Wie Phönix aus der Asche

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10 Milliarden für die IKB, 50 Milliarden für die HRE, die Milliarden für die Landesbanken nicht zu vergessen, 18 Milliarden für die Commerzbank, einen rund 500 Milliarden umfassenden Banken-Rettungsschirm, 100 Milliarden Bürgschaften für den „Deutschlandfonds“, angeblich 30 Milliarden für das schon vergessene Konjunkturpaket I und 50 Milliarden für ein Konjunkturpaket II. Letzteres ein Sammelsurium aus (für den Einzelnen minimalen) Steuer- und Abgabenentlastungen, Zuschüssen für den Kauf selbst von neuen Spritfressern, einmalige Zuschüsse für Familien mit Kindern und ein viel zu kleines Investitionsprogramm.
Eine Regierung, die bis vor kurzem Haushaltskonsolidierung und einen ausgeglichenen Haushalt wie eine Heiligenstatue vor sich hertrug, lädt dem Haushalt innerhalb weniger Wochen mehr Schulden und Bürgschafts- und Kreditrisiken auf als über die 18 Jahre einer falschen Finanzierung der Einheit – und dafür wurde immerhin noch der Solidaritätszuschlag abverlangt. Jetzt werden die Einkommenssteuern auch noch für die, die es nicht nötig haben, gesenkt, also Steuersenkungen für alle auf Pump. Wozu das alles? Wolfgang Lieb

„Um der weltweiten Krise entgegenzuwirken“, sagte die Kanzlerin in der ZDF-Sendung „Was nun?“. „Arbeit für die Menschen ist das, was uns leitet“ tremoliert Angela Merkel – wie bei nahezu jeder Entscheidung der Regierung. Urplötzlich hätten wir eine „völlig geänderte Ausgangslage“, die weder „Deutschland oder Europa hervorgerufen“ hätten. Wir hätten „Exzesse der Marktwirtschaft“ erlebt, die mit unserer sozialen Marktwirtschaft nichts, aber rein gar nichts zu tun hätten.

Dieses Abwiegeln ist nichts anderes als der alte billige Trick von Taschendieben, nämlich der Ruf „Haltet den Dieb!“ Und die Meute rennt tatsächlich hinterher. Wir sind unschuldig, die anderen sind schuld, so wird mit dem Zeigefinger auf die anderen gezeigt, und verleugnet dabei, dass drei Finger auf die Mitverantwortlichen zeigen. Schuld seien diejenigen, die die Grundsätze der „schwäbischen Hausfrau“ zuvor nicht eingehalten hätten, sagt Merkel, und erklärt das „Anschreiben lassen“ plötzlich zur schwäbischen Hausfrauentugend.

Die deutschen Banken sind an der Finanzkrise nicht mitschuldig, die Wirtschafts-„Experten“ nicht, die Medien nicht und die deutsche Politik schon gar nicht. Angela Merkel spielt die „Jeanne d`Arc“ gegen den von draußen eingedrungenen bösen Feind. Die Bundesregierung stellt sich in die Pose der Retterin in der Not, die schon immer alles richtig gemacht hat.

Doch diese Pose ist bestenfalls eine Posse. Diese wird der Bevölkerung derzeit vorgespielt und es hat den Anschein, dass eine Mehrheit der Menschen darauf hereinfällt. Schon bei der Hessen-Wahl werden wir das erleben.

Roland Koch wird nach aller Voraussicht wiedergewählt werden und gar noch mit den radikalsten Deregulierern, der FDP, munter weiterregieren und weitermachen wie bisher. Koch gibt im Wahlkampf den Helden für „wirtschaftliche Stabilität“ ab. Kaum jemand erinnert ihn noch daran, dass er sich bis vor wenigen Monaten noch als der wirtschaftspolitische Hardliner sogar innerhalb der Union in Szene setzte. Ihm konnte gar nicht genug dereguliert, privatisiert oder entstaatlicht werden konnte. Er spielte den obersten politischen Lobbyisten für seinen Frankfurter Bankenplatz und für die „Entfesselung“ der Finanzmärkte. Er hätte noch vor ganz kurzer Zeit noch jeden als verkappten SED-Funktionär beschimpft, der über die Verstaatlichung der Commerzbank auch nur nachgedacht hätte.

Alles was war, ist nicht mehr wahr. Wie Phönix aus der Asche steigt der neue Koch als Sonnengott empor.

Man könnte meinen, die Hessen, ja unsere gesamte Bevölkerung litte unter einem kollektiven Gedächtnisverlust. Kaum einer erinnert sich an die früheren Parolen und vor allem an die Taten zur Liberalisierung des Finanzmarktes. Kaum jemand denkt noch daran, wie lächerlich die Sparpolitik der Agenda 2010 oder der Hartz-Reformen gegenüber den Finanzlasten zur angeblichen Verhinderung eines Banken-Crashs wirken müssen.

Ist die Aufklärung, ist der Appell an die Vernunft und an den Verstand der Menschen ein gescheiterter Menschheitstraum? Funktioniert Demokratie, die doch auf die Möglichkeit der Abwahl von versagenden Regierungen setzt, nicht mehr?

Wenn man erleben muss, wie die Bundesregierung oder wie Roland Koch und viele andere Wendehälse, die die gegenwärtige Krise mit herbeigeführt oder wenigstens zugelassen, in jedem Falle aber mit zu verantworten haben, sich jetzt aus dieser Verantwortung heraus stehlen und sich sogar noch als Retter in der Not darstellen können, dann könnte man in der Tat an Vernunft und Demokratie zweifeln.

Doch was bleibt den Menschen, wenn sie nicht verzweifeln wollen, anderes als Gefühle der Ohnmacht, der Unsicherheit, der Resignation und bei manchen noch Wut. In Hessen werden am Sonntag noch weniger Wahlberechtigte zur Wahl gehen als zuvor. Das wird allerdings Roland Koch nicht hindern, sich am Wahlabend als den großen Sieger feiern zu lassen.

Was bleibt den Wählern, die noch zur Wahlurne gehen übrig, als sich auf die zu verlassen, die das Sagen haben, zumal in fast jeder Nachricht und in fast jedem Kommentar der Medien gesagt wird, dass das, was sie sagen, richtig ist. Was bleibt ihnen, wo es kaum noch eine Opposition gibt und vor allem, wo jede Alternative oder jeder Hinweis auf das vorausgegangene Versagen geradezu verteufelt wird.

Wir haben auf die Funktions- und Wirkweisen der Meinungsbeeinflussung auf den NachDenkSeiten oft genug hingewiesen. Das Denken der Menschen wird eben von gesellschaftlichen Strukturen geprägt (Bourdieu) und die Netzwerke mächtiger Interessen sind mächtiger als der Verstand und die Erfahrung vieler Einzelnen. Man muss schon froh sein, wenn die an den Rand Gedrängten nicht den braunen Rattenfängern nachlaufen, die die Aggression und den Hass auf ihre Misere auf Minderheiten lenken.

Die Zahl der Köpfe ist leider zu rar, die Gegenöffentlichkeit nicht hörbar genug und diejenigen politischen Kräfte sind (noch) zu schwach, die mehr Menschen aus ihrer Ohnmacht befreien, die ihnen den Missbrauch ihres Vertrauens vor Augen führen könnten, die sie wenigstens wieder daran zweifeln lassen würden, was ihnen täglich sprichwörtlich vorgegaukelt wird.

Es bleibt eigentlich nur der Appell an unsere Leserinnen und Leser, sich weiter ihres Gedächtnisses und ihres kritischen Verstandes zu bedienen und sich nicht auch noch auszuklinken oder in Resignation zu verfallen.

Sie, liebe Leserinnen und Leser können sich jedenfalls zugute halten, dass Sie richtig lagen, als Sie den neoliberalen Versprechungen keinen Glauben schenkten. Sie können sich darin bestätigt fühlen, dass Markt ohne Regeln, in die Katastrophe führt, weil der Markt allein wertblind ist und unregulierter Wettbewerb nur von den Stärksten und Skrupellosesten missbraucht wird.

Gerade weil Sie sich durch die derzeitige Krise in Ihrer Kritik bestätigt fühlen können, weil Sie die bisherigen Rezepte nicht für wirksam hielten, sollten Sie sich auch künftig Ihres eigenen Verstandes bedienen. Und wenn Sie in Hessen leben, sollten Sie nicht die sprichwörtlichen „blinden“ Hessen abgeben, sondern wählen gehen und Ihre Stimme so abgeben, damit wir nicht am Wahlabend einen strahlenden Roland Koch erleben müssen, der durch eine geringe Wahlbeteiligung als der große Gewinner einer „Mehrheit“ vor den Kameras posieren kann.

Das ist das Wenige, was Sie am Wahltag tun können. Aber es wäre immerhin etwas.