Die US-Legende von den chinesischen Spionen auf Kuba

Die US-Legende von den chinesischen Spionen auf Kuba

Die US-Legende von den chinesischen Spionen auf Kuba

Ein Artikel von amerika21

Die Kleinstadt Bejucal liegt im Nordwesten, 27 Kilometer von Havanna entfernt, und hat seit Jahrzehnten keinen Chinesen mehr gesehen. Die Einwohner waren verblüfft, als die Stadt in den Nachrichten als die Ortschaft auftauchte, in der Peking streng geheime Stützpunkte eingerichtet hat, um Washington von Kuba aus auszuspionieren. Eine Nachricht, die um die Welt ging. Von Rosa Miriam Elizalde.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die anonymen Quellen des Wall Street Journal, der Zeitung, die den Sensationsbericht brachte, gingen noch weiter und behaupteten, während Außenminister Antony Blinken sich mit Präsident Xi Jinping traf, dass China über die Einrichtung eines militärischen Ausbildungszentrums in Kuba verhandelt, was Tausende Soldaten 90 Meilen vor die Küste Floridas bringen würde.

Der Beweis dafür sind einige Fotos der Nachrichtenagentur Reuters von Bejucal. Sie zeigen eine Parabolantenne mitten im Nirgendwo, so rostig und unpassend wie das schiefe Schild am Eingang einer angeblichen Militäreinrichtung, das den Ortsansässigen zufolge schon ihr ganzes Leben lang dort stand. Dort gibt es weit und breit keine polizeiliche Bewachung, also will uns vielleicht jemand glauben machen, dass die chinesischen Spione unsichtbar sind.

Es gibt kaum eintönigere Dinge als die Märchen des Kalten Krieges, die in irgendeinem obskuren US-Büro ausgebrütet werden und in denen James Bond ständig mit internationalen Phantomen konfrontiert ist und die Karibikinsel als Operationsbasis genutzt wird.

Im Mai 2002 beschuldigte der damalige stellvertretende US-Außenminister und Staatssekretär für Rüstungskontrolle und Internationale Sicherheit, John Bolton, die Regierung von Fidel Castro, biologische Waffen herzustellen, die heimlich an den Irak, Libyen und Syrien geliefert werden sollten. Er identifizierte sogar die Fabrik für bakteriologische Bomben: das Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie in Havanna, eine wissenschaftliche Einrichtung, die Impfstoffe herstellt.

Die Geschichte fiel in sich zusammen, als der frühere US-Präsident James „Jimmy” Carter von dort aus andere einlud, das zu tun, was er selbst tat: Castros Angebot anzunehmen und sich das Ganze anzuschauen.

2017, mit Bolton als Nationalem Sicherheitsberater im Weißen Haus von Donald Trump, waren sie wieder da, die Spione in der Karibik, diesmal mit Zauberpistolen, die auf die Ohren der US-Diplomaten in Havanna zielten. Mancher Chinese und Russe tauchte in den Geschichten jener Tage in der Kulisse auf. Wie fantasievoll und absurd das Märchen von den Schallangriffen auch war, es führte zu 243 zusätzlichen Sanktionen gegen Kuba, und das karibische Land wurde wieder auf die Liste der staatlichen Sponsoren des Terrorismus gesetzt.

Während Trump wieder in Mar-a-Lago weilt und John Bolton nicht mehr zu sehen ist, weist ein freigegebener Bericht des Außenministeriums darauf hin, dass die Entscheidung, die Botschaft in Havanna als Reaktion auf die angeblichen Schallangriffe aufzulösen, eine politische war, die von Missmanagement, mangelnder Koordination und Verfahrensfehlern geprägt war.

Joe Biden brauchte die Hälfte seiner Amtszeit, um einige konsularische Dienste in Havanna wieder zu öffnen, und er hält immer noch die meisten der Sanktionen seines Amtsvorgängers aufrecht.

Die amerikanische Habgier ist voll von solchen Betrügereien, seit Washington Ende des 19. Jahrhunderts in den spanisch-kubanischen Krieg eingegriffen hat, und sogar noch früher, laut dem Buch von José Manuel Allendesalazar „El 98 de los americanos” (Madrid, 1974), einem Klassiker zu diesem Thema.

Seit die Vereinigten Staaten in die Geschichte eingetreten sind, hat das Schicksal dafür gesorgt, dass die Insel auf die eine oder andere Weise zu einem Alptraum für die US-Amerikaner geworden ist. Kuba ist ein vertrautes, reizvolles und irritierendes Wort im Vokabular des US-Politikers, nicht nur heute, sondern seit Jahrhunderten, so der Autor.

Das Schlachtschiff Maine sank am 15. Februar 1898 im Hafen von Havanna, in Folge einer Explosion in seinen Kesseln, die 266 US-Matrosen getötet hatte, die meisten von ihnen schwarz. Es war ein Unfall im Inneren des Schiffes (vielleicht Sabotage), wie Untersuchungen und Augenzeugen belegten, aber das Weiße Haus und der Chor seiner Korrespondenten und Spione in Kuba beeilten sich, die Spanier zu beschuldigen und bombastische Verschwörungstheorien und sensationsheischende Seifenopern zu wiederholen.

Seitdem ist der Vorfall auf der Maine zu einem Vorwand für den Krieg und zu einem Klassiker der US-Politik und der Boulevardpresse geworden, die sich so nah sind, immer wieder zurückfallen und zu allen Schandtaten bereit sind.

In John Fords großartigem Film „Der Mann, der Liberty Valance erschoss”, bekommt ein Journalist einen praktischen Rat: Zwischen Wahrheit und Legende, druck’ immer die Legende.

Im aktuellen Fall der chinesischen Spionagebasen und Truppen, die angeblich 90 Meilen vor Florida Wache halten, ist die Realität Bejucal.

Aber wen interessiert das schon?

Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21

Titelbild: Shtuterstock / Shchus