Armer Erhard Eppler oder wie ein ehemals ehrenwerter Moralist sich zum „nützlichen Instrument“ des neoliberalen Netzwerks machen lässt.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die herrschenden Meinungsmacher sind gute Strategen. Sie haben erkannt, dass sie Zeugen mit linkem Image brauchen, um ihre Meinung auch ins linke und linksliberale Lager zu tragen: Z.B.: Der sozialdemokratische „Versicherungsvertreter“ Rürup erklärt bei einer Konferenz von Verdi am 25.4.06, warum Privatvorsorge nötig ist; die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bedient sich der Roten und der Grünen, Clement und Mosdorf, Metzger und Scheel als Botschafter ihrer Agitation; der als links geltende Erhard Eppler warb für die Bomben im Kosovo-Krieg wie für die Agenda 2010, für die Hartz-Gesetze und für Gerhard Schröder. Jetzt lässt er sich in der Süddeutschen Zeitung vom 19.6. gegen mein Buch „Machtwahn“ in Stellung bringen. Leider mit vielen Unterstellungen und wenig Belegen, und noch weniger Bezug auf den Inhalt des Buches.

Den Text der Rezension finden Sie bei “Machtwahn – Besprechungen”. Und hier mein Kommentar:

  1. Ich beginne mit einer Anmerkung, die als Hinweis, wenn auch nicht in der Wertung von Eppler, richtig ist: Eppler weist am Ende seines Textes darauf hin, dass man mit einer offenen Beschreibung der heute gängigen Korruption und der Mittelmäßigkeit unserer Eliten jenen in die Hände spielen könnte, die prinzipiell gegen die Demokratie angehen, er meint die Rechte. Diese Sorge teile ich, wenn auch nicht Epplers Wertung, dies sei unverzeihlich. Sollen wir z.B. einfach schweigend über Kohls Zerstörung eines vernünftigen und einigermaßen intakten Öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die daraufhin folgenden Zahlungen des von der Kommerzialisierung begünstigten Leo Kirch an Kohl und andere Unions- und FDP-Politiker hinweg gehen? Sollen wir die mutwillige und von großen Interessen gesteuerte Zerstörung unserer einigermaßen solidarischen Altersvorsorge einfach hinnehmen? Sollen wir deshalb verschweigen, welche Wissenschaftler, welche Publizisten und Politiker an diesem Zerstörungsakt verdienen? Sollen wir die so genannte Privatisierung kommunaler Einrichtungen schweigend hinnehmen, auch wenn offensichtlich ist, dass die Privatisierung vor allem jenen dient, die am Privatisierungsvorgang verdienen wollen? Eppler macht es sich sehr leicht, wenn er die Beschreibung solcher Vorgänge „schlimm und unverzeihlich“ nennt. Demokratie lebt von der Kritik und wer Kritisierenswertes zukleistert, verkauft das Volk für dumm und schürt Resignation oder arbeitet den Gegnern der Demokratie in die Hände.

    Ansonsten kann ich mich über Epplers Text nur wundern und ihn allen Lesern von „Machtwahn“ zur Lektüre empfehlen, weil man daran gut erkennen kann, mit welchen Tricks heute der Aufklärung und Kritik an der herrschenden Lehre zu entgegnen versucht wird. – Außerdem ist Eppler ein Musterbeispiel jener Zeitgenossen, die wenig Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen und zugleich ein umso festeres Urteil dazu haben.

  2. In der Rezension wird mehrmals behauptet, ich hätte Politiker beschimpft. Eppler verzichtet darauf, dies mit Zitaten zu belegen. Er weiß sicherlich warum, denn er hätte sich vor seinen Lesern mit jeder Verteidigung der in meinem Buch beschriebenen Handlungsweisen einzelner Personen lächerlich gemacht. Überhaupt ist sein Text voller Behauptungen und Bewertungen ohne Fakten und Belege, über weite Strecken ohne Bezug zum Buch und zum Autor. Er will offenbar gar nicht die Leser meines Buches ansprechen, sondern er macht nur Stimmung gegen das Buch. Amüsant auch sein Versuch, mich dadurch zu diffamieren, dass er über Lafontaines Mitarbeit bei der Bild-Zeitung und dessen hohes Honorar berichtet. Was habe ich damit, was hat das mit meinem Buch zu tun? Klar, hier sollen diffamierende Assoziationen geweckt werden. Das ist alles.
  3. Wie schon bei der Rezension der „Reformlüge“ wird mir unterstellt, ich wolle zurück zu den siebziger Jahren oder noch weiter zurück. Das ist immer das Gleiche. Eppler, Metzger, Schirrmacher, Birg und viele andere haben die siebziger Jahre zu ihrem Feind erklärt. Weiß der Himmel warum. Weil damals die Arbeitnehmereinkommen kräftig stiegen? Weil damals in den Zeiten von Willy Brandt die Hegemonie der Rechten und Konservativen wenigstens ein bisschen gebrochen war und weil es damals einige wenige Reformen gab, die diesen Namen wirklich verdienten: Verbesserungen zu Gunsten der Mehrheit und der Schwächeren? – Wenn nun jemand wie ich darauf hinweist, dass man aus der damaligen Erfahrung mit einer offensiven Makropolitik zur Stärkung der Binnennachfrage etwas lernen kann, dann wird einem unterstellt, man empfehle dies als „Allheilmittel“. Eppler hat das Buch offenbar nur ganz flüchtig gelesen, sonst wüsste er, dass ich neben einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik vieles andere empfehle. Außerdem hat er das Pech, dass meine kritischen Anmerkungen zum ökonomischen Unsinn der Mehrwertsteuererhöhung von 3% und zur Geldpolitik unserer Zentralbanken hochaktuell sind und auch von Vertretern der am Binnenmarkt interessierten Wirtschaft als richtig angesehen werden.
  4. Eppler – immer schon ein guter Rhetoriker – bedient sich, weil ihm die Fakten fehlen, auch billiger Tricks. Zum Beispiel kann man in seinem Text folgendes lesen: < > – Diesen in Anführung gesetzten, mir unterstellten Satz werden Sie nirgendwo in meinem Buch finden, nicht einmal dem Sinne nach.
  5. Weil sich Erhard Eppler Zeit seines Lebens an Helmut Schmidt abarbeitet, unterstellt er mir Versäumnisse, die weder etwas mit dem Buch zu tun haben noch dass es sie überhaupt gegeben hat. Er jammert darüber, auf die erste Ölpreisexplosion sei – unter Beteiligung der von mir geleiteten Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes – lediglich mit kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen reagiert worden, und ich hielte das für die letzte richtige wirtschaftspolitische Entscheidung. Erhard Eppler müsste es besser wissen: Damals wurde noch von der Regierung Brandt unter Beteiligung der Planungsabteilung ein Energiesparprogramm erarbeitet. Und wesentlich von der Energiekrise angetrieben ist es dem Kanzleramt gelungen, den Bundeswirtschaftsminister bei der Formulierung seines Energieprogramms endlich dazu zu bringen, die Energieverbrauchsprognose aus der direkten Korrelation mit dem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes zu lösen – mit der Folge, dass auch das Ausbauprogramm für neue Kernkraftwerke zusammengestrichen werden konnte. Aber das sind alles Fakten, die das immer wiedergekaute Feindbild eines Erhard Eppler stören.
  6. Eppler unterstellt auch bei dieser Rezension wie in seinen sonstigen neueren Schriften, der nationale Staat habe fast keinen eigenen Gestaltungsspielraum mehr. Die Nationalstaaten seien erpressbar geworden. Das ist erstens nichts Neues, die Erpressbarkeit ist gewachsen, aber kein neues Phänomen, Zweitens: müsste das für die Schweden und eine Reihe anderer Länder auch gelten. Deren Wirtschaftspolitik ist gleichwohl von viel mehr Rationalität geprägt und unterscheidet sich deutlich von der Deutschen. Epplers wiederholte Behauptungen sind lähmende Finten fürs Nichtstun. So hat er schon Gerhard Schröder verteidigt und so hat er den Kurswechsel der SPD unterstützt. Eppler ließ sich auf jedem Parteitag von der SPD-Führung einspannen, wenn es darum ging, Kritik abzuwürgen. – Sowohl in der „Reformlüge“ als auch in „Machtwahn“ bin ich ausführlich auf das Thema Handlungsfähigkeit eingegangen. Den Text zu Denkfehler Nr. 16 „Wir sind national nicht mehr handlungsfähig.” finden Sie in der Rubrik Veröffentlichungen der Herausgeber“.
  7. Wie auch einige andere Rezensenten unterstellt mir Eppler, ich sei ein lupenreiner Keynesianer. Dieser Vorwurf ist in mehrerer Hinsicht erstaunlich: Wer wie ich meint, dass es in der jetzigen Situation unserer Volkswirtschaft zu aller erst darauf ankomme, die Binnennachfrage zu stärken und alles zu unterlassen, was das kleine Pflänzchen Aufschwung beschädigen könnte, ist noch lange kein Keynesianer (obwohl auch das ehrenwerte Leute sind, die man vor der unbedarften Beschimpfung durch Autoren wie Eppler schützen müsste). Im Buch „Machtwahn“ finden Sie außerdem eine Fülle anderer Vorschläge, die mit Keynesianismus wenig zu tun haben. – Übrigens wenn ich noch eines guten Beispiels und Beleges für meine Feststellung bedurft hätte, dass wir in Analyse und Therapie unter einer „Regression“ leiden, der stets wiederholte Vorwurf, ein Keynesianer zu sein oder nur auf keynesianische Instrumente zu setzen, zeugt von einem gehörigen Maß an Einfalt.
  8. Es darf die Unterstellung nicht fehlen, ich plädierte dafür, mehr Schulden zu machen. Eppler hat offenbar nie begriffen, was in Denkfehler 31 der „Reformlüge“ beschrieben ist: dass die Absicht, zu sparen und Schulden abzubauen – anders als im privaten Haushalt – in einer Volkswirtschaft den Sparerfolg gerade zunichte machen kann, wenn man in eine Krise hinein spart, wie das in den letzten Jahrzehnten geschehen ist. Eppler nimmt nicht einmal wahr, dass die meisten Länder, die Schulden abgebaut haben, dies nur deshalb geschafft haben, weil sie die Konjunktur in Trab gebracht haben. Das gilt für Schweden, das gilt sogar für Großbritannien in den neunziger Jahren, das gilt für die USA unter Clinton. In der Amtszeit unseres Finanzministers Hans Eichel, dem ich den Sparwillen nicht abspreche, sind die Schulden des Gesamtstaates Deutschland – nach einem kleinen Zwischenerfolg parallel zum kleinen Aufschwung von 1997 bis 2000 – gewaltig gewachsen.
  9. Im vermeintlich konstruktiven Teile seiner Rezension schreibt Eppler: „Was dieses Land braucht, ist ein politischer Diskurs, der die behäbige Hegemonie marktradikaler Ideologen ablöst.“ Als ich das las, war ich ratlos. Was mache ich denn anderes? Was wirft er mir denn hier vor? Er hätte wenigstens schreiben können, Müllers Buch sei ein Anstoß zu diesem von ihm verlangten Diskurs. Nicht einmal das. Im weiteren Verlauf des Textes habe ich dann aufmerksam gesucht, was auf diese großartige Ankündigung Epplers folgt. Nichts.
  10. Wichtige Teile meines Buches streift Eppler nicht einmal: Kein Wort zu den von mir beschriebenen Folgen der neoliberalen Ideologie für die psychische Verfassung in unserem Lande, für das Auseinanderdriften der Gesellschaft, kein Wort zu der beschriebenen Interessenverflechtung zwischen Versicherungswirtschaft und Wissenschaft, kein Wort zu den Netzwerken, kein Wort zu den von mir beschriebenen Fällen offensichtlicher Manipulation – für Eppler existiert das alles offenbar gar nicht. Der „Altlinke“ Erhard Eppler macht sich mit dieser Ignoranz zum Teil dieses Netzwerkes. Manche haben es nur noch nicht gemerkt. Vielleicht nicht einmal er selbst, sonst würde er sich nicht als nützliches Instrument zur Verkleisterung und zur Verteidigung dessen hergeben, was in diesem Land schief läuft.