„Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg um den Dollar“ – Teil 2 von 3

„Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg um den Dollar“ – Teil 2 von 3

„Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg um den Dollar“ – Teil 2 von 3

Ein Artikel von Heiner Biewer

Innerhalb von fünf Jahren, von 2010 bis 2015, halbierte Russland die Anzahl seiner US-Schatzanleihen. Vorwand für den Ausbruch des Krieges, den wir heute in der Ukraine kennen? Dies ist der zweite Teil des Interviews mit Oleg Nesterenko, Präsident des Europäischen Industrie- und Handelszentrums, das der Publikation L’Eclaireur des Alpes gewährt wurde. Den ersten Teil der Interviewreihe finden Sie hier. Übersetzung von Heiner Biewer.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In Anlehnung an den berühmten Aphorismus von Carl von Clausewitz wird oft gesagt, dass „die Wirtschaft nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist“. Was aber, wenn sie die treibende Kraft ist? Oleg Nesterenko, ein Mann mit Erfahrung in Wirtschaft und internationaler Politik, vertritt diese Ansicht. Im Gegensatz zu den westlichen Medien haben wir uns dafür entschieden, ihn zu Wort kommen zu lassen, nicht um eine bestimmte Sicht des Konflikts darzustellen und zu verteidigen, mit dem Risiko der Propaganda – das ist nicht unsere Rolle und wird es auch nicht sein –, sondern damit dieser andere Blickwinkel es ermöglicht, alle Facetten eines Krieges, der auch ein Krieg der Informationen ist, besser zu beleuchten.

Während sich die Frage nach dem Ende der Vorherrschaft des Dollars stellt, sagen Sie, dass der Krieg in der Ukraine nicht nur ein Krieg des US-Dollars ist, sondern dass er auch nicht der erste ist…

In der Tat ist dies nicht der erste, nicht einmal der zweite, sondern der dritte Dollarkrieg[1]. Der Erste war der Krieg gegen Saddam Husseins Irak. Der Zweite war der Krieg gegen Gaddafis Libyen. Und der Dritte, also gegen Moskau auf dem Territorium der Ukraine, wird in einem Drittstaat geführt, ganz einfach, weil man den Krieg gegen die Russen nicht direkt in ihrem eigenen Land führen kann. Und so kann nur ein hybrider Stellvertreterkrieg gegen Russland stattfinden.

Was die ersten beiden Dollarkriege betrifft, so muss man zunächst verstehen, dass Länder wie der Irak und Libyen große Energiemächte sind – Mächte, die es wagten, die amerikanische Währung herauszufordern. Im Jahr 2003 hatte Saddam Hussein seine Drohung wahr gemacht, den US-Dollar für internationale Transaktionen des Irak nicht mehr zu nutzen. Er war der Erste, der die Frage nach der Legitimität des Petrodollars stellte und vor allem auch entsprechend handelte. Damit unterzeichnete er sein Todesurteil.

Im Februar 2003 verkaufte Saddam Hussein drei Milliarden Barrel Rohöl für einen Betrag von über 25 Milliarden Euro. Dieser Verkauf erfolgte in Euro und nicht in US-Dollar. Einen Monat später marschierten die USA in den Irak ein. Die genauen Zahlen sind nicht bekannt, aber die Zahl der Opfer wird auf eine Million geschätzt, von denen jeder Zweite minderjährig war. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Hunderttausenden, die in den folgenden Jahren infolge der völligen Zerstörung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur des Landes starben.

Auch in Libyen kam es 2009 zu einem Krieg um den Dollar. Muammar al-Gaddafi, zu dieser Zeit Präsident der Afrikanischen Union, schlug dem gesamten afrikanischen Kontinent eine echte Währungsrevolution vor: Er wollte sich der Dominanz des US-Dollars entziehen und eine afrikanische Währungsunion gründen. Mit ihr wären die Exporte von Öl und anderen natürlichen Ressourcen des Kontinents nicht in Dollar bezahlt worden, sondern in einer neuen Währung, die er Gold-Dinar nennen würde. Auch er hatte sein Todesurteil unterschrieben.

Hätte Burkina Faso, das reich an Gold ist, aber keine nachgewiesenen Kohlenwasserstoffreserven hat, solche Erklärungen abgegeben, hätte es keinen Krieg gegeben. Da aber der Irak und Libyen Energiemächte mit gigantischen Reserven waren, stellten sie eine existentielle Gefahr für die US-Wirtschaft dar. Beide Führer hatten offen angekündigt, dass sie den US-Dollar loswerden wollten. Es waren auch zwei Länder, bei denen die USA im Falle einer Aggression keine negativen Folgen zu befürchten hatten. Daher mussten sie vernichtet werden. Und das wurde unverzüglich getan.

Mit Moskau war das nicht möglich. Russland ist nicht der Iran, der Irak oder Libyen. Mit Russland konnten die USA nur indirekt agieren.

Aber was hat der Krieg zwischen der Ukraine und Moskau mit dem US-Dollar zu tun?

Moskau hat den US-Dollar auf der internationalen Bühne wirklich bedroht, und damit auch die gesamte US-Wirtschaft dahinter. Seit Putins Amtsantritt, lange vor 2021 und sogar noch vor dem antirussischen Staatsstreich in der Ukraine 2014, hat Russland, eine führende Energiemacht, den Prozess der Liquidierung von in Dollar notierten US-Anleihen eingeleitet. Innerhalb von fünf Jahren, von 2010 bis 2015, halbierte Russland die Anzahl der US-Anleihen, die es besaß. Während es früher zu den größten Haltern der Welt gehörte, besitzt es heute kaum noch welche.[2]

Parallel dazu begann auch die Russische Föderation, sich allmählich vom Petrodollar-System zu trennen, indem sie Handelsabkommen abschloss, bei denen eine Zahlung in Landeswährung vereinbart war, angefangen mit China. Es wurde damit begonnen, große Mengen an Energieprodukten in chinesischen Yuan und russischen Rubel zu bezahlen.

Das waren die Anfänge der Anfänge des neuen Krieges, den wir seit Februar 2022 kennen.

„Der Wert des Dollars wird nur durch die Notenpresse und die militärische Dominanz der USA gestützt.“

Parallel dazu gibt es eine inoffizielle Vereinbarung zwischen Russland und China, ihre Aktionen gegen die USA zu synchronisieren. Auf diese Weise entledigt sich China ebenfalls und schrittweise der US-Schulden. Im Jahr 2015 hielt China US-Staatsanleihen im Wert von über 1,270 Billionen Dollar. Heute sind es rund 950 Milliarden – der niedrigste Stand seit über zehn Jahren.

China wird als größter Gegner der USA bezeichnet, aber es ist die Russische Föderation, die den Prozess der Befreiung der Welt vom Petrodollar eingeleitet hat.

Mit dem Ausbruch der, wie ich es nenne, aktiven Phase des seit fast zehn Jahren andauernden Krieges im Februar 2022 drängen Russland und China im Tandem – diesmal offiziell, da die Masken gefallen sind – die Zentralbanken in aller Welt dazu, die Sinnhaftigkeit ihrer Bestände an US-Staatsanleihen und damit ihrer Investitionen in die US-Wirtschaft zu überdenken.

Der US-Dollar ist eine Währung ohne Gegenwert[3]. Es gibt nichts dahinter. Es gibt nichts Greifbares. Der heutige Wert des US-Dollars hat zum größten Teil nichts mit realen Vermögenswerten zu tun, die ihn absichern sollten. Sein Wert wird nur durch die Gelddruckmaschine und die militärische Dominanz der USA gestützt, eine Dominanz, die es ermöglicht, alle Unzufriedenen zu unterdrücken.

Hätte der Euro, was offenbar von niemandem gefördert wird, angesichts der Entdollarisierung eine Alternative zum Dollar sein können?

Man sollte das Gewicht und die potenzielle Rolle des Euro nicht unterschätzen. In der Vergangenheit wollte zum Beispiel Saddam Hussein sein Öl nicht in Dollar, sondern in Euro verkaufen. Und das war, wie erwähnt, auch der Hauptgrund für den Irakkrieg und die Hinrichtung Saddam Husseins. Der Euro kann, oder besser gesagt könnte, eine wichtigere Rolle spielen, als er es heute tut. Ich glaube jedoch nicht im Mindesten, dass dies geschehen wird – ganz einfach deshalb, weil die europäische Politik zutiefst dem Willen der USA unterworfen ist.

Die USA werden niemals zulassen, dass die Währung ihrer Vasallen sie gefährdet. Und in Anbetracht der Mittelmäßigkeit der Verantwortlichen oder, besser gesagt, der Verantwortungslosen in Europa wie der Mehrheit seiner Staatschefs haben die Amerikaner und ihre Währung vom Euro wirklich nichts zu befürchten. Die Initiativen der europäischen Staats- und Regierungschefs sind in den meisten Fällen so anti-europäisch und anti-national, dass sie eher wie Honorarkonsuln der USA auf dem alten Kontinent wirken.

Und als ob das nicht schon genug wäre, wird praktisch morgen – im Jahr 2025 – die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union an Polen gehen. Polen ist ein direkter Agent, quasi ein Angestellter, der USA in der EU. Die Polen werden die Führung der EU von Ungarn übernehmen und alles tun, um die kleinsten souveränen Errungenschaften der ungarischen Rebellen zunichtezumachen. Sie haben bereits angekündigt, dass ihre oberste Priorität die Stärkung der „Zusammenarbeit“ der EU mit den USA sein wird. In den kommenden Jahren werden die sehr bescheidenen Reste der europäischen Autonomie – militärisch und wirtschaftlich – noch weiter abgebaut werden und nur noch symbolischen Charakter haben.

„Auf der internationalen Bühne haben die Beamten in Brüssel kein politisches Gewicht und spielen nur eine Statistenrolle.“

Nicht umsonst erkennt keine Macht der Welt, einschließlich der USA und noch mehr Russland und China, die EU als ernsthaften Gesprächspartner an und bevorzugt es, nur auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten zu verhandeln. Auf der internationalen Bühne haben die Beamten in Brüssel kein politisches Gewicht und spielen nur eine Statistenrolle.

Aber ich glaube nicht an das schlimmste Szenario, dass die europäische Währung verschwindet. Denn das Schiff des Euro ist bereits viel zu weit aufs Meer hinausgefahren und hat keinen Treibstoff mehr, um zurückzukehren, ohne die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer zu versenken. Aber abgesehen davon bin ich mehr als ein Euroskeptiker. Nicht, dass ich gegen die Vereinigung der westlichen Länder um ein europäisches Zentrum herum wäre, weit gefehlt: Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass alles auf die Vereinigung ähnlicher Kräfte hinausläuft, die die gleiche Sicht der Dinge, ähnliche Werte und Ziele haben.

Das Ideal des Projektes ist eine Sache; die Realität sieht anders aus. Wenn man die „Degeneration“ des ursprünglich schönen europäischen Projekts in den letzten Jahrzehnten und vor allem seit 2004 beobachtet, kann man nicht mehr ignorieren, dass die Europäische Union zu einer Art dysfunktionaler Hydra geworden ist, bei der jeder Kopf seine eigenen Vorstellungen hat. Es ist amüsant zu sehen, dass Russland es allein geschafft hat, dass sie enger zusammenrücken. Angst, Hass und Phobie haben sie mehr als der ganze Rest des europäischen Projektes zusammengeschweißt.

Wie geht es der russischen Wirtschaft angesichts der vom Westen eingeführten Sanktionen?

Die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf die russische Wirtschaft sind relativ gering. Für den Lebensstandard einer großen Mehrheit der Bevölkerung sind sie schlichtweg nicht existent. Dennoch sollte man nicht naiv sein, denn auf lange Sicht wird es natürlich bestimmte Wirtschaftsbereiche geben, die bis zu einem gewissen Grad leiden werden. Das Ausmaß wird von einer Vielzahl von Variablen abhängen.

Wenn wir über die Folgen der westlichen Sanktionen gegen Russland sprechen, dürfen wir den eigentlichen Sinn der Sanktionen nicht aus den Augen verlieren. In jedem Geschäftsplan sind die Investitionen, aber auch die Renditeerwartungen innerhalb des gegebenen Zeitrahmens genau definiert. Die erste gute Frage, die man sich stellen sollte, lautet: Haben die Sanktionen ihre Ziele innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens und der eingesetzten Mittel erreicht?

Die Fakten sind bekannt, auch wenn sie von den Urhebern der Sanktionen sorgfältig heruntergespielt und verzerrt werden, um das Gesicht zu wahren: Das Ziel, das mit den Sanktionen verfolgt wurde, war der Zusammenbruch der Wirtschaft der Russischen Föderation, der zu einer Kapitulation Russlands im Ukrainekonflikt hätte führen sollen. Das Ergebnis dieses Unterfangens ist ein völliger Fehlschlag. Es hat keinerlei Zusammenbruch gegeben. Es gibt heute keinen Zusammenbruch, und es wird auch morgen keinen Zusammenbruch geben. Darüber zu reden ist reines, von der Realität abgekoppeltes Wunschdenken.

Die Sanktionen mit den größten Erfolgsaussichten wurden gleich zu Beginn der Konfrontation verhängt. Vor allem die der zweiten und dritten Welle zielten auf die Grundfesten des russischen Finanzsystems ab, auf die Möglichkeiten öffentlicher und privater Akteure, sich auf den globalen Finanzmärkten Kapital zu beschaffen, sowie auf die Abkopplung Hunderter russischer Banken vom Swift-System, darunter auch „systemrelevante“ Banken. Diese Sanktionen waren Teil des ursprünglichen „Geschäftsplans“ und wurden als völlig ausreichend erachtet, um das vorab festgelegte Ziel des Zusammenbruchs der russischen Wirtschaft innerhalb eines Zeitraums von weniger als zwölf Monaten zu erreichen. Alle späteren und zukünftigen Sanktionswellen sind nicht im Mindesten so gefährlich für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität Russlands, nichts weiter als ziemlich chaotisches Gestikulieren, das auf das Scheitern des ursprünglichen westlichen Plans zurückzuführen ist.

„Sanktionen haben keine Chance, die Fortsetzung der russischen Militäroperationen in der Ukraine zu stoppen“

Sind die Folgen dieser Aktionen langfristig schädlich für das Land? Die Antwort lautet: Nein. Ich möchte Sie daran erinnern, dass Russland nicht erst seit 2022, sondern bereits seit 2014 Ziel erheblicher Sanktionen des Westens ist. Von diesen „ursprünglichen“ Sanktionen ist in der „atlantischen“ Propaganda keine Rede mehr, und das aus gutem Grund. Nicht nur, dass die russische Wirtschaft trotz Barack Obamas Jubelarien – „Die russische Wirtschaft ist am Boden“, als der Kurs der russischen Währung stark, aber nur einmalig fiel – in keiner Weise erschüttert wurde, die Sanktionen wirkten sogar als Katalysator und stärkten die Souveränität der russischen Wirtschaft erheblich.

Die Äußerungen von Bruno Le Maire vom 1. März 2022 über die bevorstehende Vernichtung der russischen Wirtschaft müssen nicht kommentiert werden[4]. Sie sind noch lächerlicher als die von Obama und zeigen einmal mehr nur den eklatanten Dilettantismus dieses Herrn.

Die Natur verabscheut das Vakuum. In Ländern, die wenig in die internationale Kooperation eingebunden sind, können Embargos das künstlich geschaffene Vakuum aufrechterhalten; das funktioniert nicht im Falle von Großmächten, deren Volkswirtschaften niemals langfristig in Isolation gehalten werden können. Es werden immer Alternativen auf nationaler und internationaler Ebene geschaffen.

Die infolge von Sanktionen zurückgehenden Lebensmittelimporte führten zu einem Wachstum und einer Konsolidierung des russischen Agrar- und Ernährungssektors, und zwar in einem bedeutenden Ausmaß. In nur wenigen Jahren hat sich Russland von einem großen Importeur von Agrar- und Ernährungsgütern zu einem Exporteur entwickelt. Andere Sektoren sind dabei, unabhängig zu werden und werden nach dem Ende der russisch-westlichen Feindseligkeiten für die europäische Wirtschaft nahezu unzugänglich sein.

Energie- und Rüstungsunternehmen umgehen die Sanktionen mühelos, indem sie sich einfach weigern, den US-Dollar bei internationalen Transaktionen zu verwenden, und stattdessen die russische Währung und die Währung des Partnerlandes verwenden. Dies beschleunigt gleichzeitig den Prozess der Entdollarisierung der Welt, dieser Währung, die hochgradig toxisch geworden ist.

Im Finanzsektor antizipierte die Zentralbank der Russischen Föderation bereits 2015 das Risiko, eines Tages von dem vom Westen kontrollierten internationalen Bankennachrichtensystem SWIFT abgeschnitten zu werden, und schuf ihr eigenes Übertragungssystem, das SPFS, sowie ihr eigenes Zahlungssystem für Bankkarten, MIR. Beide Systeme sind international nutzbar und bereits mit dem chinesischen Bankensystem Chinese Union Pay verknüpft. Weitere Länder werden sich SPFS anschließen. Das große Instrument der ständigen Drohungen und Erpressungen des von den USA angeführten Lagers gegenüber dem Rest der Welt, von ihrem SWIFT abgeschnitten zu werden, wird nicht mehr als schicksalhaft und existenziell gefährlich angesehen.

Gleichzeitig diskutieren wir heute sehr ernsthaft nicht nur über die Schaffung einer neuen gemeinsamen Währung der BRICS-Länder, sondern auch über eine digitale Währung: den digitalen Rubel. Diese Währung wird ein hervorragendes zusätzliches Mittel sein, um sich des Zwangs illegaler Sanktionen zu entledigen, da sie ohne die Dienste von Banken genutzt werden kann, die ihrerseits befürchten könnten, Gegenstand westlicher Anfeindungen zu werden.

Ihrer Meinung nach hat der Westen also mehr zu befürchten, insbesondere den Bumerangeffekt seiner eigenen Sanktionen?

Wenn die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zerstört werden, wird sich dies dramatisch auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Die energieintensive deutsche Industrie ist bereits in großen Schwierigkeiten, da ihre Produktionskosten einfach explodiert sind und ihre direkten außereuropäischen Konkurrenten, angefangen bei den USA, nicht die Probleme haben, die sich die Deutschen gerade selbst geschaffen haben.

In der Europäischen Union, die eigentlich das zweite große Kollateralziel der US-amerikanischen Anti-Russland-Sanktionen ist, wurden die meisten gemeinschaftlichen Projekte in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Energie bereits nach unten korrigiert. Mittelfristig werden die Gesamtverluste aller EU-Länder aufgrund der Sanktionen gegen Moskau auf mehrere Hundert Milliarden Euro geschätzt.

Was die bereits angesprochenen Beschränkungen der Lebensmittelimporte nach Russland angeht, so darf man nicht vergessen, dass die europäischen Landwirte in Russland jedes Jahr Milliarden Euro verlieren und auf lange Sicht weitere zweistellige Milliardenbeträge verlieren werden, da der russische Markt für sie auf sehr lange Sicht verschlossen bleiben wird. Und selbst in ferner Zukunft, wenn die russischen Beschränkungen aufgehoben werden, werden die Marktanteile, die sie zurückerobern können, im Vergleich zu früher lächerlich gering sein.

Was den Tourismus angeht, so zahlt in Europa vor allem Frankreich die Rechnung. Es gibt keinen Tourismus mehr zwischen Russland und Frankreich. Wenn Sie sich in der südfranzösischen Hotel- und Tourismusbranche umhören, ist das für sie eine Katastrophe ebenso wie für den Immobiliensektor. In den letzten 30 Jahren waren russische Kunden bedeutend für den Umsatz. Die Massenmedien verschweigen diese Tatsache sehr sorgfältig.

Was den Energiesektor angeht, so lohnt es sich nicht einmal, darüber zu sprechen. Wir alle kennen das Ausmaß der Katastrophe. Die Katastrophe wird so gut es geht durch gigantische staatliche Ausgleichszahlungen verschleiert, die die ohnehin schon übergroße Staatsverschuldung noch weiter erhöhen und die mit Sicherheit nicht zurückgezahlt werden wird.

„In der Wirtschaft wie im Geschäftsleben dreht sich alles um Alternativen. Und Russland hat Alternativen, die die Länder der Europäischen Union nicht haben und auch nicht haben werden.“

Ab heute sind es die USA, die nicht nur die Produktionskosten der energieintensiven Industrien regulieren, sondern auch die Entscheidung über den Preis eines Baguettes oder die Heizkostenrechnung für die Haushalte treffen werden. Und wer glaubt, dass die Amerikaner ihren Vasallenkonkurrenten, den Europäern, Geschenke machen werden, der sollte seine schlechte Angewohnheit, zu träumen, aufgeben, das wird nicht passieren…

Generell haben und werden alle, die dem US-amerikanischen Plan gefolgt sind, negative Auswirkungen auf ihre Wirtschaft zu spüren bekommen – in weitaus schlimmerem Umfang, als dies in Russland in den kommenden Jahren der Fall sein wird. Denn in der Wirtschaft wie im Geschäftsleben ist alles eine Frage von Alternativen. Und Russland verfügt über Alternativen, die die Länder der Europäischen Union nicht haben und nicht haben werden.

Damit sich die Situation vor allem in Frankreich ändert, muss sich die französische Außenpolitik radikal ändern. Doch angesichts der Propaganda, die von den Mainstream-Medien auf sehr eindringliche Weise verbreitet wird, und der Konditionierung der französischen Wählerschaft ist klar, dass selbst die künftigen Wahlen im Jahr 2027 keine Chance haben, jemanden an die Macht zu bringen, der eine deutliche Verbesserung der Beziehungen zu Russland ermöglichen würde.

Für Sie sind die Sanktionszüge (derzeit der 11.) nicht mehr effektiv?

Die gesamte Bandbreite ernsthafter Sanktionen, die das atlantische Lager kontrollieren kann, ist bereits ausgeschöpft.

Eine der wichtigsten Sanktionen, die eingeführt wurden, war die gegen russisches Öl. Was ist das Ergebnis? Russland verkaufte im ersten Quartal 2023 noch mehr Öl als vor Beginn des Krieges in der Ukraine.

Auch das Embargo gegen russisches Gold funktioniert nicht. Und dieses Mal bedauere ich es sogar. Denn morgen wird Gold eine viel größere Rolle in der Weltwirtschaft spielen als heute. Anstelle der russischen Regierung hätte ich die russischen Goldexporte stark eingeschränkt, und das schon seit einiger Zeit. Man muss wissen, dass sich die nationalen Goldreserven in den USA und Deutschland seit dem Jahr 2000 kaum verändert haben – in Frankreich sind sie sogar stark zurückgegangen –, während sie in Russland im selben Zeitraum um das Sechsfache gestiegen sind. Es ist jedoch wichtig, sie weiter zu erhöhen.[5]

An ernsthaften Sanktionen bleiben nur solche, die über Erpressung und Drohungen gegen Russlands Partner verhängt werden. Da es sich dabei jedoch jedes Mal um strategische oder sogar lebenswichtige Interessen der Zielstaaten handelt, sind die Erfolgsaussichten nahe null.

Nun spricht man von Sanktionen gegen die Kernenergie. Diese Pläne sind völlig unrealistisch. Was die Verantwortlichen oder besser gesagt die Verantwortungslosen in der europäischen Politik wollen, wird niemals funktionieren. Die Bürokraten in Brüssel verlangen von Ungarn, das in hohem Maße von russischen Kernbrennstoffen abhängig ist, dass es auf diese verzichtet.[6] Dabei stammt fast die Hälfte der Energie des Landes aus Kernkraftwerken, die von den Russen gebaut wurden. Und jetzt werden dort neue Kernkraftwerke gebaut, um die Energieunabhängigkeit der Ungarn zu erhöhen. Wenn ich höre, wie von der Leyen Orban auffordert, sich das abzuschminken… Die Verluste für das ungarische Volk wären erheblich. Wenn sie sich Brüssel beugen, würden sie die Zeit um 30 Jahre zurückdrehen. Und es ist reines Wunschdenken, sich vorzustellen, dass die ungarische Regierung so verrückt wäre, das zu tun.

Josep Borrell (Chefdiplomat der EU) sprach auch über Sanktionen gegen Indien und russische Ölprodukte, die dort raffiniert werden. Die Einführung solcher Sanktionen wäre reiner Wahnsinn und würde Europa sehr teuer zu stehen kommen, da Indien über eine Vielzahl von Hebeln verfügt, um Vergeltungsmaßnahmen gegen die europäische Wirtschaft zu ergreifen.

Anmerkung der Redaktion: Hinweise auf deutsche Artikel im Text sowie Fußnoten stammen vom Übersetzer.

Titelbild: Shutterstock / Pla2na


[«1] Die Bedeutung, die der Dollar als größte Handels- und Reservewährung für die USA hat, beschrieb z.B. die SZ 2018 kurz und knackig mit: „Die Macht der USA basiert jedoch auf der Macht des Dollars.

[«2] Nach der angesprochenen Halbierung reduzierte Russland v.a. im Frühjahr 2018 massiv seine US-Anleihen, vermutlich auch wegen der Sanktionspolitik (siehe z.B. hier).

[«3] Im Original „Monnaie de singe“, wörtlich Affenwährung. Der Ausdruck bezeichnete ursprünglich eine Art Naturalienzahlung. Heute bedeutet er, eine nicht in Geld konvertierbare Währung zu verwenden oder gar „nicht zu zahlen“.

[«4] Le Maire ist Minister für Wirtschaft und Finanzen. Er hat sich ähnlich wie Baerbock geäußert.

[«5] Die BRICS-Staaten diskutieren über eine neue Handelswährung, die (teilweise) durch Rohstoffe abgesichert werden soll.

[«6] Frankreich bezieht ebenfalls Uran aus Russland.