Abhängig beraten. Gemeinnützige Servicestelle für Patienten demnächst nur noch auf Kassenrezept?

Abhängig beraten. Gemeinnützige Servicestelle für Patienten demnächst nur noch auf Kassenrezept?

Abhängig beraten. Gemeinnützige Servicestelle für Patienten demnächst nur noch auf Kassenrezept?

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Die „Unabhängige Patientenberatung Deutschland“ gehörte sieben Jahre lang einem Unternehmen im Dienste von Versicherern und Pharmaindustrie mit Tuchfühlung zu einem Private-Equity-Fonds. Darunter litten Service und Qualität, während die Firmenkasse klingelte. Das provozierte immer mehr Unmut, weshalb die Ampelregierung einen Neustart versprach – mit „staatsferner und unabhängiger Struktur“. Jetzt zeichnet sich ab: Die kommende UPD-Stiftung soll praktisch vom Spitzenverband der Krankenkassen beherrscht werden. Das steht so nicht im Gesetz, hat sich aber Gesundheitsminister Lauterbach in einem Kuhhandel abpressen lassen. Das war absehbar. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es gab Zeiten, da hielt die „Unabhängige Patientenberatung Deutschland“ (UPD), was ihr Name verspricht. Sie beriet in gesetzlichem Auftrag Hilfesuchende in Gesundheitsfragen unentgeltlich und „unabhängig“, weil sie über jeden Verdacht erhaben war, unter dem Einfluss von Ärzte- und Klinikverbänden, Krankenkassen oder Arzneimittelherstellern zu stehen. Garantiert war dies durch die Art, wie sie organisatorisch aufgestellt war: als reines Non-Profit-Projekt in gemeinsamer Trägerschaft des Sozialverbands VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sowie des Verbunds unabhängige Patientenberatung (VuP). Diese Struktur hatte von 2006 bis 2015 Bestand und es war dies die Phase, in der die UPD mit einem Maximum an Engagement, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit die Interessen der Menschen vertrat, die bei ihr Rat suchten.

Die NachDenkSeiten hatten vor drei Jahren im Beitrag „‚Heuschrecke‘ am Ohr“ nachgezeichnet, was dann passierte. Zum 1. Januar 2016 wechselte die UPD im Rahmen eines europaweiten Ausschreibungsverfahrens als vermeintlich eigenständige Tochter in den Besitz der Duisburger Sanvartis GmbH, die einen Großteil ihres Geldes mit dem Betrieb von Callcentern im Auftrag der Krankenkassen verdient. Deren Dachorganisation, der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV), war nicht nur die treibende Kraft hinter dieser Quasi-Privatisierung, sondern ist seit jeher der Hauptfinanzier der UPD. Mit Unabhängigkeit war unter diesen Bedingungen Schluss. Ein Dienstleister der Kassen „beriet“ fortan mit den Versichertenbeiträgen Versicherte, die mitunter im Konflikt mit dem eigenen Geldgeber stehen, mit dem Sanvartis auch noch private Geschäfte macht.

„Heuschrecke“ übernimmt

Der Vorgang sorgte seinerzeit für heftige Proteste, die aber folgenlos blieben. Dagegen zeigten sich die Folgen des Komplotts schon sehr bald: Service, Qualität und Quantität der Beratung gingen den Bach runter, während die Sanvartis-Bilanzen gediehen. Wie 2020 der Bundesrechnungshof (BRH) in einem „nur für den Dienstgebrauch“ gestempelten Bericht feststellte, „wird nach Ablauf der siebenjährigen Förderzeit fast ein Drittel der Fördersumme – mehr als 20 Millionen Euro – an die Sanvartis GmbH oder andere Mitglieder der Unternehmensallianz geflossen sein“. Tatsächlich legte der BRH ein System unternehmensinterner Auftragsverschiebereien bloß, bei dem sich diverse Firmentöchter mit überteuerten Abrechnungen aus dem Fördertopf bedienten. Die Leistungsentgelte „könnten großzügig bemessen sein“, was „Zweifel an einem optimalen Einsatz der Fördermittel“ nähre, befanden seinerzeit die Finanzwächter und umschifften so das Wörtchen Untreue um Haaresbreite.

Zweifel hatten davor schon andere gehegt, allerdings ohne damit Gehör zu finden. Ebenso ohne echte Öffentlichkeit, geschweige denn öffentlichen Aufschrei, lief im Sommer 2018 ein Deal ab, der die UPD praktisch mit einem Mal in die Einflusssphäre der Pharmawirtschaft beförderte. Der Sanvartis-Verbund wurde dabei praktisch über Nacht von der Careforce GmbH geschluckt, einem laut Eigendarstellung „Personalberater der Healthcare Industrie“. Kurzum arbeitet die Firma mit Sitz in Köln Arzneimittelproduzenten zu, damit die ihre Pillen und Salben besser unter die Leute bringen. Obendrein steht hinter der Careforce-Holding ein Private-Equity-Fonds namens Findos Investor, der mit dem Geld deutscher Mittelständler auf Renditejagd geht. Inzwischen haben sich die Besitzverhältnisse weiter „verschachtelt“. Teil des Findos-Portfolios ist heute die Kölner Medperion, ein „führender Kommunikations- und Vertriebsdienstleister für die pharmazeutische Industrie im deutschsprachigen Raum“, wie es heißt. Unter „unsere Teilunternehmen“ sind auf dessen Webseite fünf Namen aufgeführt und neben Careforce steht da auch: Sanvartis. Damit war die „unabhängige“ UPD bis vor kurzem nicht nur mit den Krankenkassen und der Pharmaindustrie verbandelt, sondern überdies Beute einer „Heuschrecke“.

Stiftung für die Galerie

Das ging nun doch zu weit, mussten schließlich auch die politisch Verantwortlichen einsehen und machten ein Versprechen. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien liest sich das so: „Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen.“ Bereits zu Zeiten der abgewählten Großen Koalition wurden vier mögliche Nachfolgemodelle diskutiert, wovon eines vorsah, „kommerzielle, gewinnorientierte oder nicht gemeinnützige Anbieter“ auszuschließen. Der Vorteil läge in der „präventiven Immunisierung des Beratungsangebots vor der Einflussnahme durch Anbieter gesundheitsbezogener Waren und Dienstleistungen“, zitierte damals das Ärzteblatt aus einem Rechtsgutachten im Auftrag der damaligen Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Claudia Schmidtke (CDU). Daraus wurde nichts. Stattdessen beschloss der Bundestag im vergangenen März, die UPD zum 1. Januar 2024 in einer Stiftung bürgerlichen Rechts zu verstetigen.

Zu diesem Konzept hatte besagte Expertise noch festgehalten, es sei „besonders dafür geeignet, innovativen Input durch wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Partizipationsstrukturen zu gewährleisten“. Tatsächlich fanden sich die maßgeblichen Patientenorganisationen prompt bereit, den Aufbau der neuen UPD mitzugestalten und als künftige Betreiber an die Erfolgsgeschichte der Gründerjahre anzuknüpfen. Allerdings konnten sie im Frühjahr nicht ahnen, dass die Verheißung neuer, alter Unabhängigkeit vier Monate später wieder Schall und Rauch sein wird. Wie in der Vorwoche das Ärzteblatt unter Berufung auf Sitzungsunterlagen berichtete, soll nämlich die UPD in Zukunft praktisch unter die Herrschaft des GKV-Spitzenverbands gestellt werden.

Kungeln mit Lauterbach

So steht es in einem zwischen dessen Verwaltungsrat und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) klammheimlich ausgehandelten Papier mit dem Titel „Zusammenfassung der Gespräche“, das dem Fachorgan zugespielt wurde. Hierin werden der GKV-Führung umfassende Zugeständnisse durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gemacht. Demnach solle diese über die Finanzen, den Vorstand, die Themen und Zielgruppen der Beratung, die Qualifikation der Beschäftigten sowie die wissenschaftliche Begleitung entscheiden können. Unter anderem wird dem GKV-SV die Rückendeckung des BMG bei richtungsweisenden Fragen im künftigen Stiftungsrat zugesichert, insbesondere bei strittigen Haushaltsthemen. Das Ministerium werde den Spitzenverband „bei der Geltendmachung seines Einspruches unterstützen, wenn er konkret darlegt und substantiiert begründet, dass eine Beschlussfassung aus seiner Sicht nicht mit einer wirtschaftlichen Haushaltsführung vereinbar ist“, heißt es dazu. Außerdem soll die alle zwei Jahre durchzuführende Evaluation der UPD-Tätigkeiten nun auch den Einsatz von Finanzmitteln miteinbeziehen. Laut Gesetz sind aber nur die Zweckerfüllung der Stiftung, die Unabhängigkeit sowie die wissenschaftliche Qualität des Informations- und Beratungsangebotes sowie die Beratungszahlen einer Prüfung zu unterziehen – aber nicht die Bilanzen.

Dabei lässt sich die Position des Spitzenverbands durchaus nachvollziehen. Denn die gesetzlichen Krankenkassen sollen erneut die Hauptlast der Finanzierung tragen. Gemäß Gesetz haben sie 15 Millionen Euro jährlich beizusteuern, während sich die Private Krankenversicherung (PKV) wie bisher schon auf freiwilliger Basis mit einem Volumen von sieben Prozent beteiligen kann. Über diese „Lösung“ kann man sich nur wundern. Erstens widerspricht sie abermals diametral dem Anspruch von Unabhängigkeit und zweitens war es absehbar, dass die GKV ihre Rolle als Finanzierer an Bedingungen knüpfen wird und sich die Regierung erpressbar macht. Genau so kam es: Mitte Juni hatte der GKV-SV per Resolution verkündet, nicht an der Errichtung der UPD mitwirken zu wollen, solange man weder auf die „inhaltliche Ausrichtung“ noch auf die „haushalterischen Entscheidungen tatsächlich Einfluss nehmen kann“.

Erfolgreiche Erpressung

Damit drohte Lauterbach, die Zeit davonzulaufen. Der Neustart soll in einem halben Jahr erfolgen. Und mit der Aufgabe der Errichtung der Stiftung hat er qua Gesetz wen betraut? Genau: Den GKV-Spitzenverband! Der soll die entsprechende Satzung ausarbeiten und mit dem BMG abstimmen. Warum nur? Na klar: Wer bezahlt, bestimmt die Musik. Allerdings stehen im Gesetz Dinge, die dem Zahlmeister nicht passen, zum Beispiel, dass auch privat Versicherte sowie Unversicherte auf die UPD zählen können. Jetzt hat der Verband mit dem BMG-Chef ausgekungelt, „der Schwerpunkt der Informations- und Beratungstätigkeit der künftigen Stiftung UPD bezieht sich dabei in erster Linie auf die gesetzlich Versicherten“. Zudem soll in der künftigen Satzung stehen, dass die Beratungen schwerpunktmäßig auf den Leistungskatalog des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) abheben, das die Regelungen zur Gesetzlichen Krankenversicherung zusammenfasst. Damit würden laut Ärzteblatt Fragen zur Pflege als Teil des SGB XI sowie zu einigen Bereichen der Rehabilitation unter den Tisch fallen, ebenso wären allgemeine Gesundheitsthemen – wie etwa zur Pandemie – nicht länger Teil des UPD-Angebots. Dabei wurden Themen rund um Pflegeleistungen bislang am zweithäufigsten nachgefragt.

Es hätte alles auch ganz anders kommen können. In den Anhörungen im Gesetzgebungsverfahren hatten mehrere Fachleute empfohlen, die UPD aus Steuermitteln zu finanzieren. Selbst der GKV-SV hatte dazu geraten, in einer aktuellen Stellungnahme nennt er dies „nach wie vor die beste Lösung“. Die Mauschelrunde mit Lauterbach wird darin mit „konstruktiven Gesprächen“ verbrämt. „Hierbei konnten offene Fragen geklärt und zu den wesentlichen Kritikpunkten eine übereinstimmende Sichtweise gefunden werden.“ Im Ergebnis bestünde nun ein „gemeinsames Grundverständnis zur Umsetzung des vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetzes“. Will heißen: Der Wortlaut des Gesetzes ist praktisch hinfällig. So deutlich sagt dies sogar der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), der dereinst den Vorsitz des Stiftungsrates einnehmen soll. „Es ist schon erstaunlich, wie vehement und mit welchem großen Selbstverständnis gegen einen klaren gesetzlichen Auftrag opponiert wird“, bemerkte er im Interview mit dem Ärzteblatt. „Ich hätte mir da ein wenig mehr Gesetzestreue gewünscht.“

Murren in der Koalition

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Kathrin Vogler, hat Sorge, dass in der Sommerpause „Fakten geschaffen werden, die kaum mehr korrigiert werden können“. Am Freitag verlangte sie deshalb, kurzfristig „eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses“ anzuberaumen. Auch aus Reihen der Ampelkoalition ergingen erste Signale, dass die Absprachen so nicht umgesetzt werden dürfen. Der CDU-Gesundheitspolitiker Hubert Hüppe formulierte treffend: Konsequenterweise solle der Minister die UPD in „GKV-Patientenberatung Deutschland“ umbenennen.

Womöglich steht wegen des Eklats das ganze Vorhaben auf der Kippe. Mittlerweile haben sieben Verbände – darunter der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) – in einer gemeinsamen Erklärung „einhellig“ erklärt, sich nicht an einer UPD zu beteiligen, „die so vollständig unter der Regie des GKV-SV steht, wie es derzeit aussieht“. Ausgerechnet der Teil der Selbstverwaltung, der seit mehr als 15 Jahren am häufigsten Anlass zur Kritik der Patienten biete, „soll nun das absolute Sagen haben“. Und weiter: Für eine „wirklich unabhängige Lösung im Sinne der Ratsuchenden“ brauche es politisch Mut, wohingegen die GKV offensichtlich „Teil des Problems“ sei.

Bayer, übernehmen Sie!

Apropos Probleme. Laut Ärzteblatt könnte die künftige Stiftung, so es sie denn geben wird, „auf nichts aufbauen“. Die alte UPD befindet sich momentan in vollständiger Abwicklung. „Alle Verträge – wie etwa Mietverträge oder Telefonanbieter – sind gekündigt“, im September stünde die Entlassung sämtlicher Beschäftigter an. Für die Nachfolgeorganisation hieße das: „Konzept aufsetzen, Räume finden, Mietverträge abschließen, neue Mitarbeiter rekrutieren und einstellen.“ Bei fünf Monaten Vorlauf gibt es damit noch allerhand zu tun. Oder man lässt es ganz bleiben, dann hätte sich gleich die ganze UPD erledigt, nicht nur die Sache mit der Unabhängigkeit. Es sei denn, der Laden wird auf die Schnelle verjubelt. Zum Beispiel an Bayer oder die BASF. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

Titelbild: FabrikaSimf/shutterstock.com

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