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Erosion der Demokratie

Die Paradise Papers sind ein weiteres Beispiel für die Erosion der Demokratie

Jens Berger

Zur Hölle mit den Reichen!“ – so betitelte gestern der bis in die Haarspitzen echauffierte Verleger Jakob Augstein seine wöchentliche Kolumne bei SPIEGEL Online. „Gut gebrüllt, Löwe“, mag man ihm da entgegnen. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Die Paradise Papers sind bei ruhigerer Betrachtung vielmehr ein sehr gutes Beispiel für das, was Rainer Mausfeld in seinem sehenswerten Vortrag beim Pleisweiler Gespräch der NachDenkSeiten als repräsentative Elitendemokratie bezeichnet hat. Auch wenn eine personalisierte Kritik an „den Reichen“ sicher emotional verständlich ist, so führt diese Debatte doch in eine Sackgasse. Bei all der Aufregung sehen wir offenbar den Wald vor lauter Bäumen nicht. Daher sollten wir anfangen, unseren Blick neu zu fokussieren. Von Jens Berger.

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Wie sich die “verwirrte Herde” auf Kurs halten lässt – Rainer Mausfelds Vortrag zu den Pleisweiler Gesprächen als Video

Alternativ ist das Video auch auf Vimeo zu sehen.
Desweiteren finden Sie hier das Transkript des Vortrags auf deutsch und das Transkript des Vortrags ins Englische übertragen.

Der Vortrag ist mit gut zwei Stunden recht lang geraten. Aber er war spannend und Rainer Mausfeld präsentierte viel Material, viele Anregungen, viele Daten, viele Zitate, viele Hinweise auf Literatur – der Vortrag enthält ein Bündel von nützlichen Informationen. Sie können dann, wenn Sie sich für eine der vielen benutzten Abbildungen und Folien besonders interessieren, das Video anhalten, nachlesen und notieren. Albrecht Müller

Pablo Nerudas Fahrer – Annäherungen an Manuel Araya, Teil 1

San Antonio, Chile, im Sommer 2013. Eine Autostunde von Santiago entfernt klebt die achtzigtausend Einwohner zählende Hafenstadt an den steilen Hängen, die sich vom Vorland der Anden in den Pazifik stürzen. Ihr Anblick ist nicht bezaubernd, in Chile kontrastieren die atemberaubenden Naturlandschaften mit der erbärmlichen Stumpfsinnigkeit der Stadtbaukunst. Mit seinem Meer wellblechüberdachter Sperrholzhäuschen wird San Antonio von einer sonderbaren Mischästhetik aus Wildwest und sowjetischem Dorfwesen am arktischen Wendekreis geprägt. Ein Essay von Frederico Füllgraf.

We’re all living in Amerika

Wer immer gedacht hat, soziale Netzwerke seien globale Netzwerke zum freien Meinungsaustausch, dem bewies Twitter gestern das Gegenteil. Der US-Konzern kündigte unter Verweis auf „eine Einmischung in den Wahlkampf“ die Werbekonten der russischen Medienkonzerne Russia Today und Sputnik. Dies kann man wohl unter der Kategorie „vorauseilender Gehorsam“ verbuchen, müssen die Vertreter der großen Internetkonzerne doch in der nächsten Woche vor einem Senatsausschuss zum Thema aussagen. Wie war das noch mit der Meinungsfreiheit, die westliche Medien wie eine Monstranz vor sich hertragen? Meinungsfreiheit gilt im Westen nur dann, wenn man die richtige Meinung hat. RT und Sputnik gehören offenbar nicht dazu. Doch dieses Thema geht uns alle an, da amerikanische Internetkonzerne in nahezu allen Bereichen des Netzes eine monopolartige Stellung haben. Wenn Twitter repräsentativ für die Branche ist, dann muss man spätestens seit gestern wohl folgern, dass das Netz amerikanisch ist. Eine mächtigere Waffe im Kampf um die Köpfe der Menschheit hat es noch nie gegeben. Kein Cäsar, kein Kublai Khan, kein Napoleon, kein Hitler und kein Stalin hatten je die Macht, global die Kommunikation zu kontrollieren. Von Jens Berger.

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Die Spiele mögen beginnen

Jens Berger

Wenn die gestrige konstituierende Sitzung des Bundestags stilgebend für die kommende Legislaturperiode ist, dann dürfen wir wohl vier verlorenen Jahren entgegenblicken. Dann wird es nämlich künftig nur noch darum gehen, jede Personal- und Sachfrage daran zu messen, was dies für die AfD zu bedeuten hat. Denn im neuen Bundestag scheint sich ohnehin alles nur noch um AfD zu drehen. Was im Windschatten passiert, geht in der Hysterie unter. Oder haben Sie gestern kritische Worte darüber gehört, dass ausgerechnet Wolfgang Schäuble nun protokollarisch die zweithöchste Position im Staate innehat und nun qua Amt – welch Ironie – auch die Ordnungsmäßigkeit von Parteispenden zu überwachen hat? Oder hat irgendwer offen Kritik daran geübt, dass die SPD mit dem alten Apparatschik und Agenda-Fan Thomas Oppermann als Bundestagsvize ein fatales Signal an Alle aussendet, die von der Partei eine Neuorientierung fordern? Einig ist man sich aber darin, dass künftig wieder mehr „gestritten“ wird – gerade so, als habe beispielsweise Sahra Wagenknecht die letzten vier Jahre nicht in Bundestag, sondern im Trappistinnen-Kloster verbracht. Absurd. Von Jens Berger.

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„Der nächste Schritt sind vollautomatisierte Roboterdrohnen“

Emran Feroz

Der Einsatz von bewaffneten Drohnen wird in naher Zukunft einen „dystopischen Höhepunkt“ erreichen. Das sagt Emran Feroz, der gerade das Buch „Tod per Knopfdruck – Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte“ im Westend Verlag veröffentlicht hat. Feroz, dessen Eltern vor der sowjetischen Besatzung Afghanistans nach Österreich flüchteten, prangert im Gespräch mit den NachDenkSeiten die Doppelmoral im Zusammenhang mit dem Drohnenkrieg an. Einerseits, so Feroz, der als freier Journalist unter anderem für die New York Times und Die Zeit arbeitet, lege der Westen immer wieder großen Wert auf Rechtsstaatlichkeit, andererseits erlaube man es, dass Drohnen Menschen töten – ohne rechtsstaatliche Verfahren. Das Interview führte Marcus Klöckner.

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Weshalb die Rechten und viele der Linken nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, was in Katalonien geschieht

Einer der Gründe, die in den Kreisen des politisch-medialen Establishments in Spanien zirkulieren, um das Anwachsen der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien zu erklären, ist, dass die Mehrheit der katalanischen Bevölkerung während der meisten Zeit der nationalistischen Regierungen in Katalonien einer beständigen Gehirnwäsche unterzogen worden ist, woraus ihr Wunsch einer Trennung von Spanien resultiert, ein Wunsch, der somit ein Ergebnis einer anti-spanischen Indoktrinierung wäre. Solche Stimmen hat es gegeben, vornehmlich seitens der katalanischen konservativen und/oder neoliberalen Rechten, die einer Wahrnehmung Vorschub geleistet haben, wie sie sich in Slogans à la ‘Spanien raubt uns aus’ manifestiert, und womit sie zu einer solchen Sicht im restlichen Spanien auf die Geschehnisse in Katalonien beigetragen haben. Die Äußerungen im Programm La Sexta Noche [mehrstündige ‘Politshow’ im Fernsehen, jeden Samstag zur besten Sendezeit] des ehemaligen Präsidenten von Castilla-La Mancha, und Verteidigungsministers der PSOE-Regierung (von Präsident Zapatero), José Bono, sind ein klarer Fall dieses vorherrschenden Denkens, das die Vorgänge in Katalonien auf Manipulationen des öffentlichen Mediensystems sowie der Institutionen zur Vermittlung kultureller Werte durch die Regierungsparteien der Generalitat in Katalonien zurückführt. Von Vicenç Navarro. Aus dem Spanischen von Em D. Ell.

Über den „kleinen“ Unterschied zwischen versprochenem Recht und der Wirklichkeit – eine Lesermail und eine Antwort

Die Rede von Werner Rügemer zu den Flexi-Verträgen bei H&M haben einen Disput zwischen einem NachDenkSeiten-Leser und der Redaktion ausgelöst. Dabei wird der Unterschied zwischen gesetztem Recht – hier Arbeitsrecht – und der Wirklichkeit der abhängig arbeitenden Menschen deutlich. Das Problem ist sehr aktuell. Die bis zur Bundestagswahl Regierenden zum Beispiel gingen und gehen mit ihrem angeblich großen Erfolg hausieren, den Mindestlohn durchgesetzt zu haben. Tatsächlich wird er durch faktische Machtverhältnisse und durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt – Niedriglohnsektor – unterlaufen. Albrecht Müller.

Demokratie gibt’s nicht mehr. Der politische Wechsel findet nicht mehr statt.

Albrecht Müller

2009 habe ich für mein Buch „Meinungsmache“ fünf Beobachtungen über Meinungsmache und Manipulation formuliert. Die vierte Beobachtung ist von zentraler Bedeutung zur Erklärung dessen, was wir heute bei Wahlen und in der Politik insgesamt erleben: „Wer über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen massiv beeinflussen.“ Jene Personen und Gruppen, die über den skizzierten Einfluss verfügen, haben offensichtlich entschieden, dass es Alternativen zur herrschenden neoliberal geprägten Ideologie und Praxis nicht mehr geben soll. Die Folgen sehen wir in ganz Europa: in Österreich, in den Niederlanden, in Deutschland, in Niedersachsen. Ausnahmen gibt es nur noch bei besonderen Konstellationen wie in Portugal und in Großbritannien. Ansonsten läuft der Einfluss der durch Geld einflussreichen Kräfte sowohl über die Medien bei Wahlen als auch – was besonders bemerkenswert ist – über die Steuerung der politischen Willensbildung in den Parteien selbst. Albrecht Müller.

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Die Probleme und Fehler der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung

Katalonien durchlebt die schwerste soziale, politische und demnächst wirtschaftliche Krise, die es je in den aktuellen demokratischen Zeiten gegeben hat. In einem vorherigen Artikel habe ich die Dimensionen der sozialen Krise in Katalonien, der schwersten in diesem Jahrhundert und dem Ende des vorherigen, ausführlich geschildert (“El mayor problema que tiene hoy Catalunya del cual no se habla: la crisis social” Público, 30 de Junio 2017). Zu dieser Krise kommt die enorme politische Krise hinzu, indem in die Institutionen der Generalitat [der Begriff Generalitat bezeichnet die Gesamtheit der Institutionen katalanischer Selbstverwaltung – EDE] durch den Zentralstaat eingegriffen wird, mit der Möglichkeit und der Gefahr (zudem mit erhöhter Wahrscheinlichkeit), dass die Entscheidungs- und Verwaltungskompetenzen für die katalanische Regierung im Rahmen der katalanischen Institutionen noch weiter beschnitten werden. Auf der anderen Seite hat die Furcht davor, dass die großen politischen Spannungen in Katalonien die großen Firmen und Konzerne mit Sitz in Katalonien negativ beeinträchtigen, zu einer massiven Flucht vieler Firmen in andere Teile Spaniens geführt – wodurch eine wirtschaftliche Krise produziert wird. Von Vicenç Navarro, aus dem Spanischen von Em D. Ell.

„Uwe Barschel hat mit der CIA zusammengearbeitet“

Was verbindet die Fälle Uwe Barschel, Olof Palme und William Colby miteinander? 
Ihr Tod führt direkt oder indirekt zu den Netzwerken der ehemaligen Stay-behind-Strukturen der Nato. Davon gehen der NDR-Redakteur Patrik Baab und der US-amerikanische Politikwissenschaftler Robert E. Harkavy nach langjährigen und aufwendigen Recherchen aus. In dem gerade veröffentlichten Buch „Im Spinnennetz der Geheimdienste“ präsentieren sie nun die Ergebnisse ihrer Recherchen. Gut 8 Jahre haben die beiden Autoren gemeinsam für das Buch recherchiert, Harkavy fing mit seinen Recherchen bereits unmittelbar nach dem Mord an Olof Palme an. Ihr Recherchen, die sich auf bisher nicht bekannte Dokumente beziehen, haben es in sich und führen hinein in die Schattenwelt der Tiefenpolitik. Im NachDenkSeiten-Interview verdeutlicht Baab: Auch wenn die Fälle lange zurückliegen, so ist die Auseinandersetzung mit ihnen dringend angebracht. Grundlegende Vorgehensweisen und Strukturen, die in ihnen zu erkennen sind, spielen möglicherweise auch heute noch eine Rolle. Das Interview führte Marcus Klöckner.

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Frankfurt schafft während der Buchmesse die Meinungsfreiheit ab

Abraham Melzer

Es gibt Dinge, die sind so skurril, dass man sie auf den ersten Blick gar nicht glauben mag. Da schreibt der in Israel aufgewachsene Publizist Abraham Melzer ein vom Frankfurter Westend Verlag herausgegebenes Buch mit dem Titel „Die Antisemitenmacher“ (die NachDenkSeiten brachten am Sonntag dazu eine Rezension) , in dem er die immer stärker um sich greifende Praxis kritisiert, legitime Kritik an der Politik Israels unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung zu unterbinden. Während der Frankfurter Buchmesse wollte Melzer sein neues Buch in den öffentlichen Räumen des Saalbau Gallus vorstellen. Doch gestern kündigte die stadteigene Betreibergesellschaft der Räumlichkeiten den Mietvertrag. Melzers Kritik an der Vereinnahmung des Antisemitismusbegriffs zur Einschränkung der Meinungsfreiheit gilt der Stadt Frankfurt als antisemitisch. So ärgerlich und unverständlich das Verhalten der Stadt ist – am Ende kann es doch als lupenreiner Beweis dafür gelten, dass Abraham Melzers Kritik nötiger denn je ist und voll ins Schwarze trifft. Von Jens Berger

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Über den Irrsinn der Aufspaltung und der sogenannten Unabhängigkeit

Wir haben im Falle des Balkan gelernt, dass die Aufteilung eines Völkerverbundes nach einzelnen Ethnien große Probleme mit sich bringt. Wir haben die Europäische Union gegründet, weil wir es für sinnvoll halten, dass einzelne Nationen sich zu größeren Verbünden zusammentun. Und dabei durchaus ihre Eigenheiten bewahren. So sollte es jedenfalls sein. Und jetzt kommt eine Gruppe von Katalanen in Spanien und will unabhängig werden. Und der spanische Ministerpräsident reagiert darauf mit massiver Gewalt. Beides ergibt die Zehnerpotenz von Wahnsinn. Da sind Kräfte am Wirken, die nichts Gutes im Sinn haben. Zur Situation in Spanien schickt unser spanienkundiger Leser Em D. Ell die Übersetzung eines Kommentars des Gründers und Direktors des Portals eldiario.es, Ignacio Escolar, und eine Einführung dazu. Albrecht Müller

Militärputsch in Brasilien? – Nach Zertrümmerung des Rechtsstaats nun das Säbelrasseln der Generäle

Brasília, den 15. September. Während einer Gastrede bei einer Freimaurer-Loge in der brasilianischen Hauptstadt wird General Antonio Hamilton Mourão, Finanzsekretär des brasilianischen Heeres, von einem Zuhörer gefragt, was er von der immer wieder vorgetragenen Forderung nach einem Eingreifen der Streitkräfte „zur Wiederherstellung der Ordnung” in Brasilien halte. Der Frager bezog sich auf rechtsextreme Grüppchen, die sich seit 2014 an den Aufmärschen gegen Präsidentin Dilma Rousseff beteiligten. Von Frederico Füllgraf