Rentenroulette: Riestern ist von gestern, morgen wird richtig (ab)gezockt

Rentenroulette: Riestern ist von gestern, morgen wird richtig (ab)gezockt

Rentenroulette: Riestern ist von gestern, morgen wird richtig (ab)gezockt

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Die Riester-Rente ist in Verruf geraten. Bei horrenden Kosten bringt sie kümmerliche Erlöse und treibt massenhaft Kunden in die Flucht. Das kann so nicht weitergehen, findet die Ampelregierung und schickte eine Expertenkommission zum Brainstorming. Die Resultate liegen jetzt vor: Privates Alterssparen soll künftig noch mehr gepusht werden – mit höherem Risiko, geringeren Garantien und mit gewohnt freundlicher Unterstützung des Staates. Was die Finanzindustrie freut, könnte Sparer künftig um all ihr Erspartes bringen. Wer ihnen das eingebrockt hat, weiß in 30, 40 Jahren keiner mehr. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zum Thema „Riesterrente“ und „Privatisierung der Altersvorsorge“ finden Sie auf den NachDenkSeiten viele lesenswerte Artikel, die bis ins Jahr 2006 zurückreichen.

Die mit öffentlichen Mitteln alimentierte Abzockerei unter dem Label Riester-Rente wird wohl schon bald aus dem Verkehr gezogen. Nach den in der Vorwoche präsentierten Vorschlägen der „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ sollen laufende Kontrakte zunächst ihre Gültigkeit behalten, im Einvernehmen der Vertragsparteien aber „angepasst“ werden können. Das ist nur scheinbar eine gute Nachricht. Mitnichten will die Politik das Modell des privaten Alterssparens abwickeln. Vielmehr soll es „weiterentwickelt“ und „grundlegend reformiert“ werden, was in der Regel Schlimmes verheißt. In diesem Fall gilt dies umso mehr, weil die geplanten „Neuerungen“ nicht isoliert für sich wirken werden, sondern darauf abzielen, die Substanz der gesetzlichen Rentenversicherung weiter zu schwächen. Dafür will man die Kunden demnächst mit noch mehr und noch zweifelhafteren Finanzprodukten locken. Motto: Mehr Risiko, mehr Rendite – und mit Sicherheit mehr Pleitegeier.

Zuletzt ließ sich der vermeintliche Nutzen der vor über 20 Jahren eingeführten Riester-Rente den Menschen einfach nicht mehr beibiegen. Gerade Kleinsparern beschert das Instrument bei maximalen Kosten bestenfalls kümmerliche Erträge, mithin sogar Verluste, während sich die Anbieter an üppigen Gebühren laben. Immer mehr Kunden haben deshalb die Flucht ergriffen, von zwischenzeitlich über 20 Millionen Abschlüssen bestehen heute nur noch 16 Millionen, wovon gut ein Fünftel ruhend gestellt ist und nicht mehr bespart wird. So rettet man wenigstens seine bis dahin erhaltenen staatlichen Zulagen und Steuervorteile. Wer komplett kündigt, muss das Geld zurückerstatten. Unter diesen Vorzeichen konnte Riester als angeblich zukunftsträchtige und einträgliche Alternative zur staatlichen Rente einfach nicht mehr verkauft werden – auch PR-technisch nicht.

Kunden abkassiert

Also setzte die Ampelregierung zu Jahresanfang eine Kommission mit der Mission ein, die Erbangelegenheiten des Todeskandidaten zu regeln. Wirklich beerdigen will man diesen freilich nicht, vielmehr soll er als Scheintoter, also unter anderem Namen und in Gestalt neuer Angebote, weiter sein Unwesen treiben. Vor allem geht es darum, wieder propagandistisch in die Spur zu kommen, damit die Bürger den Glauben zurückgewinnen, eine kapitalgedeckte Altersvorsorge verschaffe ihnen ein bequemes Ruhekissen im Alter, wovon ja vor allem Christian Lindner ohne Pause kündet. Als Chef des Bundesfinanzministeriums (BMF) hat er dann auch den sogenannten Expertenrat bestellt, dessen Vorsitz Finanzstaatssekretär Florian Toncar innehat, ebenfalls ein FDP-Mann. Und bekanntermaßen sind die Freidemokraten ja darauf spezialisiert, die gesetzliche Rentenversicherung zu schleifen und der privaten Versicherungswirtschaft zu Milliardenprofiten zu verhelfen.

So gesehen hat die „Fokusgruppe“ Erwartbares aufgetischt. Man wolle dafür sorgen, „dass mehr Produkte in Frage kommen, dass wir auch Produkte haben, in denen es möglich ist, höhere Renditen und damit am Ende höhere Rentenzahlung, Altersvorsorgeleistungen für die Anleger zu bekommen“, erklärte Toncar bei der Vorstellung des vor acht Tagen präsentierten Abschlussberichts. Im Kern geht es bei den Empfehlungen darum, die Risiken zu erhöhen. Bei Riester sind die Anbieter qua Gesetz verpflichtet, das eingezahlte Geld samt staatlicher Förderung bei Renteneintritt zu 100 Prozent für die Verrentung zur Verfügung zu stellen. Also müssen sie vorsichtig agieren, weniger auf Aktien und mehr auf Anleihen setzen, die aber wegen der Niedrigzinsen kaum Ertrag generieren. Und um selbst zu verdienen, kassieren sie horrende Provisionen, was die Erlöse der Kunden noch weiter schmälert. Wie eine Auswertung der Bürgerbewegung Finanzwende aus dem Jahr 2020 ergeben hatte, wird im Schnitt jeder vierte über Beiträge und Zulagen eingezahlte Euro von Gebühren aufgefressen. Im Fall einer Police der Alten Leipziger sind es sogar 38 von 100 Euro. „Das eigentliche Ziel – die Altersvorsorge der Bürger aufzubessern – wird so vielfach verfehlt“, folgerten damals die Studienautoren.

Staatlich gesponserter Betrug

Dabei wurde das „eigentliche Ziel“ eigentlich voll erreicht, nämlich die Taschen von Banken und Versicherungen zu füllen. Seit 2002 hat der deutsche Staat über 35 Milliarden Euro in die Förderung von Riester-Verträgen gesteckt, von der bei den Versicherten kaum oder gar nichts hängenbleibt. Wo ist all das schöne Geld geblieben? Hier zeigt sich die ganze Perfidie des Treibens. Menschen wurden zuhauf in die Falle gelockt mit dem windigen Versprechen, für ihren Ruhestand vorzusorgen, profitieren am Ende kaum oder gar nicht und zahlen mitunter sogar drauf, wenn sie ihren Vertrag wegen mangelnder Perspektive vorfristig kündigen. Und die echten Gewinner sitzen in den Unternehmenszentralen, gepäppelt von Staats wegen mit dem Steuergeld der Angeschmierten. Dabei darf man getrost von staatlich gesponsertem Betrug sprechen: Der Versicherungsmathematiker Axel Kleinlein (hier im Interview mit den NachDenkSeiten) hatte vor drei Jahren enthüllt, dass bei Riester- oder Rürup-Kontrakten mit biblischen Lebenserwartungen zwischen 100 bis 150 Jahren kalkuliert wird, um so die Rentenfaktoren und damit die monatlichen Ausschüttungen zu minimieren. Segnet der Kunde Jahrzehnte früher das Zeitliche, worauf Verlass ist, schlägt die einbehaltene Rente als „Risikogewinn“ [sic] beim Versicherer zu Buche.

So funktioniert Umverteilung und so wird es weitergehen, allerdings mit höheren Einsätzen. So sollten künftig auch Altersvorsorgen mit geringeren Garantien und dafür höheren Renditemöglichkeiten angeboten werden, heißt es im Abschlussbericht der Kommission. „Sinnvoll“ seien „neben geringeren Kosten eine mit entsprechenden Chancen und Risiken verbundene realwertorientierte Kapitalanlage (insbesondere Aktien, aber auch Beteiligungen und Immobilien)“. Bei Versicherungsmodellen sollten künftig nicht mehr 100 Prozent, sondern weniger der eingezahlten Beiträge, zum Beispiel nur 80 Prozent, zugesichert werden. Die „Garantieanforderung bei Fondsprodukten sowie reinen fondsgebundenen Versicherungsprodukten“ müssten den Experten zufolge ganz „entfallen“. Ferner empfehlen sie ein „Altersvorsorgedepot“, bei dem das Geld zum Beispiel in börsengehandelten Indexfonds (ETF) angelegt wird. Um die staatliche Förderung zu kassieren, müsste das Depot jedoch bis zum Erreichen des Rentenalters bestehen bleiben. Überdies sollten Anbieterwechsel einfacher werden und konkurrierende Produkte über eine Internetseite zu vergleichen sein. Natürlich soll es auch weiterhin staatliche Zulagen geben, besondere Zuschüsse für junge Menschen und Menschen mit geringem Einkommen sowie die Möglichkeit des steuerlichen Sonderausgabenabzugs. Andernfalls würde sich ja kaum einer auf das Abenteuer einlassen.

Neue Futterexperimente

Reiner Heyse, Mitbegründer von „Seniorenaufstand“, einem Koordinierungskreis gewerkschaftlicher Seniorenpolitiker im norddeutschen Raum, kommentierte am Freitag gegenüber den NachDenkSeiten:

„Die Kommission schlägt vor, eine Reihe von merkwürdigen Renteneiern in die Welt zu setzen. Diese Eier werden erst in 30, 40 oder gar 50 Jahren ausgebrütet sein. Ob sie dann Verfaultes offenbaren oder prächtige Erträge, steht in den Sternen. Das verfaulte Riester-Ei wird auf den Müllhaufen geworfen. 16 Millionen Menschen hatten es vergebens angefüttert. Jetzt sollen die nächsten Futterexperimente gestartet werden. Gemästet wurden mit den Riester-Beiträgen Versicherungs- und Finanzkonzerne. Das soll jetzt mit erweiterten und riskanteren Modellen, angestrebt verpflichtend für alle abhängig Beschäftigten, fortgesetzt werden. Egal, was bei den Experimenten herauskommen wird: Profitieren werden in jedem Fall die Finanzkonzerne, BlackRock, Allianz und Co.“

Der Kommissionsbericht soll schon bald vom Bundeskabinett beschlossen werden, worauf dann laut Finanzministerium „schnelle und konkrete gesetzgeberische Schritte“ folgen würden. Man muss sich die Tragweite des Vorhabens vor Augen führen: Wie ruppig, undurchsichtig und kriminell es an den Finanzmärkten zugeht, weiß man spätestens seit dem großen Börsencrash nach der Lehman-Pleite 2008. Man weiß seitdem auch, dass zügellose Spekulation über Nacht gewaltige Werte vernichten und die ganze Weltwirtschaft in die Knie zwingen kann, mit verheerenden Folgen für Abermillionen Menschen. Bekannt ist ebenso, dass es im Finanzkasino keine Gewinner ohne Verlierer geben kann. Zum Beispiel lösen Spekulationen mit Lebensmitteln mitunter Hungerkatastrophen aus. Trotz alledem will die Bundesregierung Millionen Bürger dazu verleiten, auf dieser aus ethischen Gesichtspunkten schäbigen Geschäftsgrundlage eine Altersrente aufzubauen, verbunden mit der Gefahr, ihr eigenes Geld und das der Steuerzahler zu verjubeln.

Lindner will’s erzwingen

BMF-Chef Lindner liebäugelt gar damit, die Privatvorsorge zu einer Zwangsveranstaltung zu machen. Innerhalb der Kommission wurde in diesem Zusammenhang das sogenannte „Opting-out“ diskutiert. Dabei würden Beschäftigte automatisch über ihren Arbeitgeber in einen Vorsorgefonds einbezogen, sofern sie sich nicht aktiv dagegen entscheiden. Das Modell wurde allerdings wegen seiner wohl doch zu eklatanten Übergriffigkeit verworfen, zumal in dem Gremium auch Verbraucherschützer und ein Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes sitzen.

Durchgefallen ist auch der Vorstoß der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) für einen „öffentlich verwalteten Fonds“, der das Geld der Einzahler „breit diversifiziert (…) in Aktien anlegt – verlässlich und ohne unnötige Kosten und Gebühren“. Insofern seien die Empfehlungen „enttäuschend“, erklärte der Verband. „Dass sich die Kommission nicht zu einem staatlich organisierten und standardisierten Produkt durchringen konnte, ist sehr bedauerlich“, befand auch Stephen Rehmke, Vorstandssprecher beim Bund der Versicherten (BdV). Damit lasse man die Verbraucher allein mit der Konsequenz, „dass ihnen Banken und Versicherungen auch weiterhin ihre überteuerten, unrentablen und unflexiblen Produkte aufschwatzen können“. Wenigstens sei der Versuch der Versicherungslobby gescheitert, „der alten ‚Riester-Rente‘ nur das neue Label ‚Bürgerrente‘ aufzupappen“.

Keine Rücksicht auf Verluste

Das ist gut so. Bedenklich ist es dagegen, wenn Verbraucherschützer für scheinbar sanfte Vorsorgemodelle auf Aktienbasis unter staatlicher Regie und mit angeblich hoher Sicherheit die Werbetrommel rühren. Stattdessen wünschte man sich maximalen Einsatz für die gesetzliche Rente, die ja erst durch die Machenschaften der Finanzlobby und willfährige „Reformer“ wie Gerhard Schröder oder Walter Riester (beide SPD) in Bedrängnis geraten ist, was Millionen Menschen in Deutschland mit einem Lebensabend in Armut bezahlen. In Österreich geht es den Rentnern dagegen viel besser, obwohl auch dort die Bevölkerung altert. Hierzulande wird beim Rentenbashing dagegen die nächste Schippe draufgelegt. Dazu noch einmal Heyse von der Initiative „Seniorenaufstand“:

„Durch die Beiträge in die Privatrente werden der gesetzlichen Rentenversicherung in den nächsten drei oder vier Jahrzehnten massiv Gelder entzogen. Ebenso wird der Volkswirtschaft in riesigem Umfang Konsumnachfrage entzogen. Zur Finanzierung der Mehrbelastungen der Rentenversicherung in den kommenden 15 Jahren durch die geburtenstarken Rentenjahrgänge trägt die private Altersvorsorge nicht einen Cent bei. Dieses absurde Theater soll jährlich durch viele Milliarden aus Steuergeldern subventioniert werden. Damit füttern die steuerzahlenden abhängig Beschäftigten die Finanzkonzerne – egal ob sie privat vorsorgen wollen oder nicht.“

Auf die vielen Manipulationen seit Beginn der schrittweisen Rentenprivatisierung haben die NachDenkSeiten in etlichen Beiträgen aufmerksam gemacht. Mit dem Riester-Aus, das in Wahrheit ein Rettungsversuch darstellt, soll der Angriff gegen die Staatsrente künftig mit noch mehr Vehemenz geführt werden – diesmal ganz ohne Rücksicht auf Verluste.

Titelbild: Studio Romantic/shutterstock.com

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