Die Grünen werden scheitern – Eine machtpolitische Analyse

Die Grünen werden scheitern – Eine machtpolitische Analyse

Die Grünen werden scheitern – Eine machtpolitische Analyse

Udo Brandes
Ein Artikel von Udo Brandes

Warum werden die Grünen scheitern? Zum einen, weil sie im Umgang mit Macht unprofessionell sind, und zum anderen, weil sie Moralisten sind, meint unser Autor Udo Brandes. Er glaubt, dass die Grünen nicht an ihren politischen Gegnern oder den Medien scheitern, sondern an sich selbst. Sie selbst sind es, so Brandes, die beharrlicher als jeder politischer Gegner an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Aber kann diese These wirklich stimmen? Die Antworten darauf finden sich in zwei Klassikern der politischen Literatur.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als ich begann über das Thema dieses Essays nachzudenken, fiel mir ein, dass Robert Habeck in seinem Buch, das er vor der Bundestagswahl veröffentlichte, sich an einer Stelle auch auf Machiavellis „Der Fürst“ bezog. (Ich habe über Habecks Buch eine Rezension geschrieben). Er muss also Machiavelli gelesen haben. Wenn man allerdings seine Politik nur unter dem Aspekt der machtpolitischen Klugheit anguckt, dann muss man sagen: Habeck hat Machiavelli vielleicht gelesen, aber er hat nichts daraus gelernt. Ansonsten hätte er wissen müssen, wie gefährlich sein Heizungsgesetz für ihn und die Grünen werden würde.

Machiavellis Erkenntnisse sind noch heute relevant

Faszinierend in diesem Zusammenhang ist, dass Niccolò Machiavelli seinen Text „Der Fürst“ 1513 verfasste, also für eine vollkommen andere Gesellschaft. Und trotzdem sind seine Erkenntnisse, die er aus der Geschichte Italiens von seiner (Machiavellis) Gegenwart bis zurück in die Zeit der Antike schöpfte, noch heute für die Politikanalyse eine wertvolle Fundgrube. Wie kann das sein? Es kann sein, weil Machiavelli die Menschen so betrachtet hat, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten. Und es scheint so, dass die Menschen sich in ihrem emotionalen Wesenskern auch über Jahrhunderte hinweg nicht grundlegend ändern. Deshalb konnte Machiavelli zeitlos gültige Gesetzmäßigkeiten des Machterwerbs und des Machtverlustes formulieren. Und deshalb ist er noch heute eine wichtige Quelle, um die Gesetzmäßigkeiten von Macht, Herrschaft und Untergang eines Herrschers zu verstehen. Wobei der Begriff „Herrscher“ – auf heutige Verhältnisse übertragen – der Inhaber einer Machtposition in einer Organisation ist. Dies kann also ein Minister, ein Parteivorsitzender, ein Konzernchef, ein Geschäftsführer, ein Chefarzt, ein Behördenchef usw. sein. Die Gesetzmäßigkeiten der Macht sind in jeder Organisation wirksam.

Was kann man bei Machiavelli an Gründen finden, die darauf hindeuten, dass die Grünen scheitern werden? Bei Machiavelli heißt es:

„Vor allem aber vergreife er (gemeint ist der Fürst; UB) sich nicht an der Habe seiner Untertanen, denn die Menschen verschmerzen leichter den Tod des Vaters als den Verlust des Erbteils.“ (Niccolò Machiavelli, Der Fürst, XVII. Kapitel)

Der ursprüngliche Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes aus Habecks Ministerium sah vor, dass bei einem Eigentümerwechsel (auch im Erbfall) der neue Hauseigentümer ab 2024 eine neue Heizung einbauen muss, wenn die alte Anlage nicht den neuen gesetzlichen Vorgaben entspricht. Ob dies noch politisch durchgesetzt werden kann, ist eine andere Frage. Aber genau dies stand im Raum. Für viele Hausbesitzer würde dies bedeuten, dass ihr Haus schlagartig erheblich an Wert verliert. Denn wenn sie ihr Haus verkaufen und den Wert realisieren wollen, könnte es im schlimmsten Fall bedeuten, dass der neue Hausbesitzer (aber auch der Erbe) dann sehr aufwendig sanieren müsste: die Böden aufreißen und eine Bodenheizung verlegen lassen, das Haus neu dämmen und die neue Heizanlage einbauen. Da können schnell enorme Summen zusammenkommen. Und genau um diese Summen würde der Wert des Hauses bei einem Verkauf sinken. Damit wäre die bei den Deutschen so beliebte Sparanlage „Immobilie“ massiv entwertet. Hätte Habeck seinen Machiavelli gelesen, wäre ihm das klar gewesen. Wobei man sagen muss: Ein bisschen Nachdenken mit gesundem Menschenverstand hätte auch schon gereicht.

Habeck machte massive personalpolitische Fehler

Aber hier machte Habeck einen weiteren machtpolitischen Fehler. Sie erinnern sich vielleicht noch daran. Die NachDenkSeiten berichteten am 20. September 2022 Folgendes:

„Ende August wurde bekannt, dass Vertraute von Wirtschaftsminister Robert Habeck den deutschen Inlandsgeheimdienst auf zwei altgediente, ranghohe Mitarbeiter im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) angesetzt hatten. Begründung? Deren Fachmeinungen wären ‚meilenweit’ von der politischen Linie des Ministers abgewichen. Ein einmaliger Vorgang, der jetzt weitere Kreise zieht. Denn wie ein internes Protokoll offenlegt, herrscht seitdem ein Klima der Angst und Verunsicherung im Ministerium. Doch damit nicht genug. Innerhalb der von Habeck berufenen Staatsekretäre und dem weiteren Umfeld gibt es enge familiäre Bande (man spricht sogar von Clanstrukturen), die man nicht anders denn als ‚Vetternwirtschaft’ beschreiben kann.“ (Den Bericht siehe hier)

Was ist der machtpolitische Fehler hier? Habeck umgab sich nur noch mit Leuten eigener Gesinnung und isolierte sich so geistig vom Rest der Gesellschaft. Das ist für den Inhaber einer Machtposition sehr gefährlich, weil er so keinen realistischen Blick mehr auf die Welt und dessen Machtgefüge entwickeln kann. Ein Minister ist gut beraten, auch Leute um sich zu scharen, die anders als er oder seine Partei denken. Lafontaine zum Beispiel übernahm, als er 1998 Finanzminister wurde, den Staatssekretär vom ehemaligen Finanzminister Waigel – vermutlich auch deshalb, weil er dessen Fachkompetenz brauchte. Aber möglicherweise war ihm auch klar: Es ist gut, jemanden „von der anderen Seite“ an Bord zu haben. Aber ist das nicht gefährlich, einen Mann aus dem anderen Lager zu behalten? Nach Machiavelli nicht. Er schreibt dazu:

„Die Fürsten, und zwar besonders die neu an die Macht gekommenen, haben bei den Männern, die zu Beginn ihrer Herrschaft als verdächtig galten, mehr Treue und Unterstützung gefunden als bei denen, die am Anfang ihr Vertrauen hatten. Pandolfo Petrucci, Fürst von Siena, regierte seinen Staat mehr mit Hilfe derjenigen, die ihm einmal verdächtig gewesen waren, als mit Hilfe der anderen (…) Ich möchte nur sagen, dass ein Fürst stets die Männer, die ihm zu Beginn seiner Herrschaft feindlich gesinnt waren, mit größter Leichtigkeit für sich gewinnen kann, wenn diese eine Stütze benötigen, um ihren Rang zu behaupten; und zwar sehen sie sich um so mehr gezwungen, ihm in Treue zu dienen, als sie erkennen, wie notwendig es für sie ist, durch Taten die schlechte Meinung auszulöschen, die er von ihnen hatte. So hat der Fürst von ihnen stets mehr Nutzen als von denen, die sich in seinem Dienst allzu sicher fühlen und daher seine Interessen vernachlässigen.“ (Niccolò Machiavelli, Der Fürst, XX. Kapitel)

Mit anderen Worten: Die von Habeck kriminalisierten Beamten hätten ihm eine wertvolle Stütze sein können, eben weil sie ihre Loyalität hätten beweisen müssen und weil sie anders denken als Habecks Vertraute. Und umgekehrt war es objektiv für Habeck von Nachteil, dass er seinen Gesinnungs- und Parteifreunden vertraut hat. Denn diese haben ganz offensichtlich, genau wie Machiavelli es beschrieb, Habecks machtpolitisches Interesse vernachlässigt und eigene Interessen verfolgt (siehe die Graichen-Affäre). Habeck hat also massive personalpolitische Fehler gemacht. Und das sagt etwas aus über seine Fähigkeiten als Politiker. Auch dazu findet sich bei Machiavelli etwas:

„Von nicht geringer Wichtigkeit ist für einen Fürsten die Auswahl seiner Minister; ob diese gut sind oder nicht, hängt von der Klugheit des Fürsten ab. Das erste Urteil, das man sich über die Intelligenz eines Fürsten bildet, richtet sich nach den Männern seiner Umgebung; wenn sie fähig und treu sind, kann man ihn stets für klug halten, weil er es verstanden hat, die Fähigen zu ermitteln und sich deren Treue zu erhalten. Sind sie es aber nicht, so kann man stets ein ungünstiges Urteil über ihn fällen; denn seinen ersten Fehler beging er mit dieser Auswahl.“ (ebenda, XXII. Kapitel)

Ein Fürst braucht Verschwörungen nicht zu fürchten, wenn…

Sie erinnern sich vielleicht noch: Habeck war stinksauer und verbittert, dass sein Gesetzentwurf lange vor der abschließenden internen Beratung innerhalb der Regierung „durchgestochen“ wurde. Man kann vermuten, dass die FDP den Dolch im Gewande führte. Mit anderen Worten: Es ging hier um eine Intrige bzw. Verschwörung gegen Habecks Pläne. Machiavelli schreibt dazu im XIX. Kapitel:

„Ich schließe also, dass ein Fürst sich vor Verschwörungen wenig zu fürchten braucht, solange ihm das Volk gewogen bleibt; ist es ihm aber feindlich gesinnt und hasst es ihn, so muss er alles und jeden fürchten.“

Genau. Zum Beispiel die FDP, die vermutlich den Gesetzentwurf „durchgestochen“ hat.

Aber wie ist diese politische Blindheit für das Offensichtliche und Naheliegende zu erklären? Oder anders gefragt: Wieso sind die Grünen so skrupellos und scheren sich nicht darum, dass ihr neues Gebäudeenergiegesetz (GEG) für viele Menschen eine existentielle Bedrohung ist? Ganz zu schweigen davon, dass es wahrscheinlich praktisch gar nicht umsetzbar ist, weil die dafür notwendigen Fachkräfte fehlen.

Wenn Moralisten über sich selbst stolpern

Dies hängt meines Erachtens damit zusammen, dass die Grünen nicht in Interessen denken, sondern Moralisten sind und politisch vor allem in den Kategorien Gut und Böse sowie richtig und falsch denken. Aber die Wirklichkeit ist nun einmal voller Widersprüche. Und wie Marx treffend sagte: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Und das Sein der Mehrheitsbevölkerung ist nun mal ein anderes als das der gutsituierten grünen Wählerschaft.

Aber es kommt noch etwas hinzu, und deshalb kommt man nicht drum herum, den deutschen Soziologen Max Weber zu zitieren. Dieser unterschied in der Politik zwischen Gesinnungsethik (stets an seinen moralischen Prinzipien festhalten und das nach diesem Prinzip moralisch Richtige oder Gerechte tun) und Verantwortungsethik (man bedenke die Folgen):

„Wir müssen uns klar machen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht dass Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter gesinnungsethischer Maxime handelt – religiös geredet: ‚der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‘, oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die Folgen seines Handelns aufzukommen hat.“ (Max Weber, Politik als Beruf)

Der Gesinnungsethiker will von den Folgen seiner Handlungen nichts wissen

Weber führt dann aus, und das erinnert sehr an heutige Diskussionen, dass der Gesinnungsethiker nicht bereit sei, die womöglich üblen Folgen seiner Handlung durch ebendiese Handlung verursacht zu sehen, sondern die Welt, Gott oder die Dummheit der Menschen dafür verantwortlich mache – oder eine Kampagne der Bild-Zeitung, möchte ich noch ergänzen.

Weber kommt zu dem Schluss:

„‚Verantwortlich‘ fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung (…) nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen. (…) Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung ‚guter‘ Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenfolgen mit in den Kauf nimmt, und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenfolgen ‚heiligt‘.“

Die Grünen halten sich für einzigartig moralische Menschen

Ich glaube, dem muss man nichts mehr hinzufügen, außer einem Aspekt, und das betrifft das Thema Hochmut. Die Grünen halten sich für einzigartig moralische Menschen. Was diesen Aspekt angeht, wurden sie nun durch ihre Amigo-Affäre, also schlicht und ergreifend von der Realität, eines Besseren belehrt. Ranghohe Grünenpolitiker haben nun eindeutig bewiesen, dass auch die Grünen keine Engel sind, die selbstlos und voller Demut nur der Rettung der Welt dienen.

Auch die Grünen, das müsste jetzt selbst deren Anhängern dämmern, sind nur Menschen mit allen menschlichen Eigenschaften. Und das heißt: Sie sind natürlich nicht vor Ehrgeiz, eigennützigem Denken, Vorteilsannahme, Selbstüberschätzung, Anmaßung, Skrupellosigkeit usw. gefeit. Deshalb gibt es in der Demokratie Kontrollmechanismen. Es ist allerdings zu befürchten, dass die Realität nicht dazu in der Lage ist, bis in das Bewusstsein der Grünen vorzudringen.

Der Erfinder des Aphorismus, der französische Adelige François de La Rochefoucauld (er lebte im 17. Jahrhundert) hat in seinen „Maximen“ sehr schön formuliert, was es mit der Demut auf sich hat:

„Demut ist häufig nur geheuchelte Unterwürfigkeit, mit der man andere unterwerfen will, also ein Kunstgriff des Hochmuts, der sich nur erniedrigt, um sich zu erhöhen. Und verwendet der Hochmut auch tausend Masken, niemals ist er besser verkleidet und täuschender als unter der Maske der Demut.“

Zum Schluss noch ein letztes Zitat. Es stammt von Horst Günther, der für die Insel-Taschenbuchausgabe des „Fürsten“ ein Nachwort beigesteuert hat. Er schreibt:

„Der Gesinnungsethiker, der das nicht tut (gemeint ist, für die Folgen seines Tuns einzustehen; UB) und unter Berufung auf gute Absichten und lautere Mittel im Raum der Politik dilettiert und Schaden anrichtet, wie Machiavelli es an Savonarola beobachtete, muss scheitern. Nicht deshalb, weil Macht an sich böse wäre oder ihr Gebrauch erniedrigte, sondern weil ihre Gesetze verkannt werden. Machiavelli vermochte die Übel, die er diagnostizierte, nicht zu beheben, aber er hat Erkenntnisse daraus gewonnen.“

Die von mir verwendeten Übersetzungen von Machiavellis Text waren:

Niccolò Machiavelli: Der Fürst. Mit einem Nachwort von Horst Günther, Insel-Taschenbuchausgabe 1990: Übersetzung aus dem Italienischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski (gibt es immer noch zu kaufen).

Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Reclam-Verlag 1986/2014, übersetzt von Philipp Rippel (ebenfalls immer noch im Buchhandel erhältlich).

Titelbild: penofoto/shutterstock.com

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