IGMetall greift in den Wahlkampf ein – mit einem Lob für die Agenda 2010 und „die gute wirtschaftliche Verfassung des Landes“

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Ein Leser der NachDenkSeiten machte uns auf die Augustausgabe der zentralen Publikation der IG-Metall aufmerksam. „Ein sensationeller Gastkommentar von Herrn Alfons Frese befindet sich in der aktuellen ‚metallzeitung’ auf den Seiten 14 und 15 [PDF – 5 MB].“ Sensationell ist in der Tat einiges an diesem Text des stellvertretenden Ressortleiters Wirtschaft beim Berliner Tagesspiegel. Von Albrecht Müller

Zunächst noch eine Information zum Medium und zur Einbettung des Gastkommentars:
Die metallzeitung ist die zentrale Publikation der IG-Metall; sie wird jedem Mitglied monatlich direkt nach Hause geschickt. Ihre Auflage liegt bei knapp 2,3 Millionen. Herausgeber sind der Vorsitzende Berthold Huber, sein Stellvertreter Detlef Wetzel und Bertin Eichler.
Die Augustausgabe dürfte die vorletzte Ausgabe vor der Bundestagswahl vom 22. September sein. Der Gastkommentar wird im Inhaltsverzeichnis auf Seite 2 angekündigt. Dort wird zugleich festgestellt, dass die IG-Metall „als Einheitsgewerkschaft … keine Wahlempfehlung“ abgebe.

Nun zur Sache:
Kurz nach Gründung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft am 12. Oktober 2000 durch die Metall- und Elektro-Arbeitgeber kam mir die Idee zur Gründung einer kritischen Internetseite. Sie sollte eine Stütze beim Aufbau einer Gegenöffentlichkeit zur mit 100 Millionen DM gerade begonnenen Propaganda der Metallarbeitgeber werden. Damals habe ich versucht, die IG-Metall und auch den DGB als Partner des Projektes zu gewinnen. Das schien mir logisch zu sein. Ich betrachtete die Gewerkschaften als natürlichen Partner beim Versuch, über wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuklären und die Propaganda der Gegenseite aufzudecken.
Aus der Partnerschaft wurde nichts. Das Projekt, die NachDenkSeiten, ging dann dank der Bereitschaft Wolfgang Liebs zur gemeinsamen Herausgeberschaft 2003 ohne Unterstützung einer großen Organisation an den Start.
Trotz einer gewissen Enttäuschung halte ich die IG-Metall, die anderen Einzel-Gewerkschaften und den DGB nach wie vor für wichtig. Sie müssten aufklären, sie müssten die neoliberale Ideologie bekämpfen und sie müssten alles tun, um den im letzten Jahrzehnt mit Leiharbeit und Minijobs ausgeweiteten Niedriglohnsektor auszutrocknen.
Sie müssten beispielsweise darüber aufklären, dass die Agenda 2010 nicht nur erfunden worden ist, um Sozialmissbrauch zu bekämpfen und die Arbeitsverwaltung neu zu ordnen. Die Agenda 2010 mit Hartz etc. hatte die zentrale Funktion, mit Niedriglöhnen und einer De-facto-Zerstörung der Arbeitslosenversicherung die Löhne insgesamt zu drücken. Die Agenda 2010 hat nachweisbar die Marktmacht der Gewerkschaften geschwächt.
Die Gewerkschaften wären deshalb der natürliche Gegner der Agenda 2010 und müssten für eine fundamentale Korrektur streiten, gerade auch jetzt vor den Wahlen.

Auf diesem Hintergrund einige Anmerkungen zu den Hauptbotschaften des zentralen Gastkommentars in der metallzeitung:

  1. Kommentator Alfons Frese gibt vor, nicht für Angela Merkel zu werben sondern für Steinbrück. Tatsächlich lenkt er Wasser auf die Mühlen der Hauptbotschaften der Bundeskanzlerin und CDU Vorsitzenden. „Den meisten von uns“ gehe es gut. Unser Land befinde sich in einer guten wirtschaftlichen Verfassung. Es sei allerdings schwer zu klären, ob es einen Zusammenhang zwischen acht Jahren Regierung Merkel und dieser guten wirtschaftlichen Verfassung unseres Landes gäbe. – Der Kommentator legt quasi nahe, diesen Zusammenhang zu sehen. Dazu beschönigt er die wirtschaftliche Lage, er übersieht die vielen Arbeitslosen, er übersieht die vielen prekären Arbeitsverhältnisse, er übersieht auch den zunehmenden Stress, dem gerade viele Metaller in den Betrieben ausgesetzt sind.
  2. Diese Missachtung der Lage vieler arbeitenden Menschen kommt auch in der Überschrift des Artikels zum Ausdruck. „Schluss mit Siesta“ heißt es dort. Will die IG-Metall den Eindruck vermitteln, es gehe uns rund um zu gut? Mag ja sein, dass sich der Berliner Wirtschaftsjournalist und sein Milieu wie im Zustand der Siesta fühlen. Für meinen Nachbarn, der bei Daimler am Band schafft, und seine Kolleginnen und Kollegen gilt das nicht. Der falsche Zungenschlag des Kommentartors dient de facto der Vorbereitung einer Agenda 2020 mit weiteren sozialen Einschnitten und fortgesetztem Druck auf die Löhne. Das gilt unbeschadet der Tatsache, dass der Autor im weiteren Verlauf seines Kommentars auch vernünftige Vorschläge unterstützt. Er verlangt einen starken Staat, höhere Steuern auf Einkommen und Vermögen zu Gunsten von Investitionen und er verlangt immerhin auch höhere Löhne, nicht zuletzt für Krankenschwestern und Erzieher. Aber diese vernünftigen Einlassungen des Gastkommentators werden erschlagen von dem sonstigen Wahnsinn im Text.
  3. Kommentator Frese unterstützt die Hauptlinie der neoliberalen Ideologie: „Globalisierung und Demografie“ hätten „Auswirkungen“ auf „Arbeitsmarkt und Sozialsysteme“ verlangt, die Kanzler Kohl nicht erkannt hätte, dafür dann Schröder mit der Agenda 2010. Hier wird also im Zentralorgan der IG-Metall der zentrale Stuss unterstützt,
    • wonach die demographische Entwicklung den Umbau der Altersvorsorge verlangt habe – mit Verringerung der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente und dem Aufbau einer Privatvorsorge über Riester-Rente, Entgeltumwandlung und Metallrente zum Beispiel. Heute wissen selbst Befürworter dieser Art von Privatisierung, dass dies ein Irrweg ist, der wesentlich zur drohenden Altersarmut beiträgt.
    • Der Kommentator unterstützt mit diesen Einlassungen auch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt: Hartz IV, Ausbau der Leiharbeit, die Überantwortung der Arbeitsverwaltung an Wirtschaftsinteressen, die damit verbundene Schwächung des Arbeitnehmer- und Gewerkschaftseinflusses auf diese für Arbeiter und Angestellte wichtigen Institutionen. Dort herrscht jetzt der Geist der Arbeitgeber und der Unternehmensberater.
  4. Der Kommentator der metallzeitung hat offensichtlich wenig Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen: “Doch inzwischen kühlt die chinesische Wirtschaft ab und die Rezession in Südeuropa belastet zunehmend deutsche Exportfirmen,” schreibt er. – Der frühere IG Metaller, dem ich den Hinweis auf den Kommentar verdanke, schreibt dazu: „Bestehen zwischen der so wunderbaren Agenda 2010, der exportorientierten deutschen Wirtschaft und dieser für deutsche Exportfirmen so bösen Rezession in Südeuropa möglicherweise irgendwelche Zusammenhänge??“
  5. Kommentator Frese schürt die Angst vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und bläst damit in das gleiche Horn wie Angela Merkel. Er warnt vor steigenden Energiepreisen. Wörtlich:

    “Während die USA mithilfe sinkender Energiepreise (infolge des Frackings) eine Reindustrialisierung erleben, gefährden wir die Basis unseres Wohlstands: die Industrie.”

    Verstehe ich das richtig? Diplom-Politologe Frese als Freund des Frackings? Hauptsache sinkende Energiepreise!

  6. Der Kommentator der Metallzeitung plädiert dafür, wählen zu gehen und wirbt für Peer Steinbrück. Das ist sein gutes Recht. Aber er sollte uns dazu nicht hinters Licht führen wollen. Das versucht er, indem er gravierende Unterschiede zwischen Steinbrück und Merkel konstruiert. So beklagt er bei Merkel mit Recht, dass sie mit hunderten von Milliarden Euro Banken rettete. Hat der Mann vergessen, dass Merkel diese enorme Belastung für uns zusammen mit Peer Steinbrück arrangiert hat? Die Rettung der IKB, die Rettung der HRE, der Bankenrettungsschirm – soll das ohne und im Widerstreit zum damaligen Finanzminister Steinbrück in Szene gesetzt worden sein? – Der Mann hält uns für blöd. – Er vertraut darauf, dass Steinbrück einen starken Staat will und die Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen erhöhen will. Da muss man ja wohl fragen dürfen: Sind die Schuldenbremse und die Sparpropaganda und damit die Schwächung der staatlichen Leistungsfähigkeit an Peer Steinbrück vorbei und gegen seinen Widerstand betrieben worden? Glaub der Autor, Peer Steinbrück werde das im Kommenar vorgeschlagene öffentliche Investitionsprogramm durchsetzen? Peer Steinbrück hat noch 2008 unmittelbar vor dem Beschluss der beiden Konjunkturpakete gegen solche Programme polemisiert. Will Autor Frese die IGMetaller „verarschen“? – so muss man in der Sprache des Ruhrkumpels im Stahlwerk fragen.

Wenn die IG-Metall bei einem Quasi-Aufruf zur Bundestagswahl die Interessen ihrer Mitglieder vertreten wollte, dann müsste sie für die Unterstützung jener Kandidatinnen und Kandidaten bei SPD, bei den Grünen und vor allem bei der Linkspartei werben, die gegen die neoliberale Ausrichtung auch von SPD und Grünen antreten. Warum tut die IG-Metall dies nicht? Warum nutzt sie ihr Zentralorgan nicht, um jene Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, die Widerstand leisten gegen Agenda 2010 und Agenda 2020. Die Propaganda für die Fortsetzung der so genannten Reformen, die Propaganda mit der zentralen Behauptung, den meisten von uns ginge es gut und wir verdankten dies den Reformen, wird von den finanziell und publizistisch Mächtigen uach im vorfeld der Wahl vom 22.9.2013 massiv betrieben. In dieser Situation wäre es ein notwendiger Akt der Aufklärung, wenn eine große Gewerkschaft wie die IG-Metall dagegen aufstünde, statt im großen Brei der arbeitnehmerfeindlichen Sülze mit zu schwimmen.

Anlage:

Was der Autor Frese sonst so schreibt:

Zum Beispiel polemisiert er gegen die Rekomunalisierung des Stromnetzes in Berlin:

15.07.2013 12:25 Uhr
Konzession für das Berliner Stromnetz wird neu vergeben
Quelle: Tagesspiegel

13.07.2013 11:22 Uhr
Rückkauf der Energieversorgung in Berlin: Wirtschaftssenatorin Yzer will kein Stromnetz
Berlins Wirtschaftssenatorin warnt vor „teuren Experimenten“ und will weder das Netz von Vattenfall noch ein eigenes Stadtwerk. Am 3. November… Von Alfons Frese
Quelle: Tagesspiegel

12.07.2013 17:22 Uhr
Berliner Energietisch
Wirtschaftssenatorin warnt vor Kauf des Stromnetzes

Cornelia Yzer warnt vor Rückkauf des Stromnetzes. Nach dem Erfolg des Berliner Energietisches werden die Bürger am 3. November 2013 darüber…
Von Alfons Frese
Quelle: Tagesspiegel

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