Stimmen aus Lateinamerika: Ursula von der Leyens Besuch in der Region war ein Reinfall

Stimmen aus Lateinamerika: Ursula von der Leyens Besuch in der Region war ein Reinfall

Stimmen aus Lateinamerika: Ursula von der Leyens Besuch in der Region war ein Reinfall

Ein Artikel von amerika21

Mit Sätzen wie „Europa ist zurück in Lateinamerika” und „Ein Neuanfang für alte Freunde” besuchte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die Region mit dem klaren Ziel, die festgefahrenen Beziehungen wiederherzustellen, seit Langem geschlossene Abkommen (mit dem Mercosur und Mexiko) zum Abschluss zu bringen und neue Partner in Energiefragen zu finden, insbesondere im Hinblick auf grünen Wasserstoff und Lithium. Im Wesentlichen geht es Brüssel darum, mit China in der Region zu konkurrieren, nachdem Europa abwesend war und der Handel mit dem asiatischen Riesen einen nie dagewesenen Aufschwung genommen hat. Doch der Empfang in den Hauptstädten der Region war meist kühl und distanziert. Von Ociel Alí López.

Während der Reise bot von der Leyen Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro für die gesamte Region an, insbesondere Energieabkommen im Zusammenhang mit grünem Wasserstoff und Lithium: zwei Milliarden Euro für Brasilien, 225 Millionen Euro für Chile und eine mit Argentinien unterzeichnete Absichtserklärung. All dies ist Teil der Global-Gateway-Strategie, die als Konkurrenz zu Chinas Seidenstraßenprojekt verstanden werden könnte.

Die politischen Vereinbarungen scheinen sich jedoch nicht so schnell zu entwickeln.

Stolperstein im Süden

Die Kritik, die Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und der argentinische Präsident Alberto Fernández bei ihren getrennten Treffen mit ihr geäußert haben, kann als Stolperstein für die jüngste Intensivierung der EU-Politik gegenüber Lateinamerika verstanden werden. Diese Einwände wurden durch die unterkühlte Art noch verstärkt, mit der der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador von der Leyen behandelte. Es gab keine gemeinsamen Erklärungen, sondern nur ein diplomatisches Kommuniqué.

Am Montag, nach dem Treffen, sagte Lula:

„Ich habe Brasiliens Besorgnis über das von der Europäischen Union vorgelegte zusätzliche Instrument des Abkommens zum Ausdruck gebracht, das die Verpflichtungen Brasiliens erweitert und im Falle der Nichteinhaltung Sanktionen vorsieht. Die Prämisse, die zwischen strategischen Partnern bestehen sollte, ist die des gegenseitigen Vertrauens, nicht des Misstrauens und der Sanktionen.”

Am Dienstag war in Buenos Aires der argentinische Präsident an der Reihe, der die Ausgestaltung des Handelsabkommens mit der EU kritisierte: „Wir wollen auf jeden Fall ein Abkommen mit der Europäischen Union, aber eines, das ein Gleichgewicht zwischen den Volkswirtschaften der Regionen herstellt und das die Asymmetrien berücksichtigt. Denn sonst könnte es zu dem kommen, was wir uns anfangs gedacht haben: dass es ein Abkommen werden soll, das ganz klar der EU nützt und dem Mercosur nicht so sehr nützt, um nicht zu sagen schadet.”

Die Funktionärin strebt den Abschluss von Handelsabkommen nicht nur mit dem Mercosur, sondern auch mit Mexiko an. Jahrelange Verhandlungen sind zuletzt und immer wieder ins Stocken geraten. Beide sollen noch in diesem Jahr unterzeichnet werden.

Der Mittwoch war der angenehmste Tag der Reise, da der chilenische Präsident Gabriel Boric weit davon entfernt war, sich mit seinem Gast unwohl zu fühlen, und inmitten konkreter Vereinbarungen mit Chiles grüner Wasserstoff- und der Lithiumindustrie sich viel angepasster an europäische Werte und westliche Positionen zur aktuellen geopolitischen Lage zeigte.

Im Gegenzug erhielt Boric von der europäischen Kommissionspräsidentin den Ritterschlag für sein Lithium-Entwicklungsprojekt, das von der Opposition in Chile aufgrund der zentralen Rolle des Staates stark kritisiert wird.

In Mexiko schließlich, einem Land, das in letzter Minute und auf Druck des Europäischen Parlaments in die Tour aufgenommen wurde, gaben López Obrador und von der Leyen ein gemeinsames Kommuniqué heraus, allerdings ohne die üblichen Fotos oder Pressetermine. Nichtsdestotrotz sagten beide, dass sie das Handelsabkommen unterzeichnen wollen, über das seit 2016 diskutiert wird, sich aber aus verschiedenen Gründen verzögert hat.

Die Beziehungen wieder aufnehmen

Das letzte Jahrzehnt war gekennzeichnet durch einen Boom chinesischer Investitionen in Lateinamerika und eine Verschlechterung der Beziehungen zu den USA und Europa.

Parallel dazu verschärften die EU und die USA die Spannungen mit der Region, indem sie Sanktionen gegen Venezuela verhängten und Brasilien aufgrund der Umweltdebatte mit dem früheren Präsidenten Jair Bolsonaro 2019 Finanzmittel strichen.

Heute stellt die Linke die Mehrheit der Regierungen in der Region, und vielleicht ist deshalb ihre Abkopplung von den Vorgaben so spürbar, die in der gegenwärtigen geopolitischen Situation von Washington ausgehen und denen im Grunde nur Europa vollständig gefolgt ist – auf Kosten seines eigenen Wohlergehens.

Trotz der neuen Rahmenbedingungen ist von der Leyen der Ansicht, dass die Voraussetzungen für Fortschritte in den Beziehungen zu Lateinamerika gegeben sind. Und sie will die Freihandelsabkommen mit dem Mercosur (nach zwanzig Jahren Wartezeit) und Mexiko (nach sieben Jahren) in diesem Jahr zügig abschließen. Beides sind strategische Vorhaben, die allerdings angesichts des rasanten Tempos der Handelsbeziehungen mit China etwas spät kommen.

Es ist wahrscheinlich, dass Europa zu spät kommt, um tiefere Beziehungen zu Lateinamerika knüpfen.

Auch wenn die angebotenen Investitionen im Energiesektor die Regionen einander näher bringen mögen, könnten die politischen Unstimmigkeiten sie weiter auseinandertreiben. Und das ist es, was sich am Unbehagen einiger der Präsidenten, die als Gastgeber fungierten, herauskristallisiert hat.

Europa und der „Vorschlaghammer”

Von den Funktionären der EU, die nach Lateinamerika kommen, um den ziemlich blockierten politischen Fluss wieder in Gang zu bringen, kann man eine Menge „Linkshändigkeit” erwarten, um sich mit der progressiven Führerschaft zu verstehen, die nicht nur auf dem Vormarsch ist, sondern mit China – Europas Konkurrenz – bereits einen ökonomischen Rückhalt in China hat.

Der Versuch, ein Handelsabkommen mit dem Mercosur zustande zu bringen und ein für alle Mal zu besiegeln, sollte eine Brücke zu der Region werden. Nach dem Treffen in Brasília und Buenos Aires hat sich jedoch gezeigt, dass der Versuch, den Abschluss des Abkommens zu beschleunigen, zu einem neuen Konflikt führt. Es geht um die von der EU gestellten Anforderungen, die für die südamerikanischen Länder schwer zu erfüllen sind und zu Sanktionen seitens der EU, insbesondere im Umweltbereich, führen könnten.

Es liegt ein Geruch von „Unilateralismus” über den europäischen Bedingungen, was als eine Fehlinterpretation Brüssels der geopolitischen Veränderungen und ihrer Auswirkungen auf Lateinamerika interpretiert werden könnte.

Der Subkontinent erlebt derzeit einen Zyklus linker Regierungen, seine größten Volkswirtschaften spielen ihre Karten bereits auf anderen Brettern aus (vor allem in den Brics, in denen Brasilien ein Protagonist ist, aber andere Länder auch den Beitritt anstreben), und die Handelsströme mit China haben die Bedeutung, die die Beziehungen zu Europa in früheren Zeiten hatten, minimiert.

Aus Europa zu kommen, um in der derzeitigen Situation Bedingungen zu stellen, scheint kein besonders geeigneter Weg zu sein, um die Beziehungen neu zu beleben.

Die brasilianische Regierung selbst hatte schon deutlich gemacht, dass sie unter den derzeitigen Umständen das Abkommen mit der EU nicht unterzeichnen wird. Nach dem Treffen in Brasília scheint es so, dass dieser Prozess viel langsamer verläuft, als Europa es braucht, wenn es anfangen will, mit China in Lateinamerika zu konkurrieren. In Mexiko geschieht etwas Ähnliches.

Was als Nächstes kommt

In der zweiten Jahreshälfte 2023 wird Spanien, das Land mit der größten Nähe zu Lateinamerika, die rotierende Präsidentschaft des Europäischen Rates übernehmen. Und Mitte Juli tagt der EU-Celac-Gipfel in Brüssel, der seit 2015 nicht mehr stattgefunden hat und den von der Leyen auf ihrer Reise offensichtlich vorbereiten wollte.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission war auch gekommen, um die Anwesenheit der Präsidenten der größten lateinamerikanischen Volkswirtschaften, Brasiliens und Mexikos, auf dem bevorstehenden Gipfel in Brüssel zu sichern. Beide waren beim letzten Iberoamerika-Gipfel in Santo Domingo (Dominikanische Republik) im März dieses Jahres nicht anwesend. Dies ließ den Verdacht aufkommen, dass sie wenig Interesse daran haben, die Beziehungen zu Europa zu priorisieren.

Vor diesem Hintergrund werden wir bis zum kommenden EU-Celac-Gipfel warten müssen, um zu sehen, ob von der Leyens Reise das Ziel erreicht hat, die Beziehungen zwischen den beiden Regionen wiederzubeleben, oder ob sie nicht zu neuen Unstimmigkeiten geführt hat.

Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21

Titelbild: Ursula von der Leyen in Brasilien – fotospublicas.com

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