Gute Kriegsverbrechen, schlechte Kriegsverbrechen – das ist alles eine Frage der Perspektive

Gute Kriegsverbrechen, schlechte Kriegsverbrechen – das ist alles eine Frage der Perspektive

Gute Kriegsverbrechen, schlechte Kriegsverbrechen – das ist alles eine Frage der Perspektive

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Noch vor wenigen Wochen forderte US-Präsident Biden, Wladimir Putin „wegen dessen Kriegsverbrechen“ zur Rechenschaft zu ziehen. Das entbehrt nicht einer bitteren Ironie, haben die Briten doch gestern den Weg freigemacht, Julian Assange in die USA auszuliefern. Dort wird dann der Mann zur Rechenschaft gezogen, der Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hat. Offenbar ist Kriegsverbrechen nicht gleich Kriegsverbrechen. Ein Einwurf von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Man stelle sich einmal vor, es gäbe in Russland einen Journalisten namens Julian Assangin – ein mutiger Mann, der der Weltöffentlichkeit Beweise für russische Kriegsverbrechen in der Ukraine präsentiert hat. Nun stelle man sich vor, diesem Journalisten würde in Moskau der Prozess gemacht und ihm drohte eine lebenslange Haft in einem sibirischen Zuchthaus. Die Unterstützung des empörten Wertewestens wäre ihm wohl sicher. Denn wenn es um die Pressefreiheit und um Kriegsverbrechen geht, verstehen wir keinen Spaß. Ist das so?

Lassen Sie es mich mit Radio Eriwan sagen: Im Prinzip, ja. Aber das ist natürlich eine Frage der Perspektive. Während wir dem fiktiven Assangin jeden nur erdenklichen Friedens- und Freiheitspreis verleihen und uns gar nicht einkriegen würden, gegen seine Verfolgung und Inhaftierung zu demonstrieren, sieht das beim realen Assange nun mal ganz anders aus. Er hat ja auch nicht die schlechten Kriegsverbrechen der bösen Russen, sondern die guten Kriegsverbrechen der netten Amerikaner aufgedeckt. Und da hört der Spaß bekanntlich auf. Wenn wir eines verabscheuen, dann sind es Menschen, die uns unsere doppelten Standards, unsere Bigotterie und unser jämmerliches Versagen, unsere Ansprüche mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, vor Augen führen.

Und so foltern wir weiter in Guantanamo und lassen unsere Kampfdrohnen Hochzeitsgesellschaften zu Klump schießen. Wir dürfen das! Wir sind schließlich die Guten! Aber wehe, irgendein selbsternannter Journalist kommt auf die Idee, dies „aufzudecken“. Dann gnade ihm Gott … oder besser Gods own Country! Wir ziehen jeden zur Rechenschaft – den, der die schlechten Kriegsverbrechen begeht, und den, der die guten Kriegsverbrechen aufdeckt.

Titelbild: welburnstuart/shutterstock.com

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