Wie EU- und NATO-Partner Polen die Raffinerie PCK Schwedt als Spielball für eigene ökonomische und politische Interessen nutzt

Wie EU- und NATO-Partner Polen die Raffinerie PCK Schwedt als Spielball für eigene ökonomische und politische Interessen nutzt

Wie EU- und NATO-Partner Polen die Raffinerie PCK Schwedt als Spielball für eigene ökonomische und politische Interessen nutzt

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Die Bundesrepublik Deutschland will ab dem 1. Januar 2023 freiwillig kein russisches Öl mehr nutzen. Diese Entscheidung hat massive Auswirkungen, unter anderem auf die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Tausende Arbeitsplätze in der strukturschwachen Gegend sowie fast die gesamte Kraftstoffversorgung (90 Prozent) in Ostdeutschland und Berlin hängen von der Raffinerie ab. Um die Versorgung trotz des gegen Russland gerichteten Ölembargos der Bundesregierung zu sichern, sollen Öllieferungen (bisher ungeklärter Herkunft) über Rostock und Danzig organisiert werden. Doch die polnische Regierung stellt sich in dieser existenziellen Lage quer und agiert wie in einem Pokerspiel. Ganz verdenken kann man es Warschau allerdings nicht. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Über die Erdölleitung „Druschba“ (russisch für „Freundschaft“) kommen nach Angaben der Raffinerie PCK Schwedt bisher rund 25 Prozent des Rohölbedarfs Deutschlands. Dieses Öl wird vor allem in Schwedt verarbeitet, daneben sind noch die signifikant kleineren Raffinerien im sächsischen Böhlen sowie im sachsen-anhaltinischen Leuna Abnehmer des Rohöls. Die Bedeutung der Schwedter Raffinerie ist enorm: 95 Prozent der in Ostdeutschland und Berlin verbrauchten Kraftstoffe wie etwa Heizöl oder Benzin sowie der öl-basierten Nebenprodukte für den Medizin- und Bausektor stammen aus Schwedt. Neun von zehn Fahrzeugen in Berlin und Brandenburg tanken Kraftstoffe dieser Raffinerie. Ähnlich hoch sind die Zahlen für die Versorgung der Flughäfen der Region mit Flugbenzin. Die PCK-Raffinerie, rund 120 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegen, verarbeitet derzeit noch rund 220.000 Barrel russisches Rohöl pro Tag. Doch diese Tage sind gezählt.

Seit dem 16. September hat die Bundesnetzagentur den Besitzer der PCK Schwedt, die deutsche Tochtergesellschaft des russischen Erdölkonzerns Rosneft, mit Verweis auf das Energiesicherungsgesetz unter Treuhandverwaltung gestellt und die Geschäftsleitung ausgetauscht.

Um die Raffinerie Schwedt spätestens ab dem 1. Januar 2023 ohne russisches Öl ausreichend auszulasten, ist man aber auf Lieferungen über den polnischen Hafen Danzig und das dortige Pipeline-System angewiesen. Mittels Öl-Tankern zum Hafen Rostock und der bereits existierenden Pipeline von der ostdeutschen Hansestadt nach Schwedt können derzeit maximal 60 Prozent der Auslastung gesichert werden und dies auch nur in der bisherigen angedachten theoretischen Planung. Denn der Rostocker Hafen verfügt eigentlich über einen nicht ausreichenden Tiefgang, sodass nur Schiffe mit bis zu maximal 100.000 dwt (deadweight tonnage) anlanden und entladen werden können.

Zum Vergleich, selbst die bereits in den 1970er Jahren in Bremen gebauten sogenannten Europa-Tanker verfügten bereits über eine Tragfähigkeit von rund 400.000 dwt.

Als nötig für einen funktionierenden Betrieb von Schwedt gelten aber mindestens 75 Prozent Auslastung. Dies ist in der aktuellen Lage nur über Zulieferung via Danzig überhaupt denkbar. Doch die polnische Seite scheint auf Zeit zu spielen und stellt sich in den Verhandlungen mit der deutschen Seite quer, erklärt „weiteren Gesprächsbedarf“ und fordert die definitive Enteignung des russischen Eigentümers als Voraussetzung für eventuelle Öl-Lieferungen an die PCK Schwedt. So erklärte unter anderem das zuständige Ministerium in Warschau auf Anfrage von Reuters, dass die Treuhandverwaltung von Rosneft nicht ausreiche. Polen sei zwar bereit, Schwedt bei der Versorgung mit Öl zu unterstützen, Voraussetzung sei aber, dass Rosneft keine Anteile an der Raffinerie mehr halte:

“Die PCK Raffinerie Schwedt ist bislang nicht in (deutscher) Staatshand.”

Das Motiv für dieses Agieren liegt in knallhartem wirtschaftlichen Eigeninteresse Warschaus, ganz dem Motto „Poland first“ verpflichtet, begründet. So berichtet zum Beispiel der RBB diesbezüglich, dass der Hintergrund des jetzigen polnischen Drucks das Interesse des polnischen Öl-Konzerns Orlen sei, welcher nach Angaben deutscher Regierungskreise Interesse an einem Einstieg in Schwedt und der Übernahme der Rosneft-Anteile hat. Orlen ist der bedeutendste polnische Ölkonzern, der Staat ist einer der größten Anteilseigner.

Allerdings hatte Olaf Scholz Mitte September einem Eigentümer-Wechsel hin zum polnischen Öl-Unternehmen eine explizite Absage erteilt. Laut dem Kanzler ginge es der Bundesregierung nicht um einen Wechsel des Eigentümers, sondern lediglich darum, das PCK-Vermögen „treuhänderisch zu verwalten“.

Die Eigentumsverhältnisse ändern sich durch eine treuhänderische Verwaltung vorerst nicht. Wie beschrieben, ist die Treuhandverwaltung seit dem 16. September wirksam und zunächst auf sechs Monate befristet.

Derzeit hält Rosneft noch gut 54 Prozent der Anteile. An dem Gemeinschaftsunternehmen sind zudem noch die Shell Deutschland GmbH mit 37,5 Prozent und die Eni Deutschland GmbH mit 8,33 Prozent beteiligt.

Warschau gibt also ziemlich unumwunden der deutschen Seite zu verstehen, trotz der recht deutlichen Absage von Scholz, dass erst Öl aus Danzig nach Schwedt fließen wird, wenn das polnische halbstaatliche Erdölunternehmen Orlen der Mehrheitseigner der PCK-Raffinerie wird. Dafür müsste allerdings zunächst Rosneft enteignet werden. Ein Schritt, der ein weiteres massives Eskalationsrisiko im laufenden Wirtschaftskrieg mit sich bringen würde, in einer sowieso schon hochangespannten Beziehung mit der Russischen Föderation.

Dazu kommt noch, dass im Fall der PCK-Raffinerie die Option einer Ersatzbelieferung mit Rohöl auch aus anderen Gründen, selbst bei Einlenken der polnischen Seite, kein Selbstläufer wäre. Die Raffinerie ist explizit auf die Aufbereitung von russischem Erdöl ausgelegt. In der Branche wird zwischen leichtem und schwerem, süßem und saurem Öl unterschieden, je nach Schwefelgehalt. Eine Umstellung der Raffinerie auf andere Ölsorten (etwa norwegischer oder britischer Provenienz) würde nach Experten-Einschätzung, so etwa dem Wirtschaftsverband „Fuels und Energie e. V.“ (EN2X) mindestens mehrere Monate dauern, wenn nicht gar ein halbes Jahr.

Es gibt auf dem Weltmarkt eigentlich nur einen Anbieter, dessen Öl über ähnliche chemische Eigenschaften wie das russische verfügt und unkompliziert in Schwedt verarbeitet werden könnte: Venezuela. Doch steht Venezuela unter US-Sanktionen, denen sich Deutschland teilweise angeschlossen hat. Zudem erkennt die Bundesregierung, zumindest in ihren offiziellen Verlautbarungen, nach wie vor, entgegen geltenden völkerrechtlichen Regeln, die Regierung von Nicolás Maduro nicht an. Doch nur diese kann, abgesehen von den US-Sanktionen, über den staatlich kontrollierten Ölexport entscheiden. Zudem ist die Ölinfrastruktur in Venezuela durch Ersatzteilmangel, vor allem bedingt durch die massiven US-amerikanischen und begleitenden EU-Sanktionen, sehr marode. Um die Förderung wieder hochzufahren, wären enorme Investitionen erforderlich, die ebenso bisher an den verhängten Sanktionen scheitern. An dieser Lage ändern auch die bisher erteilten „Sondergenehmigungen“ für den Export von kleineren Mengen venezolanischen Erdöls für den italienischen Energiekonzern Eni und das spanische Öl-Unternehmen Repsol nichts.

Deutschland ist in einer selbstgebauten energiepolitischen Falle gelandet. Und die vermeintlichen Partner, im konkreten Fall Polen, die die Möglichkeiten hätten, die Bundesrepublik daraus, zumindest partiell, zu befreien, lassen Deutschland aber scheinbar erstmal darin zappeln. Völlig verdenken kann man das den Verantwortlichen in Polen, angesichts eines in den letzten Jahren oft erfolgten belehrenden, überheblichen Tons aus dem politischen Berlin, nicht.

Zum Abschluss sei in diesem Zusammenhang auf eines der bekanntesten Zitate von Helmut Schmidt verwiesen:

„Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden.“

Titelbild: shutterstock / Sergey Kohl

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