen Waffenstillstand in Idlib und den Abzug der islamistischen Terroristen einsetzen, vor allem aber für eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien, die den Wiederaufbau des Landes komplett blockieren. Es sind vor allem diese Sanktionen, die die Menschen in Syrien daran hindern, in ihrem kriegszerstörten Land wieder zu einem Mindestmaß an Normalität zurückzukehren. Die syrische Bevölkerung braucht Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau, statt eines mörderischen Sanktionsregimes. Nur dann wird auch die syrische Flüchtlingstragödie ein Ende finden.
      Quelle: Sahra Wagenknecht via Facebook
    2. Rechtsextreme Attacken auf Flüchtlinge in Lesbos: Wie die humanitäre Krise zur Katastrophe wurde
      Menschen sterben. Die humanitäre Krise an der türkisch-griechischen Grenze eskaliert. Im syrischen Idlib wird die Zivilbevölkerung bombardiert, in der Türkei setzen anti-syrische Pogrome ein und auf den griechischen Inseln wüten rechtsextreme Mobs – während die Polizei zuschaut. Was ist passiert? Wie konnte es soweit kommen? Und was können wir tun?
      Was passiert jetzt mit den syrischen Flüchtlingen, die nach Griechenland kommen?
      Die türkischen Behörden haben den sogenannten Türkei-Deal mit der EU aufgekündigt und schicken seit Freitag Flüchtlinge nach Griechenland: Sie organisieren Busse an die Grenze. In der Türkei werden syrische Flüchtlinge und syrische Geschäfte von rechten Mobs rund um die faschistische, türkisch-nationalistische Organisation “Graue Wölfe” attackiert – eine Art Pogrom, sagt der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Thomas Schmidinger. Politische Beobachter vermuten hinter den Angriffen auf Syrer zum Teil auch eine staatliche Koordinierung.
      Doch auch Griechenlands rechtskonservative Regierung will die syrischen Flüchtlinge nicht aufnehmen. Sie setzt Tränengas und Munition ein und hat das Asylrecht ausgesetzt – ein grundlegendes Menschenrecht, das als Lehre aus dem Holocaust beschlossen wurde. Derzeit lässt die EU Menschen nicht nur sterben, wie es im Mittelmeer seit Monaten passiert, sondern trägt aktiv dazu bei, dass sie sterben…
      Quelle: kontrast at
    3. Griechenland verteidigen – und die Türkei schmieren?
      In der neuen Flüchtlingskrise verfolgt die EU eine seltsame Doppelstrategie. Einerseits will sie Griechenland und die EU-Außengrenze verteidigen. Andererseits will sie die Türkei erneut mit Milliardenhilfen schmieren – pardon: unterstützen.
      Wie geht es weiter mit dem Flüchtlingsdeal, den der türkische Despot Erdogan seit Tagen bricht? Die EU weiß es auch drei Tage nach Beginn der Feindseligkeiten nicht.
      Einerseits wollen die meisten Mitgliedstaaten an der – rechtlich unverbindlichen und auf vier Jahre befristeten, also eigentlich überholten – Vereinbarung festhalten.
      Andererseits wollen sie aber auch nicht den Eindruck erwecken, der Erpressungs-Taktik Erdogans nachzugeben.
      “Niemand kann die Europäische Union erpressen und einschüchtern”, sagte Migrationskommissar Schinas in Berlin, wo er mit Kanzlerin Merkel den weiteren Kurs absteckte, natürlich hinter verschlossenen Türen.
      Doch das ist nicht das einzige Dilemma. Außerdem ist da noch die ungelöste Frage, wer für eine „Reaktivierung“ des Merkel’schen Deals zahlen soll, wie sie vor allem in Deutschland gefordert wird.
      Die Kanzlerin hat zwar Bereitschaft signalisiert, Erdogan mit neuen Milliardenhilfen unter die Arme zu greifen. Doch im EU-Budget ist kein Geld dafür da – nicht zuletzt, weil Merkel die Taschen zuhält.
      Und eine direkte Überweisung in die türkische Staatskasse, wie sie Erdogan neuerdings fordert, galt noch bis vor kurzem als völlig undenkbar. Das wäre ja fast wie auf einem türkischen Basar!
      Die EU müßte neue Hilfen also an Bedingungen binden – nur welche? Das Mindeste wäre, die Rücknahme der Migranten zu fordern, die Erdogan gen Griechenland schickt. Doch das traut sich keiner.
      Und dann wäre da noch ein drittes Problem: Das zynische Junktim, das Erdogan herstellt, indem er die Flüchtlingshilfe mit seinem Angriffs-Krieg in Syrien verbindet, bereitet vielen große Bauchschmerzen.
      Quelle: Lost in Europe

      Anmerkung Marco Wenzel: Die EU bekommt jetzt die Rechnung präsentiert für ihre Nibelungentreue zu den „amerikanischen Freunden“ und für das Chaos, das sie zusammen mit den USA in Syrien zu verantworten haben. Und wo bleibt denn jetzt die Hilfe der USA für Europa um der Situation Herr zu werden? Beteiligt sie sich etwa an den Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge, die sie nach Europa getrieben hat? Nehmen die USA vielleicht Flüchtlinge aus den Gebieten auf, die sie völkerrechtswidrig in Schutt und Asche gelegt haben? Finanzieren die USA etwa jetzt den Wiederaufbau der von ihnen zerbombten Städte, damit die Menschen dorthin zurückkehren können? Bezahlt sie ihnen den angerichteten materiellen Schaden? Nein; Europa soll sich darum kümmern und gleichzeitig noch ihre Militärausgaben auf 2% des BIP erhöhen.

  3. Finale in Idlib
    Syrien In der Nordprovinz zeigen sich die Grenzen der Türkei, die Präsident Erdoğan im Nahen Osten gern als Regionalmacht etabliert hätte.
    Als Eroberer hat sich Präsident Erdoğan schon mehrfach in Szene gesetzt, wenn es um den türkischen Anteil am syrischen Drama ging. Nun scheint dieser Part nicht nur ausgereizt, sondern kaum mehr aussichtsreich. Die Folge davon, der Eroberer sucht sein Heil als Erpresser, um EU und NATO in die Pflicht zu nehmen, ihm in der syrischen Nordprovinz Idlib beizustehen. Nur wie?
    Recep Tayyip Erdoğan dürfte das realpolitische Gespür nicht soweit verlassen haben, dass er allen Ernstes mit militärischem Beistand rechnet. Eher werden Rechtfertigungen und Begründungen gesucht, weshalb ein Zurückweichen unausweichlich ist…
    (…) Präsident Erdoğan muss sich damit abfinden, dass der türkische Fuß in der nahöstlichen Tür umso lädierter sein wird, je länger er hineingehalten wird.
    Kombattantenstatus vermieden
    Was heißt das für die NATO? Sie tut zunächst einmal gut daran, Kräfteverhältnisse anzuerkennen. Sie befindet sich gegenüber Ankara in keinerlei Beistandspflicht, da die Türkei weder einem Angriff von außen ausgesetzt ist noch aus anderen Gründen den Verteidigungs- und somit Bündnisfall reklamieren kann…
    Die westliche Allianz würde sich mit Völkerrechtsbruch, Intervention und Landnahme verbünden, von den militärischen Risiken einmal abgesehen. Zudem wäre ein politischer Offenbarungseid unumgänglich: Es würde gegen die syrischen Kurden gehen, deren Wille zur Selbstbestimmung bisher im Westen stets gutgeheißen, wenn nicht hofiert wurde.
    Das Entscheidende ist jedoch: Die NATO hat einen Kombattantenstatus in Syrien bisher vermieden, um nicht als Kriegspartei in einem Weltkonflikt verstrickt zu werden. Das war und bleibt die rote Linie – weshalb sollte sie ausgerechnet jetzt überschritten werden? Das von Erdoğan inszenierte Flüchtlingsdrama an der griechisch-türkischen Grenze erfüllt mit solcher Hingabe den Tatbestand der Nötigung, dass man dem nicht nachgeben wird.
    Quelle: Der Freitag

    Dazu: Syrien brennt erneut
    Maas und BILD gießen Öl ins Feuer
    (…) Die Türkei will für ihr Militär in Syrien jetzt NATO-Hilfe. Und damit die NATO-Zahler in Deutschland wissen, worum es geht, haut die BILD-Zeitung auf die Kriegs-Pauke: “Erdogan-Soldaten starben durch Putins Bomben”, behauptet das Blatt der Merkel-Freundin Friede Springer. Und der eigenartige deutsche Außenminister Maas hat Syrien und Russland im UN-Sicherheitsrat mal eben, ohne jeden Beweis versteht sich, Kriegsverbrechen vorgeworfen. Statt Deutschland schnellstens aus der syrischen Schusslinie zu bringen, gießt der Mann noch Öl ins Feuer. Auch deshalb weiß die Tagesschau zu berichten, dass sich die NATO mit der Türkei solidarisch erklärt. Als sei der Syrien-Krieg nicht schon lange internationalisiert, als seien die Leiden der Syrer nicht schon grausam genug, spielt die NATO mit dem Bündnisfall, jenem Ernstfall, der auch deutsche Truppen in einen Krieg mit Syrien und Russland verwickeln könnte.
    Es geht im Syrien-Krieg nicht nur um geostrategische Ziele, nicht nur darum in Syrien, den einzigen russischen Militärstützpunkt außerhalb des Einflussbereichs der ehemaligen Sowjetunion zu liquidieren. Als seien die rund 1.000 US-Militärbasen in der Welt nicht genug für ein Ungleichgewicht des Schreckens. Es geht auch um mehrere Billionen Kubikmeter Erdgas im Levantinischen Becken – jener Region des östlichen Mittelmeeres, die im Norden von der türkischen Küste, im Westen von Kreta, im Süden von Libyen und Ägypten und im Osten von Syrien, Libanon, Israel und dem Gazastreifen begrenzt wird…
    Quelle: Rationalgalerie

    Anmerkung Marco Wenzel: Siehe dazu auch: SPD-Chef stützt Syrien-Propaganda.

  4. Covid-19
    1. Coronavirus ist nicht mehr aufzuhalten
      Die Gefahr für den Einzelnen durch das Coronavirus ist offenbar geringer, als viele annehmen. Dass die Fallzahlen steigen, sei bei einer Epidemie normal, sagt die Virologin Melanie Brinkmann. Aber es sei wichtig, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.
      (…) Steigende Fallzahlen sind normal
      Karkowsky: Ich stelle mal eine ganz einfache Frage: Ist es ganz normal, dass eine Epidemie zunächst täglich steigende Fallzahlen mit sich bringt?
      Brinkmann: Ja, das ist normal, und das ist auch eine wichtige Nachricht. Wir werden steigende Fallzahlen auch in Deutschland haben. Das wird so sein. Ich glaube, es ist gar nicht gut, jetzt jeden Tag zu schauen, so, wie viele sind es heute, sind es jetzt 100, sind es 102. Man kann einfach sagen, es wird mehr sein am nächsten Tag. Das wird so sein.
      Karkowsky: Das beunruhigt die Menschen natürlich. Hilft es, diese Zahlen immer ins Verhältnis zu setzen zur Gesamtbevölkerung oder vielleicht sogar zu den Influenzafällen?
      Brinkmann:. Es hilft, zu sagen, wie groß ist denn jetzt wirklich das Risiko des Einzelnen. Man muss bei der Kommunikation dann auch immer beachten, was ist jetzt die Auswirkung für die ganze Gesellschaft und vielleicht auch für die ganze Weltbevölkerung, und wie ist es für jeden Einzelnen. Da hilft es sehr, zu kommunizieren, dass jetzt im Moment die Gefahr für den Einzelnen sehr gering ist, also die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich jetzt, wenn ich einkaufen gehe oder ins Kino gehe, anstecke, ist im Moment noch sehr gering. Das muss man schon noch mal deutlich sagen. Das nimmt dann auch die Angst, denke ich.
      Karkowsky: Wie muss ich das zum Beispiel verstehen, wenn der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagt, es werden sich wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent infizieren, aber wir wissen nicht, in welcher Zeit. Heißt das also wirklich, wir werden fast alle Coronavirus kriegen?
      Brinkmann: Ja, das wird so sein. Das liegt einfach an der Natur der Sache. Das Virus ist relativ leicht zu übertragen und auch von Menschen, die sich im Moment vielleicht gar nicht krank fühlen und deshalb natürlich ihr Verhalten auch nicht ändern…
      Quelle: Deutschlandfunk
    2. Uniklinik Aachen – Keine Quarantäne trotz Coronavirus-Nachweis
      Nachdem eine Pflegekraft positiv auf das Coronavirus getestet wurde, schickt die Uniklinik Aachen nicht alle Kontakte der Person in Quarantäne – sonst könne der Betrieb nicht aufrechterhalten werden, sagt die Klinik. […]
      Die bisherige Regelung könne ganze Stationen lahmlegen und perspektivisch sogar den Betrieb ganzer Krankenhäuser, begründeten die Krisenstäbe die Entscheidung. Nach einer auf das Coronavirus positiv getesteten Pflegekraft auf der Frühgeborenenstation hatte die Uniklinik den Krisenstäben die Folgen deutlich gemacht: Weil die Frau auf der Intensivstation Kontakt mit 45 Kräften hatte, hätten diese nach RKI-Empfehlungen 14 Tage lang unter Quarantäne gestellt werden müssen. Damit wäre die Arbeit auf der Intensivstation zum Erliegen kommen, sagte die Klinik.
      Quelle: SPIEGEL Online

      Anmerkung Jens Berger: Eine(!) erkrankte Pflegekraft und die Pläne von RKI und Bundesregierung sind Vergangenheit. Wie war das doch gleich? Wir sind bestens vorbereitet?

    3. Berliner Firma produziert Coronavirus-Tests für die ganze Welt
      Die Tempelhofer Firma TIB Molbiol produziert Test-Kits auf das Covid-19-Virus für Kunden in 60 Ländern. Ihr Gründer beklagt ein Versagen der Verwaltung. […]
      Rund 2,50 Euro koste einer seiner Tests, erklärt der Firmeninhaber. Mit Arbeitskosten und dergleichen dürften die Labore eigentlich nicht mehr als zehn Euro verlangen, rechnet er vor. Dass ein Test um die 300 Euro kosten solle, könne er sich nur mit einer „riesigen Geldverschwendung“ erklären. […]
      In einige besonders vom neuen Virus betroffene Länder darf er allerdings nicht liefern – den Iran zum Beispiel. Dabei müsste das Ministerium nur eine Bescheinigung ausstellen, die den Lieferanten Straffreiheit garantierte. Doch das sei offenbar schwieriger als man denken würde.
      Quelle: Tagesspiegel
    4. Österreich ohne zentrale Gesundheitskoordination – dank Kurz und Hartinger-Klein
      Das Corona-Virus stellt das österreichische Gesundheitssystem vor Herausforderungen. Die zentrale Koordinationsstelle des Seuchenschutzes wurde von der Regierung Kurz I abgeschafft. Und durch Kurz‘ Umbau der Krankenkassen fehlen dem Gesundheitssystem außerdem 1,7 Mrd. Euro. Das könnte sich jetzt rächen.
      Das österreichische Gesundheitssystem gilt weltweit als Vorbild. Für Notsituationen gab es lange eine „Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit“. Bei plötzlichen Krankheitsausbrüchen wie Ebola, SARS, MERS, der Vogel- oder Schweinegrippe – die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit behielt die Lage im Blick, entwickelte Strategien, um eine Ausbreitung zu verhindern und beruhigte die Bevölkerung. Dort arbeiteten Experten für Krankheitsverbreitung und Virologie – Menschen, die wissen, was bei einem Fall wie Corona zu tun ist.
      Die schwarz-blaue Regierung hat die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit aus parteipolitischem Kalkül abgeschafft. In Situationen, wie dem Corona-Ausbruch in Österreich rächt sich das…
      Quelle: kontrats at

      Anmerkung Marco Wenzel: Die Probleme in Österreich unterscheiden sich nicht viel von denen in Deutschland. Das neoliberale Sparsystem erweist sich einmal mehr als Boomerang. Siehe hierzu auch: Coronavirus – wie wichtig sind Menschenleben? Sowie: Deutschland ist gut vorbereitet für das Corona-Virus? Das ist Augenwischerei.

    5. Der Staatsschutz
      Das totalitäre China hat nach dem Ausbruch von Corona ganze Städte abgeriegelt. Aber auch die deutsche Regierung kann ähnliche Maßnahmen ergreifen
      Quelle: taz

      Dazu: Eindämmung des Coronavirus: Behördenmaßnahmen, Pflichten und Sanktionen
      Welche Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sind rechtlich zulässig? Inwieweit darf der Staat zur Bekämpfung einer Epidemie Grundrechte beschneiden? Können auch in Deutschland ganze Städte abgeriegelt werden? Darf der Staat Zwangstests wie zum Beispiel Blutentnahmen anordnen? Welche Sanktionen greifen bei Zuwiderhandlungen?
      Zur Bekämpfung des Coronavirus sind nach den inzwischen auch in Deutschland aufgetretenen Infektionsfällen seitens der Bundesregierung und in den betroffenen Bundesländern Krisenstäbe eingerichtet worden. Welche Maßnahmen können staatliche Stellen zum Zwecke der Eindämmung des Virus gegenüber der Bevölkerung ergreifen und gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzen?
      Quelle: Haufe.de

      Anmerkung Christian Reimann: Die NachDenkSeiten haben am vergangenen Montag auf den “FAZ”-Artikel “Wenn das Coronavirus die Grundrechte angreift” mit einer Anmerkung hingewiesen. In diesen beiden Artikeln der “taz” und von “Haufe.de” werden die rechtlichen Möglichkeiten etwas ausführlicher dargestellt.

      Anmerkung Marco Wenzel: Katastrophen und ihre Bekämpfung fördern immer auch zur verstärkten Kontrolle des Staates darüber, was ihre Bürger machen, machen dürfen oder was sie nicht mehr machen dürfen. Diktaturen lieben Katastrophen und führen sie oft sogar selber herbei. Katastrophenbekämpfung wird so zum Vorwand, die Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung zu verstärken und die Herrschaft einer ungeliebten Regierung zu sichern.

  5. Gerichtsverhandlung gegen Julian Assange “Alles deutet auf einen reinen Schauprozess hin”
    Die Linkenpolitikerin Sevim Dagdelen hat in London den Prozessauftakt gegen den WikiLeaks-Gründer verfolgt. Nach einer Woche im Gerichtssaal bezweifelt sie, dass es sich um ein faires Verfahren handelt.
    Dagdelen: (…) Und ich wollte meine Solidarität bekunden mit ihm als politischem Flüchtling.
    SPIEGEL: Das ist er für Sie, ein politischer Flüchtling?
    Dagdelen: Selbstverständlich, und heute ist er ein politischer Gefangener…
    (…) SPIEGEL: Bekommt er ein faires Verfahren?
    Dagdelen: Alles bisherige deutet auf eine Vorverurteilung, auf einen reinen Schauprozess hin…
    Quelle: SPON

    Dazu: Der Fall Assange
    Grüne und ÖVP verhindern Antrag zur Freilassung und Nicht-Auslieferung
    (…) Das Parlament wollte sich am Donnerstag für die Freilassung von Julian Assange stark machen und einen Antrag gegen die Auslieferung an die USA beschließen, denn dort drohen dem Wiki-Leaks Gründer Julian Assange 175 Jahre Haft. Doch die Regierungsparteien ÖVP und Grüne stimmten dem SPÖ-Antrag nicht zu – und die Stimmen von SPÖ, FPÖ und Neos reichten nicht aus. Die Forderung wurde abgelehnt…
    Quelle: kontrast at

    Anmerkung Marco Wenzel: Prinzipienlos wie immer: Die Grünen.

    Lesen Sie dazu auch auf den NachDenkSeiten: „Ein Resümée der Anhörung zu Assange in London“ von Moritz Müller.

  6. Donald Trump und die Zerstörung einer Demokratie
    Über den “großen Ruinierer” Trump und die verheerenden Folgen seiner Präsidentschaft
    Von Detlef Junker
    (…) Immer mehr Amerikaner fürchten, dass sich die tief gespaltene Nation einem Vor-Bürgerkriegszustand nähert. Meine Befürchtung ist, dass die USA politisch implodieren, weil Präsident Donald Trump als Brandbeschleuniger und Brandstifter, als “großer Ruinierer”, dabei ist, die Selbstzerstörung einer imperialen Demokratie ins Werk zu setzen. Mit dem Markt allein kann man eben keine Demokratie und keinen Verfassungsstaat aufbauen, auch keine freiheitliche Republik garantieren. China ist dafür ein beredtes Beispiel. Trump ist dabei, das amerikanische Verfassungsgefüge und die staatlichen Institutionen zu zerstören und in diesem Prozess die Nation immer tiefer zu spalten.
    (…) Er praktiziert als Präsident jeden Tag, was er in einem brutalen Segment der Immobilienszene in New York gelernt hat: Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, Nepotismus, Korruption, Betrug, Schutzgelderpressung, die Hilfe spekulativer Banker und mafiose Strukturen.
    (…) Fazit
    Der 45. Präsident der USA, Donald J. Trump, zerstört, wenn er nicht gestoppt wird, die Gewaltenteilung, das Verfassungsgefüge und die Regierungsfähigkeit der USA. Je länger er im Amt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er das amerikanische Volk spalten und in eine Vor-Bürgerkriegssituation treiben wird. Angesichts einer möglichen Wahlniederlage wird er innen- und außenpolitisch zu rechtlich ungebundener Gewalt greifen, um seinen Anhänger zu demonstrieren, dass nur ein Ausnahmezustand das Land retten kann. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er friedlich das Amt übergeben und ins Gefängnis wandern wird.
    Quelle: Rhein-Neckar Zeitung

    Anmerkung Albrecht Müller: Ausgesprochen lesenswert. Man sollte die Kritik allerdings nicht alleine an dem jetzigen Präsidenten aufhängen. Die geschilderten miserablen sozialen Verhältnisse sind nicht das Werk des jetzigen Präsidenten allein.

  7. Die Heiligsprechung des Quacksalbers Muhammad Yunus
    In einem ärgerlichen Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ darf sich Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesch als großer Weltverbesserer produzieren. Dabei ist er gemessen an seinen Versprechungen grandios gescheitert und hat mit seiner Idee der Mikrokredite, die er widerstandslos missbrauchen ließ, großes Leid über viele arme Menschen gebracht. …
    „Mit seiner Idee der Mikrokredite für Mittellose gewann Muhammad Yunus einst den Friedensnobelpreis.“ So wird das Interview eingeleitet. Dann kommt gleich der Satz, der den Interviewer zu einer sehr kritischen Nachfrage hätte führen müssen, eine Nachfrage, die den ganzen Artikel in ein anderes Licht getaucht hätte: „Die Armut in der Welt sorgt ihn weiterhin.“
    (…) Als Yunus mit seinen Mikrokrediten anfing, war es noch eine gute Idee. Die Kredite waren durch Hilfsgelder und Spenden subventioniert, der Anspruch war bescheiden. Dann kamen Weltbank und US-Finanzbranche und propagierten die Idee mit einer ganz wesentlichen Abwandlung: Sie könne nur in dem zur Armutsbeseitigung nötigen Ausmaß betrieben werden, wenn die Kreditgeber damit Gewinne machen können. Subventionierte Kredite schadeten aus dieser Sichtweise, weil sie „nachhaltiger“, sprich gewinnträchtiger, Mikrokreditvergabe Konkurrenz machten und sie dadurch behinderten. Yunus gewannen sie dafür als Galionsfigur. Es entstand eine große, gewinnorientierte Mikrokreditbranche, die mit politischer Unterstützung massiv Kredite zu hohen Zinsen in die armen Bevölkerungsteile vieler Länder drückte.
    (…) Der Nobelpreisträger ein Quacksalber?
    Yunus ist ein Quacksalber. Ein ursprünglich wohlmeinender zwar, aber dennoch ein Quacksalber. Einer, der sich und seine Idee missbrauchen ließ und bis heute unfähig zur Selbstkritik ist.
    Mit Quacksalber meine ich, dass er die Ideologie des extremen Individualismus, die er bei seinem Studium in den USA offenbar verinnerlicht hat, zur Leitlinie praktischer Entwicklungspolitik machte. Er propagierte implizit eine Vorstellung von Entwicklungspolitik, die unterstellt, dass man keinen funktionierenden Staat und keine funktionierende Infrastruktur, kein gutes Rechtswesen und keine großen Unternehmen braucht, die die Vorteile der Massenproduktion ausnutzen und dadurch stabile, anständig bezahlte Arbeitsplätze bieten können. Alles was man braucht, um die Armut zu beseitigen, sind Individuen, die Zugang zu Kleinkrediten haben, damit sie ihren angeborenen Unternehmergeist ausleben und sich selbst aus der Armut befreien können. Wenn dann noch diese Kredite über hohe Zinsen zu einem massiven Geldabfluss von den ohnehin Armen führen, dann ist die Parallele zur medizinischen Praxis des Aderlassens im Mittelalter mit Händen zu greifen. Das darf man Quacksalberei nennen…
    Quelle: Norbert Häring
  8. Gewerkschaftsfresser Friedrich Merz
    Jetzt will Friedrich Merz endlich ganz nach oben. Was Gewerkschafter von ihm zu erwarten haben, dürfte niemand überraschen. Schon als Oppositionsführer warnte er vor 20 Jahren in demagogischen Worten vor der angeblichen Macht der Gewerkschaften und machte sie verantwortlich für wirtschaftliche Probleme.
    (…) Nun steht Merz wieder vor der Tür, und will zum Abschluss seiner Karriere noch ein paar Jährchen den Bundeskanzler machen. Was seine wirtschaftspolitische Kompetenz angeht, ist er unzweifelhaft up to date. Die Großkanzlei, in der er bis vor kurzem Partner war, bietet Beratung und juristischen Beistand für Mandanten, die mit Cum-Ex-Geschäften in die Bredouille geraten sind. Die Wirtschaftsredaktion der FAZ hat dieses Geschäftsmodell der Großaktionäre zu Lasten des Fiskus für Nichteingeweihte in ein Bild übersetzt: Man gibt Getränkeflaschen ab, bekommt einen Bon, kopiert den und legt ihn zwei-, drei-, viermal vor. Die Cum-Ex-Deals sind der größte Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik.
    Mit Merz als Kanzler wäre die steuerfinanzierte Rente in Gefahr
    Herr Merz, Wirtschaftsfachmann der er ist, hat neulich den Zusammenhang zwischen Aktienquote und Kapitalismuskritik entdeckt. Überall wo die Quote der Aktienbesitzer hoch sei, wäre die Kritik deutlich leiser. Also votiert er für eine “neue Kultur des Aktiensparens”. “Ich bin, anders als früher, heute der Auffassung, dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung zur privaten, kapitalmarktorientierten Vorsorge für das Alter ernsthaft prüfen sollte…”
    Liebend gerne würde sich Herr Merz diesen Prüfauftrag selbst erteilen. Die steuerfinanzierte Rente ist ihm schon lange ein Dorn im Auge. Auch seinem alten Arbeitgeber, der Fondsgesellschaft BlackRock, gefiele es gut, wenn Bundesbürger und -bürgerinnen zum Fondskaufen staatlicherseits verpflichtet wären. Schon bald könnten sie dann, wie Herr Merz selbst, „zu der gehobenen Mittelschicht in Deutschland zählen.”
    Merz, der in seinen besten Tagen 5.000 Euro täglich kassierte, hat ein etwas eigenwilliges Bild von der Soziologie der bundesrepublikanischen Gesellschaft… Käme er an die Macht, hätten die Gewerkschaften gleichwohl nichts zu lachen. Die Infamie seiner damaligen Hetzkampagne sollte nicht vergessen sein.
    Quelle: Gegenblende
  9. Werkverträge und Leiharbeit als Streikhindernis
    Linke Gewerkschaftsaktivisten übersehen die Spaltung der Belegschaften
    Die Belegschaften der großen Unternehmen aber auch vieler mittelständischer Betriebe sind inzwischen tief gespalten: Wo vorher eine einheitliche Belegschaft war – wenn auch mit unterschiedlicher Bezahlung – existiert heute ein Flickenteppich an prekarisierten Arbeitsverhältnissen. Die Stammbelegschaft macht regelmäßig nur noch 40-50% der Gesamtbelegschaft aus. Der große Rest sind Leiharbeiter, Werkvertrags- und Fremdbeschäftigte, befristet Beschäftigte, geringfügig Beschäftigte und Teilzeitbeschäftigte
    Vor allem die Leiharbeiter und die Fremdbeschäftigten unterliegen einem Sonderstatus: Sie haben einen anderen Arbeitgeber und sind damit von dem Tarif der Stammbelegschaft nicht erfaßt. Bei einem Arbeitskampf könnten sie nicht mit streiken. Ja es stellt sich die Frage, ob großflächige Streiks den Gewerkschaften überhaupt noch möglich sind.
    (…) Die Enttäuschung über die IG Metall und die Betriebsräte ist unter Werkvertragsbeschäftigten groß. Die Betroffenen fühlen sich allein gelassen und diskriminiert. Schon macht das böse Wort von der innerbetrieblichen Apartheid die Runde. Das Absurde ist, daß viele der Fremdbeschäftigten in derselben Arbeitskleidung und an denselben Arbeitsplätzen eingesetzt werden wie Stammbeschäftigte…
    Die Fremdbeschäftigten sind ein in die Belegschaft implementiertes Heer von Streikbrechern. Sie sind vielfach demotiviert, weit schlechter bezahlt, weniger gesichert in ihrem Status und entweder tariflos oder mit einem ganz anderen Tarif ausgestattet. Ihre Einbeziehung in Arbeitskämpfe begegnet zahlreichen objektiven und subjektiven Widerständen, vor allem aber dem Problem, daß sie nicht dem geltenden Tarifvertrag der Stammbelegschaft unterfallen. Die Arbeitgeber umgekehrt müssen angesichts dieser Tatsache nicht mehr – wie noch 1971 und 1973 auf das „Kampfmittel“ Aussperrung ausweichen (was tatsächlich zu einer Einheit der Belegschaft beitrug). Sie haben i m Betrieb genügend Widerstand gegen Streiks und Arbeitskämpfe „eingebaut“. Selbst Streikbrecher brauchen Sie nicht mehr. Werkvertragsbeschäftigte lassen sich leicht zu Streikbrucharbeiten einsetzen. Es ist erstaunlich, daß auch linken Gewerkschaftsaktivisten diese Zusammenhänge nicht bewusst zu sein scheinen. Sie sollten sich zuerst für eine Abschaffung und Reduktion der Leiharbeit und für ein Verbot von Werkverträgen einsetzen, bevor sie über neue Streikstrategien nachdenken.
    Quelle: Gewerkschaftsforum
  10. Klinik der Solidarität
    Die „Klinik der Solidarität“ im nordgriechischen Thessaloniki wurde im Herbst 2011 von engagierten KollegInnen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich gegründet. Die Ambulanz befindet sich in den Räumlichkeiten des Gewerkschaftsdachverbandes GSEE und wird von den behandelnden ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und TherapeutInnen selbstverwaltet geführt. Bis zu 100 PatientInnen nehmen täglich die Leistungen der Ambulanz (Allgemeinmedizin, Innere Medizin, HNO-Heilkunde, Dermatologie, Zahnmedizin, Orthopädie, Kinder- und Jugendheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) in Anspruch. Wegen fehlendem Versicherungsschutz und massiver Einsparungen im Gesundheits-system nimmt die Zahl der PatientInnen stetig zu. Zudem bietet die Ambulanz kostenlose Schutzimpfungen für Kinder an und verfügt auch über eine Apotheke, in der PatientInnen kostenlos Medikamente bekommen. Die Gesundheitsambulanz versteht sich als politisches Projekt und setzt sich neben der konkreten Arbeit in der Ambulanz auch aktiv gegen Gesundheits- und Sozialabbau, Rechtsextremismus und Rassismus ein.
    [Offener Brief] Gegen Versuch der Zwangsräumung der Sozialklinik Helliniko in Athen! Für ein Ende der lebensbedrohlichen Sparmaßnahmen gegenüber Griechenland! New
    “Zum zweiten Mal in wenigen Jahren ist die Metropolitan Community Clinic at Helleniko in Athen von einer Zwangsräumung bedroht. Die Klinik soll bis zum 15. März die Räumlichkeiten auf dem alten Flughafengelände im Athener Süden verlassen. Und das trotz gegenteiliger, schriftlicher Versicherungen der staatlichen Institutionen nach dem ersten Räumungsversuch und den darauffolgenden europaweiten Protesten im Jahr 2018…
    Quelle: labournet
  11. Netanjahu gewinnt – aber wahrscheinlich keine absolute Mehrheit
    Israel hat gestern eine neue Knesset gewählt. Das dritte Mal innerhalb eines Jahres, weil sich die Parteien nach den vorherigen Wahlen nicht auf die Bildung einer Koalition einigen konnten… Dem derzeitigen Auszählungsstand nach konnte Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Likud dabei mit 36 Mandaten vier der sechs Sitze zurückgewinnen, die er bei der letzten Wahl im Herbst einbüßte.
    (…) Lieberman oder Gantz als Mehrheitsbeschaffer?
    Nachdem ihm Exit Polls und Teilergebnisse diesen deutlichen Zugewinn an Stimmen prognostizierten sprach der aktuell ohne Parlamentsmehrheit amtierende Ministerpräsident in der Nacht von einem “Riesensieg”, der auch ein “enormer Sieg für Israel” sei – während sein Herausforderer Benny Ganz bedauerte, solche Ergebnisse würden “Israel nicht zurück auf den richtigen Weg bringen”. Nun will Netanjahu nach eigenen Angaben “eine starke nationale Regierung einrichten, die gut für Israel ist”. Ändert das wegen Nachzählungen erst für nächste Woche erwartete amtliche Endergebnis nichts Wesentliches an der Stimmen- und Mandatsverteilung, fehlen ihm und seinen festen Partnern dafür jedoch noch Sitze.
    (…) Die Alternative dazu wäre, dass sich ein durch das Wahlergebnis in seinen Erwartungen gestutzter Gantz auf das einlässt, was er vorher ausschloss, und Netanjahu trotz des am 17. März beginnenden Korruptionsprozesses gegen den Likud-Politiker als Ministerpräsidenten akzeptiert. Manche Beobachter interpretieren bereits Gantz’ gestern Nacht getätigte Äußerung, Kriminalverfahren würden “nur im Gericht” und “unabhängig von den Wahlergebnissen oder anderen politischen Vorgängen” entschieden, als Bereitschaftssignal in diese Richtung
    Quelle: Telepolis

    Dazu: In der Mitte angekommen: Israels radikale Rechte
    Dieser auf umfangreicher Recherche basierende Beitrag geht der Frage nach, wie Israels radikale Rechte den Mainstream erobert und erfolgreich die Hegemonie anstrebt. Wer sind die Akteure? Was sind ihre Ziele und welche ihre Strategien? Und wie eng sind sie mit staatlichen Strukturen verwachsen?
    Ran Yosef Cohen
    Die extreme Rechte hat es mit ihrem kruden Weltbild in den letzten 20 Jahren geschafft, ins Zentrum des politischen Diskurses in Israel vorzudringen. Die zentristischen und rechten Parteien, insbesondere der führende Likud, haben entscheidende Elemente davon aufgegriffen und übernommen. Die zunehmende Dominanz von Ideen, die in Israel früher als inakzeptabel und eher als bedauerliche Randerscheinungen galten, kann auf verschiedene externe und interne Faktoren zurückgeführt werden. Zum einen wären da auf globaler Ebene der Aufstieg des Populismus, die Wirtschaftskrise 2008 und die als Bedrohung wahrgenommenen Auswirkungen der weltweiten Migrationsbewegungen, zum anderen auf lokaler Ebene die gewalttätige Zweite Intifada und der Abzug israelischer Truppen und Siedler*innen aus dem Gazastreifen im Jahr 2005. Dass Ideen der extremen Rechten ins politische Zentrum gelangen, hängt jedoch auch damit zusammen, dass diese sich gezielt dem Kampf um ideologische und kulturelle Hegemonie sowie dem Machtaufbau gewidmet haben: einerseits mit einer Fülle von Aktivitäten, die eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts durch den Aufbau eines Palästinenserstaats neben Israel erschweren, wenn nicht gänzlich verhindern; andrerseits durch Bestrebungen, einen tief greifenden Wertewandel im Land zu forcieren – hin zu einer Gesellschaft, in der das Individuum der Nation untergeordnet ist und erst durch die Anbindung an die Nation seinen eigentlichen Lebenssinn erlangt, in der Landbesitz heilig ist und jedes Opfer dafür als gerechtfertigt erscheint und in der ihre Interpretation religiöser jüdischer Werte einen höherer Stellenwert einnimmt als jede zivilgesellschaftliche beziehungsweise demokratische Einordnung….
    Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung

    Anmerkung Marco Wenzel: Eine sehr interessante und detaillierte Beschreibung der Verhältnisse in Israel. Lesenswert.

    Dazu auch: Wes Lied du singst
    In Israel rufen faschistoide Nationalreligiöse offen zum finalen Sieg über die Palästinenser auf. Nicht alle in Israel sind gegen den Frieden. Reaktionäre Kräfte können sich diesen jedoch nur als einen triumphalen Siegfrieden vorstellen. Die Unterwerfung, Vertreibung oder Vernichtung des Feindes sei alleine der Garant für die ersehnte Kirchhofsruhe. Eine Plakataktion in Tel Aviv und Presse-Artikel versuchen diese Ideologie in den Köpfen der Menschen zu verankern. Und die deutsche Regierung? Pflegt die „besondere Freundschaft“ zu Israel, die für Deutschland nach verheerenden deutschen Verbrechen an den Juden Staatsräson ist — indem sie sich besonders kritiklos gegenüber der verfehlten Politik der israelischen Regierung verhält. Dabei tun Deutsche auch jüdischen Israelis keinen Gefallen, wenn sie nicht auf einen wirklich fairen Frieden zwischen beiden Seiten des Palästina-Konflikts dringen. Nur dieser würde weitere Gewaltopfer auf beiden Seiten vermeiden helfen…
    Quelle: Hinter den Schlagzeilen

  12. Tödlicher Ernst
    Selbstbestimmung ist nicht nur beim Sterben, sondern auch im Leben wichtig. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben muss gestärkt werden. Das nicht beachtet zu haben, ist eine brutale Karlsruher Nachlässigkeit.
    (…) Es fällt auf, welche große Rolle im Karlsruher Urteil die Selbstbestimmung im Sterben spielt; das ist gut und richtig so. Die Autonomie im Leben dagegen spielt nicht nur in diesem Urteil, sondern auch ansonsten in der Karlsruher Rechtsprechung eine vergleichsweise kleine Rolle. Was braucht der Mensch, um nicht nur selbstbestimmt sterben, sondern auch selbstbestimmt leben zu können?
    Das Recht kann zu einem selbstbestimmten Leben beitragen; die Mittel und die Methoden sind freilich komplexer, als die Erlaubnis zu erteilen, einem kranken oder lebensmüden Menschen ein tödliches Medikament zu verabreichen. Lebenshilfe ist komplizierter, aufwendiger und teurer als Sterbehilfe: Zur Lebenshilfe gehört ein anständiges Mindesteinkommen; eine Rente, von der man leben kann; ein Grundrecht auf Wohnen und ein menschenwürdiges Existenzminimum; ein Grundrecht auf Kommunikation und auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben; und, natürlich, ein Recht auf Bildung und Förderung gerade dann, wenn man in prekären Verhältnissen lebt.
    Der Mensch ist ein soziales Wesen; dies prägt sein Leben, seine Freiheit, seine Selbstbestimmung. Dies macht Recht aufs Leben so anspruchsvoll. Das Recht auf Sterben ist viel einfacher zu realisieren.
    (…) Das Recht zum selbstbestimmten Sterben ist nun gesichert. Es gilt auch, das Recht zum selbstbestimmten Leben zu sichern.
    Quelle: SZ
  13. Wenn die rassistische Saat aufgeht…
    Der mörderische Anschlag von Hanau hat gezeigt, wie aus Worten Taten werden. Wer immer noch nicht glauben will, dass Rassismus tötet und dieses Töten in einer feindseligen Stimmung wahrscheinlicher wird, wird sich der Erkenntnis auch jetzt verweigern. Denn zum Rassismus gehört seit jeher die Rassismusleugnung.
    Von Prof. Dr. Sabine Schiffer
    (…) Der Menschenhass von rechts ist nicht zu leugnen. Dennoch, auch wenn genügend rechtsextreme Straftaten mit menschenverachtenden Handlungen gezählt werden können, die Taten kommen nicht vom Rand. Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft, nicht umgekehrt. Die Diskurse der Mitte ermöglichen sie, nämlich die Debatten über die Nützlichkeit des Menschen in einer ökonomischen Verwertungsideologie.
    Stichwortgeber des aktuellen Hasses auf Frauen, Linke, People of Color, Juden und Muslime, Homosexuelle, Obdachlose sind tatsächlich immer Anzugträger mit Reichweite und ihre etablierten Medien – die Sarrazins, Broders und Tichys. Auf medialer Seite treibt mal der Klassenclown „BILD“ den chauvinistischen Hass von Oben nach Unten auf die Spitze, mal transportiert das öffentlich-rechtliche ZDF das Narrativ von „Fremdenfeindlichkeit“ bei rassistischen Übergriffen. Der Begriff und seine Perspektive verraten den Rassismus der Mitte, der die Angegriffen kurzerhand zu Fremden erklärt – ganz im Sinne der Angreifer.
    (…) Was sagt es aus, wenn eine trauernde Mutter aus Hanau betont, dass ihr getöteter Sohn nicht arbeitslos gewesen sei? Sie kämpft verzweifelt darum, dass man den Wert ihres Sohnes und ihren großen Verlustschmerz anerkennen möge. Das bedeutet gleichzeitig, dass sie nicht davon ausgeht, dass es so ist. Und ich fürchte, sie hat recht. Zwar steuert die neoliberale Gesellschaft insgesamt in die Fehlentwicklung, einen Menschen nur aufgrund seiner Leistungen und nicht seiner genuinen Existenz – entsprechend der Menschenrechte – zu schätzen, aber in diesem Kontext wiegt der Subtext besonders schwer: Bitte erkennt die Wertigkeit unserer Leben an! Das zeugt von einem tief sitzenden Rechtfertigungsdrang, den kein Mensch verdient. Und es zeugt davon, dass die Ideologie der Unterscheidung zwischen „lebenswert“ und „unwert“ längst nicht ausgerottet wurde.
    Quelle: migazin
  14. Linkenchef Riexinger wegen Äußerung über Reiche in Bedrängnis
    Bernd Riexinger steht wegen einer flapsigen Bemerkung bei der Linken-Strategiekonferenz in der Kritik. Man werde Reiche “für nützliche Arbeit” einsetzen, witzelte der Parteichef. […]
    Riexinger sitzt selbst auf der Bühne, als eine Frau das Mikrofon ergreift und zu einer womöglich folgenschweren Rede ansetzt. “Energiewende ist auch nötig nach ‘ner Revolution”, sagt sie. “Und auch wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen, wir wollen uns fortbewegen.” Die Ansage ist offenbar nicht ernst gemeint, doch die drastischen Worte sorgen für Unruhe im Saal. Die Frau reagiert auf das Geraune: “Wir müssen mal von dieser Metaebene runterkommen.” […]
    Auch Linkenpolitiker Bodo Ramelow, der sich am Mittwoch im Landtag von Thüringen zur Wiederwahl für das Amt des Ministerpräsidenten stellen will, kritisierte den Vorgang scharf. “Wer Menschen erschießen will und von einer Revolution mit oder durch Gewalt schwadroniert, hat mit meinem Wertekanon nichts gemein. So eine Aussage auf einer Konferenz meiner Partei ist inakzeptabel und hätte nie lächelnd übergangen werden dürfen!” Auch unwidersprochene Ironie mit der Aussage, man wolle “das eine Prozent” erschießen, sei für ihn nicht akzeptabel, sagte Ramelow.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Was für ein Affentheater. Dass die „Zitate“ ironisch gemeint waren, steht im Kontext vollkommen außer Frage. Dass die „bürgerlichen Medien“ daraus eine Revolverstory machen … geschenkt. Aber dass nun auch noch ein Linken-Politiker wie Bodo Ramelow sich vom politischen Gegner freimütig vor den Karren spannen lässt, ist wirklich ernüchternd. Ramelow mag von den Thüringern als guter Landesvater wahrgenommen werden – sein Gespür für Humor, Ironie oder Satire ist offenbar weniger ausgeprägt und manchmal sollte man – auch und gerade wenn man gerade seine 15 Minuten Ruhm genießt – einfach auch mal die Klappe halten, wenn einem ein Mikrofon vors Gesicht gehalten wird.

  15. Für den Papst bin ich ein Auftragsmörder
    Der Paragraf 218 hat sein Berufsleben bestimmt: Friedrich Stapf kämpft seit Jahrzehnten für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, begründete das “Beratungsmodell” mit und führt eine Abtreibungsklinik in München. Den Kliniknotstand in Stuttgart kennt er nur zu gut. (…)
    Mit Ihrer Klinik verschwand 2015 die einzige auf Abbrüche spezialisierte Einrichtung in Stuttgart. Es gibt dort heute lediglich drei Arztpraxen, die neben ihrer gynäkologischen Arbeit auch im kleinen Umfang Abbrüche in einem ambulanten OP-Zentrum vornehmen. Das ist wenig für eine Landeshauptstadt. Warum dürfen sich die Krankenhäuser aus der Verantwortung ziehen?
    Das Land hat keinen Einfluss auf kommunale Kliniken. Die können denen nichts vorschreiben. Kein Arzt kann gezwungen werden, sagen sie, an einem Abbruch mitzuwirken, außer es bestehe Gefahr für Leib und Leben der Mutter. Und die Krankenhäuser wollen sich die Finger nicht schmutzig machen. Und warum sollte das Land da auch Druck ausüben? Es gibt den Paragrafen, dass die Länder für eine wohnortnahe Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen verantwortlich sind. Sollte jemand eine parlamentarische Anfrage stellen, ob dies denn derzeit in Baden-Württemberg gewährleistet sei, würde das Land einfach sagen, es funktioniert hier doch alles wunderbar: Es müsse keine Frau für ihren Abbruch in ein anderes Bundesland fahren, komme überall in Baden-Württemberg an einem Tag hin und zurück, so wie es das Bundesverfassungsgericht eben fordert.
    Seit 2003 hat die Anzahl der ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, bundesweit um mehr als 40 Prozent abgenommen. Worauf führen Sie die krassen Nachwuchsprobleme zurück?
    In Berlin oder Hamburg gibt’s keinen Nachwuchsmangel, weil dort in den Krankenhäusern Abbrüche auch nach der Beratungsregel vorgenommen werden. So was ist dort Alltag. Wenn aber Krankenhäuser wie in Bayern oder Baden-Württemberg Abbrüche selbst mit medizinischer Indikation nur im absoluten Ausnahmefall machen und dementsprechend angehende ÄrztInnen in ihrer fünfjährigen Facharztausbildung hier so gut wie nie mit dem Problem der ungewollten Schwangerschaft konfrontiert werden, ja, dann sieht es düster aus. Obwohl der Schwangerschaftsabbruch ja eigentlich der häufigste Eingriff in der Gynäkologie ist. Dieses Szenarium ist nach wie vor problematisch: Wenn der Chefarzt – wie die gesamte Medizin – die Nase rümpft und damit ausdrückt: Schwangerschaftsabbruch, das gehört sich nicht. Wer lehnt sich da schon auf und sagt, ich möchte jetzt aber bei der Frau hier einen Abbruch machen.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  16. Zeig mir dein Bild und ich sage dir, wie du bist
    Philip Banse im Gespräch mit Constanze Kurz und Tobias Matzner
    Gesichtserkennung trifft Big Data: Durch die App Clearview wird Überwachung in ganz neuer Dimension möglich. In Echtzeit gleicht sie ein Bild mit drei Milliarden Fotos und Videos im Netz ab. Lässt sich mithilfe von Clearview auch menschliches Verhalten vorhersagen?
    Eine Person fotografieren, das Bild hochladen und mit drei Milliarden Bildern im Netz abgleichen, um herauszufinden: In welchen Situationen und Kontexten taucht diese Person noch auf? Wer ist sie? Was macht sie? Nimmt sie zum Beispiel an Demonstrationen teil? Wo hat sie ihren letzten Urlaub verbracht? Wo und was kauft sie ein?
    Das klingt nach einer beklemmenden Zukunftsvision à la George Orwell, ist dank der App „Clearview“ aber bereits Realität. Bisher wird Clearview nur von Behörden in den USA und Kanada genutzt, etwa im Zusammenhang mit Strafverfolgung und polizeilichen Ermittlungen. Aber auch für Diktaturen könnte Clearview von Interesse sein, um Bürger besser überwachen zu können.
    Oder für Psychologen: Denn schon lange sei es das Anliegen der Psychologie, menschliches Verhalten vorhersagen zu können, meint Jule Specht, Professorin für Psychologie an der Berliner Humboldt-Universität. Zum Teil mit ganz konkreten Zielsetzungen: etwa um Banken ein Entscheidungsmodell an die Hand zu geben, wer einen Kredit bekommen sollte und wer nicht. Hier ergeben sich durch eine Technologie wie Clearview unter Umständen viel bessere Möglichkeiten, aussagekräftige Persönlichkeitsprofile zu erstellen, als durch Laborexperimente oder Fragebögen zur Selbstbeschreibung.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur
  17. Als der Winter ausfiel
    Helsinki ohne Schnee, Stockholm meldet den wärmsten Winter seit mindestens 1756
    Für die Meteorologen war am ersten März der Winter zu Ende, Zeit für sie Bilanz zu ziehen. Aus Stockholm berichtet das Bolincentret, das Bolin-Zentrum für Klimaforschung der dortigen Universität, dass der Winter für Schwedens Landeshauptstadt der wärmste in mehr als 250 Jahren gewesen sei.
    Die Forscher haben die seit 1756 vorliegenden Messungen digitalisiert, einer Qualitätskontrolle unterzogen und stellen sie im Netz allen Interessierten zur Verfügung. Die Messungen werden unter anderem durch die Art der Thermometer, ihre Kalibrierung, ihren Standort, ihre Abschattung gegenüber Wärmestrahlung, die Tageszeit der Messung und nicht zuletzt den Wärmeinseleffekt der Stadt beeinflusst.
    Letzterer wird seit Jahrzehnten von Meteorologen erforscht und gegebenenfalls bei Bedarf aus älteren Zeitreihen herausgerechnet. Städte zeichnen sich gegenüber ihrem Umland nämlich durch eine höhere Temperatur aus. Da sie seit Beginn der Industrialisierung drastisch gewachsen sind und manch ehemals ländliche Messstation sozusagen eingemeindet haben, spiegelt sich die Urbanisierung in deren Rohdaten als Erwärmungstrend ab.
    Den kann man herausrechnen, wie es die Stockholmer mit den alten Daten getan haben, wobei sie sogleich auch die anderen oben erwähnten Effekte berücksichtigten. Für die, die es ganz genau wissen wollen, stehen auch noch die Rohdaten zur Verfügung.
    Quelle: Telepolis

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