Leserbriefe zu „Die Renaissance des Freund-Feind-Denkens – Indikator für einen neuen Totalitarismus?“

Ein Artikel von:

In diesem Beitrag wird die Ausgrenzung Andersdenkender in politischen Debatten thematisiert. Udo Brandes meint, es werde nicht mehr argumentiert, sondern radikal ausgegrenzt. Das erinnere ihn „an den berühmten Aufsatz ´Der Begriff des Politischen´ des Staatsrechtlers und politischen Philosophen Carl Schmitt“. Die Ausbreitung des Freund-Feind-Denkens bedeute „leider, dass sich eine antiplurale Haltung in der Gesellschaft“ ausbreite. Wir haben hierzu interessante Zuschriften bekommen. Dafür danken wir. Hier nun eine Auswahl der Leserbriefe. Zusammengestellt von Christian Reimann.


1. Leserbrief

Hallo Herr Brandes,

Herzlichen Glückwunsch, das ist ja mal ein böser Text. Nicht wegen Ihrer Wortwahl, sondern wegen Ihrer Beschreibung des politischen Klimas in diesem Land. Und Sie haben vollkommen Recht. Der Faschismus steht schon wieder an der Straßenecke und bekommt das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Diese Straßenecken finden sich überall in Europa und es werden immer mehr. Das wird wieder einmal böse enden. Europa wird wieder einmal Blut saufen. Ganz so, wie es George Friedmann 2015 beim Chicago Council on Global Affairs angekündigt hat. Zu pessimistisch gedacht? Ich würde mich so gerne irren. Aber das die Gedanken solcher Figuren wie Carl Schmitt auch heute immer noch begeisterte Anhänger finden, zeigt eigentlich nur, dass die Menschheit aus den Schlachtereien der Vergangenheit nur eines gelernt hat: wie sie es beim nächsten Mal noch grausamer hinbekommt. Und das wird dann als Fortschritt verkauft.

Mit etwas hoffnungslosen Grüßen
Siegfried Seifert


2. Leserbrief

Das Fragezeichen im Titel ist meiner Ansicht nach überflüssig.

“Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.”   Für einen gelernten Ossi meiner Generation (BJ 1954) ist dieser Satz ein Déjà-vu. Ob eine solche Haltung ein Indiz für Totalitarismus bzw. Diktatur ist, kann für Unsereinen keine Frage sein, es ist eine Tatsache. Und die deutsche Geschichte ist ein lebendiges Beispiel dafür wie es ausgehen wird, sollte es nicht gelingen, dem entgegenzuwirken. “Der Schoß ist fruchtbar noch…” Wo stand das doch gleich? ;-))
 
H. Borrasch


3. Leserbrief

Lieber Herr Brandes,

Ihren sehr guten Ausführungen fehlt m.E. nur noch der Hinweis, wenn Sie schon ein Buch zum Thema „ Macht“ vorbereiten, dass Carl Schmitt genau in dieser Frage entschieden a priori argumentierte: „ Wer die Macht hat, hat Recht“, setzte also einen totalitären Absolutheitsanspruch des Machthabers gegen Pluralismus, gegen Gewaltenteilung, gegen eine demokratische Verfasstheit des Staates, war somit der intellektuelle Rechtfertiger jeder Diktatur, bei ihm konkret die Legitimation der Nationalsozialistischen Diktatur ab 1933! Wer die MACHT „ hat“, bestimmt „ wer Freund, wer Feind“ ist. Wer die MACHT hat, kann also auch keine Verbrechen begehen, denn die MACHT bestimmt, was Recht und Unrecht ist. Die meisten Juristen,insbesondere die Richterschaft der Weimarer Republik folgten dieser Auslegung und wurden zu willigen Wegbereitern und Erfüllungsgehilfen der Nazi- Diktatur. Nach dem 7. Mai 1945 blieben alle ( sogar die Richter der sog. Volksgerichtshöfe in ihren Roten Roben und am Fließband gefällten Todesurteilen gegen„Volksschädlinge“ etc.) unbestraft und kehrten zumeist- spätestens nach der trickreichen Amnestie Adenauers 1950 und der darauf aufbauenden nachfolgenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe- in ihre Ämter zurück. Insbesondere der hessische Generalstaatsanwalt Bauer konnte von dieser ihm „feindseligen“ Gesinnungsjustiz“ um ihn herum, bei seinem Versuch der Aufarbeitung der NS- Verbrechen und Täter, ein „Liedchen“ singen. Bei dem langjährigen CDU- Ministerpräsidenten Hans- Georg Filbinger ( Baden- Württemberg) führte das zu seiner Rechtfertigung „was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“ , als ihm Todesurteile als Marinerichter in Norwegen gegen Fahnenflüchtige, auch noch nach der Kapitulation vom 7./8. Mai 1945, nachgewiesen wurden. Eine „Gesinnungsjustiz“, die heute an den herrschenden Narrativen der „Herrschenden“ ausgerichtet ist, scheint wohl wieder an Stärke zu gewinnen: kann ja der Karriere nicht schaden, oder? Urteile „im Namen des Volkes“ mit bester „demokratischer Absicht“, einer Erziehung zur nichthinterfragten MACHT? Hoffentlich wird das nicht wieder zum Mainstream!

Mit besten Grüßen
Reinhold Lang


4. Leserbrief

Sehr geehrte Nachdenkseiten, sehr geehrter Her Brandes,

Danke für Ihre Einsichten zu Carl Schmitt. Solche Einordnungen lese ich mit Begeisterung. Gerne mehr von politischer Theorie.

Udo Brandes schreibt, Schmitt wäre „nicht zu fassen“, da seine Theorie eine Naturgesetzlichkeit aufweise, die er aber nicht sähe. Leider wird der Nachweis dafür schlussendlich sehr kurz, mit dem Hinweis darauf, dass es ums Aushalten von Gegensätzen ginge. “Diese Fähigkeit fällt nicht vom Himmel“.
Ich sehe darin keinen Beweis darin, dass es kein Naturgesetz von Freund und Feind gibt, sondern eher ein Beweis dafür. Die Sozialisation im aufklärerischem und im demokratischen Sinne findet ja eben innerhalb einer Gesellschaft statt. Es kann also keine natürliche Fähigkeit sein, wenn man davon ausgeht, dass diese angeboren sind, also stark intuitiv.

Im Gegenteil, ich bin der Meinung, dass das Freund-Feind-Schema teil unsere Natur ist, aber natürlich überwunden werden sollte, und zwar schon sehr bald in der Kindheit. Es ist sozusagen ein Schema des kleinkindlichen Überlebens. Dazu empfehle ich eine ARTE-Dokumentation „Wir werden als Altruisten geboren, nicht als Egoisten.“ Hiernach scheint die Unterscheidung von Fremd und Freund eine Überlebensstrategie zu sein, die sich dann mit der Sozialisation durch Anlernen und “Umwidmen” von Toleranz und Empathie, in, für die Demokratie wichtige Eigenschaften entwickeln.

Carl Schmitt verfolgt letztendlich das, was die Nachdenkseiten sooft als eine Strategie benennen, nämlich das verkürzte Erzählen historischer Fakten. Hier nur im Sinne, dass Schmitt eine ganze Reihe an wissenschaftlicher und intellektuellen Errungenschaften übersieht und bei „Kain und Abel“ anfängt.

Mit Grüßen,
Rolf Limpinsel-Atwan


5. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Brandes,

herzlichen Dank für Ihre umfangreichen Ausführungen zu Carl Schmitt. Dieser vermischte Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft auf eine Weise, in der sie sich eliminierten.

Die Rechtswissenschaft, nicht mehr als angewandte Philosophie, fragt nach dem was sein soll und bedient sich zur Durchsetzung der Politikwissenschaft als angewandte Soziologie; unter Recht versteht man in der Rechtswissenschaft dasjenige, das gut und richtig ist und deshalb allgemein gelten sollte. Die Politikwissenschaft stellt sich die Frage, wie Strukturen beschaffen sein müssen, damit das Recht zu seiner Durchsetzung gelangt. Am Anfang steht also die Frage nach dem Recht, es schließt sich an die Frage nach der Durchsetzung.

Carl Schmitt ging einen anderen Weg. Er fragte nach den Wünschen der jeweiligen Eliten, nahm sie zur Grundlage seiner “wissenschaftlichen” Arbeit und verhalf ihnen so zur Erfüllung. Ziel war (und ist) die Etablierung von Recht durch die Gestaltung von Gesetzen und Institutionen zur Durchsetzung dieser Gesetze.

Am Anfang steht der Wunsch der Eliten zur Beeinflussung der Massen, es schließt sich an die Frage nach den Gesetzen zur Erfüllung.

Es wundert nicht, dass ein amerikanischer Ankläger nichts an Carl Schmitt auszusetzen hatte. Sind doch die USA das Land, in dem Macht und Herrschaft ausschließlich durch eine kleine Elite bestimmt werden und damals schon wurden.

Mit freundlichen Grüßen
von unserem Leser L.L.


6. Leserbrief

Liebe Mannschaft der Nachdenkseiten,

zum Thema: “Die Renaissance des Freund-Feind-Denkens … neuer Totalitarismus?” einige sehr interessante Erkenntnisse (bereits von 1996).

Mit freundlichen Grüßen
Jörg Fauser

Narzißtische Persönlichkeitsstörung

„Narzißtische Persönlichkeiten sind stark ichbezogen. Neben einer Tendenz zur totalen Überbewertung der eigenen Person [ist] hintergründig stets auch […] ein im Grunde labiles Selbstgefühl vorhanden. […]

Charakteristisch ist eine Zweiteilung der Welt, eine vereinfachende Spaltung in ‘gut’ und ‘böse.’ Andere Menschen werden vom Narzißt entweder als ideal (nur gut) oder bedrohlich (nur böse und schlecht) wahrgenommen. Diese Spaltung in Gut und Böse dient dazu, sich selbst als vollkommen in Ordnung zu erleben, während alles Negative und Schlechte den anderen zugeschrieben wird. Diesen ‘Bösen’ gilt dann […] ihr oftmals ungezügelter Haß.“

Und weiter:

„Arbeitsverhalten. Die Instrumentalisierung [d.h. Ausnutzung] von Mitarbeitern [Untergebenen, ‘Fußvolk’, Wählern] ist ein Hauptmerkmal des Arbeitsverhaltens narzißtisch gestörter Persönlichkeiten. […]

Sie bevorzugen Jasager, in deren Bewunderung sie sich sonnen und deren Unterwürfigkeit bis Kriecherei sie fördern. So direkt und kompromißlos der Narzißt in seinen Kritikäußerungen ist, er selbst reagiert überempfindlich auf jede Kritik oder Weigerung, ihn zu bewundern und zu idealisieren. […] Sie [Narzißten] leben nach der Devise: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. […]

Gefahren. Führungskräfte mit narzißtischer Persönlichkeitsstörung stellen nach Kernberg [Otto F. Kernberg, US-amerikanischer Psychoanalytiker] das größte Risiko für Unternehmen und Institutionen dar. […] Unfähig, sich und andere differenziert wahrzunehmen und richtig einzuschätzen, demonstrieren sie einen Mangel an Einfühlungsvermögen, der ihren Führungsstil katastrophal prägt. Bleibt der angestrebte Erfolg aus, scheitern Projekte, [dann] entwickeln narzißtische Führungskräfte an Stelle von Depression und dem Gefühl persönlichen Versagens häufig paranoide Züge (‘Schuld sind die anderen – alle sind gegen mich – keiner gönnt mir den Erfolg’).“

Aus dem Buch von Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader (beides Diplom-Psychologen mit langjähriger Erfahrung in der Arbeitspsychologie): „Die Neurosen der Chefs. Die seelischen Kosten der Karriere.“ 1996. München. (Piper Verlag).

Kapitel. „Selbstliebe – Selbstdarstellung – Selbstinszenierung. Die narzißtische Persönlichkeitsstörung.“ S. 76 bis 83.

Das alles hat doch sehr große Ähnlichkeiten mit dem „Cancel-Culture“, der Identitätspolitik, dem Haß gegen alles Russische und gegen jeden, der für Vernunft, Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine plädiert. Und jeder denkt beim Lesen dieser Zitate jetzt an ganz bestimmte Personen …

Symptome der Narzißtischen Persönlichkeitsstörung sind laut „DSM-4. Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen.“ 1996. Autoren: Saß, Witchen und Zaudig. Göttingen. (Hogrefe Verlag) u.a.:

  • Größenwahn, Machtwahn;
  • Selbstdarstellung, Drang, im Mittelpunkt zu stehen;
  • maßloses Übertreiben und Überschätzen der eigenen nur sehr mäßigen Fähigkeiten und Leistungen bei gleichzeitigem Drang nach besonderer Bewunderung dieser nur mäßigen Leistungen und bei gleichzeitiger Abwertung der Leistung anderer;
  • Drang, mit besonderen, wichtigen, prominenten Personen zu verkehren;
  • „[…] ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen [oder gar anzuerkennen …], ungeachtet dessen, was dieses für andere [Personen] bedeutet […], ohne Rücksicht auf die Auswirkung auf deren Leben.“ (DSM-4, S. 744); [z.B: „Die Sanktionen bleiben bestehen, egal, was meine deutschen Wähler denken und auch, wenn der Winter hart für uns Politiker wird“ – Frau Baerbock im August 2022. Man beachte die Formulierung: der Winter wird hart für gut bezahlte Politiker, aber nicht etwa für Normalbürger, die unter den überteuerten Preisen für Heizung, Energie, Lebensmittel, Mieten usw. leiden];
  • „[…] zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen“ (S. 747);
  • Narzißten schieben angeblich hehre Ziele vor „zum Wohle der Allgemeinheit“, um in Wirklichkeit ihre eigenen persönlichen Interessen und Privilegien durchzusetzen …

Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten

Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff.

Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen:

Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.