Der Milliardär und sein Kartenhaus: Die Signa-Insolvenz

Der Milliardär und sein Kartenhaus: Die Signa-Insolvenz

Der Milliardär und sein Kartenhaus: Die Signa-Insolvenz

Ein Artikel von Rainer Balcerowiak

Am 29. November war es so weit. Die Signa-Holding stellte beim Handelsgericht Wien einen Insolvenzantrag. Wirklich überraschend kam dieser Schritt nicht, denn dass sich das verschachtelte Unternehmenskonstrukt mit über 1.000 Einzelgesellschaften, das der Schulabbrecher René Benko nach ersten erfolgreichen Gehversuchen in der Immobilienbranche im Jahr 2000 zunächst unter dem Namen Immofina auf den Weg gebracht hatte, in gewaltiger Schieflage befindet, war seit längerer Zeit bekannt. Bereits in den vergangenen Wochen hatten etliche Tochterfirmen der Signa-Gruppe, wie die Signa Real Estate Management Germany und die Signa Sport United GmbH samt ihren Tochterunternehmen mit 32 Onlineshops (unter anderem Fahrrad.de, Tennis Point, Wiggle, und ChainReaktion) Insolvenz angemeldet. Kurz nach dem Antrag der Holding ging auch die Tochter SportScheck, in der die früheren Karstadt-Sport-Filialen gesondert zusammengefasst sind, zum Insolvenzgericht. Von Rainer Balcerowiak.

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In der Vergangenheit war es dem bestens vernetzten Selfmade-Milliardär stets gelungen, neue Kreditgeber und Investoren zu gewinnen oder – vor allem in Deutschland – öffentliche Beihilfen in beträchtlicher Höhe abzugreifen. Doch damit ist jetzt Schluss, und die Holding kann kurzfristige Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen und auch laufende Projekte nicht mehr fortführen. So ruhen bereits seit Ende Oktober die Bauarbeiten beim wichtigsten Prestigeobjekt der Signa-Tochter Prime, dem Hamburger Elbtower, weil Zahlungen an den ausführenden Hochbaukonzern Lupp ausblieben.

Trotz intensiver Bemühungen, zuletzt in Gesprächen mit dem Hedgefonds Elliot, konnte kein Investor gewonnen werden, der die benötigten 600 Millionen Euro bis Ende November bereitstellen wollte. Zuvor blitzte Signa laut Spiegel auch bei Investoren wie Mubadala Investment, der staatlichen Investmentgesellschaft aus Abu Dhabi, dem saudi-arabischen Staatsfonds PIF und dem Vermögensverwalter Attestor Capital auf der Suche nach Geld ab. Auch große Anteilseigner der Signa-Holding und einiger Tochterformen wie der Hamburger Logistikmilliardär Klaus-Michael Kühne, der Ex-Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner und der Fressnapf-Gründer Torsten Toeller wollten kein Geld in das Fass ohne Boden nachschießen. Und von Banken kommt angesichts der drastisch gestiegenen Zinsen erst recht nichts mehr, nachdem der Konzern und seine Töchter das Buchvermögen in ihren Bilanzen erheblich abwerten mussten und wohl auch weiterhin müssen.

Exemplarisches Beispiel für diese kreative Bewertungspraxis ist das Berliner „Upper West“ in der westlichen Innenstadt mit Büro-, Hotel- und Einzelhandelsnutzung. Der 2017 fertiggestellte 35-stöckige Turm stand Ende 2022 mit mehr als 700 Mio. Euro in den Büchern – dem 45-Fachen der Mieteinnahmen des Gebäudes. Das ist wesentlich höher als in der Immobilienbranche üblich. „Eine aktuelle Bewertung für Signa würde sehr wahrscheinlich zu einem Rückgang von etwa einem Drittel führen“, sagte Peter Papadakos, Chef der Europa-Analyse beim Immobilienspezialisten Green Street Advisors, dem Magazin Bloomberg. Auch der Verkauf von 49,9 Prozent der Signa-Anteile an dem Berliner Nobelkaufhaus KaDeWe an die thailändische Central Group im März 2023 war ein lautes Alarmsignal, der Erlös lag rund 50 Prozent unter dem Buchwert.

Holding-Insolvenz ist nur die Spitze des Eisbergs

Die Schulden der Holding belaufen sich nach Angaben von österreichischen Gläubigerschutzverbänden auf rund fünf Milliarden Euro. Betroffen sind davon 42 Dienstnehmer sowie 273 Gläubiger. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Die wichtigen Immobilientöchter Signa Prime Selection AG und Signa Development AG sowie die Handelssparte Signa Retail sind von dem Insolvenzantrag der Holding gar nicht unmittelbar umfasst, und ihr Schuldenberg beträgt sogar ein Mehrfaches der Holding-Schulden. Zu den Gläubigern gehören laut Informationen der Zeitung Standard unter anderem der Gebühren-Inkasso-Service (GIS) des ORF, der Hubschrauberbetreiber Helicopter Air Transport und der Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) als Person und auch über seine Firma Gusenbauer Projektentwicklung und Beteiligung. Auf der Liste steht mit Sebastian Kurz ein weiterer Ex-Kanzler. Den verbindet eine lange Freundschaft mit Benko, unter anderem half die von Kurz geführte ÖVP/FPÖ-Regierung dem Unternehmer bei der Übernahme des traditionsreichen Leiner-Hauses in Wien. Die erste Gläubigerversammlung soll am 19. Dezember stattfinden.

Der Insolvenzverwalter Christoph Statz steht vor einer Herkulesaufgabe, denn die Finanzstruktur des verschachtelten Konzerns mit seinen zahlreichen Insichgeschäften ist äußerst komplex. Damit die angestrebte Sanierung in Eigenverantwortung gelingen kann, heißt es zunächst: Alles muss raus. Derzeit wird die Einstellung aller für die Holding nicht zwingend erforderlichen Teilbetriebe und die sofortige Verwertung aller entsprechenden Vermögenswerte vorbereitet. Der Konzern soll verschlankt und auf seine Kernaufgaben reduziert werden. Bekannt wurden inzwischen auch gewisse Auswüchse. Laut Medienberichten hatte die Signa Holding mit knapp über 40 Mitarbeitern im Jahr 2022 etwa 4,9 Millionen Euro „normale“ Reisekosten in den Büchern. Dazu kamen noch 2,2 Millionen für Privatjet- und 463.000 Euro für Helikopterflüge sowie 409.000 Euro für Jagden. Im Liquiditätsplan für die kommenden drei Monate, den die Signa Holding bei Gericht im Rahmen der Insolvenzanmeldung eingebracht hat, sollen die monatlichen Reisespesen bei 23.000 Euro gedeckelt werden.

Deutschland als neues Beutegebiet

Im Jahr 2013 hatte sich der heute 46-jährige Firmengründer Benko offiziell aus der operativen Führung der Holding in den Beirat zurückgezogen, wo er den Vorsitz übernahm. In diesem Jahr war er in letzter Instanz in einem Korruptionsverfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Doch als Beiratsvorsitzender blieb er das Gesicht und der Lenker. Das Gremium bildete das eigentliche Machtzentrum des Konzerns, zumal Benko mit seiner Familienstiftung Hauptanteilseigner der Holding ist. Die Besetzung des Beirats ist mit hochkarätig noch arg zurückhaltend beschrieben. Dazu gehören neben Gusenbauer auch Wüstenrot-Chefin und Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Hahn (FPÖ), Ex-Raiffeisenbanker Karl Sevelda und Ex-Casinos-Austria-Direktor Karl Stoss, die auch in diversen Aufsichtsräten von Signa-Töchtern vertreten sind.

Natürlich war dem Tiroler Shooting-Star das kleine Österreich längst viel zu eng geworden. Schon früh war er auch auf ausländischen Immobilienmärkten aktiv und stieg auch in großem Stil ins Einzelhandelsgeschäft ein. Vor allem in Deutschland. Als er 2014 die marode Kaufhauskette Karstadt übernahm, wurde er nahezu euphorisch als „Retter“ gefeiert, wie auch schon sein Vorgänger Nicolas Berggruen, der den Handelskonzern in nur vier Jahren gründlich ausgeplündert hatte. 2018 übernahm Benko auch den auf dem Kaufhausmarkt einzig verbliebenen Konkurrenten Galeria Kaufhof.

Für das Handelsgeschäft interessierte er sich herzlich wenig, Geld wurde mit den dazu gehörenden Immobilien verdient. Wichtiger Teil des Geschäftsmodells waren horrende, marktunübliche Mieten, die an die Immobiliensparte des Konzerns gezahlt werden mussten. Seine regelmäßig wiederkehrenden Versprechungen, nur möglichst wenige der zumeist unrentablen Standorte zu schließen und Arbeitsplätze zu erhalten, ließ er sich mit insgesamt fast einer Milliarde Euro aus öffentlichen Kassen vergolden und schüttete quasi zeitgleich eine knappe halbe Milliarde Euro an die Anteilseigner der Signa-Holding aus. Die Drohkulisse mit 17.000 Arbeitsplätzen und weiter verödenden Innenstädten durch Kaufhausschließungen funktionierte jahrelang exzellent.

Und während weltweit Analysten und auch die europäische Bankenaufsicht auf die Schieflage von Signa hinwiesen und sich Benko in Österreich immer neuen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sah, wurde er besonders in Berlin von der rot-rot-grünen als auch von der nachfolgenden schwarz-roten Landesregierung nach wie vor umgarnt und gepampert. In einem „Letter of Intent“ vereinbarten der Senat und der Konzern 2020, dass Signa an drei prestigeträchtigen, zentralen Standorten (Kurfürstendamm, Alexanderplatz und Hermannplatz) umfangreiche Entwicklungs- und Bauprojekte realisieren kann und im Gegenzug für andere Standorte befristete Standort- , Arbeitsplatz- und Investitionsgarantien abgibt. Die natürlich nicht eingehalten wurden. Trotzdem hielt der Berliner Senat noch bis vor wenigen Wochen an seiner unverbrüchlichen Treue zu dem windigen Entrepreneur fest und wies Forderungen, die Vereinbarung zu kündigen und die laufenden Bebauungsplanverfahren zu stoppen, brüsk zurück.

Jetzt kommt der große Katzenjammer. Signa hat fast alle laufenden Bauvorhaben – nicht nur in Deutschland – eingestellt. Neue Investoren stehen angesichts der Zinsentwicklung und der generell angespannten Lage auf dem Markt für Handelsimmobilien nicht gerade Schlange, um einzusteigen. Die jetzt anstehenden Notverkäufe der Signa-Immobilien werden nur einen Bruchteil der stark überhöhten Buchwerte einbringen, auch auf deutsche Banken kommen Milliardenverluste aus dem Signa-Geschäft zu. Kommunen und Länder haben Unmengen von Geld in diesem schwarzen Loch versenkt und stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen, nicht nur finanziell, sondern auch infrastrukturell.

Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Signa-Imperiums ist noch lange nicht vorbei. Für viele Beteiligte wird es kein Happy End geben. Das gilt sogar für Benko. Durch den massiven Wertverlust seiner Anteile an der Holding ist sein Privatvermögen laut Berichten deutlich geschrumpft, um fast die Hälfte. Auf nur noch rund 2,8 Milliarden Euro. Und da sage noch jemand, der Kapitalismus sei nicht gerecht.

Titelbild: PR