Im und um den Libanon wird gestritten. Der kleine Zedernstaat am östlichen Rand des Mittelmeeres kommt auch Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit vom französischen Mandat nicht zur Ruhe. Das Mandat, autorisiert vom damaligen Völkerbund, dauerte von 1920 bis 1943. Doch die französischen Truppen zogen erst 1946 ab. Von Karin Leukefeld.
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Irgendwie ist Frankreich allerdings nie ganz gegangen. Die koloniale „Fürsorge“ der Regierungen in Paris hat ihre Spuren hinterlassen. In manchen Privatschulen wird auf Französisch unterrichtet, das französische Schulsystem gilt im ganzen Land. Frankreich erteilt Ratschläge, wie besser regiert werden sollte, unterstützt Strafmaßnahmen (Sanktionen) bei „Fehlverhalten“ und bietet – bei „Wohlverhalten“ – wirtschaftliche Hilfe, um dem Zedernstaat aus Dauerkrisen zu helfen. Die französische Politik ist in gewisser Weise zum Standard gegenüber dem Libanon geworden, auch in Berlin und London sieht man im Zedernstaat keinen unabhängigen, souveränen Staat und vollwertiges UN-Mitglied und mischt sich wie selbstverständlich in die inneren Angelegenheiten ein. Ähnlich die Haltung der USA und verbündeter arabischer Staaten, mit dem Nachbarland Israel befindet der Libanon sich nach zahlreichen israelischen Besetzungen im Kriegszustand.
Viele der Dauerkrisen sind darauf zurückzuführen, dass das französische Mandat dem Libanon ein politisches System hinterließ, in dem nicht nationale und staatliche Unabhängigkeit im Mittelpunkt stand und steht. Vielmehr definiert per Gesetz die Zugehörigkeit zu einer Religion die Rechte der Libanesen. Und wie bei allen Staaten der Region sind die Krisen und Kriege auch im Libanon auf die kolonial-imperiale Zerteilung während und nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) zurückzuführen.
Wichtige Faktoren dieser Entwicklung waren das Sykes-Picot-Abkommen (1916), die Balfour-Erklärung (1917) sowie die Vertreibung der Palästinenser, um den Staat Israel zu errichten (1948).
Die UN-Interimsmission für den Libanon, UNIFIL
Libanon steht aktuell im UN-Sicherheitsrat ganz oben auf der Agenda. Es geht um die Verlängerung des Mandats der UN-Interimsmission, UNIFIL. Frankreich ist im Sicherheitsrat als „Penholder“ für den Libanon zuständig. Das bedeutet, wann immer der Libanon auf der Tagesordnung steht, spricht Frankreich zuerst und übernimmt alle notwendigen Initiativen bezüglich der jeweiligen Debatte.
Das UNIFIL-Mandat wird jährlich verlängert. Die aktuell 10.509 Soldaten der Mission kommen aus 47 Ländern. Deutschland beteiligt sich an der UNIFIL-Mission mit bis zu 300 Soldaten und Soldatinnen und leitet die maritime, die seeseitige Mission, um illegale Waffenlieferungen in das Land zu stoppen. Zudem bildet Deutschland die libanesische Marine aus.
Das aktuelle UNIFIL-Mandat endet am 31. August und soll auf Antrag des Libanon um ein weiteres Jahr bis zum 31. August 2026 verlängert werden. Die UN-Mission kontrolliert den Südlibanon seit 1978, um den Abzug der israelischen Truppen aus dem Libanon zu überwachen, die Teile des Landes besetzt hatten (UNSR-Resolutionen 425, 426, 1978).
Im Jahr 2000 – nach dem Rückzug der israelischen Truppen, den die libanesische Hisbollah mit zahlreichen Guerillaoperationen befördert hatte – zog UNIFIL die „Blaue Linie“, eine libanesisch-israelische Waffenstillstandslinie, um den israelischen Rückzug zu bestätigen. Das von UNIFIL kontrollierte Gebiet befindet sich zwischen dieser „Blauen Linie“ und dem ca. 30 Kilometer nördlich verlaufenden Fluss Litani.
Im Jahr 2006 – nach einem erneuten Krieg zwischen Israel und Libanon/Hisbollah – wurde dieses UNIFIL-Mandat vom UN-Sicherheitsrat erweitert mit der UNSR-Resolution 1701. Danach soll der Rückzug der israelischen Truppen überwacht und die Autorität der libanesischen Regierung unterstützt werden. Zudem sollen in dem Gebiet zwischen der „Blauen Linie“ und dem Litani ausschließlich die Libanesische Armee und UNIFIL über Waffen verfügen. Mit anderen Worten: Weder die israelische Armee – die abziehen muss – noch die libanesische Hisbollah, Amal-Bewegung oder andere nichtstaatliche bewaffnete Organisationen sollen in dem Gebiet über Waffen verfügen. Die Waffen sollen der libanesischen Armee übergeben werden.
Im November 2024 – nach einem Jahr Krieg zwischen Israel und Libanon/Hisbollah – änderte sich das UNIFIL-Mandat erneut. Das Abkommen zur Beendigung der Gewalt, das die USA und Frankreich zwischen Israel und Libanon/Hisbollah ausgehandelt hatten, beendete offiziell die beidseitigen Angriffe, die von September 2024 bis Ende November 2024 das Ausmaß eines Krieges erreicht hatten.
Die Gewalt zwischen Libanon/Hisbollah und Israel hatte am 8. Oktober 2023 mit der Entscheidung der Hisbollah begonnen, die Palästinenser im Gazastreifen zu unterstützen. Diese wurden seit dem 7. Oktober 2023 von der israelischen Armee bombardiert. Israel reagierte auf einen Angriff palästinensischer Kämpfer am Morgen des 7. Oktober 2023 am gleichen Tag mit dem Bombardement ziviler Infrastruktur im palästinensischen Gazastreifen.
Das Abkommen zur Beendigung der Gewalt
Mit dem Abkommen zur Beendigung der Gewalt wurde der ursprüngliche UNIFIL-Mechanismus verändert. Ein Militärrat unter Vorsitz der USA kontrolliert nun die Situation im Südlibanon, mit dabei Frankreich, die libanesische Armee und die israelische Armee. UNIFIL ist Gastgeber. Der zwischen 2006 und 2024 bestehende Mechanismus aus Dreiertreffen von Militärs aus Israel, Libanon und von UNIFIL, um Konflikte entlang der „Blauen Linie“ zu besprechen und zu klären, war außer Kraft gesetzt.
Laut der libanesisch-israelischen Vereinbarung sollten seitens Israel keine militärischen Angriffe mehr auf libanesisches Territorium verübt werden. Die libanesische Regierung ihrerseits sollte Hisbollah und andere bewaffnete Gruppen daran hindern, Ziele in Israel anzugreifen. „Inoffizielle“, d.h. nichtstaatliche militärische Infrastruktur sollte von der libanesischen Armee entfernt, nichtstaatliche Waffen sollten beschlagnahmt werden.
Sowohl Israel als auch libanesische Medien berichteten allerdings von einer bilateralen Vereinbarung zwischen den USA und Israel, womit Israel das Recht zugestanden wird, auf „Bedrohungen“ durch die Hisbollah zu reagieren.
Davon hat Israel ausgiebig und täglich, manchmal mehrmals am Tag Gebrauch gemacht. Innerhalb eines Monats (Dezember 2024) wurden in den Orten im Südlibanon mindestens 800 Häuser und Gebäude gesprengt. Mehr als 4.000 Mal bombardierte Israel seit Inkrafttreten des Abkommens Ziele im ganzen Libanon, einschließlich Beirut. Mehr als 200 Personen wurden seit Beginn des Abkommens zur Beendigung der Gewalt gezielt getötet. Extreme Siedler aus dem Libanon wollen den Südlibanon bis zum Litani-Fluss besiedeln.
Mitte Februar zogen die israelischen Truppen von zahlreichen Stellungen aus dem Südlibanon ab, halten seitdem aber fünf Hügel und zwei Pufferzonen besetzt. Mindestens 98 Mal operierten israelische Truppen von dort aus in libanesische Ortschaften hinein, heißt es in einem UN-Bericht. Sie blockieren die Rückkehr der Bevölkerung und die Stationierung der libanesischen Armee. Opfer israelischer Angriffe gibt es sowohl unter der libanesischen Zivilbevölkerung als auch unter Soldaten der libanesischen Armee. Auch Mitglieder der Hisbollah werden gezielt getötet. Bis Ende Juni 2025 hat die libanesische Armee nach UN-Angaben 116 Positionen südlich des Litani eingerichtet und insgesamt 7.522 Soldaten stationiert. Waffenlager und unterirdische Stellungen, auch Tunnel wurden gefunden und geräumt.
UNIFIL wurde und wird immer wieder in der Arbeit behindert. Aufgebrachte Bewohner vermuten in den Aktivitäten der internationalen Truppe verdeckte Spionage ausländischer Staaten. Israelische Truppen haben UNIFIL-Stellungen während des Krieges wiederholt direkt unter Feuer genommen und die UN-Blauhelme aufgefordert, das Gebiet zu verlassen, weil sie der Hisbollah Deckung gäben. UNIFIL blieb.
Libanon beantragt die Verlängerung des UNIFIL-Mandats
Der Antrag der libanesischen Regierung vom Juni 2025, das UNIFIL-Mandat um ein weiteres Jahr zu verlängern, entspricht dem Mehrheitswillen im Libanon über politische Grenzen hinweg. UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat im Juli 2025 dem UN-Sicherheitsrat empfohlen, das Mandat um ein Jahr zu verlängern. Die UN-Generalversammlung hat bereits ein Budget für die Verlängerung der Mission bewilligt. Die Resolution zur Verlängerung des UNIFIL-Mandats wurde in der Generalversammlung von 147 Staaten angenommen. Drei Staaten stimmten dagegen, es gab eine Enthaltung.
Israel und die USA wollen ein Ende des UNIFIL-Mandats. Israel hat das wiederholt öffentlich erklärt, wirbt dafür bei Verbündeten und hat UNIFIL-Posten direkt angegriffen. US-Präsident Donald Trump hat die Gelder, die von UN-Mitgliedsstaaten für UN-Friedensmissionen und auch für UNIFIL eingezahlt werden, für 2025 gekürzt und für 2026 nicht bewilligt. Begründet wurde das u.a. mit „Unzufriedenheit über UNIFIL“, wie einem UN-Bericht zu entnehmen ist.
Die Mitglieder im UN-Sicherheitsrat unterstützen mehrheitlich die Verlängerung der UNIFIL-Mission und betonen dabei die stabilisierende Funktion der UNIFIL im Südlibanon. Frankreich hat vorgeschlagen, dass die fünf Positionen, die israelische Truppen im Südlibanon besetzt halten, von UNIFIL-Truppen kontrolliert werden könnten. Die UN-Resolution 1701 allerdings sieht vor, dass das gesamte Gebiet – einschließlich der fünf israelisch besetzten Positionen – von der libanesischen Armee kontrolliert werden sollen.
Scharfe Unterschiede gibt es laut UN bei den Sicherheitsratsmitgliedern hinsichtlich der Einstufung der Hisbollah. Manche unterscheiden zwischen dem militärischen und politischen Flügel der Organisation und haben deren militärischen Teil als „Terrororganisation“ gelistet. Andere, beispielsweise Russland, stufen Hisbollah als „legitime sozialpolitische Kraft im Libanon“ ein. Russland und China lehnen eine Einmischung des Sicherheitsrates in die internen politischen Angelegenheiten des Libanon ab. Die Hisbollah verfügt über große Unterstützung im Libanon, ist im Parlament vertreten und auch in der Regierung. Eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates über die Mandatsverlängerung wird spätestens in der kommenden Woche erwartet.
Teile und herrsche
Thomas Barrack, US-Botschafter in der Türkei seit Mai 2025 und US-Sonderbeauftragter für Syrien und Libanon, hat bei zahlreichen Regierungsgesprächen in Beirut den Druck auf die libanesische Regierung erhöht. Zusätzlich zu der UN-Sicherheitsratsresolution 1701 – die die Entwaffnung nichtstaatlicher Akteure im Südlibanon und den vollständigen Rückzug israelischer Truppen vorsieht – solle die Regierung einen Beschluss herbeiführen, die Hisbollah komplett zu entwaffnen. Dann werde die USA Israel drängen, sich aus dem Libanon zurückzuziehen und die Angriffe einzustellen. Unklar ist bis heute, ob Israel dem zustimmt.
Als Vorlage für einen solchen Regierungsbeschluss legte Barrack einen Vier-Phasen-Plan vor, der bis Ende des Jahres 2025 umgesetzt werden solle. In diesem US-Plan sind elf Klauseln enthalten, wie der Libanon seine Grenzen mit Israel und Syrien festlegen solle. Wenn alles so umgesetzt werde wie in dem Plan aufgeschrieben, würden die USA, Frankreich und arabische Golfstaaten einen Wirtschaftsgipfel organisieren, um die Wirtschaft des Libanon und den Wiederaufbau zu unterstützen. Für die libanesische Armee wird „militärische Hilfe“ zugesagt.
In einem Interview mit der Zeitung The National erklärte Barrack wenig später, sollte der Libanon den Plan nicht schnell umsetzen, werde die Entwicklung über das Land hinwegziehen und es werde wieder zu „Bilad al Sham“ werden. Das war der historische Name Syriens und bedeutet mit anderen Worten, Libanon werde wieder Teil Syriens oder von Syrien eingenommen. „Die Syrer sagen, Libanon ist ihr Badestrand“, so Barrack.
Innerlibanesische Angelegenheit
In Gesprächen mit dem libanesischen Präsidenten Joseph Aoun als auch in wiederholten öffentlichen Stellungnahmen hatte Hisbollah erklärt, in Zusammenarbeit mit Regierung und Armee im Libanon die Übergabe der Waffen zu regeln. Allerdings sei das eine innerlibanesische Angelegenheit und man werde auf keinen Fall unter Zeitdruck handeln. Bis zum Litani-Fluss sind die Waffen weitgehend unter der Kontrolle der libanesischen Armee, die Kampfverbände der Hisbollah haben sich und schwere Waffen in das Gebiet nördlich des Litani zurückgezogen. Diese Waffen werde Hisbollah nicht abgeben, solange Israel weiter im Libanon angreift und tötet, Gebiete im Südlibanon besetzt hält und den Rückzug verweigert, so die Organisation. Hisbollah zu entwaffnen bedeute, das Land schutzlos Israel zu überlassen, so Hisbollah-Chef Naim Qassem anlässlich des religiösen schiitisch-muslimischen Gedenktages Arbaeen.
Wenn nötig, werde der Widerstand (Hisbollah) kämpfen, „wie Imam Hussein in Kerbala kämpfte“.
Die Vereinbarung zur Beendigung der Gewalt wird von Hisbollah eingehalten, was von verschiedenen Seiten einschließlich UNIFIL bestätigt wird.
Die libanesische Regierung und die Libanesen
Ministerpräsident Nawaf Salam und verschiedene Medien werfen Naim Qassem vor, einen Bürgerkrieg zu befeuern. Tatsächlich ist die Lage im Libanon vor allem entlang der religiösen Gruppen sehr angespannt. Manche werfen der Hisbollah vor, Marionetten des Iran zu sein, und fordern schiitisch-muslimische Libanesen auf, den Libanon zu verlassen und in den Iran zu gehen. Das erinnert an das westdeutsche Motto „Geht doch nach drüben“. Der Konflikt ist ein anderer.
Tatsächlich gehören Schiiten ebenso wie alle anderen Religionsgruppen zur libanesischen Gesellschaft. Sie werden gewählt und sind im Parlament sowie in der Regierung vertreten. Die Frage der Bewaffnung der Hisbollah ist eine Antwort auf die israelische Invasion im Libanon und Massaker an palästinensischen Flüchtlingen in Beirut 1982. Nicht nur für libanesische Schiiten sind die Waffen der Hisbollah gegen Israel gerechtfertigt, solange Israel seine expansionistische Politik gegenüber den Völkern der Levante nicht stoppt. Sie sind gerechtfertigt, weil die libanesische Armee schwach und schlecht ausgebildet ist und die Libanesen – im ganzen Land – nicht vor israelischen Angriffen schützen kann.
Auch die libanesischen Regierungen werden allgemein als schwach, korrupt und abhängig von den USA, Frankreich oder Saudi-Arabien abgelehnt, zumal die Sorge um die Menschen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Gesundheitsversorgung, Sicherheit und Schutz auch gegen israelische Angriffe nicht gewährleistet sind. Die Libanesen helfen sich seit Jahrzehnten selbst. Sie überleben und leben, weil ihre Familienangehörigen, die in vielen Ländern der Welt arbeiten, ihre Verwandten im Libanon unterstützen. Hilfe vom Staat gibt es nicht.
Wem nutzt es
Nach den Drohungen Tom Barracks, die Existenz des Libanon sei gefährdet, wenn es den Plan zur Entwaffnung nicht umsetze, reagierte Ministerpräsident Nawaf Salam, der Regierungschef, sofort. Entgegen anderen Vorschlägen, auch seitens Präsident Joseph Aoun, legte Salam der Regierung den Plan des Tom Barrack zur Abstimmung vor. Die Minister der verbündeten (schiitischen) Amal-Bewegung und Hisbollah verließen vor der Abstimmung die Sitzung unter Protest. Die verbliebenen Regierungsmitglieder verabschiedeten den Barrack-Plan einstimmig.
Der US-amerikanische Druck und die fortgesetzten israelischen Angriffe haben nicht nur die libanesische Regierung entzweit, sondern auch die libanesische Bevölkerung gespalten. Teile der libanesischen Medien, vor allem aber die „sozialen Medien“ befördern mit Hetze, Vorwürfen, falschen Behauptungen, mit religiösen, sektiererischen Anfeindungen die gesellschaftliche Spaltung. Beobachter verschiedener Lager sprechen von der Möglichkeit eines erneuten Bürgerkrieges.
Israel nutzt das, um seine Drohungen zu verschärfen. Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz warnte, es werde „ohne Sicherheit für den Staat Israel keine Ruhe in Beirut geben, keine Ordnung oder Stabilität im Libanon“. Wenn der Libanon nicht tue, „was verlangt wird, werden wir weiter handeln und mit großer Gewalt“.
Titelbild: Hiba Al Kallas / Shutterstock