Zwar schließt die Bundesregierung „Privilegien für Geimpfte“ immer noch wortreich aus. Gleichzeitig beauftragte sie jedoch einen digitalen Impfnachweis, dessen einzig plausibler Zweck eben darin besteht, eine Zweiklassengesellschaft von Geimpften und Nicht-Geimpften zu etablieren. Den Ton gibt einmal mehr die EU an. Die EU-Freizügigkeit, also das Recht, sich als EU-Bürger frei in allen EU-Staaten zu bewegen, dürfte schon bald Geschichte sein. Wo früher Schlagbäume die Menschen trennten, könnte schon bald eine „Impf-Mauer“ errichtet werden, die Menschen, die nicht geimpft werden wollen, können oder dürfen, das elementare Grundrecht der Freizügigkeit entzieht. Walter Ulbricht hätte wohl von einem „epidemiologischen Schutzwall“ gesprochen. Von Jens Berger.
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Die Vorbereitungen für den digitalen Impfnachweis sind im vollen Gange. Am 23. Februar informierte das Bundesgesundheitsministerium über den Stand der Planungen. Interessanterweise hält sich das Ministerium dabei jedoch mit denkbaren Anwendungsbeispielen zurück. Man handele auf Anregung des Europäischen Rates und wolle sicherstellen, dass der Impfnachweis auf europäischer Ebene „interoperabel und standardisiert“ ist. Da stellt sich natürlich zunächst die Frage, welchem Zweck dieser europäische Standard dienen soll.
Die Antwort dazu kommt nicht aus Berlin, sondern von den Staaten, die ihren Einfluss in Brüssel in dieser Sache besonders geltend machten. Das sind ausnahmsweise übrigens weder Deutschland noch Frankreich, die sich beide zumindest öffentlich eher bedeckt halten, sondern allen voran Österreich, Griechenland und Spanien … also die Länder, in denen die Tourismusbranche nicht zu Unrecht in dieser Sommersaison den zweiten Totalausfall in Folge befürchtet. So ist es auch der österreichische Kanzler Kurz, der in der Causa Impfnachweis besonders vorprescht und in seinem Land „Privilegien“ für Geimpfte nach dem israelischen Vorbild umsetzen will.
An dieser Stelle ist es dringend notwendig, die Begrifflichkeiten zu klären. Auch in Deutschland ist ja vielfach davon die Rede, dass man Geimpften über spezielle Regelungen „Privilegien“ oder „Zusatzrechte“ einräumen wolle. Wer so spricht, hat das Grundgesetz nicht einmal im Ansatz verstanden. Der Bürger hat einen elementaren Anspruch auf die ihm zugesicherten Grundrechte. Insofern kann es auch kein „Privileg“ sein, wenn der Staat seinen Bürger diese Rechte einräumt. Er ist vielmehr qua Verfassung dazu verpflichtet! Im Umkehrschluss muss der Staat jedoch ganz genau und gerichtsfest begründen, warum und in welchen eng begrenzten Ausnahmeszenarien er seinen Bürgern diese Grundrechte verweigert. Wer meint, Grundrechte seien ein „Privileg“, sagt damit auch, dass der Staat diese Grundrechte nach eigenem Gusto vergeben könne und sollte eigentlich ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz sein.
Ohnehin müsste man zunächst die Frage klären, ob der Staat auf Basis ungesicherter Erkenntnis überhaupt derart rigide in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen darf. Hier wird argumentiert, dass Geimpfte für sich und für andere eine geringere Gefahr darstellen. Nun ist Covid 19 jedoch eine sehr selektiv gefährliche Krankheit, die beispielsweise für junge Menschen keine derart große Gefahr für Leib und Leben darstellt, dass dies einen Eingriff in deren Grundrechte rechtfertigen würde. Ein Zwanzigjähriger darf rauchen, saufen und mit dem Sportwagen mit 300 km/h über die Autobahn rasen – in den Urlaub nach Österreich soll er aber nicht fahren dürfen, weil dies zu gefährlich sei? Wirklich? Und wo wir schon beim Sportwagen sind. Ein solches Fahrzeug ist ja – zumindest wenn es sich um ein modernes Exemplar handelt – zumindest technisch sicherer als ein alter Kleinwagen. Mit einem solchen Sportwagen mit sehr guter Straßenlage, Federung und elektronischen Assistenten würde jeder durchschnittlich geübte Fahrer auch die Spitzkehre, in der ein Tempolimit von 50 km/h gilt, mühelos mit 80 km/h passieren können. Er stellt für sich und für andere damit ein geringeres Risiko dar. Gibt es deshalb „Sonderrechte“ für Sportwagenfahrer? Dürfen sie die Spitzkehre schneller durchfahren? Natürlich nicht! Hier gilt gleiches Recht für Alle. Warum sollte das beim Impfstatus anders sein?
Aber zurück zur konkreten Debatte. Ginge es nach Kurz und Co., könnten bereits im Sommer Fluglinien, Bahngesellschaften und natürlich die Beamten an den Grenzübergängen kontrollieren, wer geimpft ist und wer nicht. Und nur wer sich als Geimpfter ausweisen kann, darf seine Reise antreten bzw. fortsetzen. Dann wäre die persönliche Impfentscheidung zwar pro forma nach wie vor frei; wer sich jedoch gegen eine Impfung entscheidet oder – was vor allem in Deutschland ja ein maßgeblicher Faktor ist – schlicht noch kein Impfangebot bekommen hat, müsste auf sein Grundrecht auf Reisefreiheit und Freizügigkeit verzichten. Ein Grundrecht stünde damit zur Disposition und würde nur noch unter einer speziellen Auflage gewährt. Der Staat hat aber Grundrechte nicht zu gewähren. Der Bürger hat einen im Grundgesetz verankerten Anspruch darauf, dass der Staat die Grundrechte garantiert und sie nicht nach Belieben entzieht oder zugesteht.
Ein wenig anders sieht es – jedoch auch nur vordergründig – im privaten Raum aus. So hat der Ethikrat der Bundesregierung in seiner Stellungnahme zu „Sonderrechten für Geimpfte“ explizit darauf hingewiesen, dass man solche Regelungen zwar ablehne, dies jedoch nur für den Staat und nicht für den Privatsektor gelte. „Anders als der Staat sind private Anbieter prinzipiell frei darin, mit wem sie einen Vertrag schließen“, so Ethikrats-Vize Professor Volker Lipp. Es ist hochproblematisch, wenn sogar der Ethikrat nicht wirklich verstanden hat, was ein Grundrecht ist. Käme beispielsweise ein Hotelier auf die Idee, seine Zimmer nicht an Farbige, Homosexuelle oder Juden zu vermieten, bekäme er sehr schnell und vollkommen zu Recht Ärger mit dem Gesetz, da Unternehmen in diesem Punkt nämlich eben nicht frei in ihrer Vertragsfreiheit sind, sondern Menschen aufgrund ihrer „Rasse oder ethnischen Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter und sexuellen Identität“ nicht diskriminieren dürfen. Richtig ist jedoch auch, dass hier nicht explizit von einem Impfstatus die Rede ist. Hier wären der Gesetzgeber und die Rechtsgelehrten gefragt, eine schnelle Klärung zu gewährleisten.
Es ist jedoch ohnehin fragwürdig, diese Debatte so führen, als ginge es „nur“ um privatrechtliche Fragen, die losgelöst vom Rahmen der Regulierungen und Maßnahmen sind. Warum sollte beispielsweise ein Hotelier Zimmer nur für Geimpfte zur Verfügung stellen, wenn er dadurch keinen klar definierten Vorteil hat? Immerhin bringt er sich damit ja um Einnahmen. Das macht er nur, wenn er an anderer Stelle einen Vorteil einkalkuliert. Ein solcher Vorteil wäre beispielsweise, dass die Maßnahmen eine Unterbringung von Ungeimpften untersagen oder den Grad der Hygienemaßnahmen an den Impfstatus der Gäste koppeln. Beides wäre jedoch keine privatrechtliche, sondern eine staatliche Regelung. Insofern ist die Aussage des Ethikrats auch erstaunlich naiv.
Die Beispiele Israel und Österreich – noch sind es in der Alpenrepublik freilich „nur“ Ankündigungen – zeigen, wie schnell die Politik bereit ist, den rechtlichen Rahmen zur Diskriminierung Ungeimpfter zu schaffen. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies in Deutschland anders sein könnte. Mit Heiko Maas und Markus Söder haben sich bereits zwei namhafte Politiker für „Sonderrechte“ für Geimpfte ausgesprochen; sich also dazu bekannt, Ungeimpften die Grundrechte zum Teil zu entziehen. Man muss wahrlich kein Hellseher sein, um zu ahnen, wohin die Reise geht.
Die letzte Hoffnung besteht derweil noch, dass die Errichtung einer „Impf-Mauer“ am Ende auf europäischer Ebene verhindert wird. Als ausgemachter Gegner gilt dabei Belgien. Es käme nicht in Frage, die in den EU-Verträgen und im Schengen-Abkommen verbriefte Reisefreiheit an eine Impfung zu knüpfen, erklärte beispielsweise die belgische Außenministerin Sophie Wilmès. Das würde eine Diskriminierung bedeuten. Wer will ihr da widersprechen?
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