Nebeneinkünfte sind nicht gleich Nebeneinkünfte

Nebeneinkünfte sind nicht gleich Nebeneinkünfte

Nebeneinkünfte sind nicht gleich Nebeneinkünfte

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die Kritik an den gestern von verschiedenen Medien veröffentlichten Nebeneinkünften der (Noch-)Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ist an Absurdität kaum zu übertreffen. Schließlich stammen die – durchaus fürstlichen – Gelder nicht aus Tätigkeiten, die potenziell im Konflikt mit ihrer politischen Tätigkeit stehen, sondern nahezu ausschließlich aus den Honoraren ihres erfolgreichen Buches „Die Selbstgerechten“. Das ist sowohl moralisch als auch rechtlich ein himmelweiter Unterschied zur millionenschweren Vorteilsnahme eines Peer Steinbrück von der Finanzindustrie oder den millionenschweren Einkünften zahlreicher Unionsabgeordneter aus illegalen Maskendeals oder Lobbytätigkeiten für Aserbaidschan. Doch bei der Personalie Wagenknecht gelten offenbar andere Regeln. Auch ihre (Noch-)Parteichefin Wissler nutzt die Meldung, um die innerparteiliche Kampagne gegen Wagenknecht am Laufen zu halten und den Medien Futter für neue Schlagzeilen zu geben. Von Jens Berger.

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Es ist wirklich abstrus, ernsthaft über die „Rechtmäßigkeit“ von Autorenhonoraren zu streiten. Wagenknechts im April 2021 erschienenes Buch „Die Selbstgerechten“ war immerhin 45 Wochen in der Bestsellerliste und im Jahr 2021 laut dem Börsenblatt das am dritthäufigsten verkaufte Sachbuch – übrigens hinter dem Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ der ZDF-Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Dass Wagenknecht dafür Honorare in Höhe von fast 721.000 Euro (vor Steuern) bekam, ist freilich eine Meldung wert. Diese Honorare aber ernsthaft mit denen von Karl Lauterbachs geflopptem Buch „Bevor es zu spät ist“ und Annalena Baerbocks uninspiriertem „Jetzt“ (Lesen Sie hier die Rezension), dem noch nicht einmal die Plagiatsdebatte zu einer nennenswerten Auflage verhalf, zu vergleichen, ist hanebüchen. Da könnte man auch das Gehalt eine Regionalkickers mit dem eines Christiano Ronaldo vergleichen. Doch warum sollte man das tun? Der SPIEGEL und das Boulevardblatt Hamburger Morgenpost scheinen das anders zu sehen.

„Wenn Politiker Bücher schreiben, kann jeder ganz leicht sehen, wofür das Honorar überwiesen wird und ob es Abhängigkeiten gibt. Da gibt es keine Geheimnisse“ – dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Sie denken jetzt, dieser Satz stammt von einem „Wagenknecht-Freund“? Weit gefehlt. Der Satz stammt von Sigmar Gabriel und natürlich bezieht er sich nicht auf Wagenknechts Buchhonorare, sondern auf die Honorare seines Genossen Peer Steinbrück. Der war als Autor auch nicht ganz erfolglos und erhielt über eine halbe Million Euro Honorare für sein Buch „Unter dem Strich“. Quod licet Peer, non licet Sahra?

Wenn man die Buchhonorare von den publizierten Nebeneinkünften Wagenknechts abzieht, ist die Luft erst mal raus. Es bleiben dann noch 48.307 Euro für mehr als zwei Jahre übrig. Die verteilen sich auf eine Handvoll Veranstaltungen und Vorträge, die allesamt nicht mit ihrer politischen Tätigkeit kollidieren. Auch das ist sehr viel Geld, aber für Spitzenpolitiker keineswegs ungewöhnlich. Wir erinnern uns: Peer Steinbrück kassierte 1,25 Millionen Euro an Vortragshonoraren. Diese Honorare mit denen von Sahra Wagenknecht zu vergleichen, wäre jedoch nicht nur angesichts der unterschiedlichen Dimensionen nicht statthaft. Anders als bei Wagenknecht gab es bei Steinbrück nämlich sehr wohl einen direkten Interessenkonflikt zwischen den kassierten Honoraren und der politischen Tätigkeit. Steinbrück kassierte Geld von Unternehmen, die direkt von seinen Entscheidungen als Bundesfinanzminister profitierten – Banken, Versicherungen, internationale Großkanzleien. Und das nicht erst als „Politrentner“, sondern vor seiner Kanzlerkandidatur. Man könnte die fürstlichen Honorare von Steinbrück also durchaus als ein „Dankeschön“ der Finanzbranche für politisches Entgegenkommen bewerten. Bei den wenigen Vorträgen von Sahra Wagenknecht fehlt selbst ihren Kritikern die Fantasie, einen ähnlichen Zusammenhang zu konstruieren.

Warum also all die Aufregung? Die Antwort liegt auf der Hand. Man nutzt jede noch randseitige Gelegenheit, um die Kampagne gegen Sahra Wagenknecht am Köcheln zu halten. Und da passen fast 800.000 Euro Nebeneinkünfte natürlich gut ins Konzept – zumal Wagenknecht, wie RTL es formuliert, doch eigentlich „die Rechte der Menschen mit kleinem Einkommen vertreten will“. Von solchen Summen „können die Menschen nur träumen, für die sie sich angeblich einsetzt“ – so RTL. Da war es wieder; das immer wieder als rhetorische Kampfansage von der Bürgerlich-Rechten ins Spiel gebrachte Märchen, dass Politiker, die gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit kämpfen, ja „logischerweise“ selbst arm sein müssten. Wasser predigen und Wein saufen, so etwas geht aber nun wirklich nicht. Dabei wissen wir gutgläubigen Medienkonsumenten doch, dass so ein linker Kommunist in der Platte wohnen, seine privaten Reisen mit dem Sozialticket des öffentlichen Personennahverkehrs unternehmen und seinen Urlaub – wenn überhaupt! – auf einem Campingplatz in der Nähe von Bitterfeld verbringen muss. Wer gegen Armut ankämpft, muss selbst arm sein – alles andere sprengt schließlich unser kleinbürgerliches Weltbild.

Aber wer sagt eigentlich, dass ein „Linker“ arm sein und allen weltlichen Vergnügungen abschwören muss? Ist die Linkspartei etwa ein Bettelorden? Darf man nur dann linke Positionen vertreten, wenn man sich in Sack und Asche hüllt? Wann darf man eigentlich neoliberale Positionen vertreten? Muss ein FDP-Abgeordneter mindestens 100.000 Euro pro Jahr bei seinen Nebentätigkeiten verdienen, um glaubwürdig zu sein? Karl Marx war Angehöriger des Bildungsbürgertums, Friedrich Engels, Ferdinand Lassalle, Lenin und Che Guevara waren sogar waschechte Großbürger. Wer käme auf die Idee, ihnen ihre „linke Gesinnung“ qua Klassenzugehörigkeit abzusprechen? Wahrscheinlich der Vorstand der Linkspartei. Okay, keine weiteren Fragen.

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Titelbild: photocosmos1/shutterstock.com

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