„Wir müssen an Frieden denken und nicht an Krieg“

„Wir müssen an Frieden denken und nicht an Krieg“

„Wir müssen an Frieden denken und nicht an Krieg“

Ein Artikel von Tilo Gräser

Ulrich Lenz aus Katzenelnbogen ist seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung aktiv. Am kommenden Wochenende will er im Bonner Hofgarten mit vielen anderen an die große Friedensdemonstration vor 40 Jahren erinnern und sich gegen die gegenwärtige Kriegspolitik hierzulande einsetzen. Über seine Motive hat Tilo Gräser mit ihm gesprochen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Tilo Gräser: Herr Lenz, Sie nehmen am 22. Oktober in Bonn im Hofgarten an einer Friedensdemo teil. Was ist da genau geplant und aus welchem Anlass?

Ulrich Lenz: Da geht es darum, dass dort vor 40 Jahren eine große Friedensdemo stattgefunden hat. Es soll daran erinnert werden, wie gut das lief und wie wichtig gerade in der heutigen politischen Situation, u.a. mit dem Krieg in der Ukraine und dem wieder aufgeflammten Konflikt in Palästina/Israel, eine Friedensbewegung ist, die wieder stark agiert und viele konträre, andere politische Ansichten außen vor lässt.

Wer lädt dazu ein, wer organisiert das?

Das ist ein Bonner Bündnis, „Bonn zeigt Gesicht“. Die haben eine eigene Internetseite. „Wir zeigen der Welt, dass die Friedensbewegung lebt.“ Das ist der Grundsatz. Und eingeladen sind verschiedene bekannte Redner aus gesellschaftlichen und politischen Bereichen, aus der Friedensbewegung: Gabriele Gysi, Jürgen Fliege, Diether Dehm, Jens Fischer-Rodrian, Alexander Tuschinski und andere. Es werden wahrscheinlich noch einige mehr da sein. Auf der Webseite ist ein Bild von vor 40 Jahren zu sehen, wo die halbe Million Menschen zu sehen sind, die es damals waren.

Das klingt ja nicht nach irgendwelchen Nostalgikern, die nur daran erinnern wollen, was vor 40 Jahren möglich war. Das sollen ja damals eine halbe Million oder so gewesen sein. Das klingt danach, dass dort die sogenannte klassische und die sogenannte neue Friedensbewegung zusammenfinden, wenn ich die Namen höre.

Ich gehe auch davon aus. Es wäre auch absolut wichtig, wenn das passieren würde. Zu den Miteinladern gehört unter anderem die Bewegung Stopp Ramstein, die eher für die alte Friedensbewegung steht. Es ist wichtig, dass wirklich versucht wird, alle Friedensbewegten zusammenzuführen.

Warum gehen Sie dahin? Warum machen Sie da mit?

Das ist für mich absolut wichtig, dass wieder was mit der Friedensbewegung geht. Und zwar ohne Fingerzeig auf irgendwelche Länder oder Gruppierungen, die angeblich den Frieden sabotieren. Es muss dringend wieder was passieren. Und es ist auch wichtig, Widerspruch zu leisten bei solchen Phrasen wie „völkerrechtswidrige Angriffskriege“ oder wenn, wie jetzt wieder beim Konflikt Palästina-Israel, die diffamiert werden, die eigentlich nur auf lange existierende Konflikte reagieren.

Waren Sie denn vor 40 Jahren selber dabei?

Ich bin Jahrgang 61. Da ich eine Sechs-Tage-Arbeits-Woche hatte und die Demo an einem Samstag war, konnte ich nicht teilnehmen. Ich habe damals nicht frei bekommen.

Aber Sie waren damals schon in der Friedensbewegung aktiv?

Ich war schon im Umfeld der Friedensbewegung. Ich war damals – dafür muss man sich ja heute fast schämen – mit einer der ersten bei den Grünen. Die heute das Gegenteil von dem sind, was sie damals waren.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es heute schwer ist, auch nur annähernd so viele Menschen wie vor 40 Jahren auf die Straßen zu bringen? Wirkte damals die mehr oder weniger reale Drohung durch die Atomraketen stärker als heute die Bedrohung, die Warnung vor der Eskalation des Ukraine-Krieges, die Warnung vor einem möglichen Krieg gegen China mit seinen globalen Folgen?

Also zum einen denke ich, dass die Menschen heute zeitlich eingeschränkter sind als damals. Die meisten leben in einem Hamsterrad, aus dem sie nicht herauskommen, nur um überleben zu können. Und das Hamsterrad dreht sich auch immer schneller. Das nächste ist: Wir haben ein Internet, was wir damals noch nicht hatten. Jeder hat heute ein Smartphone, worauf er die neueste Information kriegt und auch mit zwei Klicks irgendeine Unterschriftenaktion unterschreiben kann – und dann meint, damit wäre die Welt gerettet. Das ist ein Riesenproblem. Früher wurde sich noch real getroffen, verabredet, „wir fahren da hin“. Das findet heute fast nicht mehr statt. Das hat sich noch potenziert seit den ganzen Corona-Maßnahmen, wo es verboten war, Menschen zu treffen. Im Internet kann man sich heute leichter informieren, alleine informieren, ohne mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Früher musste man sich treffen, um Meinungsaustausch zu pflegen, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Und das ist auch das, was es heute schwierig macht, eine große Demonstration aufzuziehen, weil jeder meint, er erfährt ja alles zu Hause am Computer – und das reicht.

Wie schätzen Sie diese globale Lage ein? Was ist der Unterschied zu der Zeit vor 40 Jahren?

Damals gab es zwei klare Lager. Damals gab es klare Fronten, wo man sagen konnte: Gut und Böse, zumindest aus Sicht des jeweiligen Lagers. Das war einmal der Westen, der NATO-Bereich, und dann der Ostblock, der Warschauer Vertrag. Und heute haben wir eine unüberschaubare Lage. Die damals sogenannte Dritte Welt hatte damals nichts zu melden. Heute meldet sie sich selbstbewusst zu Wort. Die heutigen Entwicklungsstaaten haben eine ganz andere Ebene erreicht, auch dank Ländern wie Russland und China, welche nicht so sehr auf Ausbeutung setzen, sondern auf Kooperation und Entwicklung. Und das wird im globalen Süden anerkannt. Inzwischen ist es auch so, dass der Westen nicht mehr diese Kraft hat, die er noch vor 40 Jahren hatte. China ist stark geworden. Russland ist auch in den letzten 20 Jahren wieder erstarkt und auf einer wesentlich stärkeren Ausgangsposition als damals.

Nun habe ich vorhin gerade ganz aktuell und ganz konkret erlebt, wie der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil bei der Vorstellung des Buches „Bedingt abwehrbereit“ von Carlo Masala gesagt hat, die bundesdeutsche Gesellschaft dürfe nicht wieder in den Friedensmodus zurückfallen, sie müsse quasi aufrüsten, sie müsse sich verteidigungsbereit machen angesichts der ganzen Bedrohung. Das hat auch der Masala gesagt. Der hat auch noch gesagt mit Blick auf den Ukraine-Krieg: Russland darf auf keinen Fall gewinnen, denn ein Sieg Russlands bedeute für Europa etwas, was wir uns noch gar nicht vorstellen könnten. Was halten Sie von solchen Aussagen?

Also erst einmal zum „Friedensmodus“: Wie können wir ständig Geld fürs Morden ausgeben und auf der anderen Seite kein Geld mehr zum Überleben für die Menschen haben? Das ist für mich der erste Grundsatz. Ich finde es schrecklich, die Rüstungsausgaben so massiv zu erhöhen. Und selbst alleine in Deutschland, abgesehen vom Rest der Welt, fehlt es hier an Unterstützung für Rentner, an Unterstützung für Kinder, auch an Infrastruktur, wo alles im Prinzip zusammenbricht. Wir entwickeln uns in Richtung Zweite-Welt-Land, nur um Rüstungsausgaben machen zu können? Das kann es nicht sein. Den Friedensmodus halte ich für sehr wichtig. Wir müssen an Frieden denken und nicht an Krieg.

Sollen wir uns wieder auf eine Zeit einstellen wie kurz vorm Ersten oder Zweiten Weltkrieg? Da läuft für mich momentan alles darauf hinaus, wenn man sich mit der Geschichte etwas beschäftigt. Das ist ein Mischmasch aus beidem, der Lage kurz vorm Ersten und kurz vorm Zweiten Weltkrieg. Wir stehen momentan an so einem Punkt, wo alle wieder Hurra schreien, wir müssen Krieg führen. Und das ist falsch. Und dann wünschen: Russland soll verlieren. Das ist der falsche Ansatz. Meiner Meinung nach brauchen wir eine multipolare Welt, wo jedes Land seine Berechtigung hat, zu leben und zu überleben. Und nicht nur unsere sogenannte westliche Wertegemeinschaft, wie anscheinend ein Lars Klingbeil und dieser Carlo Masala meinen.

Masala meinte auch, dass immer nur mit einer SPD-geführten Regierung Reformen durchgesetzt werden können, die wehtun. Und er sagte, wenn die CDU zum Beispiel das gemacht hätte, auch mit der sogenannten Zeitenwende 100 Milliarden für die Rüstung und so, da hätte es viel mehr gesellschaftlichen Widerstand gegeben. Und danach beeilte sich Lars Klingbeil zu sagen: Wir hätten das auch nicht anders gemacht, wenn wir in der Opposition wären und uns in solch einer Situation voll hinter eine CDU-geführte Regierung gestellt. Also, wie beurteilen Sie das? Wird die SPD tatsächlich immer als „Bluthund“ gebraucht, wie es einst der Gustav Noske 1919 selber wohl gesagt hat?

Ja, ich sehe das genauso. Wir dürfen nicht vergessen: Die Agenda 2010 wurde unter einer SPD-Grünen-Regierung gemacht. Und jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation. Dass alles Soziale unter einer sozialdemokratischen Regierung versucht wird, kleinzureden und zu zerstören. Das ist ein Riesenproblem. Ich erinnere nur daran, dass die SPD anscheinend noch mehr im Windschatten einer US-Regierung hinterherläuft wie eine CDU. Ich persönlich stehe politisch links. Aber es ist einfach so, dass die SPD immer die Schweinereien macht, die sich eine CDU nicht traut.

Herr Lenz, eine allerletzte Frage. Sehen Sie in der derzeitigen politischen Lage der Bundesrepublik Deutschland eine gesellschaftliche und politische Kraft, die sich stärker für Frieden einsetzen könnte, die das, was Sie auch beschäftigt, einbringen könnte in die politische Debatte?

Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr eine neue Partei im linken Spektrum bekommen, angeführt von Sahra Wagenknecht. Vorbereitungen dazu scheinen zu laufen. Ich bin derzeit noch in der Linkspartei und beobachte das. Eine Wagenknecht-Partei würde wichtige Akzente zum Thema Frieden und Soziales setzen.

Titelbild: J.H. Darchinger / Friedrich-Ebert-Stiftung

Ulrich Lenz (Jahrgang 1961) ist selbstständiger Einzelhändler, Kreistagsmitglied und Kreissprecher für die Partei Die Linke im Rhein-Lahn-Kreis (RLP) und Gründungsmitglied, Mitinitiator und -organisator des NachDenkSeiten-Gesprächskreises sowie von Aufstehen in der Region Diez (RLP) / Limburg (H). Seit seiner Jugend engagiert er sich aktiv bei weiteren sozialen und friedenspolitischen Aktionen.

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