Deutschlands Steuerzahler haben den Finanzsektor mit 70 Milliarden Euro aus dem Schlamassel gezogen. Aber die Branche ist nicht bereit, einen Bruchteil an Wiedergutmachung zu leisten. Dagegen lobbyiert sie mit allen Mitteln und schafft es, ein gutes Gesetz schlecht zu machen und über Jahre zu blockieren. Mit der neuen Regierung steht sie kurz vor dem Ziel. Von Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die sogenannte Bankenrettung war teuer. Mindestens 68 Milliarden Euro haben hiesige Steuerzahler seit 2007 dafür hingeblättert, dass im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ins Straucheln geratene deutsche Geldinstitute vom Pleitegeier verschont blieben. Rund 30 Milliarden Euro hat der Bund mobilisiert, etwa 40 Milliarden Euro steuerten die Bundesländer bei, um die vielfach gestrauchelten Landesbanken zu stützen. Diese vor sieben Jahren angestellte Schätzung auf Basis von Angaben der damaligen Bundesregierung ist noch konservativ. Die Nachwehen des globalen Bankencrashs, der im September 2008 im Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers kulminierte, halten bis heute an. Die Folgekosten dürften deshalb noch höher liegen.
Eine andere Zahl ist hingegen fix, und wer um das würdelose Gezerre darum weiß, mithin fix und fertig. Sie lautet: 2,3 Milliarden Euro. Die hat die Politik bei Deutschlands Geldhäusern im Nachgang des Debakels eingesammelt. Das Geld war nicht etwa als Entschädigung dafür gedacht, dass die Allgemeinheit die Zockereien gieriger Finanzspekulanten ausbaden musste. Und schon gar nicht als Wiedergutmachung. Nein: Die Summe haben Deutsche Bank, Commerzbank und Co. zurückgelegt, um sich gegen künftige Krisen abzusichern, für den Fall also, dass sie sich in Zukunft erneut verzocken. Und natürlich haben sie das nicht wirklich freiwillig getan, sondern notgedrungen, auch weil es um ihren Ruf zwischenzeitlich gar nicht gut bestellt war.
Wohin mit dem Geld?
Jedenfalls zahlten sie das Geld in den sogenannten Restrukturierungsfonds (RSF) ein, und dort parkt es bis heute. Der Betrag entspricht etwa einem Neuntel der 21,1 Milliarden Euro, die noch bis heute als Schulden als Konsequenz der Bankenrettung in den Büchern von Bund und Ländern stehen. Allerdings hat sich der RSF inzwischen überlebt. Er wurde 2016 durch den europäischen Abwicklungsfonds SRF (Single Resolution Fund) abgelöst, zum selben Zweck eingerichtet, nur eben eine Nummer größer auf EU-Ebene. Befüllt haben den im Laufe der Jahre rund 3.000 Institute der Bankenunion mit nahezu 80 Milliarden Euro, womit die Zielausstattung fast erreicht ist. Laut Gesetz sollen die Notfallreserven am Ende ein Prozent der gedeckten Einlagen in der Euro-Zone betragen. Kaum der Erwähnung wert: Auch gegen diese Abgaben ziehen die Banken zu Felde.
Nun stellte sich für Deutschland irgendwann die Frage: Wohin mit den Altmitteln aus dem RSF, der praktisch ausgedient hat. Die Antwort der Ampelregierung war anfangs unmissverständlich: Das Geld sollte zur Tilgung der Schulden aus der Finanzkrise genutzt werden. Das wäre dann tatsächlich auf eine Art von Wiedergutmachung hinausgelaufen, wenngleich eine ziemlich kümmerliche angesichts der Verhältnisse. Denn 2,3 Milliarden Euro wiegen Schäden von 70 Milliarden Euro bei Weitem nicht auf.
Mission: Einsacken
Zu blöd nur, dass die deutschen Banken nicht einmal diesen Obolus locker machen möchten, um sich wenigstens ein wenig zu rehabilitieren. Viel lieber wollen sie das Geld einsacken, und dafür setzen sie seit nunmehr vier Jahren alle Hebel in Bewegung. Nachgezeichnet hat die Vorgänge die Bürgerbewegung Finanzwende in einem lesenswerten Report mit dem Titel: „Dreist, dreister, Bankenlobby“. Die Analyse basiert auf internen, bisher unveröffentlichten Dokumenten, die der Verein im Rahmen einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hat. Die Unterlagen lieferten „einen seltenen Einblick in den Maschinenraum bundesdeutscher Finanzgesetzgebung“, schreiben die Autoren. Es zeige sich, mit welcher „Intensität und welchen Methoden“ die Branche in Berlin für Gesetze in ihrem Interesse eintrete, heißt es in einer begleitenden Medienmitteilung. Zitat Michael Peters, Leiter des Bereichs Finanzsystem und Realwirtschaft bei Finanzwende: „Die Dreistigkeit und das Selbstverständnis der Banken, das darin sichtbar wird, sind schon bemerkenswert.”
Bemerkenswert ist auch die Willfährigkeit der politisch Verantwortlichen gegenüber den Einflussagenten der Finanzindustrie, die sich laut Peters als „teils problematische Nähe zwischen Lobby, Abgeordneten und Ministerien“ offenbart. Als Umfaller betätigte sich im Speziellen der frühere Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Ausgangspunkt ist ein im März 2022 in seinem Haus erarbeiteter Entwurf für das sogenannte Restrukturierungsfonds-Übertragungsgesetz. Darin hieß es ausdrücklich: „Eine Rückführung der Altmittel an die Abgabenpflichtigen kommt nicht in Betracht.” Schließlich hätten Bund und Länder „erhebliche Aufwendungen getätigt”, um in der Krise „akut drohende Verwerfungen am Finanzmarkt abzuwenden.” Davon hätten die Banken „in erheblichem Maße profitiert”. Im Klartext: Das Geld geht in die Schuldentilgung.
Bürger sind schuld
Dann aber überrannten Abgesandte der Deutschen Bank sowie der Deutschen Kreditwirtschaft (DK), ein Zusammenschluss der fünf großen deutschen Bankenverbände, das Ministerium geradezu. Wiederholt vorstellig wurden auch Vertreter des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) und des Verbands Öffentlicher Banken (VÖB). Private Großbanken und die Landesbanken stellen den Löwenanteil der Abgaben in den Fonds, die Deutsche Bank allein 605 Millionen Euro. Für sie gibt es demnach am meisten zu holen, während kleine Institute teils mickrige Beträge von unter 100 Euro eingespeist haben. Der „Überfall“ zeigte schnell Wirkung. So heißt es etwa in einer Gesprächsvorbereitung des Bundesfinanzministeriums (BMF) zum Thema im August 2022:
„Das BMF hat verstanden, dass die DEU-Banken ein Interesse an einer zeitnahen Entlastung und Rückerstattung der RSF-Altmittel haben.“
Auf der Fachebene im BMF hatte man für die Argumente der Banken durchaus kein Verständnis. Diese machten alles Mögliche geltend, um ihre Sicht durchzusetzen: den Ukraine-Krieg, Klimaschutz, Digitalisierung, die Pandemie, eine mögliche Gasnotlage, hohe Inflationsraten, Rohstoffknappheit, gestörte Lieferketten und eine wegen all dem drohende Kreditklemme. Das alles gipfelte in einem von der DK beauftragten Gutachten der Kanzlei White & Case. Darin findet sich die These, wonach die „Institute im Verhältnis zur Allgemeinheit (…) keine vorrangige Verantwortung für die in Deutschland eingetretenen Folgen der (…) Finanzmarktkrise (…) und damit auch nicht für die Finanzierung von Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarkts (…)” gehabt hätten. Die Banken halten demnach genauso viele oder wenige Aktien an der Katastrophe wie die Normalbürger – darauf muss man erst mal kommen. Eine „geradezu absurde Behauptung“, befand seinerzeit eine BMF-Mitarbeiterin.
Caritas für Zocker
Aber eine, die Lindner offenbar überzeugte. Auf Betreiben der Leitungsebene verschwanden nach und nach all die Passagen aus der ursprünglichen Vorlage, die der Bankenlobby nicht in den Kram passten. Damit war noch keine Entscheidung in der Sache gefallen, mit den ständigen Interventionen und Diskussionen aber dafür gesorgt, dass der Gesetzgebungsprozess sich massiv in die Länge zog. Weiter ging das Trauerspiel zu Jahresanfang 2023. Da machte sich das BMF kurzerhand den Vorschlag der Deutschen Bank zu eigen, mit den RSF-Mitteln Start-up-Unternehmen zu fördern beziehungsweise die Transformation der Wirtschaft zu finanzieren. Die Idee sei „hilfreich”, verlautete vom Ministerium, um „nach außen” den „hohen kommunikativen Begründungsaufwand” zu bewältigen, den eine Auszahlung der Gelder an die Banken nach sich ziehen würde. Unverquast gesprochen: Wir schmeißen den Banken 2,3 Milliarden Euro hinterher und verkaufen das als Caritas für den gebeutelten Standort Deutschland.
Bald darauf sprach sich auch das von Robert Habeck (Grünen-Partei) geführte Wirtschaftsministerium „klar für die Bereitstellung der Altmittel zur Transformationsfinanzierung” über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus, womit die Bankenlobby einen gewichtigen Fürsprecher mehr für sich gewonnen hatte. Allerdings meinte die es mit dem Rezept gar nicht ernst. So hatte man schon auf der BMF-Fachebene geargwöhnt, die Gelder könnten mitunter zweckentfremdet für „Dividenden- oder Bonuszahlungen“ verwendet werden, weshalb Mitarbeiter eine „öffentliche Selbstverpflichtung der Bankenverbände” ins Spiel brachten, die möglichem Missbrauch vorbeugen sollte. Ein solches Bekenntnis – ein „rechtlich bindendes Commitment” – wollten die Banken aber erst „nach Verabschiedung” des Gesetzes abgeben. Motto: Erst das Geld, dann schauen wir mal. Auf alle Fälle waren die Banken „bis zuletzt nicht bereit, sich zu einer vollständigen Verwendung der Mittel in einem langfristigen Fonds selbst zu verpflichten“, musste dann irgendwann auch das BMF einsehen.
Wenigstens ein Steuergeschenk
Und da das Thema inzwischen auch die Öffentlichkeit beschäftigte und sich im Bundestag keine politische Mehrheit für eine „alternative Rückzahlung“ abzeichnete, schickte Lindner den ursprünglichen Referentenentwurf im Oktober 2023 doch noch auf die Reise durch die Gesetzgebung – „eineinhalb Jahre nachdem er eigentlich schon vorlag“, wie es im Report heißt. War damit der Weg geebnet für ein gutes Ende, sprich 2,3 Milliarden Euro für die Schuldentilgung? Mitnichten! Auf Initiative des BMF fand nämlich durch die Hintertür ein lukratives Steuergeschenk Eingang in den Gesetzestext, in Gestalt der „Abschaffung des Betriebsausgabenabzugsverbots für die europäische Bankenabgabe“. Die Finanzinstitute sollten ihre Einzahlungen in den SRF also von der Steuer absetzen können.
Was im ersten Moment wie ein kleines Trostpflaster für die Niederlage der Banken im Großen anmutete, entpuppte sich jedoch einmal mehr als Bremsklotz im Entscheidungsprozess. Das Habeck-Ministerium war plötzlich nicht mehr einverstanden mit der Vorlage, was merkwürdig erscheint, denn die Wirtschaft, die er zu vertreten hatte, hätte von dem Passus ja profitiert. Nicht so das Finanzministerium, dem dadurch geringere Steuereinnahmen blühten. Sicher verband Lindner und Habeck aber das gemeinsame und davor schon deutlich demonstrierte Interesse, die gesamten 2,3 Milliarden Euro den Banken oder auf Umwegen wenigstens der deutschen Wirtschaft zuzuschanzen – was aber die SPD- und die Grünen-Fraktion nicht mitmachen wollten.
Blockieren aus Leidenschaft
Was passierte dann? Durch Habecks Widerstand gegen das Steuergeschenk kam der Prozess einmal mehr zum Erliegen, so wie bald darauf die ganze Regierung. „Als die Ampel-Koalition im November 2024 zerbricht, versucht das Finanzministerium zwar noch händeringend, den Gesetzesentwurf im Bundestag über die Ziellinie zu bringen“, schreibt Finanzwende. „Aber letztendlich gelingt es nicht mehr, eine Mehrheit für die finale Abstimmung zu organisieren.“ Und die Banken? Die freuen sich. Sie haben längst ihre Anwälte losgeschickt, um ihren Willen vor den Gerichten durchzuboxen. Vorerst mit Erfolg: Mitte September waren die Deutsche Bank, UniCredit und die DZ Bank in erster Instanz in einem Pilotverfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Main) im Streit mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) siegreich. Diese sei „zur Rückzahlung der von den Klägerinnen in den Jahren 2011 bis 2014 geleisteten Jahresbeiträge zum Restrukturierungsfonds verpflichtet“, erläuterten die Richter in einem Pressestatement. Der Zweck der nationalen Bankabgaben sei „ausgelaufen und sei vom Gesetzgeber nicht neu gefasst worden“.
Soll heißen: Hätte die Ampel eine entsprechende Neuregelung gefasst, verblieben die 2,3 Milliarden Euro beim Bund und könnten in die Schuldentilgung gehen. Der Zug dafür ist noch nicht abgefahren. Die neue Regierung könnte das Versäumte rasch nachholen und den Rechtsstreitigkeiten den Boden entziehen. „Ein fertiges Gesetz liegt schließlich schon in der Schublade“, so Finanzwende. Dort wird es absehbar verrotten. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht geschrieben: „Wir werden die sogenannten Altmittel aus der früheren Bankenabgabe in Höhe von zwei Milliarden Euro gemeinsam mit der deutschen Kreditwirtschaft in einen Mittelstand-Fonds einbringen (…).“
Raffen und betteln
Da taucht sie einmal mehr auf, die Masche der Deutschen Bank. Nur, dass es das Milliardengeschenk jetzt im Tarnkleid „Mittelstandsförderung“ geben soll. Der Passus schaffte es gegen den Willen der für das Thema zuständigen Koalitionsarbeitsgruppe Finanzen ins Regierungsprogramm. Auf den letzten Drücker „grätschte die fachfremde Arbeitsgruppe Wirtschaft, geleitet von Jens Spahn (CDU), dazwischen“, heißt es in der Analyse. Außerdem hätten kurz vor Abschluss der Gespräche Bankenvertreter den Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD Bescheid gestoßen. „Die Banken jedenfalls haben damit einen großen Lobby-Coup gelandet“, bilanzierte Finanzwende. Und wenn dereinst die nächste Blase platzt? Dann wird wieder eifrig gebettelt …
Titelbild: Markus Mainka/shutterstock.com





