Heute erscheint mein neues Buch – das „Schwarzbuch Corona“. Es ist eine längst überfällige Zwischenbilanz der Schäden und Opfer der Corona-Politik. In der Medizin sagt man, die Therapie darf nicht schädlicher sein als die Krankheit. Überträgt man dies auf die weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, müsste man wohl von einem der größten Kunstfehler der Geschichte sprechen. Die indirekten Kollateralschäden der Therapie stehen in keinem Verhältnis zu den Schäden durch das Virus selbst. Anhand nationaler und internationaler Beispiele zeige ich, welche Schäden die Corona-Politik verursacht hat und immer noch verursacht. Schäden auf dem Gebiet der Ökonomie, der Ökologie. Schäden der Gesundheit und der Psyche. Schäden, die so unsolidarisch verteilt sind wie bei keiner Katastrophe zuvor. Schäden, die uns noch lange begleiten werden und unsere Gesellschaften nachhaltig verändern werden. Der Verlag schreibt: „Jens Berger blickt über den Tellerrand von Infiziertenzahlen und Inzidenzen und richtet den Fokus auf Zusammenhänge, die in der Debatte gerne verdrängt und ignoriert werden. Erstmals werden hier Daten und Studien zusammengetragen, die außerhalb von Fachkreisen wenig Beachtung finden, da sie nicht in das Bild einer Politik passen, für die das Wohl und die Gesundheit der Bürger angeblich das oberste Primat sind.“ Im Folgenden die Einleitung aus dem Buch, das ab heute überall im Buchhandel oder bei den Buchkomplizen zu kaufen ist. Von Jens Berger.
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Kein anderer Begriff wurde während der letzten eineinhalb Jahre so oft gebraucht und so oft missbraucht wie der Begriff der Solidarität. Aus Solidarität mit den Alten und Vorerkrankten, für die eine Infektion schwer oder gar tödlich verlaufen könnte, haben wir das ganze Land lahmgelegt. Gefragt wurden die »Risikogruppen« jedoch nicht. Wer weiß, vielleicht waren sehr viele von ihnen gar nicht so erpicht darauf, Weihnachten allein zu verbringen? Vielleicht wären sie lieber das Risiko einer Infektion eingegangen, als zum Beispiel ihre Enkel und Urenkel über Wochen und Monate nicht zu sehen, sie nicht in den Arm nehmen zu können?
Die Großmutter eines Freundes von mir musste ihren 100. Geburtstag ohne Familie oder Freunde im Heim verbringen. 100 Jahre. Die Frau hat die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs überlebt. Sie hat unter Aufbietung all ihrer Kräfte in schweren Zeiten ihren Kindern das Leben geschenkt und sie zu verantwortungsvollen Menschen erzogen. Sie hat so manche Lebenskrise durchlaufen und so manche Krankheit gemeistert und nun, an ihrem 100. Geburtstag, saß sie allein im Heim. Eine maskierte Pflegerin brachte ihr zumindest ein Stück Apfelkuchen und ein Glas Sekt. Doch ihre Kinder, Enkel und Urenkel durfte sie nicht sehen. Zwei Wochen später starb sie – nicht an Corona, vielleicht aber an Einsamkeit. Um ihre Hinterlassenschaften wegzuräumen, durften ihre Enkel übrigens das Altenheim betreten. Schließlich müsse das Zimmer schnell wieder frei werden. Alles im Namen der Solidarität.
Die Tochter eines anderen Freundes hat in diesem Jahr ihr Abitur gemacht. Als ich vor vielen Jahren mein Abitur gemacht habe, war dies – abseits der schulischen Fragen, die für mich damals ohnehin eine untergeordnete Rolle gespielt haben – eine wunderschöne Zeit. Wir haben gefeiert, getrunken, getanzt. Wir lagen uns in den Armen und haben die vielleicht letzten Tage einer unbeschwerten Jugend genossen. Kaum hatten wir unsere Zeugnisse in den Händen, ging es für viele erst einmal auf große Reise. Per Interrail haben wir Europa bereist, Gleichaltrige aus aller Herren Länder kennen und lieben gelernt, andere Kulturen entdeckt. Eine schöne Zeit. Für mich vielleicht die schönste Zeit in meinem Leben.
Für die Tochter meines Freundes war dieses Jahr keine schöne Zeit. Die letzten Monate ihrer Schulzeit verbrachte sie auf sich gestellt vor ihrem Rechner. Soziale Kontakte außerhalb der Familie waren zumeist auf den virtuellen Raum ausgelagert. Keine Partys, kein Tanz, keine Freude. Kein Umarmen, keine Küsse und keine Gelegenheit, die Jugend zu verabschieden. Die langen Monate zwischen Abitur und digitaler Immatrikulation an der Universität – monoton, isoliert. Bis heute hat sie ihre Kommilitonen nur am Bildschirm ihres Rechners gesehen. Ja, sie war solidarisch. Aber wer war solidarisch mit ihr?
Wer war in den letzten eineinhalb Jahren solidarisch mit all den Wirten und Hoteliers, die um ihr Lebenswerk bangen, vielfach schon kapituliert haben und im besten Falle einer mehr als ungewissen Zukunft entgegenblicken? Wer war solidarisch mit den Armen und in prekären Berufen Tätigen, die nicht den Luxus hatten, die Pandemie im Homeoffice auszusitzen und die gewonnene Freizeit zur Selbstverwirklichung zu nutzen? Wie solidarisch waren wir mit der alleinerziehenden Mutter, der in ihrer kleinen Plattenbauwohnung die Decke auf den Kopf gefallen ist und die nicht wusste, was sie mit ihrem dauergelangweilten Sohn noch anstellen soll, der aus Solidarität weder den Kindergarten noch den Spielplatz besuchen durfte?
O ja, die allermeisten Deutschen waren in den letzten eineinhalb Jahren so solidarisch, dass sie sich in eine Duldungsstarre begeben haben. Und die wenigen Menschen, denen der Kragen geplatzt ist und die aufbegehrt haben, wurden mit ausgestrecktem Finger als Querdenker, Spinner, Verschwörungstheoretiker oder gar Nazis verunglimpft. Zahlreiche TV- und Printformate halfen dabei, eine Lockdown-Ideologie aufzubauen, und schürten bei vielen Bürgern Ängste. Und wer Angst hat, ist anfällig dafür, Menschen zu verdammen, die ihm als Bedrohung präsentiert werden und von denen es heißt, sie seien unsolidarisch.
In Zeiten von Corona ist Solidarität eine Einbahnstraße. Kann man die Solidarität gegenüber der einen Gruppe überhaupt mit der Solidarität einer anderen Gruppe verrechnen? Man kann nicht nur, man muss. Die Solidarität mit den einen ist bei der Corona-Debatte auch immer die Unsolidarität mit den anderen. Hier einen gangbaren Mittelweg zu finden, ist schwer, und wer den Lockdown vor allem als solidarische Maßnahme sieht, verschließt sich der Kompromissfindung.
Warum ein Buch zu Corona schreiben? Wer will das lesen? Das war mein erster Gedanke, als mein Verleger Markus Karsten mir die Idee unterbreitete, ein Schwarzbuch Corona zu verfassen. Es ist doch eigentlich alles gesagt, wenn auch noch nicht von jedem. Doch dieser Eindruck täuscht: Obgleich eigentlich alles gesagt ist, wurde nur weniges davon gehört. Von Tag zu Tag nimmt die Debatte groteskere Züge an, und von Tag zu Tag werden die Gräben zwischen den Lagern tiefer. Viele Mitmenschen haben Angst. Die einen haben Angst vor dem Virus, andere haben Angst vor den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen, und wiederum andere haben Angst davor, dass der Staat die Grundrechte beschneidet und ein autoritäres Gesundheitsregime einführt. Ängste sind immer subjektiv, und jede dieser Ängste muss man respektieren. Das ist jedoch schwer in einer Zeit, in der man am liebsten jeden Widerspruch gegen ein »gesundes Volksempfinden«, das mit einer sehr einseitigen Auslegung des Begriffes Solidarität gekoppelt ist, ausgrenzen will.
Warum gibt es so wenig Kritik und warum werden die Maßnahmen meist stoisch hingenommen? Sehen wir es doch mal aus folgender Perspektive: Seit nunmehr Jahrzehnten wurde unsere Gesellschaft getreu dem neoliberalen Ideal auf Individualismus getrimmt. Ein jeder sollte seines eigenen Glückes Schmied sein, Solidarität galt als Auslaufmodell. Damit konnten sich zum Glück sehr viele Bürger nicht anfreunden. Das Unwohlsein blieb dabei in vielen Fällen jedoch im Verborgenen. Wie viele unserer Mitbürger, die nun Solidarität für die Risikogruppen einfordern, haben in der Vergangenheit gegen Kinderarmut, Hungerrenten oder prekäre Jobs kritisch Stellung bezogen? Auch Armut tötet. Offenbar ist Solidarität oft nur dann Solidarität, wenn sie von Politik und Medien eingefordert wird und damit staatstragend ist.
Corona vereint einen Großteil der Bürger nun zu einer solchen staatstragenden »Solidar- und Schicksalsgemeinschaft«. Politik und Medien schreiten gleichförmig voran und viele Bürger reihen sich freudig in die neue Gemeinschaft ein. Politologen nennen dies den »Rally-’round-the-flag-Effekt« – das letzte eindrucksvolle Beispiel dafür waren übrigens die Terroranschläge vom 11. September 2001. Die Muster sind eindrucksvoll: Es gibt eine große Gefahr (das Virus) und Gefährder (Demonstranten und Kritiker der Maßnahmen), ein gemeinsames äußerliches Erkennungszeichen (die Maske), gemeinsame Riten (Mindestabstand) und Vordenker, die den Weg weisen (die TV-Virologen), und über allem steht die Angst. Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, aber dafür das wohl denkbar geeignetste Motiv, sich einer derart allgegenwärtigen und gesellschaftlich akzeptierten Gruppenideologie zu unterwerfen. Die Gruppe nimmt mir die Angst und sorgt durch die für alle geltenden Maßnahmen nicht nur für meinen Schutz, sondern auch für den Schutz der Gesellschaft als Ganzes. Ich bin nicht mehr als Individuum meines eigenen Glückes Schmied und auf mich selbst gestellt, sondern Teil einer großen Volksgemeinschaft, die sich um mich kümmert.
Das ist sicher für viele Bürger ein schönes Gefühl – nur dass hier Wahrnehmung und Realität deutlich auseinanderklaffen. Stellen Politik und Medien schließlich nicht einmal im Ansatz die ideologische Basis unseres neoliberalen Systems infrage, das diesen Wunsch nach Gemeinschaft überhaupt erst geschaffen hat. Dies ist zuerst einmal staatstragend und damit letzten Endes systemstabilisierend. Wenn sich das Gros der Bevölkerung in Krisenzeiten hinter die politische Führung schart und die Medien sich als Hüter der Wahrheit gegen die bösen Kritiker aufspielen können, ist dies für die Politik ein Hauptgewinn, kann sie doch von den Ursachen der Misere ablenken und sich gleichzeitig als Retter von Menschenleben inszenieren. Was zählt aus Sicht der Lockdown-Ideologie schon das Wohl der Kinder, das Schicksal Alleinerziehender oder gar der Künstler und Gastronomen? Und die kritischen Geister, die Dinge hinterfragen, haben in dieser Gesellschaft ohnehin schon lange keinen Bestandsschutz mehr. Die Meinungsfreiheit wird nur dann großgeschrieben, wenn es sich um die »richtige« Meinung handelt. Wer die »falsche« Meinung hat, findet in den Talkshows der Republik keinen Platz und wird von Internetplattformen wie YouTube gelöscht. Corona hat auch dazu geführt, dass unsere Debattenräume immer enger werden.
Das ist es dann auch, wovor ich Angst habe – eine Spaltung der Gesellschaft, die so schnell nicht mehr zu kitten sein wird. Ich fühle mich nicht durch ein Virus, sondern durch Mitbürger gefährdet, die sich bei hinter der Politik zusammenrotten und Maßnahmen und Sanktionen gegen alles und jeden fordern, der als Gefahr für ihre mutmaßliche Volksgemeinschaft wahrgenommen wird. Ich fühle mich zudem durch eine Gesellschaft bedroht, die keinen Widerspruch zulässt. Demokratie lebt vom Diskurs und von der Debatte. Wenn wir beides unterdrücken, bewegen wir uns in sehr gefährliches Fahrwasser und zeigen, dass wir nichts aus unserer Geschichte gelernt haben. Davor habe ich Angst, und um meinen – vielleicht noch so kleinen – Teil dazu beizutragen, die Debatte um Facetten anzureichern, die im Dauerdiskurs um Inzidenzwerte, Mutanten und Impf-Priorisierungen untergehen, habe ich dieses Buch geschrieben.
Es soll hier nicht um eine Fundamentalkritik an allen Maßnahmen gehen. Überhaupt nichts gegen die Ausbreitung des Virus zu tun, ist keine Alternative. Bestimmte Maßnahmen sind nötig, aber sie müssen dann auch mit Augenmaß gewählt und so justiert werden, dass sie Kollateralschäden minimieren. Hier ist vor allem eine Abwägung verschiedener Interessen nötig, und dafür müssen auch andere Disziplinen als »nur« die Virologie und die Epidemiologie gehört und bei der Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Dies wurde in geradezu fahrlässiger Art und Weise versäumt, wie dieses Buch anhand vieler erschreckender Beispiele aufzeigt. Es ist wichtig, auf diese Fehler hinzuweisen, denn nur wer die Fehler kennt, kann auch aus ihnen lernen.
Dieses Buch wurde nicht geschrieben, um die Gefahren, die vom Virus ausgehen, zu verharmlosen. Obgleich dies eigentlich selbstverständlich ist, treibt mich die allgegenwärtige Unart, Kritiker der Corona-Maßnahmen oder auch nur Menschen, die die Gefahren des Virus etwas differenzierter sehen, als Verharmloser oder gar Leugner zu diskreditieren, zu diesem Statement. Ich bin nicht so naiv, anzunehmen, dass mir dieser Vorwurf allen Differenzierungen zum Trotz nicht gemacht werden wird. Man sieht halt meist nur das, was man sehen will. Auf langwierige »ceterum censeos« und Rechtfertigungen habe ich dennoch verzichtet. Wir wissen alle, dass Covid-19 eine gefährliche Krankheit ist. Das muss man nicht pausenlos und an jeder Stelle wiederholen.
Dieses Buch soll die Krankheit als solche nicht in den Mittelpunkt stellen – denn in diesem Punkt sind wir nicht unter-, sondern überinformiert. Um eine Einordnung dieser Thematik komme jedoch auch ich nicht herum. Der Schwerpunkt eines Schwarzbuches muss dennoch woanders liegen. Und zwar bei den Gefahren und Schäden, die mit den politischen Antworten auf das Virus, die Maßnahmen und Lockdowns angerichtet werden. Darauf haben wir bei den NachDenkSeiten seit Beginn der Pandemie immer wieder hingewiesen. Wer diese Punkte nicht kennt oder nicht wahrnimmt, wird nämlich nie die eine Solidarität mit der anderen Solidarität verrechnen und einen sinnvollen Mittelweg finden. Und der ist dringend nötig, denn Corona ist gekommen, um zu bleiben, und das Thema wird uns – ob wir es wollen oder nicht – noch lange Zeit beschäftigen.
Ab heute überall im Handel oder bei den Buchkomplizen: Jens Berger, „Schwarzbuch Corona. Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und der tolerierten Opfer“, Westend Verlag, 28.6.2021